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Vielfalt oder Monotonie? Regionale Regime zwischen Gleichheit und

3. Faktoren institutionellen Wandels: Strukturen – Akteure –

4.4 Vielfalt oder Monotonie? Regionale Regime zwischen Gleichheit und

Das Gesamtbild der regionalen Regimebildung in Rußland in den neunziger Jah-ren ist von großer Widersprüchlichkeit gekennzeichnet und nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Beachtlichen Errungenschaften in der Schaffung formal demokratisch verfaßter Staats- und Selbstverwaltungsorgane stehen bekla-genswerte Defizite in der demokratischen Kultur gegenüber. Einerseits werden demokratische Prozeduren grundsätzlich als einzig legitime Form des Machter-werbs akzeptiert. Andererseits kann von einer auch nur annähernden Gleichheit der Wahlchancen für die konkurrierenden Kandidaten selten die Rede sein. Eine zentrale Schwachstelle der regionalen Demokratisierung ist die politische Öffent-lichkeit. Neben der Schwäche der Parteien, die letztlich eher Folge als Ursache einer unterentwickelten politischen Struktur ist, trägt auch die Abhängigkeit der Medien zu diesem Zustand bei. Der überwiegende Teil der örtlichen Zeitungen und Fernseh- bzw. Radiosender hängt am Tropf der Regionalbudgets und unter-liegt damit der politischen Kontrolle der Gouverneure. Auch private Medien sind in den meisten Regionen ohne finanzielle Unterstützung der regionalen Behörden kaum überlebensfähig, und wo sie es sind, haben sie oft mit mehr oder minder offenen Schikanen und Repressalien seitens der Administrationen zu kämpfen.

Dieses Problem potenziert sich im Vorfeld von Wahlen, und selbst in jenen Regi-onen, in denen konkurrierende Medien existieren und eine kritische Berichterstat-tung möglich ist, überwiegt in Wahlkampfzeiten die Parteinahme einer ZeiBerichterstat-tung oder eines Senders für jeweils einen konkreten Kandidaten, während eine unab-hängige, um Objektivität bemühte Berichterstattung die seltene Ausnahme

168 AFANASEV 1997: 38.

stellt. Andererseits zeigt die Vielzahl der Wahlsiege oppositioneller Kandidaten oder medialer Außenseiter bei Gouverneurswahlen, daß solcherart manipulierte Wahlkämpfe längst nicht immer den gewünschten Erfolg hervorbringen.

Zudem stehen besonders illiberalen Regionen andere gegenüber, in denen die Demokratisierung deutlich weiter vorangeschritten ist. Auf der einen Seite haben sich vor allem in einigen Republiken unter dem Schutzschirm der bean-spruchten „Souveränität“ stark personalisierte Präsidialregime etabliert, deren politisches Bestreben in erster Linie auf die vollkommene Unterdrückung jegli-cher ernsthaften Opposition ausgerichtet ist. Wahlen ohne Gegenkandidaten oder mit nur einem „Alibi“-Gegenkandidaten, überlange Amtszeiten, die Drangsalie-rung oppositioneller Politiker und die Mißachtung richterlicher Anordnungen sind dabei nur die sichtbarsten Beispiele autoritärer Neigungen bei den jeweiligen Machthabern. Auf der anderen Seite zeigen Beispiele anderer Regionen, daß dort Pluralismus durchaus vorhanden ist und mit der Etablierung alternativer Macht-zentren auch politischer Wechsel möglich geworden ist. Machtwechsel werden nahezu routinemäßig vollzogen, konkurrierende Elitegruppen haben zu kooperie-ren gelernt, und der selbstgesteckte verfassungsmäßige Rahmen politischen Han-delns wird von den regionalen Eliten weitgehend eingehalten.

Die starke Ausdifferenzierung der politischen Landschaft hat Autoren wie Vladimir Gel’man, Mary McAuley oder Kathryn Stoner-Weiss dazu veranlaßt, in erster Linie unterscheidende Merkmale bei der Charakterisierung der regionalen Regime hervorzuheben.169 Andere, wie Jeffrey Hahn, haben im Konzept der „de-legativen Demokratie“ ein einigendes Band gefunden, das die prinzipielle Ähn-lichkeit der Regime bei unterschiedlich stark ausgeprägten Einzelmerkmalen be-tont.170 Allerdings sind sich die beiden Perspektiven näher, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.171 Ihr verbindendes Element ist die Frage nach dem Ver-hältnis zwischen formaler und informeller Institutionalisierung des politischen Prozesses. Entlang dieser Frage ließen sich die regionalen politischen Regime auf einem Kontinuum abbilden, das zugleich einen Ausschnitt des breiteren Spekt-rums zwischen liberaler Demokratie und Pseudodemokratie (Larry Diamond) rep-räsentiert. Wie am Beispiel Baschkortostans im folgenden Kapitel gezeigt werden wird, sind es gerade informelle Institutionen, mit deren Hilfe formal demokrati-sche Arrangements bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt werden können. Der

