• Keine Ergebnisse gefunden

Die Verbindung von Einsicht und Wollen

3.3 Rationalität und Freiheit im Handeln

3.3.1 Die Verbindung von Einsicht und Wollen

Das theoretische Ideal eines rationalen Willens, der im Urteilen durch gute Gründe bestimmt wird, wird um ein Ideal des Zusammenhangs zwischen Erkennen und Handeln ergänzt. Obgleich Descartes streng zwischen Urteilen und Handelnwollen unterscheidet, sieht er einen Zusammenhang zwischen Einsichten, welches Handeln das richtige wäre, und dem entsprechenden Handelnwollen, der dem zwischen Erkennen und Urteilen analog ist.

Es wird diskutiert, inwieweit der resultierende ethische Internalismus ein Ideal oder Realität ist und wie er zur Ausrichtung auf Vollkommenheit steht.

Menschliches Handeln ist für Descartes immer vernünftiges Handeln (AT III, 371). Eine Handlung ist menschlich, wenn sie durch Einsichten gelenkt sein kann und sollte. Doch wie leitet die Vernunft das Handeln des Menschen? Welche Vorgaben macht sie ihm? Wie bringt sie ihn dazu, zu handeln? Diese Fragen muß eine Theorie des praktischen Überlegens beantworten. Descartes faßt diese Theorie internalistisch auf: Erkenntnis motiviert das Handeln. Diese These wird sowohl für klare und deutliche Erkenntnis als auch für Wahrnehmungen und Leidenschaften belegt.

Descartes stellt an vielen Stellen einen Zusammenhang zwischen praktischer Motivation und dem her, was einem gut erscheint. Die zweiteilige Rationalitätsthese in bezug auf theoretische Erkenntnis, die im letzten Kapitel vorgestellt wurde, folgt anscheinend unmittelbar aus den Bedingungen, unter denen der Wille überhaupt eine Urteilsfunktion wahrnehmen kann. Dieses Ergebnis ist in zwei Hinsichten für die praktische Philosophie relevant.

1) Richtiges Handeln verlangt Maßgaben. Soll es nicht zufällig richtig sein, so müssen die richtigen Moralvorschriften und die wahren Güter erfaßt werden können. Insofern sind die Ergebnisse der Erkenntnistheorie, die zeigen, wie eine solche Erfassung sich vollzieht, für die praktische Philosophie maßgeblich. Die hauptsächlichen Erkenntniskomponenten waren Ideen mit einer gewissen Klarheit und Deutlichkeit und eine Fähigkeit, ihnen aktiv in Urteilen zu entsprechen. Der Wille muß daher auch in der praktischen Philosophie die Urteilsfunktion wahrnehmen, die ihm in der Erkenntnistheorie zugewiesen wurde. Praktische Urteile sollen eine Leistung des freien Willens sein. Insofern Einsichten in das, was gut ist, Erkenntnisstatus haben und der Maßgabe der Klarheit und Deutlichkeit unterliegen, gleicht das Verhältnis des Willens zu ihnen dem zu theoretischen Einsichten. Wir finden unweigerlich gut, was wir klar und deutlich als gut einsehen. Descartes setzt also an die Stelle einer eigenen Fähigkeit, praktisch zu schließen, etwa in Gestalt der entsprechenden dianoëtischen Tugenden des

Aristoteles, die allgemeine Fähigkeit des Erkennens, die in der Theorie und in der Praxis gleich verfaßt ist und gleichen Maßgaben unterliegt.218

