Thomas Faist
Warum kam es während der achtziger Jahre in Ländern mit deutlich verschiedenen Bildungs
und Arbeitsmarktpolitiken bzw. Policies2 zu ganz ähnlichen Ergebnissen bei der Ein- bzw.
Ausgliederung von Immigranten? Die Bundesrepublik Deutschland und die USA haben ganz unterschiedliche Systeme dafür entwickelt, junge Menschen in die Arbeitswelt einzu
gliedern. Deutschland kann als ein policy-orientiertes System beschrieben werden, in dem staatliche Institutionen, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften eine wichtige Rolle in der Regulierung des Übergangs von der Schule ins Berufsleben spielen, vor allem durch das duale System der Berufsausbildung. Demgegenüber läßt sich das US-amerikanische System als ein markt-orientiertes charakterisieren, in dem Übergänge an mehreren Stellen im Berufsprozeß möglich sind. Dabei wechseln die Schulabgänger, die kein vierjähriges College besuchen (non-college bound) mehrere Jahre von einer Arbeitsstelle zur anderen (moratorium period), bis sie, etwa Mitte zwanzig, von den Arbeitgebern innerbetrieblich ausgebildet werden (on-the-job training). Wir könnten vermuten, daß jugendliche Immi
granten in einem umfassenden Berufsbildungssystem in einem höheren Grade integriert werden als in einem wenig regulierten System, in dem die Jugendlichen auf ihre eigenen Ressourcen bzw. die ihrer Familien angewiesen sind.
Jedoch sind die Resultate bei der Ein- bzw. Ausgliederung von Immigrantengruppen in den USA und Deutschland recht ähnlich. Dies wird am Beispiel eines Vergleichs jugendli
cher Immigranten der zweiten Generation mit Mehrheitsgruppen deutlich, türkischen und deutschen Jugendlichen in Deutschland bzw. mexikanischen und europäischen Amerika
nern in den USA. Sowohl türkische als auch mexikanisch-amerikanische Jugendliche sto
ßen auf Schwierigkeiten beim Zugang zu beruflicher Bildung und zu Arbeitsplätzen. Türki
sche Jugendliche in Deutschland stehen am unteren Ende der Rangskala hinsichtlich der Beteiligung im dualen System. Während etwa zwei Drittel aller deutschen Jugendlichen im Alter von 16 bis 19 eine Lehre absolvieren, sind es nur knapp ein Drittel aller türkischen Jugendlichen; bei türkischen Frauen liegt der Anteil sogar noch weit darunter (1992). Mexi
kanisch-amerikanische Jugendliche liegen beim Besuch weiterführender Schulen und beim on-the-job training hinter europäisch-amerikanischen Jugendlichen weit zurück. Es lassen sich sogar Tendenzen einer dauerhaften sozio-ökonomischen Marginalisierung dieser Im m igrantengruppen feststellen. Eingliederung bedeutet, daß Immigranten Zugangs
möglichkeiten zu einer formellen oder informellen Berufsausbildung und damit zu „quali
fizierten“ Arbeitsplätzen haben. Ausgliederung hingegen liegt dann vor, wenn infolge ei
ner fehlenden Berufsausbildung die Kinder von Immigranten nur unsichere Arbeitsplätze erhalten und damit dem Risiko ausgesetzt sind, häufig und lange arbeitslos zu sein, also in die Randgruppen des Arbeitsmarktes abgedrängt werden.
In einer ländervergleichenden Perspektive stellt sich dabei die Frage, ob verschiedene Policy-Systeme Immigranten auf unterschiedliche Weise in Arbeitsmärkte ein- bzw. aus
gliedern. Eine solche Fragestellung konkretisiert analog zur Diskussion um die Wirkung wohlfahrtsstaatlicher Regimes die Folgen von berufsbildenden und Arbeitsmarktpolicies auf die Arbeitsmarktintegration von Immigranten. Der Vergleich ist dabei ein zweifacher:
Zum einen werden verschiedene Systeme der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik miteinan
der verglichen. Zum anderen bezieht sich die komparative Analyse auf die Unterschiede zwischen deutschen und türkischen Jugendlichen in der Bundesrepublik und europäisch
amerikanischer und mexikanisch-amerikanischer Jugendlicher in den USA.
