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Regionalisierung der Weltwirtschaft

2. Die Europäische Union als Binnenmarkt

2.1 Theorie des Gemeinsamen Marktes und der Wirtschaftsunion

Im Gegensatz zur Freihandelszone oder zur Zollunion stellt der Ge­

meinsame Markt die vollständige Faktormobilität her, d.h. die Liberali­

sierung des Güter-, des Dienstleistungs-, des Kapital- sowie des Perso­

nenverkehrs, inklusive der Niederlassungsfreiheit. Voraussetzung hier­

für ist die Beseitigung der nichttarifären Handelshemmnisse (NTHs).

Die Wirtschaftsunion verfolgt ausserdem das Ziel der Harmonisierung bestimmter Politiken, z.B. der Steuerpolitik, der Wirtschaftspolitik und der Wettbewerbspolitik. In diesem Abschnitt soll zunächst geklärt wer­

den, wie die Eliminierung nichttarifärer Handelshemmnisse wirtschafts­

theoretisch und in Bezug auf ihre Messbarkeit einzuordnen ist. Im Wei­

teren wird untersucht, welche Wirkungen mit der Liberalisierung der Arbeits- und Kapitalmärkte erzielt werden können.

Nichttarifäre Handelshemmnisse sind heutzutage das wesentliche Schutzinstrument einer Volkswirtschaft. Im Regelfall diskriminieren sie ausländische Anbieter gegenüber Inländern mit dem Ziel, bestimmte Sektoren und Branchen selektiv zu schützen.11 Sie können aber auch

«die Marktzugangsbedingungen einzelner ausländischer Anbieter ge­

genüber anderen ausländischen Anbietern beeinflussen (Präferenzrege­

9 Art. lOO-lOOb EGV (Artikelangaben in diesem Kapitel beziehen sich immer auf den EG-Vertrag in der Fassung von Maastricht).

10 Groeben et al. 1991, S. 184.

11 Im Gegensatz zu Zöllen können z.B. Quoten nicht über den Preis kompensiert werden.

Zollerhöhungen verpuffen, wenn diese durch Exportpreissenkungen ausgeglichen wer­

den. Quoten stellen sicher, dass der Importanteil eines ausländischen Anbieters in einem bestimmten Marktsegment nicht überschritten wird.

hingen)».12 NTHs lassen sich in formale und administrative Handelsbe­

schränkungen kategorisieren. Formale Beschränkungen wie staatliche Beihilfen, Einfuhrmindestpreise oder Quoten verteuern oder beschrän­

ken Importe gegenüber inländischen Waren direkt, während administra­

tive Regeln und Massnahmen (technische Normen und Standards, Ver­

braucherschutzbestimmungen, staatliche Auftragsvergäbe zu Gunsten inländischer Produzenten) diesen Effekt als Nebenwirkung entwickeln.

Die wirtschaftstheoretischen Auswirkungen einer Quote - hier als Bei­

spiel für ein NTH - lassen sich recht einfach beschreiben. Unter ceteris-parz&Hi-Bedingungen, d.h. bei feststehender Nachfrage und feststehen­

dem Angebot, erhöht die Quote den inländischen Preis. Die Nachfrage wird als Folge der Preiserhöhung reduziert und kann weiterhin aus in­

ländischem und ausländischem Angebot befriedigt werden. Dies sind die gleichen Wirkungen, die bei Einführung eines Zolls eintreten wür­

den. Ein entscheidender Unterschied zum Zoll liegt im Preiseffekt einer Quote im Falle einer Nachfrageverschiebung.13 Da die Quote eine Im­

portausdehnung verhindert, steigt der Preis des Gutes. Die zusätzliche Nachfrage kann nur durch eine Ausweitung des heimischen Angebots befriedigt werden. Sind inländische Produzenten aufgrund von Kapa­

zitätsengpässen nicht in der Lage, den zusätzlichen Nachfrageschub zu bewältigen, wirken Quoten inflationär.