2) Handeln ist etwas Willentliches. Soll es gelobt und getadelt werden können, muß es ein Handeln aus Willensfreiheit sein (§ 154). Der freie Wille nimmt eine Doppelfunktion wahr. Aus freiem Willen fällen wir praktische Urteile und aus freiem Willen handeln wir ihnen entsprechend oder nicht. Die Kohärenz der cartesischen Willenstheorie fordert, daß die Freiheit des Willens maximal ist, wenn eine gegebene Willensbestimmung von guten Gründen herbeigeführt wird. Wenn die maximale Freiheit des Willens im urteilenden Willensgebrauch darin besteht, der Kraft von Ideen zu entsprechen, so muß sie wohl auch im praktischen Wollen sich an der Kraft von Ideen ausrichten. Die maximale Freiheit auch des praktischen Wollens muß darin bestehen, Gründen für ein Handeln zu entsprechen. Diese guten Gründe müssen auf den Willen einwirken. Ihrer Erfassung muß eine Tendenz innewohnen, den Willen zu bestimmen. Diese Tendenz muß auf eine natürliche Funktion des Willens treffen, die dafür sorgt, daß der Wille genau dann maximale Freiheit hat, wenn gute Gründe auf ihn einwirken. Das bloße Erwägen von Gründen macht geneigt, in bestimmter Weise zu handeln.

Descartes behandelt den praktischen und den theoretischen Gebrauch des freien Willens offenbar analog.219 Die Gründe, die zu einer bestimmten Interpretation dieses theoretischen Gebrauchs veranlaßt haben, sind aber nicht einfach auf den praktischen Bereich übertragbar. In der Erkenntnis gibt es anscheinend keine Offenheit, sich für oder gegen eine Überzeugung zu entscheiden, für die mehr oder weniger gute Gründe sprechen. Dies spricht gegen eine Fähigkeit, sich Urteilen zu verweigern, noch während die Gründe für sie als zwingend anerkannt werden. Die Frage, warum ich glauben sollte, was ich einsehe, scheint absurd. Dagegen kann in der praktischen Philosophie gefragt werden: „Warum sollte ich moralisch sein?“220 Wenn ich einsehe, was das Richtige ist, was bringt mich dazu, es zu tun? Es scheint, als könnte ich, ohne irrational zu sein, ethische Verpflichtungen anerkennen und ihnen nicht folgen, während ich nicht einfach logische Regeln o.ä. mißachten kann:

„Wir können uns in einer bestimmten Situation willkürlich entscheiden, auf eine bestimmte Weise zu handeln;

und wir können gleichfalls entscheiden, eine bestimmte Sache zu tun, ungeachtet der Gründe, die sich `auf das Gute stützen´ (obwohl einige Philosophen seit Sokrates es schwierig fanden, dies zu verstehen. “(Williams 1981, 145)

Auch Descartes unterscheidet genau zwischen dem Urteil als Willensakt und dem Wollen etwa einer Handlung (AT VII, 37). So könnte die Erkenntnis, was gut ist, behandelt werden wie eine theoretische Feststellung. Wie wir in einem Urteil eine Proposition als wahr akzeptieren, so mögen wir auch eine Proposition, daß etwas gut ist, als wahr akzeptieren. Der Anspruch des Urteils mittels des Willens

218 Trotz seiner Betonung der Aufgabe der Selbsterhaltung sieht auch Röd, daß sich Moral nicht auf Medizin reduziert. Er scheint Descartes zunächst etwas wie impulsive moralische Evidenzen zu unterstellen: „Als `gut´

im moralischen Sinne gilt, was mit den Prinzipien der Vernunft übereinstimmt. Die Vernunft kann die Rolle des letzten Kriteriums moralischer Entscheidungen spielen, weil sie auf Grund des metaphysischen Garantieprinzips dem Wesen der Natur als gottgeschaffener Ordnung zugeordnet ist. In der Orientierung des Verhaltens an vernünftiger Einsicht konnte Descartes daher das allgemeine Ziel der Moral erblicken.“(Röd 1982, 136) Röds Erklärung des cartesischen Konformismus zeigt dann aber, daß er gerade keine solchen Einsichten kennt: „Da die Forderung des vernünftigen Handelns, sofern sie mehr als Zweck-Mittel-Rationalität bedeuten soll, leer ist, bedarf sie einer inhaltlichen Ausfüllung. die sich nicht mit den Mitteln, die das System zur Verfügung stellt, leisten läßt und daher den Rückgriff auf außerphilosophische Voraussetzungen unvermeidlich macht.“(Röd 1982, S.163) Angesichts der gesamten bisherigen ethischen Diskussion ist diese Folgerung absurd.