Die Institutionen und Policies der Berufsbildungs- und Arbeitsmarktpolitik in der Bundes
republik können mit den Begriffen policy-orientiert bzw. klassenorientierter Korporatis
mus gekennzeichnet werden. Erstens ist der Arbeitsmarkt durch eine hohe Regulie
rungsdichte bei Zulassungsvoraussetzungen geprägt, zum Beispiel durch Zertifikate (policy- orientiert). Zweitens wird den „Sozialpartnern“ in Kooperation mit dem Staat ein großer Spielraum an Autonomie in der Gestaltung von Berufsbildungspolitik zugestanden (Korporatismus). Drittens organisiert das deutsche Regulierungssystem Interessen entlang der Konfliktlinie Kapital und Arbeit und weist dabei sozialdemokratische Elemente auf (klassenzentriert). Die Institutionen und Policies in den USA lassen sich als markt-orien- tiert bzw. als ethnisch-segmentierter Pluralismus charakterisieren. Darunter wird hier ein System verstanden, in dem erstens der Arbeitsmarkt eine geringere Regulierungsdichte als in korporatistischen Systemen aufweist (markt-orientiert). Zweitens ist das vorhandene Ensemble von Berufsbildungs- und Arbeitsmarktinstitutionen und Policies fragmentierter (Pluralismus). Drittens wird die Konfliktlinie Kapital-Arbeit stark von ethnischen Spaltungs
linien überlagert (ethnisch-segmentiert).
Aufgrund dieser systemspezifischen Charakteristika läßt sich vermuten, daß ein policy- orientiertes System eher die Interessen der Bürger und Bürgerinnen vertritt (die zugleich auch Wählerinnen sind) und die Interessen der Immigranten benachteiligt. Die komple
mentäre Vermutung ist, daß ein markt-orientiertes System eher indifferent in bezug auf den legalen Status ist, d.h. Staatsbürgerschaft keine so große Rolle spielt. Dieser Aspekt des amerikanischen Systems wäre dann eher ein Vorteil für Immigranten, der für die wenig regulierte Seite etwas kompensiert und erklären würde, warum wir in beiden Ländern ähn
liche Ergebnisse der Ein- bzw. Ausgliederung für die beiden Immigrantengruppen antref
fen.
Falls diese These stimmt, so müssen die entscheidenden Faktoren herausgearbeitet wer
den, die über Erfolg und Mißerfolg beim Eintritt in den Arbeitsmarkt entscheiden. Dabei kann, so die zweite These, auf angebots- bzw. nachfrageseitige Faktoren zurückgegriffen werden. Erstens müssen auf der „Angebotsseite“ staatliche Policies und Arbeitgeberrekrutie
rung berücksichtigt werden. Zweitens sind nun jugendliche Schulabgänger nicht nur Ob
jekte staatlicher Politiken und Auswahl der Bewerber durch Arbeitgeber. Wie sie Bildungsab
schlüsse und Kontakte benutzen, kann sich entscheidend auf die Ausbildungschancen nie- derschlagen. Die „Nachfrageseite“ schließt ein: Humankapital, Job-Netzwerke und die Fä
higkeit der Immigrantengruppen in Enklaven Arbeitsplätze zu schaffen und Ausbildungs
stellen anzubieten.
Zunächst werden in einem konzeptionellen Teil nachfrageseitige und angebotsseitige Theorien auf ihre Brauchbarkeit für Eingliederung und Ausgliederung von Immigranten überprüft. Danach werden einige ausgewählte Ergebnisse einer detallierteren empirischen Studie vorgestellt.
Erklärungsansätze
Es gibt weder in den USA noch in der Bundesrepublik ein Recht auf Ausbildung oder Ar
beit. In beiden Systemen können die Gründe für die Eingliederung und Ausgliederung von Immigranten sowohl auf der „Angebots-“ als auch auf der „Nachfrageseite“ gesucht werden, das heißt entweder bei den Immigranten selbst oder bei anderen Arbeitsmarkt
akteuren. Diese beiden Gruppen von Erklärungsansätzen werden kurz erläutert und auf ihre Anwendbarkeit beim Eintritt ins Erwerbsleben überprüft (Abbildung 1).
