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die Wirtschaft Liechtensteins: eine empirische Erhebung

1. Die Schweiz und die Konsequenzen des «EWR-Neins»

Obwohl das EWR-Abkommen den schweizerischen Interessen weitge­

hend entgegenkam und beide Kammern des Parlaments der Vorlage zu­

stimmten179, fiel die Volksabstimmung im Dezember 1992 gegen einen EWR-Beitritt aus.180 Die Vorbehalte bezogen sich vor allem auf einzelne Inhalte des Abkommens (z.B. Souveränitätsverlust, Freizügigkeit), aber auch auf die langfristige Integrationsstrategie des Bundesrates, der eine EU-Vollmitgliedschaft anstrebte und bereits vor der EWR-Abstimmung ein EU-Beitrittsgesuch im April 1992 stellte.181 Der Bundesrat betrach­

178 Ein Vergleich der Integrationswege der Schweiz und Österreichs findet sich bei Arndt 1998.

179 Kux 1998a, S. 4.

180 50.3 % der Stimmbevölkerung und 17 der 23 Kantone stimmten gegen den Beitritt (Ibid.). Für eine ausführliche Analyse der Schweizer Europapolitik bis 1993 siehe Langejürgen 1993.

181 Kux 1998a, S. 5.; Pedersen 1994, S. 112-122. Für eine vollumfängliche Analyse der In­

teressen einzelner gesellschaftlicher Akteure siehe Langejürgen 1993, S. 75-148. Die skeptische Haltung der Schweiz gegenüber «Europa» hat bereits eine lange Tradition.

Für eine ausführliche Erklärung dieser Einstellung siehe Gstöhl 1998a.

tete die EWR-Mitgliedschaft «nicht als letztes Ziel unserer (des Bundes­

rates, Anm.d.A.) Integrationspolitik, sondern als eine wichtige Zwi­

schenstation jener Politik, welche die Schweiz zu einer vorbehaltlosen Mitgliedschaft in der EG führen soll».182

Nach der Ablehnung des EWR-Beitritts trat die Schweiz Ende 1994 in bilaterale Verhandlungen mit der EU ein, welche am 11.12.1998 in den Abschluss von sieben sektoriellen Abkommen mündeten.183 Nach ihrer Unterzeichnung am 21.6.1999 in Luxemburg, wird das Inkrafttre­

ten der Abkommen, welche eine Laufzeit von sieben Jahren184 haben und in der Schweiz teilweise dem Referendum unterliegen185 sowie durch alle EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden müssen, auf Anfang 2001 angestrebt. Das strategische Ziel des Bundesrates bleibt aber wei­

terhin die EU-Vollmitgliedschaft.186 In der Zwischenzeit hat die Schweiz ihre Wirtschaftsgesetzgebung in vielen Teilen dem EU-Recht angepasst («autonomer Nachvollzug»). Das SWISSLEX betrifft vor allem die Be­

reiche Versicherungen, Verkehr, Konsumentenschutz sowie Arbeitneh­

merrechte.187

Die Schweizer Regierung sah ihre Integrationspolitik immer im Ein­

klang mit den klassischen Zielen der schweizerischen Aussenwirt-schaftspolitik, «die darauf abzielt, ... den Marktzugang für schweizeri­

sche Exportprodukte zu wahren bzw. zu verbessern, die Spielregeln in den Aussenwirtschaftsbeziehungen zu stärken und den Zugang für schweizerische Investitionen im Ausland zu erhalten».188

182 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Genehmi­

gung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 18.5.1992, S. 4.

183 Uber folgende sieben bilaterale Abkommen wurde am 11.12.1998 eine politische Eini­

gung erzielt: <Abkommen über die Zusammenarbeit in Forschung und Technologien

<Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen>, «Abkommen über die gegensei­

tige Anerkennung von Konformitätsbewertungen>; <Agrarhandelsabkommen>; <Luft-verkehrsabkommen>; <Land<Luft-verkehrsabkommen>; «Abkommen über den Freien Perso­

nenverkehr (EVD/EDA, Die sektoriellen Abkommen Schweiz-EG - Erklärender Be­

richt für die Vernehmlassung, 1999).

