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Verhandlung der Württembergischen Zweiten Kammer

Im Jahr 1901 fand eine Sitzung der Württembergischen Kammer der Abgeord-neten statt, die sich mit dem Thema eines Neubaus beschäftigte. Vor allem der Abgeordnete Locher stellte Unzulänglichkeiten, nicht nur das Hauptgebäude be-treffend, sehr bildlich vor:

„Meine Herrn, wenn ein Fremder die Schönheiten der Residenz Stuttgart bewundern will und hat etwa das Landesgewerbemuseum und andere schöne Bauten gesehen, so er-innert er sich vielleicht auch, daß die Tierärztliche Hochschule von Stuttgart, was ihr Lehrfach betrifft, von alters her einen ganz besonderen Ruf hat, und es drängt ihn, diese berühmte Schule auch einmal zu sehen. Er fragt nach der Tierärztlichen Hochschule, und man weist ihn die Neckarstraße hinunter. Er bewundert die Bierpaläste in dieser Straße, andere schöne Gebäude und kommt schließlich auch an ein Haus, von dem er vor sich hinbrummt; „Diesen Stall sollte man eigentlich doch in dieser wunderschönen Straße nicht so belassen; das ist ein uraltes, überlebtes Gebäude!“ Er geht noch einige Schritte weiter; dann sieht er plötzlich einen Bau, an welchem angeschrieben ist: „Pfer-deklinik, Hundeklinik.“ Das ist die Tierärztliche Hochschule! Mit großer Verwunde-rung, nicht mit BewundeVerwunde-rung, meine Herrn, steht er vor diesem Altertum. Wenn wir den Ruf der Tierärztlichen Hochschule betrachten und den schönen Platz, auf dem sie steht,

176 StTG: Bitte des Bürgervereins an das königliche Kultusministerium vom 10.1.1895.

so müssen wir selbst darüber verwundert sein, daß das so geblieben ist seit Anfang des letzten Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag. Und, meine Herrn, wenn ein Fremder sich erdreistet, in die schönen Gänge dieses alten Gebäudes zu gehen und wenn er zu ei-nem der Herren Professoren gehen will, so kann es passieren, daß er in dem Vorzimmer warten muß. Es wird aber gut sein, wenn das Wetter nicht kalt ist; denn das Vorzimmer ist der Gang mit Steinplatten, dort sieht man oft Studenten eine halbe Stunde und noch länger fröstelnd warten, bis der Herr Direktor sie vorlassen kann, um sie zu immatriku-lieren. Meine Herrn, das ist das Vorzimmer des Herrn Direktors der Tierärztlichen Hochschule Württembergs.

Vielleicht will sich auch einer nach der berühmten Aula umsehen, wo die öffentlichen Akte abgehalten werden. Die Aula, meine Herrn, die ist über dem früheren Elefanten-stall erbaut und ist eigentlich nur ein kleiner Hörsaal, ein Schulzimmer. Früher, wenn ein öffentlicher Aktus stattfand und wenn ein großes Publikum in diese Aula, in diesen Hörsaal, in dieses alte Schullokal hineingezwängt wurde, mußte man mit hölzernen Bal-ken den Raum unterstützen, damit der feierliche Akt nicht jäh unterbrochen wurde.

[...]

Ich möchte konstatieren, daß es eigentlich doch für eine Tierärztliche Hochschule nötig ist, auch nach außen hin stets ein gewisses Ansehen, die Repräsentation zu wahren. Die einzelnen Zimmer der Herren Professoren – die Herren sind ja durchaus in keiner Weise anspruchsvoll – sind wirklich zu klein, und ich bin überzeugt, daß ein Schullehrer auf dem Lande, der eine freie Wohnung hat, nicht so kleine, so enge Zimmer zu Verfügung gestellt bekommt. Besuchen Sie z. B. den Herrn Geheimen Hofrat Dr. Schmidt, der in einem andern alten Gebäude wohnt und seine Vorlesungen hält. Er hat unter anderem neben dem physikalisch-chemischen Institut Pharmakognosie zu lehren; es steht ihm ein kleiner Raum zur Verfügung, wo er seinen Studenten praktische Anleitung giebt in der Chemie. Aber, meine Herrn, mit aller Mathematik und Geometrie hat man nur für 14 Herrn Platz herausgefunden, und der Herr Geheime Hofrat hat das Vergnügen, damit al-le Studenten den Vorteil des Unterrichts haben, viermal hintereinander, in vier Etappen Unterricht zu geben, damit alle an die Reihe kommen. Das ist ein Mißstand, einzig und allein hervorgerufen durch die Beschränktheit des Raumes.“177

Er berichtet weiterhin von der zu engen Bibliothek und dem Notstand zur Be-handlung von Pferden, der zwar von einem Dach bedeckt sei aber ansonsten im Freien stehe.