Faktoren wie Politik und Policies und die Strukturen des Arbeitsmarktes (z.B. dualer Arbeitsmarkt) und damit einhergehende ethnische und sonstige Spaltungen der Arbeit
nehmerschaft stehen bei Erklärungen im Vordergrund, welche die „Angebotsseite“
beto-A b b ild u n g 1: E rk lä ru n g s a n g e b o te fü r E in- u n d A u s g lie d e ru n g v on Im m ig ran ten in B erufsbildungssystem e u n d A rb eitsm ärk te
"A n g eb o tsseite'’ "N achfrageseite"
Politik u n d Policies:
- policy-orientiertes duales System:
k lassen -o rien tierter K orporatism us (BRD)
- m ark t-o rien tierte M oratorium s- Periode: ethnisch-segm entierter P lu ralism u s (USA)
kulturelles Kapital:
H um ankapital
A rbeitsm ärkte: soziales Kapital:
- Job-Netzwerke
- Im m igranten-E nklaven - Beschäftigung: A ngebot u n d
N achfrage
- A rb eitsm ark tseg m en tatio n
nen. Die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik verstärkt die Ein- und Ausgrenzungsprozesse von Immigranten auf dem Arbeitsmarkt, indem sie Selektionsprozesse auf dem Arbeits
markt verändert. Wie schon erwähnt, kann vermutet werden, daß Politik und Policies in Form von markt- bzw. policy-orientierten Systemen zwar zu ähnlichen Resultaten im Hin
blick auf eine nur partielle Eingliederung von Immigranten in Arbeitsmärkte führen. Je
doch unterschieden sie sich in den Mechanismen, durch die dies geschieht. Auch Theorien der Arbeitsmarktsegmentation heben auf die Angebotsseite ab. Diese Theorien haben so zum Beispiel eine Diskriminierung durch Unternehmer und Arbeiter der ethnischen Mehr
heitsgruppe als die Hauptursache der Arbeitsmarktprobleme ethnischer Minoritäten darge
stellt. Resultat ist ein ethnisch gespaltener Arbeitsmarkt, in dem die Einheimischen eher im primären Arbeitsmarkt, Arbeitsimmigranten hingegen vorwiegend im sekundären Arbeits
markt beschäftigt sind. Dieser Ansatz vermag zu erklären, warum es aus Gründen der Per
sonalrekrutierung für Unternehmer bzw. Arbeiter der ethnischen Mehrheitsgruppe ratio
nal sein kann zu diskriminieren. Unternehmer benützen die Zugehörigkeit zu einer ethni
schen (bzw. Immigranten-) Gruppe als Indikator für die zu erwartende Arbeitsproduktivität von Bewerbern. In empirischen Analysen des US-amerikanischen Arbeitsmarktes wird im
mer wieder deutlich, daß Unternehmer eine Hierarchie in der Präferenz ethnischer Grup
pen für bestimmte Tätigkeiten haben. So ergaben Untersuchungen über Personalauswahl wiederholt, daß im Tertiärsektor europäisch-amerikanische vor mexikanisch-amerikanischen Bewerbern bevorzugt eingestellt werden, weil selbst bei gleichen Voraussetzungen die er
wartete individuelle Produktivität des Bewerbers an den Wahrnehmungen über die durch
schnittliche Produktivität der jeweiligen ethnischen Gruppe gemessen wird. Die Schwäche dieser angebotsseitigen Erklärungsansätze ist, daß sie Immigranten nur als Objekte von Arbeitsmarktprozessen und den Ausschließungsprozessen der dominanten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt begreifen. Die Kinder der ersten Immigrantengeneration verfügen aber durchaus über Ressourcen im Wettbewerb um Stellen.
Die zweite Kategorie von Erklärungsansätzen hebt auf die „Nachfrageseite“ ab, also die Ressourcen der Immigranten. Dabei kann, einer Anregung von Pierre Bourdieu folgend,
zwischen kulturellem Kapital (Humankapital) und sozialem Kapital (Job Netzwerke und Immigranten-Enklaven) unterschieden werden. Humankapitaltheorien stellen die Bildungs
ressourcen der Immigranten in den Vordergrund. In der Bundesrepublik wären es dement
sprechend die besseren Schulnoten und die höheren Bildungsabschlüsse der deutschen gegenüber türkischen Jugendlichen und in den USA der bessere Ruf der von Amerikanern europäischer Abstammung im Gegensatz zu denen mexikanischer Abstammung besuchten Sekundarschulen, die ethnische Ungleichheit im Zugang zu Ausbildungsstellen bzw. Stel
len im Jugendarbeitsmarkt erklären.