184 Die Laufzeit wird stillschweigend bei Nichtkündigung um jeweils ein Jahr verlängert.

185 Dem Referendum unterliegen das Landverkehrsabkommen sowie das Abkommen über den Freien Personenverkehr (EVD/EDA, Die sektoriellen Abkommen Schweiz-EG - Erklärender Bericht für die Vernehmlassung, S. 23).

186 EVD/EDA, Die sektoriellen Abkommen Schweiz-EG - Erklärender Bericht für die Vernehmlassung, S. 20.

187 Zimmermann 1999.

188 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Genehmi­

gung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 18.5.1992, S. 61.

189 Der Monat, 7-8/1992, S. 14f.

Eine ähnlich positive Haltung wie die Schweizer Regierung nahmen die schweizerischen Konzerne, Handels- und Gewerbebetriebe gegen­

über dem EWR ein. Dies zeigt eine Umfrage des Schweizerischen Bank­

vereins aus dem Sommer 1992. 59 % der Klein- und Mittelunternehmen und 84 % der Grossunternehmen sprachen sich pro EWR aus.189 Diese Einstellung war vor allem an zwei Erwartungen geknüpft. Erstens ver­

sprach eine EWR-Teilnahme einen Abbau der seit dem Rückgang der Zölle zunehmend wichtiger werdenden nicht-tarifären Handelshemm­

nisse. Zweitens erhofften sich die schweizerischen Unternehmen durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes einen erleichterten Rückgriff auf EWR-Arbeitnehmer. Hauser und Bradke stellen fest, dass «die mit dem EWR-Vertrag und EG-Beitritt verbundene Freizügigkeitsregel ... den flexibleren Zugriff auf qualifizierte Arbeitskräfte [erleichtert] und ... ge­

nerell die Wettbewerbsintensität auf dem Arbeitsmarkt [erhöht], was positive Rückwirkungen auf die Leistungs- und Qualifikationsbereit­

schaft schweizerischer Arbeitskräfte hat.»190

Für den Fall eines EWR-Beitritts wurde ein gesamtwirtschaftlicher Integrationsgewinn von 4-6 % des BIP über einen Zeitraum von 10 Jah­

ren prognostiziert.191 Neuere Berechnungen gehen von einem zusätz­

lichen jährlichen BIP-pro-Kopf von 0.8 % bis 3.0 % aus, sollte die Schweiz der EU (einschliesslich der Währungsunion) beitreten.192 Aller­

dings scheint unter rein volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten die EWR-Mitgliedschaft immer noch die beste Integrationsoption zu sein, die bilaterale Lösung hingegen eher die am wenigsten wünschens­

werte.193

Aus Sicht der schweizerischen Unternehmungen muss die Schweiz mit erheblichen Behinderungen im Handel mit der EU kämpfen. Regel­

mässige Umfragen verschiedener Schweizer Verbände bestätigen offen­

sichtlich diese Einschätzung.194 Beklagt werden insbesondere folgende Punkte:195

1,0 Hauser/Bradke 1991, S. 255.

191 Ibid., Schweizerischer Bundesrat, Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Ge­

nehmigung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 18.5.1992, S. 66.

192 Neue Zürcher Zeitung, 26./27.6.1999, S. 23.

193 BÄK 1998, S. 72; Mumenthaler 1999; Dietler 1999.

194 Verein Schweizerischer Maschinen-Industrieller 1998; Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft 1997; Schweizerischer Handels- und Industrie-Verein 1995.

195 Verein Schweizerischer Maschinen-Industrieller 1998, S. 1; Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft 1997, S. 4f.