219 Die Forschungsliteratur folgt Descartes in seiner Tendenz, Unterschiede zwischen der praktischen Freiheit des Willens und seiner Funktion in der Erkenntnis zu nivellieren. Entscheidende Belege zur Freiheit in der Erkenntnis werden aus Stellen bezogen, die eigentlich von der Freiheit zum Guten oder Schlechten handeln (z.B.

Kenny 1972, 31 über AT IV, 115f.).

220 „Why Should I be Moral?“(Bradley 1876) Diskutiert wird die Frage auch von Prichard (1912).

„Schnee ist weiß“, daß gilt: „`Schnee ist weiß´ ist wahr“, bildet auch das Muster für den Anspruch des Urteils „Die Wahrheit zu sagen ist gut“, daß gilt: „`Die Wahrheit zu sagen ist gut´ ist wahr“. Sätze über das Gute gehören dann einfach zum Wissen, ohne daß daraus weiteres folgte. Erst wenn wir uns aus welchen Gründen oder Motiven auch immer entschließen, in einem Fall das Gute zu tun, kann einer aus jenem Wissen folgern, wie wir handeln werden.

Doch Descartes betont, daß ich nichts wollen kann, was ich nicht für gut halte:

„[...]wäre man von der Schlechtigkeit der Tat überzeugt, so würde man sich derselben enthalten, da der Wille sich nur auf Dinge richtet, die irgendwie gut erscheinen[...]“( § 177)221

In dieser allgemeinen Aussage könnte allerdings zunächst nur eine Festlegung liegen, was dazu gehört, etwas bewußt und aus einem Grund zu tun. Denn einen Grund für eine Handlung zu haben, beinhaltet wohl, eine Handlung unter den gegebenen Voraussetzungen gut zu finden. Es wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß eine Handlung ausgeführt wird, obgleich man meint, daß kein überwiegender oder hinreichender Grund für sie spreche. „Gut“ muß ja auch nicht unbedingt ethisch richtig heißen, sondern kann für mich oder an sich wertvoll meinen. Descartes scheint überzeugt, daß eine Handlung eine Erklärung durch Gründe braucht. Eine solche Erklärung muß einbeziehen, daß aus der Perspektive des Handelnden zumindest ein Gesichtspunkt für eine solche Handlung spricht. In der philosophischen Tradition gelten insbesondere die Leidenschaften als Handlungsimpulse. Es könnte bezweifelt werden, daß Handlungen aus Leidenschaft, die gegen überwiegende und bewußte Gründe begangen werden, auch für gut gehalten werden müssen. Aber wie noch zu zeigen ist, analysiert Descartes auch Leidenschaften dahingehend, daß sie uns glauben machen, das, wozu sie treiben, sei gut, weil sie auf den Willen wirken, auf den nur doxastische Impulse wirken können, etwas gut oder richtig zu finden. Unter diesen Voraussetzungen kann gesagt werden, wir hielten für gut, was wir tun.

Aber Descartes stellt eine viel weitergehende Behauptung auf:

„Der Wille eines denkenden Dinges neigt sich, zwar frei und unabhängig (denn das ist das Wesen des Willens) aber trotzdem mit unfehlbarer Sicherheit auf das von ihm klar erkannte Gut.“(I.III, 150, AT VII, 166)222

Dieses Zitat scheint darüber hinauszugehen, daß ein Gut, das klar und deutlich erfaßt wird, als solches beurteilt wird, wie es das obige Modell beinhaltet. Der Geist wird zusätzlich dazu veranlaßt, dieses Gut zu wollen, so daß er auf ein Urteil „Die Wohlfahrt anderer zu befördern ist gut“, wenn dieses auf klarer und deutlicher Einsicht beruht, nach Maßgabe dieser Einsicht damit reagiert, die Wohlfahrt anderer befördern zu wollen. In einem Brief an Mesland sagt Descartes:

„Wenn wir es klar sähen, wäre es uns unmöglich zu sündigen, während wir es in dieser Weise sehen. Deshalb sagt man, daß omnis peccans est ignorans. Und man handelt weiter verdienstlich, auch wenn man, während man sehr klar sieht, was getan werden muß, es unfehlbar und ohne jede Indifferenz tut, wie es Jesus Christus in diesem Leben getan hat.“(2.5.1644, AT IV, 117f.)223

Bei klarer Einsicht tun wir ebenso unfehlbar das Gute wie Jesus Christus selbst. Wir können nicht gegen eine klare und deutliche Einsicht in das Gute handeln oder tun, was wir klar und deutlich als falsch einsehen, wie wir für wahr halten müssen, was wir klar und deutlich einsehen. Der Willensakt

221 „Car si on estoit entierement assuré que ce qu´on fait fust mauvais, on s´abstiendroit de le faire; d´autant que la volonté ne se porte qu´aux choses qui ont quelque apparence de bonté[...]“

222„Rei cogitantis voluntas fertur, voluntarie quidem & libere (hoc enim est de essentiâ voluntatis), sed nihilominus infallibiliter, in bonum sibi clare cognitum[...]“

223 „[...] si nous le voyons clairement, il nous seroit impossible de pecher, pendant le temps que nous le verrions en cette sorte; c´est pourquoy on dit que omnis peccans est ignorans. Et on ne laisse pas de meriter, bien que, voyant tres-clairement ce qu´il faut faire, on le fasse infailliblement, & sans aucune indifference, comme a fait Iesus-Christ en cette vie.“

des Urteils, in dem wir einer klaren und deutlichen Vorstellung vom Guten entsprechen, scheint unweigerlich einem zweiten verbunden, in dem wir das Gute wollen.

Gegen eine solche Verknüpfung scheinen Stellen zu sprechen, wo Descartes eine Entschlossenheit anmahnt, nur das zu tun, was wir für das Beste halten (§ 170 und an Elisabeth, 18. 8. 1645, AT IV, 277). Denn warum eine Entschlossenheit anmahnen, wenn wir ohnehin wollen, was wir für das Beste halten? Die erste Stelle dient aber der Wappnung gegen einen Zustand der Unentschlossenheit dann, wenn wir gerade keine klare und deutliche Einsicht in das Gute haben, indem wir uns, um uns von der Furcht zu befreien, das Falsche zu tun, vor Augen halten, daß es genügt, zu tun, was wir für das Beste halten, ohne daß die Möglichkeit impliziert würde, nicht zu tun, was wir für das Beste halten. Auch an der zweiten Stelle wie im weiteren Verlauf des oben zitierten Meslandbriefs geht es um feste Entschlossenheit über die geistigen Zustände hinweg. Diese Entschlossenheit ist angesichts der beschränkten Wirkung klarer und deutlicher Einsichten über den Moment ihrer konzentrierten Erwägung hinaus notwendig. Eine praktische feste Entschlossenheit besteht darin, gegen das, wozu die Leidenschaften veranlassen, dem über die gesamten Willenszustände hinweg zum Durchbruch zu verhelfen, was wir klar und deutlich einsehen. Sie wird nicht dadurch trivialisiert, daß wir nicht umhin können, klaren und deutlichen Einsichten in das Gute zu entsprechen, indem wir das Gute wollen, während wir sie erwägen. Allerdings fragt sich, wie diese Entschlossenheit herbeigeführt wird.

Schwerer wiegen die Aussagen über den, der eine tugendhafte Tat vollbringt in der Meinung, sie sei schlecht (AT V, 84). Sie deuten auf zu diskutierende Grenzen der Theorie des rationalen Willens.

