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die Wirtschaft Liechtensteins: eine empirische Erhebung

2. Künftige europäische Herausforderungen für Liechtenstein

2.5 Der Vertrag von Amsterdam

Der Vertrag von Amsterdam wurde am 2.10.1997 von den Mitgliedstaa­

ten der Europäischen Union unterzeichnet. Nach Abschluss der Ratifi­

kationsphase128 trat der Vertrag am 1.5.1999 in Kraft.

Der Vertrag von Amsterdam129, der als «Mantelvertrag»130 konzipiert ist, hat speziell in fünf Themenbereichen Neuerungen eingeführt.131

Erstens soll ein Raum der «Freiheit, der Sicherheit und des Rechts»

geschaffen werden. Insbesondere wurde die Stellung der Grundrechte gestärkt sowie eine engere Zusammenarbeit im Bereich der Justiz- und Innenpolitik vereinbart. Letzteres sieht vor allem vor, das Schengener System, welches insbesondere die Grenzkontrollen innerhalb der Gemeinschaft beseitigt, in den Rahmen der Union einzubeziehen.132

128 Zu den nationalstaatlichen Ratifikationsverfahren siehe Agence Europe, 8.4.1998, S. 2f.

12'' Zu ersten Analysen des Vertrags siehe Bergmann 1998,Jopp et al. 1998, Petite 1998, Piepenschneider 1998, Weidenfeld 1998.

130 Der Vertrag von Amsterdam «führt die einzelnen materiellen Änderungen der europäi­

schen Verträge (EUV, EGV, EGKSV, EAGV) zusammen (Teil I) und nimmt in einem weiteren Hauptteil (Teil II) eine umfassende Vereinfachung der geltenden Verträge vor.» (Läufer 1999, S. 10) Der «Amsterdamer Vertrag» wird somit gebildet aus dem

«Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992 in der Fassung vom 2.10.1997»

(neuer EU-Vertrag; neuer EUV) und dem «Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 7.2.1992 in der Fassung vom 2.10.1997» (neuer EG-Vertrag; neuer EGV).

131 Thun-Hohenstein 1997, S. 8-13; Ehlermann 1998.

132 Die Bestimmungen zur Übernahme des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Gemeinschaft wurden vom Rat der Europäischen Union im Mai 1999 verabschiedet und sind im Amtsblatt der EG, L 176, vom 10.7.1999, veröffentlicht.

Zweitens soll unter dem Begriff «Union der Bürger» zu einer verbesser­

ten Beschäftigungs-, Sozial-, Umweltschutz- und Konsumentenschutz-politik gefunden werden. Zudem wird der Grundrechtsschutz verbes­

sert, indem z.B. der Europäische Gerichtshof die Zuständigkeit in Grundrechtsfragen erhielt133, ein neues Beschäftigungskapitel eingeführt (Kapitel VIII neuer EGV) und das Sozialprotokoll zum Vertrag von Maastricht in den Amsterdamer Vertrag integriert wurden (Art. 136-145 neuer EGV). Die dritte Neuerung bezieht sich auf eine «effizientere und kohärentere Aussenpolitik»134 der Union, der vierte Bereich umfasst institutionelle Fragen und die fünfte Neuerung betrifft die «Flexibi­

lität»135 im Sinne einer möglichen verstärkten Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen von Mitgliedstaaten.

Neuerungen des Amsterdamer Vertrages können lediglich in den Be­

reichen direkte Auswirkungen auf Liechtenstein haben, die durch das EWR-Abkommen abgedeckt sind.136 Die institutionellen und aussenpo-litischen Themen fallen nicht darunter. Hingegen dürften in der Sozial­

politik, dem Gesundheitsschutz oder dem Verbraucherschutz direkte Auswirkungen durch die Übernahme von Richtlinien oder Verordnun­

gen spürbar werden.137

Indirekte Auswirkungen sind durch die Integration des Schengen-Systems in den Amsterdamer Vertrag zu erwarten. Da der Wirtschafts­

raum Schweiz/Liechtenstein praktisch von Schengen-Staaten umgeben ist, liegt eine engere Zusammenarbeit z.B. in Fragen der Migrationspoli­

tik, der Grenzkontrollen oder der Asylpolitik nahe. Liechtensteins EFTA/EWR-Partner Norwegen und Island sind bereits seit Ende 1996 mit den Schengen-Staaten assoziiert.138 Sie profitieren damit nicht nur von der engen Zusammenarbeit mit der EU in den Bereichen Zoll, Grenzkontrollen, Justiz und Visumspolitik. Die Kooperation berechtigt

