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Verbleib oder Rückkehr?

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Zur Lebenssituation und Integration älterer Migranten in der Bundesrepublik Deutschland

2. Verbleib oder Rückkehr?

Im Rahmen der europäischen Arbeitsmigration ist die Frage „Verbleib oder Rückkehr?“ von zentraler Bedeutung. Die Mehrheit der angeworbenen Migranten der ersten Generation dachte ursprünglich an einen nur vorübergehenden Aufenthalt von einigen Jahren in der Bundesrepublik. Obwohl die Rückkehrabsicht in vielen Fällen bis heute aufrechterhalten wird, besteht zugleich ein deutlicher Trend zu einer definitiven Niederlassung.

Bei den älteren Migranten sind unterschiedliche Einstellungen zu dieser Frage vorhan­

den. So gibt es diejenigen, die nach der Verrentung in die Herkunftsländer zurückkehren, dann diejenigen, bei denen die Entscheidung (noch) offen ist, sowie die (wahrscheinlich größte) Gruppierung, die aller Voraussicht nach auch im Alter in der Bundesrepublik blei­

ben wird.13 Als Motive für ein Bleiben werden von den Betroffenen insbesondere Gesichts­

punkte sozialer Art genannt14.

Bei der Interpretation und Beurteilung der Einstellungen und Verhaltensweisen älterer Migrantinnen und Migranten zur Frage: Verbleib oder Rückkehr? sind in der Literatur die folgenden Sichtweisen von erheblicher Bedeutung:

Im Hinblick auf das Nebeneinander von de facto Niederlassung und (verbal) auf­

rechterhaltener Rückkehrorientierung wird von einer „Heimkehrillusion“ gespro­

chen.

Die Rückkehrorientierung gehe mit dem „Gefühl eines Provisoriums“ im Hinblick- auf den Aufenthalt in der Bundesrepublik einher und stehe somit „einer langfristi­

gen und aktiven Altersgestaltung in der Bundesrepublik im Wege“ (Wedell 1993:

180).

Die definitive Entscheidung für ein Bleiben sei „nicht Ausdruck des Bleiben- wollens, sondern des Nicht-mehr-zurückkehren-könnens“, so daß die

Arbeits-migranten „vor dem Dilemma: zurückkehren oder bleiben?“ stünden (Dietzel- Papakyriakou 1993).

Der definitive Verzicht auf die Rückkehr stelle in den meisten Fällen ein „Scheitern“

der Lebensplanung dar, gehe mit erheblichen Identitätsproblemen einher und produziere damit besondere Anforderungen an die psychosoziale Altersbetreuung von Migranten (Müller 1992: 46ff.).

In Ergänzung bzw. Korrektur dieser Sichtweisen sollten die folgenden Gesichtspunkte be­

rücksichtigt werden:

Die Rückkehrorientierung stellt auch in den ursprünglichen Migrationsabsichten kein unabhängiges Ziel dar, sondern war/ist immer bezogen auf das Ziel der Verbesserung der Lebenssituation der Migranten und ihrer Familienangehörigen und von daher kein Selbstzweck.

Einwanderung ist ein dynamischer Prozeß, in dessen Verlauf Veränderungen der ursprünglichen Motive und Einstellungen erfolgen (können) (Heckmann 1981:

24lff.). Entscheidungen für ein definitives Bleiben, die den ursprünglichen Absich­

ten zuwiderlaufen, müssen nicht unbedingt nur negative, sondern können auch neutrale oder positive Bedeutung für die Betroffenen haben.

Die „Doppelorientierung“ von Rückkehr und Verbleib steht in einem engen Zu­

sammenhang mit den vielfältigen Unsicherheiten, die in der Regel mit Migrations­

prozessen einhergehen. Vor diesem Hintergrund kann die Aufrechterhaltung der Rückkehrorientierung nicht nur wichtige psychische Funktionen für die Betroffe­

nen erfüllen; sie steht auch nicht notwendigerweise im Gegensatz zum Ein­

gliederungsprozeß von Migrantenfamilien (Körte 1990).

Bei Rückkehrprozessen ist zwischen freiwilligen und erzwungenen Formen zu unterscheiden; Re-Integrationsprozesse gehen in der Regel mit einer Vielzahl von ökonomischen, sozialen und kulturellen Problemen einher (Schulte 1985).