169 GELMAN 1998b, MCAULEY 1997, STONER-WEISS 1997.

170 HAHN 2000.

171 Daß beide Perspektiven sich eher ergänzen als ausschließen, ist auch daran zu erkennen, daß auch GELMAN (1996a) mit dem Begriff der „delegativen Demokratie“ operiert.

rellen Tendenz zu mehr lokaler Demokratie, die in der postsowjetischen Entwick-lung der regionalen politischen Regime in Rußland grundsätzlich ein bestimmen-des Element war, konnte sich auf der formalen Ebene selbst eine Republik wie Baschkortostan, trotz ihres „Status“ und ihrer Bemühungen, sich gegen politische

„Einmischung“ aus Moskau so weit wie möglich zu immunisieren, nur zeitweise und begrenzt entziehen. An der Einführung formal demokratischer Verfassungen und der regelmäßigen Abhaltung von Wahlen führte kein Weg vorbei. Dennoch gelang es den herrschenden Eliten dort wie in anderen Republiken, gestützt auf ein reiches Arsenal informeller Strukturen und klientelistischer Netzwerke hinter ei-ner demokratischen Fassade de facto mehr oder minder autoritäre Herrschaftsfor-men zu etablieren. In bestimmten Fragen – so bei der Weigerung einzelner Repu-bliken, lokale Verwaltungschefs wählen statt ernennen zu lassen –, spielten zwar auch formale Abweichungen vom vorgesehenen Standard eine wichtige Rolle, doch blieben solche Abweichungen von der stillschweigenden informellen Dul-dung durch Moskau abhängig.

Die föderale Politik folgte keiner einheitlichen Linie. Lange Zeit zögerte das Zentrum eine weitergehende Demokratisierung der regionalen Machtstruktu-ren aus utilitaristischen Erwägungen hinaus. Dennoch blieb Moskau in der Summe eher treibende als getriebene Kraft im Bemühen um eine Demokratisierung der politischen Institutionen in den Regionen. Auch der Vergleich einzelner Republi-ken mit so heterogenen Entwicklungen wie beispielsweise in Baschkortostan oder Kalmykien einerseits und in Udmurtien andererseits legt den Umkehrschluß nahe, daß Moskaus Politik auf die Regimebildung in den nicht-ethnischen Territorien einen mäßigenden Einfluß hatte und insofern aus einer Demokratisierungsperspek-tive positiv zu beurteilen ist. Insgesamt folgte auch die Politik des Zentrums einer Logik, die durch die Etablierung formal demokratischer Institutionen einerseits und die gleichzeitige Stärkung gegenläufiger informeller Strukturen andererseits gekennzeichnet war.

Gerade die extremen Beispiele undemokratischer Entwicklung in den rus-sischen Regionen belegen indes: Je fester der politische Prozeß in formalen Spiel-regeln verankert ist, desto stärker neigt der Regimetypus zum demokratischen Pol des Kontinuums. Je mehr Fragen der formalen Regelung entzogen und informel-len Strukturen überlassen sind, desto stärker treten autoritäre Herrschaftsformen in Erscheinung. Die ausführliche Fallstudie im folgenden Kapitel geht daher der Fra-ge nach, welche Faktoren die Entstehung dominanter informeller Institutionen begünstigten. Dabei zeigt sich, daß eine Reihe struktureller Merkmale des sowjeti-schen Systems bei gegebener Kräftekonstellation und Interessenlage der örtlichen

Elite die entscheidenden Voraussetzungen bildeten. Wichtige Nebenbedingungen waren jedoch die strukturelle politische Schwäche des russischen Zentralstaats im ersten postsowjetischen Jahrzehnt und die Präferenz für kurzfristige politische Erträge anstelle von „Investitionen“ in die politische Zukunft des Landes bei wei-ten Teilen der politischen Elite im Zentrum wie in den Regionen.

5. Politische Neugründung und institutioneller