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Auszüge aus Reden der Verhandlung

9.6 Verhandlung der Zweiten Württembergischen Kammer (1910)

9.6.2 Auszüge aus Reden der Verhandlung

Um einen Einblick in die sehr emotional geführte Diskussion um die Tierärzt-liche Hochschule in Stuttgart zu geben, sind im folgenden einige Auszüge aus Reden der Verhandlung dokumentiert, deren vollständige Darstellung zu um-fangreich wäre.

215

Abgeordnerter Heymann (Sozialdemokrat):

„Der Betrieb einer Tierarzneischule ist ja auch von ganz anderen Voraussetzungen abhängig als der einer Universität. Entscheidend darf daher in dieser Frage nur sein, ob

215 Weitere Aussprüche und Reden für den Erhalt der Tierärztlichen Hochschule Stuttgart aus den Verhandlungen der beiden Württembergischen Kammern s. Hoffmann, 1910.

das Interesse der Anstalt an einen bestimmten Platz gebunden ist, und das ist bei der Tierarzneischule nach meiner Ueberzeugung zweifellos der Fall. Die Hochschule bedarf zu ihrem Betrieb, für ihre Studienzwecke eine Pferde- und Hundeklinik und zwar bedarf sie dieser Kliniken in ihrem ganzen Umfang. Nach übereinstimmender Meinung aller Beteiligten, die sich dazu geäußert haben, wird sie diese aber in Tübingen nicht haben können.

[...]

Dagegen rechnet man in Tübingen auf eine stärkere Benutzung der Kliniken von seiten des Rindviehs. Ich glaube aber, daß man in dieser Kalkulation voraussichtlich irre ge-hen wird. Das kranke Rindvieh wird in den seltensten Fällen in eine Klinik verbracht, sondern man holt den Tierarzt und läßt das Vieh im Stall behandeln. Der Besitzer von Rindvieh wird im Ernstfall viel eher zur raschen Vornahme einer Notschlachtung als zu einer langwierigen tierärztlichen Behandlung mit immerhin ungewissem Ausgang bereit sein, weil er bei der Schlachtung immer noch mit der Möglichkeit rechnen kann, sich vor Schaden zu behüten und den Wert des Viehs annähernd wieder hereinzubringen.

[...]

Die Regierung [...] erklärt fürs erste mit 6, später mit 7 Professoren in Tübingen aus-kommen zu können, und berechnet daher den Betriebsaufwand bei 6 Professuren mit nur 157900 M. Sie rechnet aber selbst damit – so steht es in ihrer Denkschrift - , daß die Forderung nach den beiden vorläufig zurückgestellten Professuren von tierärztlicher Seite auch in Zukunft wiederkehren werde. Bei ihrer Erfüllung, so sagt die Regierung wörtlich, würde die tierärztliche Fakultät in Tübingen einen Aufwand verursachen, der in keinem Verhältnis zu der Zahl der Studierenden stünde. Daß diese Forderung wieder-kehren wird, wenn die Uebersiedlung nach Tübingen erst einmal erfolgt ist, darüber wird auch bei uns kein Zweifel bestehen können, und so dürfte eine Steigerung des jetzt auf 157900 M angenommenen Betriebsaufwands auf etwa 250000 M im Jahre nur eine Frage verhältnismäßig kurzer Zeit sein.

Mit einer so rapiden Steigerung des Betriebsaufwands ist beim Verbleiben der Hoch-schule in Stuttgart schon deshalb nicht zu rechnen, weil hier das Programm des Lehr-körpers von 8 ordentlichen Professuren zur Zeit bereits erfüllt ist. Wenn also, was nach-her noch besonders zu besprechen sein wird, der Fortbestand der Tierarzneischule be-schlossen werden sollte, so wäre aus sachlichen wie aus finanziellen Gesichtspunkten heraus nach meinem Dafürhalten von einer Verlegung nach Tübingen ganz entschieden abzuraten, da hiemit dem Lande Württemberg voraussichtlich eine ganz enorme uns stets wachsende Last auferlegt werden würde.