Jedoch verstellt die ausschließliche Blickrichtung auf die Entwicklung von Humankapi
tal bei Individuen die fundamentale Bedeutung der „sozialen Einbettung“ wirtschaftlichen Handelns (Granovetter), d.h. soziales Kapital. Humankapitaltheorien können also nicht erklä
ren, weshalb bei gleicher Ausstattung mit Humankapital für attraktive Ausbildungsstellen bevorzugt deutsche bzw. europäisch-amerikanische Jugendliche eingestellt werden. An die
ser Stelle führen Theorien über die Rolle von Netzwerken weiter. Netzwerk-Ansätze beto
nen, verkürzt gesagt, die Bedeutung der Kontakte von Bewerbern zu Beschäftigern. Sie setzen an der einfachen, aber inzwischen empirisch gut fundierten Überlegung an, daß oftmals persönlich vermittelte Beziehungen und Kontakte über die Vergabe von Stellen entscheiden. So haben zum Beispiel Kinder von Betriebsangehörigen in der Regel bessere Chancen, Ausbildungsstellen zu erhalten. Der primäre Mechanismus mit dem dies geschieht, wurde von Max Weber als soziale Schließung bezeichnet. In diesem Falle erfolgt die Schlie
ßung von Erwerbschancen von Betriebsangehörigen gegenüber Bewerbern, die über kei
ne Kontakte zum Betrieb verfügen. Angesichts der Konzentration von Arbeitsimmigranten der ersten Generation in bestimmten Wirtschaftsbranchen ergeben sich so für deren Kin
der Möglichkeiten der Beschäftigung vor allem in Bereichen, die aufgrund der Erwartun
gen der zweiten Generation an Arbeitsplätze eher unattraktiv sind.
Enklave-Theorien betonen demgegenüber die entscheidende Rolle, die unterneh
merische Aktivitäten von Immigranten selbst bei der Schaffung von Arbeits- und Aus
bildungsplätzen für Angehörige der gleichen Community spielen. Dabei geht es vor allem um kleine Unternehmen, welche die Bedürfnisse der Immigrantencommunity abdecken, zum Beispiel durch Lebensmittelgeschäfte oder Reiseunternehmen. Enklave-Ansätze stel
len gegenseitiges Vertrauen und wechselseitige Kontrolle der Normen im Wirtschaftsleben als Determinanten einer erfolgreichen Ressourcenallokation in den Vordergrund, also die Fähigkeit von Immigrantengruppen zur wirtschaftlichen Selbstorganisation. Ein Beispiel hierfür ist die Organisation von Kleinkrediten zur Geschäftsgründung. Der Enklave-Ansatz postuliert, daß diejenigen Immigrantengruppen erfolgreich sind, die es schaffen, sowohl ausreichend Kredite für Unternehmensgründungen bereitzustellen, als auch auf deren Rück
zahlung zu insistieren. Die Bedeutung der Betriebe der Immigranten-Enklave für die Aus
bildung von Schulabsolventen liegt nun darin, daß sie nicht nur A ngehörige der Immigrantencommunity beschäftigen, sondern diese auch auf informellem Wege durch on-the-job training ausbilden. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, ob eine Immi
grantengruppe eine wirtschaftlich erfolgreiche Enklave aufbaut und wie die Ausbildung in Betrieben in den jeweiligen Ländern durch Policies geregelt ist.
