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4.3 Klinische Einrichtungen

4.3.3 Rindviehklinik

Eine genaue Zeitangabe, wann sich in der Tierarzneischule eine ambulatorische Klinik entwickelt hat, gibt es nicht. Hering schrieb 1832:

“Die Zahl der kranken Pferde und Hunde überwiegt bey Weitem die der übrigen Hausthiere; dieser Umstand ist allen Thier-Arzney-Schulen gemeinschaftlich. Insbeson-dere sind die Eigenthümer kranken Rindviehes selten geneigt, es aus ihrem Stalle zu ge-ben, weil es ihnen häufig noch etwas Nutzen an Milch, jedenfalls an Dünger abwirft;

auch ist der Transport desselben schwieriger als bey Pferden; um daher der seltenen Ge-legenheit, krankes Rindvieh beobachten zu können, abzuhelfen, hat man eine auswärti-ge Klinik einauswärti-geführt, welche immer mehr Zuspruch findet. Auf die auswärti-gemachte Anzeiauswärti-ge des Eigenthümers werden ein oder zwey der älteren Zöglinge zur Untersuchung des kranken Stücks abgesendet, und auf ihren Bericht das Nöthige angeordnet; in zweifel-haften Fällen begibt sich der Lehrer der Klinik oder der Lehrschmied an Ort und Stelle.

Die auswärtige Klinik ist besonders auch deshalb von großem Nutzen, als die Schüler dabey den großen Unterschied zwischen der Spital-Klinik, wo alles Erforderliche bey der Hand ist, und der Privat-Praxis, wo es oft an demselben fehlt, kennen lernen.”57

55 Hierzu machen Hering und Rueff verschiedene Angaben: laut Hering (1832) beträgt die Gesamtzahl der behandelten Pferde 1821/22: 186, 1822/23: 165. Rueff (1871) gibt für 1821/22: 233, für 1822/23: 169 behandelte Pferde an. Im weiteren stimmen die Angaben überein. Im Text werden die Angaben von Rueff (1871) übernommen.

56 Rueff 1871, 60. Weitere Zahlen, s. Kap. 5.1

57 Wie Anm. 53, 24.

Die Exkursionen hatten jedoch den Nachteil, daß immer nur eine sehr be-schränkte Anzahl von Studenten daran teilnehmen konnte, so daß der einzelne Student nicht sehr viele verschiedene Erkrankungen zu Gesicht bekam. Um die Frequenz der Rindviehklinik zu steigern, kam daher 1842 bei den Vorstehern der Tierarzneischule der Gedanke auf, eine Meierei (K. Meierei Rosenstein) mit der Tierarzneischule zu verbinden, so daß das dort erkrankte Vieh durch die Schule an Ort und Stelle behandelt werden könnte. Der Gedanke wurde jedoch bereits vom Medizinalkollegium mit der Begründung verworfen, daß selbst bei einem Viehbestand von 100 Stück nur eine geringe Anzahl von Krankheitsfällen zur Beobachtung und Behandlung kommen würde, noch dazu aufgrund der Stallfütterung die Probleme der sonst bestehenden Weidefütterung mit der aus ihr hervorgehenden Krankheiten nicht berücksichtigt würden. So kam diese Verbindung nicht zustande.

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Um den Schülern dennoch die Möglichkeit der Behandlung zu geben, wurden kranke Tiere zur Beobachtung und Therapie und auch gesunde Tiere hin und wieder für Operationsdemonstrationen angekauft. Zunächst bestand kein extra ausgewiesener Etat, das Ministerium des Innern und des Kirchen- und Schulwe-sens ermunterte die Vorsteher der Tierarzneischule jedoch, die Errichtung einer ambulatorischen Rinderklinik im Auge zu behalten, wie in folgendem Schreiben zu lesen ist:

“Das Ministerium des Innern und des Kirchen- und Schul-Wesens an das Königl. Medi-cinal-Collegium.