Auch wenn Descartes an zeitlich nähere Quellen anschließen mag, kann eine sachliche Parallele zu Aristoteles gezogen werden. Dieser diskutiert die Unterscheidung einer Erkenntnis des Wahren und einer Erkenntnis des Guten. Er kritisiert die platonisch-sokratische Idee, daß wir nicht gegen die Einsicht in das Gute handeln können (Eth. Nik.1113 a-b), erkennt aber eine Beziehung zwischen der Erkenntnis und dem Begehren des Guten im praktischen Räsonnieren an:

„Das Gute und Schlechte der theoretischen Vernunft aber, die nicht handelt und nicht hervorbringt, ist Wahrheit und Falschheit, wie das von der Leistung jedes denkenden Vermögens gilt; die Leistung des zugleich praktischen Denkvermögens aber ist jene Wahrheit, die mit dem rechten Begehren übereinstimmt.[...]“(Eth. Nik. 1139a f.)224 Zwischen den Begriffspaaren gut und schlecht und wahr und falsch besteht eine Entsprechung. Wie die theoretische Vernunft zwischen dem (theoretisch) Wahren und Falschen zu unterscheiden erlaubt, so die praktische zwischen dem Guten und dem Schlechten. Die praktische Vernunft bringt aber nicht nur Wahrheit, sondern auch das rechte Begehren hervor. Descartes nimmt eine Analogie zwischen dem Wahren und dem Guten in seine Sicht des rationalen Willens auf:

„Er [der Wille] besteht nämlich nur darin, daß wir dasselbe tun oder auch nicht tun (d.h. bejahen oder verneinen, erstreben oder meiden) können, oder vielmehr, daß wir uns von keiner äußeren Macht dazu gezwungen fühlen,

224 Aristoteles äußert sich zur Frage des Zusammenhangs zwischen Einsicht und Motivation anscheinend mehrdeutig: „Aber nun weiß auch jeder Bösewicht nicht, was er tun oder was er meiden soll, und eben dieser Mangel ist es, durch den der Mensch ungerecht und überhaupt schlecht wird.“(Eth. Nik. 1110a) Der Bösewicht ist also entweder schlecht aus Unwissenheit, wenn anders Schlechtigkeit das ist, was ihn als Bösewicht ausmacht, oder der Mangel an Wissen, was das Richtige ist, ist selbst seine Schlechtigkeit. Im ersten Fall ist zu erwarten, daß die Schlechtigkeit in der Disposition zum schlechten Handeln aus der Unwissenheit heraus besteht. Im zweiten Fall scheint ebenfalls ein Zusammenhang zwischen dem Mangel an Wissen und dem Handeln zu bestehen. Dagegen steht: „Auch trifft nicht derselbe Mensch die beste Willenswahl, der die besten Meinungen hat, sondern bei manchen sind die Meinungen richtig, während sie aus Schlechtigkeit das wählen, was sie nicht sollen.“(Eth. Nik. 1112a) Es gibt also zumindest einige schlechte Wahlen, die im vollen Bewußtsein ihrer Schlechtigkeit, nicht aus Unsicherheit geschehen. Diese Spannung ist vielleicht dahingehend aufzulösen, daß zwischen dem praktischen Wissen unterschieden wird, das richtiges Streben einschließt, und der bloßen gerechtfertigten wahren Meinung über das richtige Handeln, die kein richtiges Streben einschließt (vgl.

Buchheim 2002, 407).

zu bejahen oder zu verneinen, zu erstreben oder zu meiden, was uns der Verstand vorhält.[...] Sähe ich immer klar, was wahr und gut ist, ich würde niemals schwanken, wie ich zu urteilen oder zu wählen habe. So könnte ich völlig frei, aber niemals indifferent sein.“ (AT VII, S.57f.)225