[...]

Die Bedeutung der Hochschule ist für die wissenschaftliche Erforschung und Bekäm-pfung der Tierseuchen nach meinem Dafürhalten auch nur eine beschränkte und sie wird immer geringer werden müssen, je mehr Aufgaben auf diesem Gebiete durch das Reich und seine Gesetzgebung übernommen werden. Für die Durchführung der gesetz-lichen Bestimmungen bei der Seuchenbekämpfung kommt natürlich niemals eine Tier-ärztliche Hochschule, sondern da kommt nur das Medizinalkollegium bezw. die Zen-tralstelle für die Landwirtschaft in Betracht. Daß kein Mangel an Lehrgelegenheit ist, darüber haben wir uns schon unterhalten, das brauche ich nicht zu wiederholen. Und

ebenso wird die Frage der Erstattung von Gutachten von dem Medizinalkollegium bezw. von der Zentralstelle erstattet werden können.

Die Bedeutung der Anstalt beruht in der Hauptsache zur Zeit auf den mit ihr verbun-denen Tierspitälern, besonders auf den gut frequentierten und auch in gutem Ruf stehen-den medizinischen und chirurgischen Pferdekliniken, deren Bedeutung aber, was nicht nochmals bewiesen zu werden braucht, zerstört werden würde, wenn die Verlegung der Anstalt nach Tübingen jemals ernstlich in Betracht käme.

[...]

Demzufolge wird auch meine Fraktion, die sich diesen Gesichtspunkten nicht verschlie-ßen kann, entsprechend ihrer Haltung im Ausschuß in erster Reihe gegen den Fortbe-stand der Tierärztlichen Hochschule, in zweiter Reihe gegen ihre Verlegung nach Tü-bingen stimmen.“216

Ein Abgeordneter „Schlichte“(Zentrum):

„Was die Erhaltung der Hochschule im Interesse der Wissenschaft betrifft, meine Her-ren, so dürfte doch hiezu ein großes Fragezeichen zu machen sein, ob zur Erhaltung der Wissenschaft die Tierärztliche Hochschule mit ihren 4,5, höchstens 6 Professoren not-wendig ist, und man wird, ohne der Tierärztlichen Hochschule zu nahe zu treten, sagen dürfen, es wäre wirklich um die Wissenschaft traurig bestellt, wenn sie davon abhängig wäre, ob eine Hochschule mit 4, 5 Professoren besteht.

[...]

Wir haben im letzten Monat im Finanzausschuß die neue Steuerreform beraten, wir haben aber mit dem besten Willen einfach kein günstiges Resultat erzielen und keine wirklichen Verbesserungen, weder für den Staat, noch für die Steuerzahler aus einer solchen Steuerreform herausfinden können, und deshalb wird es eben doch nach meiner Meinung endlich einmal Zeit sein, daß man damit Ernst macht und ein wirkliches Spa-ren übt. Jedesmal werden bei der Generaldebatte über den Etat lange Reden gehalten, es wird gesagt, es müsse jetzt endlich Ernst gemacht, es müsse gespart werden, wenn man dann aber an die Ausführung kommt, dann wird die eine Position um die andere bewill-ligt, und es sind nur ganz geringe Abstriche – etwa bei kleinen Bauwesen usw. - , die wir da fertig bringen, während wir auf der anderen Seite wieder neue Forderungen be-willigen müssen. Und wenn schließlich der Etat fertig ist, ist nicht nur nicht gespart worden, sondern das Defizit ist in der Regel noch erhöht und vermehrt worden. Hier, meine Herren, wäre endlich einmal eine Gelegenheit, man könnte nicht nur den Bauauf-wand mit 1 700 000 M ersparen, sondern auch die jährliche Summe von 200 000 M, ei-ne Summe, die man im Etat wahrhaftig wohl merken und wohl spüren würde.