Auf den Bericht vom 10. v. Mts. betreffend der Mittel zur Erweiterung der Klinik des Rindviehs an der Königl. Thier-Arznei-Schule,

wird dem Medicinal-Collegium zu erkennen gegeben, wie das Ministerium ganz damit einverstanden ist, daß von Zeit zu Zeit, wie der Unterricht es erfordert, und schickliche Gelegenheit sich zeigt, ein krankes Stück Vieh, zur Beobachtung und Behandlung in der Anstalt und nach Erforderniß hin und wieder auch ein gesundes Stück zur Demonstration der Verschneidung und anderer geeigneter Operationen angeschafft und wieder verkauft werde.

Wenn sonst in der ökonomischen Verwaltung der Anstalt nach dem Grundsatze der Sparsamkeit, so weit es ohne Beeinträchtigung der Zwecke der ersteren geschehen kön-ne, verfahren und die gehörige Ordnung und Aufsicht in allen Theilen der Verwaltung gehandhabt wird, so dürften sich einige hundert Gulden jährlich für solche und andere Ausgaben der Rindvieh-Klinik aus den etatsmäßigen Mitteln der Anstalt wohl verfügbar machen lassen. Indessen ist das Ministerium nicht abgeneigt, in dem Falle, wenn die Nothwendigkeit eines verhältnißmäßigen ausserordentlichen Zuschusses für jenen Zweck nachgewiesen wird, einen hierauf gerichteten Antrag zu unterstützen. In den Etat

58 StAL: E 164 Bü 18 (Anlage zu No 1907); Hering 1847, 17.

für die nächste Finanz-Periode wäre sodann jedenfalls die geeignete Position für die Klinik des Rindviehs aufzunehmen.

Das K. Medicinal-Collegium wird nun beauftragt, den Vorstehern der Thier-Arznei-Schule hienach Weisung zu ertheilen und ihnen die möglichste Berücksichtung der Rindvieh-Klinik, sey es durch Excursionen mit Zöglingen, sey es durch Behandlung in der Anstalt, zu empfehlen, auch seines Theils den Gegenstand im Auge zu behalten.

[...]

Stuttgart, den 30. Juli 1842”59

Nachdem der Lehrkurs im September 1842 auf 2 Jahre verlängert wurde (s. Kap.

6.2), war auch das Argument, eine ambulatorische Klinik würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, hinfällig. Die Exkursionen zum kranken Vieh wurden vom Ministerium genehmigt.

Für die Erweiterung der Rindviehklinik wurden in der Finanzperiode von 1846 bis 1848 300 Gulden jährlich als Extraetat für die Rinderklinik bewilligt. Ab 1847 gab es eine offizielle, zunächst versuchsweise eingeführte ambulatorische Rindviehklinik unter der Leitung von Medizinalrat Eduard Hering.

“Das Ministerium des Innern an das K. Medicinal Collegium.

Auf den Bericht vom 12.d.M.

Betr. die Ausdehnung der ambulatorischen Rindviehklinik bei der K. Thierarznei-Schule und die Zutheilung eines Bezirks an diese Anstalt zur Besorgung der thierärztli-chen polizeilithierärztli-chen und gerichtlithierärztli-chen Fälle wird versuchsweise dem Medicinalrath Hering

1.) die ambulatorische Klinik für Rindvieh und Schaafe in der Umgegend von Stuttgart und

2.) die Besorgung der veterinärpolizeilichen und gerichtlichen Fälle im Stadtdirections-bezirk und den Orten Bothnang, Feuerbach und Gaisburg so wie in Anstandsfällen die Theilnahme an der Farren- und Fleischschau in Stuttgart ohne besondere Anrechnung in den einzelnen Fällen gegen freie Verpflegung eines von ihm zu haltenden Pferds und eine jährliche Geldvergütung von Einhundert Gulden aus den Etatmitteln der K- Thier-arznei-Schule aufgetragen, wobei auch ihm der Rüktritt vorbehalten bleibt.“60

Die Eröffnung der Klinik wurde mit Herings Einverständnis auf den 1. Novem-ber 1847 datiert. Folgender Bericht dokumentierte seine Organisation der ambu-lanten Behandlungen:

59 StAL: E 164 Bü 17 (S. 18, No 1836).

60 StAL: E 164 Bü 18 (No 2533, Das Ministerium des Innern an das K. Medicinal Collegium vom 17. August 1847).

“Bericht in betreff der, mit der Klinik der hiesigen Theirarzney Schule zu verbindenden ambulatorischen Rindviehklinik.