Descartes zeichnet eine exakte Parallelität zweier Bereiche der Willenstätigkeit, eines Teilbereichs der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz, „affirmandum vel negandum“, der offenbar theoretische und praktische Gehalte erfaßt, und eines Teilbereichs des Handelns, „prosequendum vel fugiendum“. Er übernimmt die aristotelische Parallelisierung von Bejahung und Verneinung im Urteil und Erstreben und Meiden im Begehren. Dieses Begehren darf allerdings nicht einfach dem cartesischen „désir“

gleichgesetzt werden, soweit dieses eine Leidenschaft ist, so daß es angesichts der Trennbarkeit von Leib und Seele nicht immer eine konstitutive Rolle für den Zusammenhang zwischen Gründen und Willensbestimmung spielen kann. Aristoteles unterscheidet zwischen einer Erkenntnisfähigkeit, die theoretisch ist, und einer, die praktisch wird, sich im Handeln manifestiert. Descartes´ Unterscheidung von Verstand und Wille steht jedoch quer dazu. Im Gegensatz zur aristotelischen Differenzierung von theoretischer und praktischer Vernunft differenziert Descartes zwischen einer einheitlichen Erkenntniskraft, die er Verstand im engeren Sinn eines Gegebenen nennt, gegenüber dem wir passiv sind, und dem Willen, der dem Gegebenen durch Bejahen und Verneinen im Urteilen und Erstreben und Vermeiden im Handelnwollen entspricht, und durch den erst etwas zur eigenen verantwortlichen Leistung wird. Der Wille bildet keinen Widerpart dieses Verstandes, sondern ist darauf angelegt, dessen Vorgaben zu entsprechen. Indem der Wille eine epistemische Funktion übernimmt, wird er selbst rationaler Wille. Wie die aristotelische praktische Vernunft das rechte Begehren einbegreift, so koordiniert Descartes die Leistung des Erkennens des Guten, die im willentlichen Urteilen erbracht wird, und des Wollens des Guten.

Ein weiterer grundlegender Unterschied zu Aristoteles liegt in Descartes´ Zuordnung des Erstrebens und Meidens zum Geist begründet. Erstreben und Meiden hängen bei Aristoteles von der Präsentation von etwas Lustvollem oder Schmerzhaftem in der Phantasie ab, die auch mit den physiologischen Bedingungen des Handelns zu tun hat. Um praktisch zu werden, muß die Vernunft „[...]sinnliche Melodien anstimmen, um in dieser Terminologie das Streben des Menschen ihr selbst homophon zu machen[...].“(Buchheim 2002, 404) Für Descartes besteht dieses Vermittlungsproblem nicht, weil der Wille als etwas Geistiges von vornherein darauf ausgerichtet ist, Einsichten zu entsprechen, und der Körper so eingerichtet, daß ein bloßes Handelnwollen normalerweise auch ein Handeln bewirkt. Wie wir sehen werden, stören Leidenschaften und körperliche Vorgänge manchmal den Zusammenhang zwischen Wollen und Handeln. Für diese Situationen entwickelt Descartes ein Programm der Steuerung, das dem aristotelischen Programm einer pädagogischen Vermittlungsleistung der Vernunft ähnelt. Aber diese Steuerung setzt nicht zwischen der praktischen Einsicht und dem Erstreben an, sondern bei falschen Einsichten oder schlechten Handlungsimpulsen.

Eine Erkenntnis des Guten ist nicht vereinbar damit, dieses Gute nicht zu wollen. Man könnte trotz der genannten Unterschiede versuchen, an eine Interpretation der aristotelischen Äußerungen anzuschließen, um Descartes´ Vorstellungen zu erläutern:

225 „[...] quia tantùm in eo consistit [der Wille], quòd idem vel facere vel non facere (hoc est affirmare vel negare, prosequi vel fugere) possimus, vel potius in eo tantùm, quòd ad id quod nobis ab intellectu proponitur affirmandum vel negandum, sive prosequendum vel fugiendum, ita feramur, ut a nullâ vi externâ nos ad id determinari sentiamus.[...] si semper quid verum & bonum sit clare viderem, nunquam de eo quod esset judicandum vel eligendum deliberarem; atque ita, quamvis plane liber, nunquam tamen indifferens esse possem.

