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die Wirtschaft Liechtensteins: eine empirische Erhebung

3. Handlungsbedarf für Liechtenstein?

Die vorliegende Studie zeigt, dass die EWR-Mitgliedschaft für Liechten­

steins Wirtschaft bisher keine dramatischen Veränderungen mit sich ge­

bracht hat. Eine verschärfte Konkurrenzsituation ist bei einigen Freien Berufen und vereinzelt im Gewerbe spürbar geworden. Insgesamt er­

weist sich die liechtensteinische Wirtschaft aber als sehr wettbewerbs­

fähig. Neben der EWR-Mitgliedschaft sind dafür eine Reihe weiterer wichtiger Standortfaktoren ausschlaggebend, auf die der EWR keinen Einfluss genommen hat.162 Zudem darf nicht vergessen werden, dass bei einem EWR-Nein Liechtensteins nicht einfach alles beim Alten geblie­

ben wäre, wie auch die Erfahrungen der Schweiz zeigen.163

Für Liechtenstein gilt es folglich, seine vorteilhaften Standortfaktoren aufrechtzuerhalten. Unabhängig vom EWR ist die Aufrechterhaltung der politischen Stabilität eine prioritäre Aufgabe. Weitere spezifische Standortfaktoren wie das Steuerrecht, das besondere Bank- und Treu­

händergeheimnis, die restriktive Handhabung in Fragen der Rechtshilfe sowie das Gesellschaftsrecht164 blieben durch die EWR-Mitgliedschaft bisher weitgehend unangetastet. Das gleiche gilt für die Zoll- und 'Währungsunion mit der Schweiz, welche ebenfalls für alle Sektoren der liechtensteinischen Wirtschaft von besonderer Bedeutung ist.165 Die EWR-Mitgliedschaft trägt ferner zur Aufrechterhaltung und Verbesse­

rung des liechtensteinischen Ausbildungsniveaus bei, indem der Zugang zu ausländischen Universitäten und Arbeitsstätten aufgrund des Diskri­

minierungsverbots vereinfacht wird.

Liechtenstein kann sich den Herausforderungen der voranschreiten­

den europäischen Integration kaum entziehen, da möglicherweise ein­

zelne der genannten Standortfaktoren in Frage gestellt werden könnten.

Vor diesem Hintergrund wird daher zunächst die Frage behandelt, ob für Liechtenstein ein Handlungsbedarf besteht, bevor abschliessend die Bedeutung der europäischen Wirtschaftsintegration für Kleinstaaten aus theoretischer Perspektive diskutiert wird.

162 Siehe hierzu die Erläuterungen in Kapitel E.

163 Zu den Erfahrungen der Schweiz siehe den Exkurs im Anschluss an Kapitel E.

164 Zu den Auswirkungen der EWR-Mitgliedschaft auf das Gesellschaftsrecht siehe Ham­

mermann 1998; Frick 1996.

165 Siehe die Ergebnisse der Umfrage in Kapitel E.

Die Dynamik des europäischen Integrationsprozesses wird auch im neuen Jahrtausend aufrechterhalten bleiben. Liechtensteins etwaiger Handlungsbedarf wird diesbezüglich von mehreren Entwicklungen de­

terminiert, deren Ausgang noch ungewiss ist. Erstens, der Integrations­

weg der Schweiz: Auch wenn der EU-Beitritt der Schweiz eine (zwangs­

läufig) eher langfristige Strategie des Schweizer Bundesrates ist166, scheint eine frühzeitige Auseinandersetzung mit diesem Szenario not­

wendig. Mit dem Schweizer EU-Beitritt dürften weitreichende vertrag­

liche Veränderungen zwischen Liechtenstein und der EU und zwischen Liechtenstein und der Schweiz einhergehen.167 Der Zollvertrag mit der Schweiz könnte beispielsweise durch eine Zollunion mit der EU ersetzt werden. Bis auf den Bereich der Landwirtschaft dürfte dieses Szenario jedoch in erster Linie politisch-administrative Konsequenzen haben, aber keine markanten wirtschaftlichen Auswirkungen zeigen.

Zweitens, die EU-Regierungskonferenz «2000» und die EU-Erweite­

rung: Nachdem im Vertrag von Amsterdam nicht die für eine Erweite­

rung um viele kleine Staaten notwendigen institutionellen Reformen (insbesondere Stimmgewichtung und Arbeitsprozesse im Rat, Vereinfa­

chung der Entscheidungsprozesse) verankert werden konnten, soll eine weitere intergouvernementale Konferenz die EU erweiterungsfähig ma­

chen. Für Liechtenstein dürften die Ergebnisse dieser Konferenz von besonderem Interesse sein, da es eine Entscheidung darüber geben wird, in welcher Form Kleinstaaten wie Luxemburg, Malta und Zypern an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen sind und wie eine Balance zwischen kleinen und grossen Staaten hergestellt werden kann.