Der Unterzeichnete ist mit der in dem hohen Erlaß des K. Medic. Colleigums vom 27.

Aug. ausgesprochenen Bedingungen in Betreff nebigen Gegenstandes, sowie damit einverstanden, daß der Beginn dieser ambulatorischen Klinik vom 1. Nov. d. J. an datiert werde.

Was die Ausführung betrifft, so hat der Unterz. Die Schul.leiteraemter der betreffenden Orte bereits schriftlich ersucht, ihre Ortsangehörigen davon zu unterrichten, daß sie in Erkrankungsfällen bei Rindvieh, Schafen u.s.w. in der K. Thierarzneischule unentgeld-lich Hülfe finden u. daß der Unterz. dieselbe getreuunentgeld-lich leiten, wie auch polizeil. u.

gerichtliche Fälle, auf Anzeige des Schulleiter-Amts besorgen werde. Ferner hat der Unterz. (nach dem Vorgange der ambulatorischen Klinik in Bern) die benachbarten Orte so unter die Schüler des 2ten Cursus vertheilt, daß je zwei derselben, vorzugsweise die daselbst vorkommenden Fälle, zu besorgen haben, womit natürlich nicht ausge-schlossen ist, in besonders interessanten Fällen auch andere als Jene dahin zu schicken.

Hirdurch wird der Uebelstand vermieden, daß die Viehbesitzer mistrauisch werden, wenn sie jedesmal andre, ihnen unbekannte Leute, in ihren Stall kommen sehen, so wie andererseits der Vortheil daraus entsteht, daß die ein Ort öfter besuchenden Schüler Orts- u. Personenkundig werden u. somit mit weniger Zeitverlust dieses Geschäft aus-führen können.

Um mit dem Wechsel der Schüler nicht dieses Vortheils verlustig zu werden, sollen im Sommerhalbjahr gelegentlich auch 1jährige Schüler zu der ambulatorischen Klinik beigezogen werden. Ueber die auswärtigen Besuche wird ein Register geführt, welches am Ende des Schuljahrs dem klinischen Berichte wird beigelegt werden.

Ehrerbietigst Hering

Stuttgart, d. 19. Nov. 1847”61

Die Zahl der zu behandelnden Rinder hatte sich seit Gründung der Tierarznei-schule dramatisch verändert:

In den Anfangsjahren (1821-1830) wurden Rinder nur stationär behandelt, ent-sprechend niedrig (1-11Tiere, ab 1828 jedoch schon 27 und 32 Tiere pro Jahr) war die Frequenz. Die Anzahl der Rinder, die von 1830 bis 1847 von der Tier-arzneischule pro Jahr behandelt wurden, lag durchschnittlich bei 45 Stück.

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So gut wie alle wurden ambulant behandelt, Ausnahmefälle von 1 bis 7 Tieren pro Jahr (insgesamt 46 Tiere in 17 Jahren) wurden auch in die Klinik eingestellt. In den Jahren nach der Klinikeröffnung (zum Vergleich ebenfalls in einem

61 StAL: E 164 Bü 18

62 Die Durchschnittszahlen ergeben sich aus dem arithmetischen Mittel der vorliegenden Jahrgangszahlen. Für genauere Zahlen s. Kap. 5.1.

raum von 17 Jahren) wurden von 1847 bis 1864 durchschnittlich 637 Rinder be-handelt. Der Anteil der stationär behandelten Tiere war in dieser Zeit auf 2-15 Tiere pro Jahr (insgesamt 74 Tiere in 17 Jahren) angestiegen.

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Rueff schrieb 1871:

“Namentlich seit dem Jahre 1847 hatte sich die Schule angelegen sein lassen, der He-bung dieser “ambulanten” Klinik ihre ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und heute ist sie zu einer Höhe gelangt, wie sie keine andere deutsche Thierheilanstalt er-reicht hat.”64

Die Bemühungen der Tierarzneischule um eine ambulatorische Rinderklinik

konnte somit als erfolgreich bewertet werden.