Die Möglichkeiten für ein Bleiben, eine Rückkehr oder ein „Pendeln“15 sind grundsätzlich abhängig von rechtlichen Rahmenbedingungen.16 In dieser Hinsicht ist zum einen der je­

weilige ausländerrechtliche Status der Betroffenen von Bedeutung. Von denjenigen älte­

ren Migranten, die nicht Angehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union sind, verfügt nur ein relativ kleiner Teil über die Aufenthaltsberechtigung, die wiederum die si­

cherste Form des Aufenthaltes innerhalb des geltenden Ausländerrechtes darstellt.17 Was die Möglichkeiten der Wiederkehr nach einer erfolgten Rückkehr betrifft, so sind diese durch die Bestimmungen über das Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung nach einem längeren Auslandsaufenthalt ( 44 AuslG) und visarechtliche Bestimmungen erheblich ein­

geschränkt. Allerdings haben ausländische Rentner einen Regelanspruch auf Wiederkehr ( 16 Abs. 5 AuslG)18; damit soll ihnen eine freie Entscheidung darüber ermöglicht werden, wo sie die Zeit ihres Ruhestandes verbringen wollen. Einer konsequenten Realisierung die­

ser Zielsetzung stehen allerdings bestimmte ausländerrechtliche Bestimmungen und re­

striktive Interpretationen der juristischen Normen entgegen.19

Die Möglichkeiten, sich möglichst frei für ein Bleiben, eine Rückkehr oder ein „Pen­

deln“ zu entscheiden, würden partiell verbessert, wenn ein längerer Aufenthalt rechtlich besser abgesichert würde und die für die Inanspruchnahme der Wiederkehroption erfor­

derlichen Voraussetzungen vermindert würden (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Ausländer 1994a: 64ff.; dies. 1994b: 11). Darüber hinaus sind grundsätzlich Maßnahmen zum Abbau des Ausländerstatus von Immigranten erforderlich (vgl. unten).

Zudem muß für die Auseinandersetzung mit den Problemen, die im Einzelfall mit einer

Rückkehr bzw. einem Bleiben verbunden sind, ein angemessenes Beratungsangebot zur Verfügung gestellt werden.

з. Soziale Ungleichheit und Diskriminierung

Die Lebenssituation der Einwanderungsminderheiten ist in der Bundesrepublik (ähnlich wie in anderen westeuropäischen Ländern) durch soziale Ungleichheiten gekennzeichnet.

Diese weisen vielfältige Formen auf; sie sind in nahezu allen Lebensbeieichen festzustellen und haben sich im Prozeß der Einwanderung - vor allem für die erste „Gastarbeiter“-Gene- ration - im wesentlichen aufrechterhalten (Fijalkowski 1984; Geißler 1992: 153ff.; Hanesch и. a. 1994: 172ff.). Diese bereits vor der Altersphase bestehenden sozialen Ungleichheiten werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Lebenssituation im Alter selbst negativ auswirken.

Die Lebensqualität im Alter hängt in entscheidendem Maße von der finanziellen Situati­

on ab. Der Mehrheit der Migranten stehen im Alter aller Voraussicht nach nur relativ gerin­

ge Renten zur Verfügung20. Verursacht ist diese ausgesprochen schlechte materielle Lage vor allem durch

die überwiegende Beschäftigung als „Gastarbeiter“, was mit vergleichsweise niedri­

gen Löhnen und Beiträgen zur Rentenversicherung einhergeht,

relativ kürzere Beitragszeiten, die wiederum aus dem späteren Beginn und häufi­

geren (unfreiwilligen) Unterbrechungen oder Beendigungen von Beschäftigungs­

verhältnissen und (vor allem bei Frauen) aus nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen resultieren, und

den im Vergleich mit deutschen Rentnern häufigeren Bezug von Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten, die wesentlich niedrigerer als die Altersrenten ausfal- len.

Diese Sachverhalte implizieren in vielen Fällen eine Abhängigkeit von Sozialhilfe oder von einer finanziellen Unterstützung durch Familienangehörige. Verschärft wird die einge­

schränkte und vielfach unzureichende finanzielle Absicherung im Alter noch dadurch, daß bei einem erheblichen Teil der Betroffenen Unsicherheiten hinsichtlich der Frage beste­

hen, wann Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen werden können und welche Fol­

gen dies für den Aufenthaltsstatus hat bzw. haben kann.