Sind Quoten noch relativ klar definiert und abgrenzbar und deren Wirkung somit messbar, kann dies von anderen NTHs nicht behauptet werden:

«Was die Frage der Messbarkeit von Wirkungen anbelangt, so steht die empirische Forschung vor der unlösbaren Aufgabe, dass sich viele NTHs wegen ihrer Selektivität, ihrer Vielfalt und ihrer Nebenwir­

kungen einer lückenlosen Erfassung geschweige denn einer Wir­

kungsanalyse entziehen.»14

Letztendlich ist es auch nur schwer möglich, Marktintegration durch Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse zu messen.15 Empirische Stu­

12 Langhammer 1993, S. 41.

13 Zu weiteren Unterschieden siehe Langhammer 1993, S. 47f.

14 Ibid., S. 48.

15 Langhammer (1993, S. 48f.) schlägt zwei Methoden zur Ermittlung der Wirkung von NTHs vor.

dien konzentrieren sich daher darauf, Sektoren zu analysieren, in denen NTHs klar definiert und abgrenzbar (z.B. Bekleidungssektor) sind, oder auf spezifische NTHs, die untereinander nicht vergleichbar sind (z.B. Standards, Abgaben).

Das wesentliche Merkmal eines Gemeinsamen Marktes ist die voll­

ständige Faktormobilität. Neben dem freien Warenverkehr, der mit dem Abbau der eingangs erläuterten NTHs realisiert werden soll16, bilden der freie Personen-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr die weiteren Säulen des Gemeinsamen Marktes. Die Erwartungen, die aus theoreti­

scher Sicht damit verbunden sind, beschreibt Jovanovic: «It is expected that the free flow of factors within the bloc will improve the allocation of resources over the one achieved in either a free trade union or a customs union.»17

Die Beseitigung aller Mobilitätshemmnisse wird folglich die Faktoren Arbeit und Kapital dazu veranlassen, sich dorthin zu begeben, wo die grössten Gewinne erwartet werden. In Bezug auf den Faktor Arbeit sind das mögliche Einkommen, Steuern, Gesundheitsversorgung etc. für der­

artige Entscheidungen zu berücksichtigen. Sozio-politische Ursachen führen in der Praxis allerdings dazu, dass Personen im Allgemeinen diese Freizügigkeit nicht wahrnehmen.18

Kapitalbewegungen treten in Form von Portfolio- und Direktinvesti­

tionen auf. Portfolio-Investitionen sind kurzfristig-spekulative Investi­

tionen, die durch Zinsdifferenzen hervorgerufen werden. Hingegen sind Direktinvestitionen langfristig-strategische Investitionen multinationa­

ler Konzerne, welche entweder der Importsubstitution (Nutzung der Grösse eines Marktes), der Nutzung lokaler Ressourcen oder der Ratio­

nalisierung dienen. In einem simplen ökonomischen Modell wird das Kapital dorthin fliessen, wo die grösste marginale Produktivität zu er­

warten ist, und zwar solange, bis sich die marginalen Produktivitäten zweier (oder mehrerer) Länder angeglichen haben.19 Dieses Modell ver­

kennt jedoch u.a. die sozialen Kosten, wenn durch massiven Kapital­

export eine wirtschaftliche Depression in einem Land eintritt.

16 Zölle werden bereits mit der Zollunion (siehe Abschnitt 3) beseitigt.

17 Jovanovic 1998, S. 120.

18 Europäische Kommission, Bulletin der Europäischen Union, Beilage 5/96; Berschens/

Dunkel 1997.

19 El-Agraa 1989, S. 66f.

Arbeitsmarkt- und Kapitalmarktliberalisierung führen unter theoreti­

schen Aspekten und unter restriktiven Bedingungen (z.B. keine Han­

delshemmnisse oder Transportkosten, gleiche Technologie, vollkomme­

ner Wettbewerb, vollkommene Faktormobilität) zu einer Angleichung der Faktorpreise, d.h. der Löhne respektive der Zinssätze (Faktorpreis-ausgleichs-Theorem20). Innerhalb des Binnenmarktes hat sich die An­

gleichung der Zinssätze vollzogen, während dies von den Löhnen nicht behauptet werden kann. Der politische Wille der EU-Mitgliedstaaten hat das eine gefördert und das andere verhindert. Im Rahmen der Währungsunion wurde die Angleichung der Zinssätze vertraglich veran­

kert und zur Voraussetzung für eine Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion gemacht. Andererseits ist es zu einer Angleichung der Löhne, vor allem in der Furcht vor einer Angleichung nach unten, nicht gekommen. Politische Eingriffe konnten dies verhindern (Entsende­

richtlinie, Mindestlöhne). Die theoretischen Wirkungen der Marktinteg­

ration kommen deshalb nicht voll zum Zuge.