Man könnte dies umso leichter, meine Herren, weil dadurch, daß wir dieses Geld spa-ren, nirgends im Lande, weder bei einem Berufe noch bei einem anderen Volksteil, eine Not entstehen würde. Es würden auch die Tierärzte nicht darunter leiden, denn, meine Herren, wie längst ausgeführt, der Zudrang zum Studium der Tierheilkunde ist ja ein starker, die Studierenden haben aber Gelegenheit, sich in München, in Gießen, in

216 Wie Anm. 214, 7176-7180.

den, in Berlin oder in Hannover ausbilden zu lassen. Und wenn man je befürchten müß-te oder sollmüß-te für spämüß-tere Zeimüß-ten, daß die Zahl der Studierenden nachlassen würde, so hätten wir ja jederzeit noch Gelegenheit, den einzelnen Studierenden durch ein Stipen-dium zu unterstützen. Man könnte da für 30, 40 Studenten, die in Württemberg jetzt auf der Hochschule sind, für jeden ein ziemlich bedeutendes Stipendium geben. Es wäre das eine Ausgabe von 20 bis 30 000 M, also ein geringer Bruchteil von dem, was wir bezah-len müssen, wenn die Tierärztliche Hochschule fortbestehen bleibt, bezw. neu gebaut und eingerichtet wird.“217

Ein Abgeordneter „v. Balz“ (Nationalliberale Fraktion):

„Wir müssen uns eben die Frage so vorlegen: was können wir zur Pflege der Wissen-schaft nach unseren Verhältnissen tun? Meine Herren, wir unterhalten eine Landesuni-versität. Wir statten sie reichlich aus. Niemals hat der Landtag gekargt, wenn es sich da-rum gehandelt hat, Mittel für die Landesuniversität zur Verfügung zu stellen, und das wird auch künftig der Fall sein. Wir unterhalten eine technische Hochschule, und auch sie wird mit reichen Mitteln ausgestattet, um ihre Aufgabe als wissenschaftliche Unter-richtsanstalt und als Forschungsstätte genügend erfüllen zu können. Wir haben eine A-kademie in Hohenheim, die neben der Aufgabe, junge wissenschaftlich gebildete Land-wirte heranzuziehen, noch die weitere Aufgabe hat, als Musterbetrieb zu dienen. Wir haben bei der Ausstattung dieser Anstalt mit Mitteln auch niemals gekargt. Nun, meine Herren, kann man von einem kleinen Staate doch nicht verlangen, daß er für alle Gebie-te MitGebie-tel zur Verfügung sGebie-tellt

[...]

Der Antrag, den ich auf Grund dessen, was ich gesagt habe, dem hohen Hause unter-breiten will, geht dahin.

„Die Kammer der Abgeordneten wolle beschließen:

Die Kammer spricht sich gegen den Fortbestand der württ. Tierärztlichen Hochschule aus und ersucht die K. Staatsregierung, die zur Aufgebung derselben erforderlichen Ein-leitungen zu treffen, dabei aber zu erwägen, ob die in Stuttgart bestehende Pferdeklinik als staatliche, städtische oder Privatanstalt erhalten werden kann.

Die Erste Kammer zum Beitritt einzuladen.“218

Vizepräsident „Kraut“:

„Und Baden weist noch in seiner Antwort auf die Anfrage darauf hin, daß bei ihm der Verzicht auf die Tierärztliche Hochschule durchaus schmerzlos und ohne daß irgendein Nachteil für das Land daraus resultieren würde, vor sich gegangen sei. Und unsere Behörden! Ganz richtig hat am Schluß das Medizinalkollegium, wie der Herr Berichter-statter hervorgehoben hat, mit aller Wärme für den Fortbestand sich ausgesprochen.