Der folgende Redner (Abgeordneter Kloß) schloß sich den Ausführungen an und berichtete ebenfalls von Mißständen, die auch in der erst neu erbauten Pferdekli-nik vorhanden seien. Sowohl von fehlenden Räumlichkeiten zur Untersuchung der Patienten als auch von nur einem Instrumentensatz, der zum einen zur De-monstration im Unterricht und zum anderen als Operationsbesteck dienen müs-se.

Nach den Ausführungen der Vorredner, die der damalige Staatsminister des Kir-chen- und Schulwesens, v. Weizsäcker, prüfen lassen wollte, gab dieser in seiner

177 StTG: Württemberg. Kammer der Abgeordneten, 21. Sitzung vom 29. März 1901, 404 f.

Rede zu bedenken, daß die Ausgaben der Tierärztlichen Hochschule in Stuttgart sehr hoch seien:

Für 100-125 Studierende seien 8 ordentliche Professoren angestellt, genauso viele wie in Hannover oder Berlin, die jedoch 282 bzw. 528 Studenten hätten.

Der Staatszuschuß für Stuttgart betrage 90.000 Mark, der für Dresden 102.000 Mark, wobei Dresden aber fast die doppelte Anzahl an Studenten habe.

Darüber hinaus mußte er bekennen, daß das Kultusdepartement eine Liste von 16 großen Bauwerken aufgestellt hatte, die möglichst alle im Laufe der nächsten Jahre ausgeführt werden sollten. Von Weizsäcker hatte dabei die Aufgabe, eine Auswahl der dringendsten zu treffen, wobei das Finanzministerium auf den Neubau der Tierärztlichen Hochschule nicht eingegangen war. Damit konnte frühestens in 2 Jahren (bei der Verhandlung des nächsten Etats) ein erneuter Versuch gestartet werden.

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Die Argumentation des Abgeordneten Locher, die Stuttgarter Hochschule sei die kleinste, aber teuerste im deutschen Vergleich, beruht auf einer allgemeingülti-gen Tatsache. Kleine, d. h. von weniallgemeingülti-gen Studenten besuchte Ausbildungsstätten haben keine wesentlichen Minderausgaben im Vergleich zu großen Schulen. Im Gegenteil: die Ausgaben pro Student sind höher als bei größeren Schulen, da Professorenanstellungen, Gebäudeunterhaltungen etc. trotzdem in fast dem glei-chen Ausmaß vorhanden sind. Der große Vorteil liegt in der Qualität der Ausbil-dung. 8 Professoren auf ca. 150 Studenten in Stuttgart ließen einen ganz anderen Unterricht zu als in Berlin, wo 8 Professoren 528 Studenten unterrichteten. Vo-rausgesetzt, die Professoren nahmen ihre Lehrverpflichtung ernst.

Die Tatsache, daß das Finanzministerium den Neubau der Tierärztlichen Hoch-schule nicht als dringend erachtete, wird verständlicher, wenn man bedenkt, daß 1887 ein neues Anatomiegebäude mit einem Aufwand von 100.000 Mark erbaut worden war, eine neue Pferdeklinik 1897 fertiggestellt wurde und angesichts der Kosten auch Stimmen laut geworden waren, die eine Verlegung oder gar eine Aufhebung der Tierärztlichen Hochschule forderten.

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Wie jedoch in einer spä-teren Ausführung des Finanzausschusses der Zweiten Kammer 1910 gesagt wur-de, sei in einer Verhandlung der Zweiten Württembergischen Kammer vom 18.

Mai 1897 kein Zweifel daran gelassen worden, wie wichtig die Tierärztliche Hochschule gerade auch am Standort Stuttgart wäre. Eine Verlegung der Tier-ärztlichen Hochschule nach Tübingen oder gar eine Aufhebung derselben fand damals noch keinerlei Unterstützung.

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178 Wie Anm. 177, 407-408.

179 Wie Anm. 175.

180 Wie Anm. 175, 568.