Drittens, die Aussichten für eine Steuerharmonisierung in der EU:

Von einer Harmonisierung der direkten Steuern innerhalb der EU wäre Liechtenstein unter rein rechtlichen Gesichtspunkten wahrscheinlich nicht betroffen, da das EWR-Abkommen den Bereich Steuern ausklam­

mert. Die Europäische Kommission und einige EU-Mitgliedstaaten sind bei der Formulierung einer entsprechenden Richtlinie allerdings darauf bedacht, auch nicht-EU-Staaten einbeziehen zu wollen. Dies hat bereits zu ersten «Sondierungsgesprächen» zwischen der Kommission und der

166 Nach Abschluss der Verhandlungen hat die Inkraftsetzung der bilateralen Sektor­

abkommen oberste Priorität für den Bundesrat {Schweizerischer Bundesrat, Integra­

tionsbericht 1999, S. 1).

167 Siehe zu dieser Option Gstöhl 1999, S. 171 f.

Schweiz bzw. Liechtenstein geführt. Sollte es wie geplant Ende 1999 tatsächlich zu einer Kapitalbesteuerungs-Richtlinie kommen168, dürften die Einwände Luxemburgs und Grossbritanniens169 zu einer starken

«Verwässerung» der Regelungen im Sinne der Zulässigkeit von Ausnah­

men führen, auf die sich Liechtenstein gegebenenfalls berufen könnte.

Zudem liesse das sogenannte «Koexistenzmodell» das Bankgeheimnis unangetastet.

Viertens, die weitere Integrationspolitik der EFTA/EWR-Partner Norwegen und Island: Ebenso wie ein Beitritt der Schweiz zur EU würde auch ein integrationspolitischer Kurswechsel Islands oder Nor­

wegens zu Konsequenzen für Liechtenstein und den EWR führen.170 Ein Beitritt Norwegens zur EU hätte unter Umständen die faktische Auflösung des EWR zur Folge, da die EWR-Institutionen ohne norwe­

gische Beteiligung kaum arbeitsfähig wären. Zudem würde die Margina-lisierung des EWR, welche mit dem Austritt Schwedens, Finnlands und Österreichs aus der EFTA begann, voranschreiten.171 Bisher gibt es allerdings keine konkreten Anzeichen dafür, dass Island oder Norwegen in naher Zukunft einen EU-Beitritt erwägen. Vielmehr hat der norwegi­

sche Aussenminister Knut Vollebaek das EWR-Abkommen noch An­

fang 1998 als beste Lösung für sein Land bezeichnet.172

Fünftens wurde, unabhängig vom EWR, die sogenannte «Millen-nium-Runde» der Welthandelsorganisation Ende 1999 einberufen.173 Auf der Agenda stehen Verhandlungen zum Agrarhandel und zu den Dienstleistungen (GATS).174 Nach den Vorschlägen der Schweiz sollte die nächste WTO-Runde ausserdem u.a. zu einer weiteren Senkung der tarifären und nichttarifären Handelshemmnisse führen, Regeln für inter­

nationale Investitionen festlegen und umweltpolitische Aspekte einbe­

ziehen.175 Auch die Europäische Kommission hat bereits ein Strategie­

168 l )je Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Köln vom Juni 1999 machen keine terminlichen Aussagen.

169 Vgl. zu den Einwänden Abschnitt 2.3 dieses Kapitels.

170 Vgl. Gstöhl 1999, S. 174f.

171 Neue Zürcher Zeitung, 8.1.1998, S. 19.

172 Ibid.

173 WTO, Ministeriais, http://www.wto.org/wto/minist/minrel.htm, 24.8.1999.

174 Rede von WTO-Direktor David Hartridge, 5.7.1999 (http://www.wto.org/wto/speeches/ecosoc2.htm, 24.8.1999).

175 WTO, Preperations for the 1999 Ministerial Conference: Communication from Swit-zerland, WT/GC/W/260, 1999.

papier in Vorbereitung auf die «Millennium-Runde» vorgelegt.176 Neben den genannten Punkten möchte die Kommission u.a. «multilaterale Rahmenregelungen über die Anwendung von wettbewerbsrechtlichen Vorschriften», den Schutz des geistigen Eigentums, die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens sowie die Förderung grundlegen­

der Arbeitsnormen voranbringen.177

Das EWR-Abkommen bietet Liechtenstein sowohl in wirtschaft­

licher als auch in politischer Hinsicht einen günstigen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzungen mit den aufgezeigten Herausforderungen.

Aufgrund der ständigen Weiterentwicklung des europäischen Integra­

tionsprozesses besteht jedoch nach wie vor ein Handlungsbedarf.