Ausgewählte Ergebnisse
Warum kommt es in verschiedenen Systemen der Berufsbildung, die in unterschiedlichen Typen von Wohlfahrtsstaaten eingebettet sind, zu ähnlichen Resultaten? Darauf liefert die empirische Analyse zwei Antworten. Erstens kann die These bestätigt werden, daß policy- und markt-orientierte Systeme unterschiedlich ein- und ausgliedern. Verglichen mit deut
schen Jugendlichen haben türkische Migranten eine deutlich geringere Beteiligungsrate im dualen System, nicht zuletzt aufgrund ihres Status. Türkische Immigranten sind keine Wähler, und in einem korporatistischen System werden Entscheidungsprozesse in der
Berufsbildungspolitik in klassenzentrierten Institutionen getroffen (z.B. Bundesinstitut für Berufsbildung). Ironischerweise wirken also genau die Faktoren, die für deutsche Jugend
liche im internationalen Vergleich eine vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeitsquote und eine hohe Ausbildungsquote bewirken, diskriminierend auf türkische Jugendliche. In die
ser Hinsicht ist das markt-orientierte System in den USA „Immigranten-freundlicher“, da es politische Partizipation nicht als Voraussetzung für erfolgreiche Eingliederung macht.
Weitere Ergebnisse deuten daraufhin, daß policy- und markt-orientierte Systeme auf je eigene Weise diskriminieren: So legen Arbeitgeber im hochregulierten policy-orientierten System viel mehr Wert auf formale Bildungsabschlüsse, während im markt-orientierten Sy
stem nach Selektivität der High School und dem Wohngebiet des Bewerbers bzw. der Be
werberin ausgewählt wird. Da türkische Jugendliche im Vergleich zu deutschen Jugend
lichen über ein geringeres Humankapital verfügen und mexikanisch-amerikanische gegen
über europäisch-amerikanischen Jugendlichen in selektiven High Schools unterrepräsen
tiert sind, haben die beiden Immigrantengruppen gegenüber den Mehrheitsgruppen we
niger Chancen, ihr kulturelles Kapital umzusetzen. Darüber hinaus ergeben sich auch ver
schiedene Ergebnisse im Hinblick auf die dominanten Ausgliederungsrisiken. Im hoch
regulierten deutschen System ist es Arbeitslosigkeit, dem sich türkische Jugendliche weit häufiger als deutsche Jugendliche gegenübersehen, insbesondere nach Abschluß der Ausbildungsphase. Im weniger regulierten amerikanischen System sind mexikanische Amerikaner weit häufiger als europäisch-amerikanische Jugendliche und junge Erwachse
ne von Einkommensarmut betroffen.
Zweitens wirken angebots- und nachfrageseitige Faktoren zusammen, was am Beitrag von Immigranten-Enklaven zur Berufsausbildung deutlich wird. In der Vergangenheit lei
stete in den USA die Beschäftigung bei Immigranten derselben Gruppe einen wichtigen Beitrag zur beruflichen Mobilität. Aber es wird deutlich, daß ein geringes Maß an sozialem Kapital bei mexikanischen Amerikanern dazu führt, daß kaum Ausbildungsplätze in Immi
granten-Enklaven angeboten werden, obwohl Einwandererin den USA bei Unternehmens
gründungen und im Hinblick auf die Erlaubnis zur Ausbildung im Unterschied zu Deutsch
land rechtlich weniger eingeschränkt sind. In Deutschland können selbständige Immigran
ten nicht ausbilden, die nicht selbst das deutsche System durchlaufen haben und ein Ausbilderzertifikat besitzen. Nur ein verschwindend geringer Anteil von türkischen Selb
ständigen verfügt über diese Voraussetzungen.
Das Zusammenwirken angebots- und nachfrageseitiger Faktoren wirft Fragen im Hin
blick auf eine permanente Ausgrenzung bestimmter Teilgruppen aus dem Arbeitsmarkt auf. Wenn Angehörige der zweiten Generation über lange Zeiträume hinweg Diskriminie
rung ausgesetzt sind und auf bestimmte Tätigkeitsbereiche beschränkt bleiben (job ceiling), so kann das dazu führen, daß ihre Motivation zur Berufsausbildung bzw. ihre beruflichen Erwartungen stark sinken. Sinkende Motivation geht einher mit permanenter sozio-ökonomi- scher Ausgrenzung (underclass formation). Dieser Prozeß kann bei mexikanisch-amerikani
schen Männern in innerstädtischen Ghettos beobachtet werden. Abnehmende Erwartun
gen an berufliche Qualifizierung aufgrund des Zusammenwirkens von Diskriminierung und kulturellen Rollen sind bei Untergruppen von Immigranten bereits festzustellen, ins
besondere bei jungen türkischen Frauen.