133 Läufer 1999, S. 12.

131 Die Kontinuität und Sichtbarkeit der europäischen Aussenpolitik wird durch die Ein­

setzung eines Hohen Vertreters für die Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik («Mister GASP») verfolgt (Art. 18 neuer EUV und Art. 207 neuer EGV).

135 Insbesondere das Konzept der «verstärkten Zusammenarbeit» oder «Flexibilität» hat Diskussionen über neue Formen und Möglichkeiten der Integration und Erweiterung ausgelöst (Areilza 1998, Ehlermann 1998, Gstöhl 1998b, Jannmg/Giering 1997).

136 Baur 1998, S. 203.

137 Gemäss Artikel 7 EWR-Abkommen.

138 Dies war notwendig geworden, damit nach dem Beitritt Schwedens und Finnlands zur EU die seit 1957 bestehende Nordische Passunion aufrechterhalten werden konnte.

sie auch an der Fortentwicklung des Schengen-Besitzstandes, also eines Teilbereichs der EU-Innenpolitik, als Nicht-EU-Staat teilzunehmen, in­

dem sie Empfehlungen in den entsprechenden Gremien abgeben kön­

nen.139 Nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags wurde ein neues Übereinkommen zwischen der EU und Island und Norwegen getroffen, welches der geänderten Rechtslage Rechnung trägt.140 Das Abseitsstehen der Schweiz und Liechtensteins auf diesem Gebiet bedeutet, dass beide Staaten eine Enklave inmitten einer europäischen Sicherheitszone bil­

den. Für Personen, die in einem EU-Mitgliedstaat zurückgewiesen wur­

den, bildet der Wirtschaftsraum Schweiz/Liechtenstein noch den einzi­

gen attraktiven Zufluchtsort. Die Schweiz befürchtet u.a. die Zunahme illegaler Einwanderungen sowie der Asylgesuche.141

Da die Teilnahme am Schengener-Abkommen für Nicht-EU-Staaten ausgeschlossen ist, hat insbesondere die Schweiz damit begonnen, zwi­

schenstaatliche Abkommen mit einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu tref­

fen. Ein bilaterales Abkommen über Fragen der Innen- und Justizpoli­

tik konnte im April 1999 mit Deutschland abgeschlossen werden.142 Ver­

träge mit' Frankreich und Italien sind in der Ratifikationsphase.

Liechtenstein, Österreich und die Schweiz haben ein ähnliches Abkom­

men auf trilateraler Ebene unterzeichnet.143 Inhaltlich regeln diese Ab­

kommen vor allem die grenzübergreifende behördliche Zusammenar­

beit (Informationsübermittlung, Hilfeleistungen bei Grossereignissen und Katastrophen, Zustellung behördlicher Schriftstücke).144 Das drin­

gende Problem der Asylkooperation wird hingegen nicht geregelt.145

139 Agence Europe, 27.8.1998, S. 2.

140 «Übereinkommen zwischen dem Rat der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung der beiden letztgenann­

ten Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitz-standes», in Amtsblatt der EG, L 176, 10.7.1999, S. 36—49.

141 Integrationsbüro 1998.

142 Neue Zürcher Zeitung, 28.4.1999, S. 13.

143 Liechtensteiner Vaterland, 28.4.1999, S. 1.

144 Neue Zürcher Zeitung, 28.4.1999, S. 13.

145 Die durch die Schweiz erwünschte Zusatzerklärung zu den bilateralen Abkommen be­

züglich des Asylwesens fand bei der EU keine Zustimmung (Neue Zürcher Zeitung, 4.5.1999, S. 13).