Im Alter gewinnt die Wohnsituation für die Lebensqualität eine zunehmende Bedeu­

tung. Vor allem im Hinblick auf die Wohnungsausstattung, die Haushaltsgröße und die Miethöhe ist die Wohnsituation der eingewanderten Familien vergleichsweise schlecht (Reimann 1987). Dies wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Altersphase der Migranten negativ auswirken (Zentrum für Türkeistudien 1992: 50ff.).

Im Hinblick auf die Gesundheitssituation der älteren Migranten muß nach bislang vor­

liegenden Erkenntnissen davon ausgegangen werden, daß im Vergleich mit Deutschen Verschleißerscheinungen früher und chronische Erkrankungen häufiger sowie schwerer auftreten21. Verantwortlich hierfür sind vor allem die besonders belastenden und risikorei­

chen Arbeitsbedingungen und -tätigkeiten. Die Lebensqualität wird zusätzlich durch psy­

chische und psychosomatische Eikrankungen in einem erheblichen Maße beeinträchtigt (werden). Hierbei spielen der \ferlauf des Migrationsprozesses, Lebensumstände in der Bundesrepublik wie auch Phänomene der Vereinsamung und Isolierung im Alter eine Rol­

le. Negativ auf die gesundheitliche Situation wirken sich audi Ängste und Unsicherheiten der Betroffenen scwie Defizite der medizinischen Versorgung aus.

Diese insgesamt benachteiligte soziale Lage wird durch vielfältige Formen und Prozesse der sozialen Diskriminierung verschärft, die die „Ausländer“ insgesamt und damit auch die älteren Migranten als einen Teil dieser Bevölkerungsgruppe in direkter oder indirekter Form betreffen (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Ausländer 1994a: 7 Iff.) Hierzu zählen zum einen die vielfältigen Formen der von Individuen oder gesellschaftli­

chen Gruppen ausgehenden gesellschaftlichen Diskriminierung22, zum anderen die vom Gesetz bzw. staatlichen Einrichtungen ausgehende institutionelle Diskriminierung. Diese resultiert vor allem aus der spezifischen Ausprägung der auf „Ausländer“ bezogenen Integrationspolitik und den restriktiven Bestimmungen und Handhabungen des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts23.

Insgesamt besteht somit die Tendenz, daß ältere Migranten einer mehrfachen Benach­

teiligung und besonderen Verunsicherungen unterliegen und zu einer unteren sozialen Randgruppe werden. Sollen die sozialen Ungleichheiten und Diskriminierungen von (älte­

ren) Migranten abgebaut und deren Lebenschancen und -Perspektiven verbessert werden, so müssen - in Zusammenhang mit den aufgeführten Orientierungen der Altenpolitik - Konzeptionen einer umfassenden, vorbehaltlosen und konsequenten Integration entwik- kelt und durchgesetzt werden. In rechtlich-politischer Hinsicht geht es dabei vor allem dar­

um, die Zugehörigkeit der Einwanderungsminderheiten zur bundesrepublikanischen Ge­

sellschaft abzusichern und ihnen gleiche Entfaltungschancen zu garantieren. Dies beinhal­

tet die Notwendigkeit, für die Immigranten den Sonderstatus als „Ausländer“ und die damit einhergehenden institutionalisierten Diskriminierungen abzubauen (Schulte 1994:134ff.;

Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Ausländer 1994b). Im sozialen Be­

reich sind grundsätzlich die Situation, die Bedürfnisse und die Erfahrungen dieser sozialen Gruppe im Rahmen der Altenberichtserstattung und -planung in differenzierter Weise wahr­

zunehmen und zu berücksichtigen.24 Im einzelnen müssen die Maßnahmen darauf gerich­

tet sein, die besonderen sozialen Ungleichheiten der älteren Migrantinnen und Migranten (unmittelbar und präventiv) zu vermindern und deren Lebensqualität in den verschiede­

nen Bereichen im Alter zu verbessern. Notwendig erscheinen auch Maßnahmen zur allge­

meinen und beruflichen Qualifizierung für diejenigen älteren Migranten, die noch erwerbs­

tätig sind, zur Verbesserung der sozialen Dienste und der Sozialberatung und zum Abbau gesellschaftlicher Diskriminierung.

Im Dokument W M FS III 95 - 401 (Seite 63-66)