Wenn man aber die Erklärung vorher, vor diesem Schluß liest, so wunder man sich bloß, daß gerade dieser Schluß herausgekommen ist. Gar keinen sachlichen Grund für

217 Wie Anm. 214, 7181 f.

218 Wie Anm. 214, 7184, 7186.

die Beibehaltung der Tierärztlichen Hochschule weiß das Medizinalkollegium anzufüh-ren. Und ähnlich liegt es auch mit der Zentralstelle für die Landwirtschaft; auch sie schwingt sich zu einer schwachen, formellen Sympathiekundgebung auf, materiellen Hintergrund hat aber auch deren Erklärung nicht.“219

Staatsminister des Kirchen- und Schulwesens „v. Fleischhauer“:

„Die Gründe, welche für die Aufhebung der Tierärztlichen Hochschule ins Feld geführt wurden, liegen, soweit ich es übersehen kann, ausschließlich auf dem finanziellen Ge-biet. Man findet, daß die Ausgaben für dieses Institut zu hoch seien, und man fürchtet für die Zukunft ein weiteres Anwachsen des Aufwands dafür. Es ist ja immer schwer, und ich empfinde das fortgesetzt als Leiter der Unterrichtsverwaltung, den Wert einer Bildungsanstalt in Geld abzuschätzen. Es sind das inkommensurable Größen, und so wird auch die Entscheidung, die der Einzelne hierüber trifft, mehr oder weniger durch Gefühlsmomente beeinflußt werden. Sie werden es mir nicht verdenken, daß ich von der Stelle aus, die ich einnehme, meinerseits den idealen Wert einer derartigen Stätte für die Pflege der Wissenschaft in den Vordergrund stelle.

Die Tierärztliche Hochschule hat sich aus sehr bescheidenen Anfängen mit einem, ich möchte beinahe sagen, handwerksmäßigen Betrieb des Unterrichts im Lauf der Jahre zu einer Hochschule entwickelt, die auf der vollen Höhe der Wissenschaft steht, und ihren Schwesteranstalten im übrigen Deutschen Reich ebenbürtig zur Seite steht.

[...]

Ich darf weiter darauf hinweisen, daß die Frequenz der Hochschule sich in langen Jah-ren fortgesetzt gesteigert hat. Wenn in der letzten Zeit ein Rückgang eingetreten ist, so hat das wesentlich in der Ueberfüllung des tierärztlichen Standes seine Ursache und ist mit eine Folge der Warnungen, welche aus der Mitte der Tierärzte heraus gegen die Er-greifung des tierärztlichen Berufs ergangen sind. Wenn wir die Tierärztliche Hochschu-le aufheben würden, so kann doch gar kein Zweifel darüber sein, daß insoweit das Land wissenschaftlich ärmer würde, es würde eine Stätte für die wissenschaftliche Forschung, für den Betrieb der Wissenschaft, eine Kulturanstalt im eigentlichen Sinne von der Bild-fläche verschwinden, ohne daß ein Ersatz dafür geboten würde. Ich kann das nicht so leicht nehmen, wie es von anderer Seite heute dargestellt worden ist.“220

Die Verhandlung der Zweiten Kammer wurde nach 4 ½ Stunden abgebrochen, da noch viele Redner gemeldet waren, die ebenfalls noch Gelegenheit bekom-men sollten, ihre Argubekom-mente auszuführen. Das Problem, welches sich in den bis-her gehaltenen Reden schon darstellte, war, daß es keine „Beweise“ für die Not-wendigkeit der Tierärztlichen Hochschule gab. Die im Falle der Aufhebung ein-zusparenden Kosten waren weitaus „greifbarer“, so daß eine Meinungsumkehr derjenigen, die sich gegen den Fortbestand ausgesprochen hatten, unwahr-scheinlich war. Eine Kompromißlösung gab es in diesem Fall nicht. Die Tier-ärztliche Hochschule würde entweder weiter bestehen oder aufgelöst werden,

219 Wie Anm. 214, 7187.

220 Wie Anm. 214, 7189.

ein „goldener Mittelweg“, wie z. B. die Beibehaltung wie bisher, war durch den schlechten baulichen Zustand der Hochschule nicht möglich.

9.7 Argumente pro/contra Tierärztliche