Diskriminierung durch Arbeitgeber und soziale Schließung von Seiten der Mehrheits
gruppen wirkt sich insbesondere auf die Gelegenheiten derjenigen Migrantengruppen aus, die durch kulturelle Rollen in den Immigrantencommunities beschränkt sind. Unter den acht analysierten Gruppen, differenziert nach Ethnizität und Geschlecht, trifft dies vor al
lem auf junge türkische Frauen zu. Erstens kam es in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer sogenannten Re-Islamisierung von türkischen Immigrantencommunities in Westeu
ropa. Damit einher ging eine Beschränkung von Frauen auf bestimmte berufliche Berei
che. Zweitens definieren Teile der Mehrheitsgruppe, in diesem Falle die deutsche Öffent
lichkeit, die soziale Position türkischer Frauen als Ausdruck der kulturellen Differenz zwi
schen Mehrheits- und Minderheitsgruppen. Das Zusammenwirken von religiös-legitimier- ten Rollen aufSeiten bestimmter türkischer Familien einerseits und die Wahrnehmung von Symbolen wie das Tragen von Kopftüchern als Symbol der Nicht-Qualifikation für anspruchs
vollere berufliche Tätigkeiten andererseits, schränkt die Möglichkeiten und Erwartungen türkischer Schulabgängerinnen stark ein. Diskriminierung durch Arbeitgeber und durch Familien und sinkende Erwartungen junger türkischer Frauen verstärken einander.
Wenn diskriminierende Einstellungspraktiken über lange Zeiträume hinweg auftreten, eventuell sogar über mehrere Generationen, so ändern die betroffenen Gruppen ihre Ein
stellungen und Verhalten in bezug auf Bildung, Berufsbildung und Arbeitstätigkeit. Unter anderem kann es bei den Betroffenen zur Einstellung führen, daß Investitionen in schuli
sches Humankapital kaum lohnt. Solche Prozesse lassen sich ansatzweise unter jungen mexikanisch-amerikanischen Männern beobachten, die in innerstädtischen Immigranten- communities irregulären Aktivitäten nachgehen. Im Zuge schneller Veränderungen auf Arbeitsmärkten sind sowohl mexikanisch-amerikanische als auch türkische Jugendliche Ri
siken sozioökonomischer Marginalisierung ausgesetzt, systemspezifisch durch Einkommens
armut in markt-orientierten und Arbeitslosigkeit in policy-orientierten Systemen.
Die mit der Ein- bzw. Ausgliederung von jugendlichen Immigranten in Berufsbildung und Arbeitsmarkt angesprochenen Probleme betreffen grundsätzliche Fragen der Mitglied
schaft in Wohlfahrtsstaaten, d.h. sozialer Staatsbürgerschaft. Die Möglichkeit der aktiven Beteiligung aller Mitglieder im Wirtschaftsleben ist nach Theoretikern der Staatsbürgerschaft
— Aristotle, Cicero, Macchiavelli, Edmund Burke, Alexis de Tocqueville, Hannair Arendt und T.H. Marshall — eine Voraussetzung dafür, daß Bürger auch am politischen Leben teilneh
men können. Unter anderem stellt sich dabei die Frage, welchen Stellenwert die permanen
te Ausgrenzung eines Teils der im Territorium des Wohlfahrts- und Nationalstaats niedergelassenen Bevölkerung für soziale Staatsbürgerschaft als ganzes hat. Es könnte sein, daß eine stark unterschiedlich verteilte Rechts- und Chancenstruktur auf Dauer nicht nur für Immigranten gerechtfertigt werden kann, sondern auch auf Angehörige der Mehrheits
gruppen Anwendung findet.
Anmerkungen
1 Dieser Beitrag ist eine Synopsis ausgewählter empirischer Teile der Studie Social Citizenship for All? Young Turks in Germany and Mexican Americans in the United States (Pittsburgh: Pittsburgh University Press, im Erscheinen).
2 Mit dem Begriff Policy wird die inhaltliche Dimension von Politik bezeichnet, die Ziele, Aufgaben und Gegenstände von Politik umfaßt.