1. eine deutliche Zunahme des administrativen Aufwands, z.B. Voraus­

zahlung der Mehrwertsteuer durch den ausländischen Kunden;

2. Vorbehalte von Kunden aus dem EU-Raum gegenüber Schweizer Produkten;

3. die Rekrutierung von EWR-Arbeitskräften ist äusserst schwierig;

4. die Benachteiligungen durch die Notwendigkeit des Grenzübertritts beim Export aus der Schweiz haben zugenommen. Dazu gehören z. B. die Einhaltung von Formvorschriften, längere Wartezeiten, zu­

sätzliche Kosten durch das Ausstellen der benötigten Dokumente und restriktive Öffnungszeiten an den Schweizer Grenzen;

5. die EU kontrolliert die technischen Vorschriften sehr strikt.

Zudem wurde das «EWR-Nein» immer wieder für den beschleunigten Arbeitsplatzabbau sowie den Verlust von Exportaufträgen verantwort­

lich gemacht.196 Die längerfristige Beobachtung zeigt hingegen, dass der Aussenhandel zwischen der Schweiz und der EU für beide Seiten auch nach dem Schweizer «EWR-Nein» an Bedeutung zugenommen hat.

1997 wuchsen die Schweizer Ausfuhren in den EU-Binnenmarkt um 10.4 % (Einfuhren um 10.2 %) und lagen damit nur leicht unter der Zu­

wachsrate für Industrieländer insgesamt. 60.7 % der gesamten Schwei­

zer Exporte gingen 1997 in den EU-Raum.197 Für die Europäische Union blieb die Schweiz auch 1998 zweitwichtigster Handelspartner198 nach den USA. Während die EU-Exporte in die Schweiz im ersten Halbjahr 1998 im Vergleich zum ersten Halbjahr 1997 um 6 % anstie­

gen, wuchsen die EU-Importe aus der Schweiz gar um 10 %.199

Die Umfragen der schweizerischen Verbände haben gezeigt, dass ins­

besondere exportierende Unternehmen durch das «EWR-Nein» mit Zutrittsbarrieren auf den europäischen Binnenmarkt konfrontiert wer­

den. Auch der Bundesrat hält in seinem 1995 veröffentlichten Zwi­

schenbericht zur Schweizer Integrationspolitik fest, dass es aufgrund des

«EWR-Neins» «negative wirtschaftliche Auswirkungen gibt, welche mit der gegenwärtigen integrationspolitischen Situation in Verbindung ge­

bracht werden müssen».200 Eine Quantifizierung der Nachteile bleibt

196 Liechtensteiner Vaterland, 4.12.1997, S. 15; Tages-Anzeiger, 22.2.1995; Tages-Anzeiger, 9.2.1995; Die Ostschweiz, 23.9.1994.

197 Alle Zahlen Neue Zürcher Zeitung, 9.2.1998, S. 19.

1,8 Extra-EU-Ex- und Importe.

199 Agence Europe, 23.11.1998, Selected Statistics.

200 Schweizerischer Bundesrat, Zwischenbericht zur europäischen Integration der Schweiz, S. 16.

aus methodischen Gründen allerdings schwierig, da einer einzigen Va­

riablen, hier dem «EWR-Nein», nicht ohne weiteres bestimmte Effekte zurechenbar sind.201 Dies gilt auch für die Berechnung von Integrations­

effekten im Falle eines EU-Beitritts der Schweiz: «Der Nutzen eines Beitritts für den Wirtschaftsstandort Schweiz (vor allem für die Produk­

tion von Waren und für touristische Dienstleistungen) ist zwar länger­

fristig wahrscheinlich, kann jedoch ... nicht bewiesen werden.»202 Dennoch scheint mittel- bis längerfristig auch für die Schweiz kein Weg an der Europäischen Union vorbei zu führen. Die bilateralen sek-toriellen Abkommen oder ein eventueller Beitritt zu einem EWR II können zwar dazu beitragen, die Schweizer Wirtschaft aus ihrer isolier­

ten Position in Europa zu lösen, beide Integrationswege ignorieren je­

doch weitestgehend die politischen Fragen (Asyl, innere Sicherheit, Währungspolitik, gemeinsame Aussenpolitik), denen sich die Schweiz in einem zunehmend integrierten Europa gegenübersieht.