[...]“

„[...] one can say `yes´ or `no´ both to a statement and to a proposal. Suppose, then, that the statement should say that doing such and such is doing well. There is the `yes´ in judgment and the `yes´ in the will, meaning that one wants to do that sort of thing. For to characterize it as `doing well´ is eo ipso to propose it as an object of `will´, to put it up as a candidate for `will´. [...] He [Aristoteles] apparently cannot admit the case where a person forms a perfectly clear-headed intention of acting contrary of his convictions.“(Anscombe 1979, 151)

Anscombe parallelisiert ebenfalls zwei Leistungen, von denen sie nur die zweite als Willensleistung beschreibt: „Ja“ oder „nein“ zu einer Proposition zu sagen und das „Ja“ oder „Nein“, das im Wollen einer Handlung liegt. Diese Parallelisierung zeigt, welche Intuition hinter Descartes´

Willensauffassung steht: Der Wille ist die Fähigkeit dieses „Ja“ oder „Nein“, das es im Urteilen und im Handeln gibt. Anscombe suggeriert, daß zwischen dem „Ja“ oder „Nein“ in einem Urteil, welches Handeln gut wäre, und dem „Ja“ oder „Nein“ im Wollen eine Korrelation besteht. Für Descartes ist diese Korrelation in der Identität des Willens begründet, der als rationales Vermögen auf die entsprechende Begründungsbeziehung zwischen dem Urteil und dem Handeln reagiert. Anscombe unterstellt Aristoteles hier eine schwächere Forderung, als sie Descartes erhebt: Es ist nicht möglich, zu beabsichtigen, wohlbewußt gegen die eigenen Meinungen zu handeln, welches Handeln richtig wäre. Dadurch wird nicht festgelegt, daß es notwendig ist, im Sinne dieser Meinungen zu handeln.

Angesichts der Offenheit des „doing well“ wäre es vorstellbar, daß die Klugheit in der Auswahl des Richtigen eine bloß technische Fähigkeit wäre, die zeigt, wie ein bestimmtes Ziel am ehesten erreichbar ist, so daß das Streben zur Klugheit hinzuträte als eine Auswahl des Ziels. Das Begehren ist aber auf das richtige Handeln als ein Ziel gerichtet, das nicht von einem anderen abhängt. So fährt Aristoteles nach der oben zitierten Stelle weiter:

Denn das richtige Handeln ist ein absoluter Zweck, und auf diesen ist auch das Begehren gerichtet.“(Eth. Nik.

1139a f.)

Anscombe kommentiert:

„For blessedness, or doing well, is the end that anyone must have so far as he has a rational end, that is to say as far as he has a `will´, i.e. the kind of wanting that belongs in the rational part, at all.“(Anscombe 1979, 153)

Die Beziehung der Einsicht in das rechte Handeln und des Wollens dieses Handelns als eines letzten Ziels ist in der Rationalität des Handelnden begründet. Descartes legt sie in den Willen.

Im Mittelpunkt der Erklärung von Anscombe und Aristoteles steht indes die Möglichkeit, die Willensbestimmung selbst zu einer bestimmten Handlung falsch zu nennen.226 Die Falschheit liegt

226 Anscombe wendet sich gegen die Vorstellung, daß das Erfassen des Guten unmittelbar ein Handeln veranlasse, gegen „the automatic-machine aspect of a practical syllogism.“(Anscombe 1979, 153) Die aristotelische Lösung dieses Problems, wie sie Anscombe identifiziert, besteht darin, daß sich mit jeder Handlung eine Beschreibung dieser Handlung verbindet, wonach diese Handlung gut oder gerecht sei. Diese Beschreibung artikuliert einen Anspruch, der mit der Handlung unweigerlich erhoben wird.

„What does Aristotle mean by `practical truth´? He calls it the good working or the work of practical judgment;

and practical judgment is judgment of the kind described terminating in action. It is practical truth when the judgments involved in the formation of the `choice´ leading to the action are all true; but the practical truth is not the truth of these judgments. For it is clearly that truth in agreement with right desire [...] which is spoken as the good working [...] of practical intelligence. That is brought about -i.e. made true- by action [vgl. Eth. Nik. 1139 a 30] The man who forms and executes an evil choice will also make true some description of what he does. [...]

But his description `justice performed´ of what he has done will be a lie. He, then, will have produced practical falsehood.“(Anscombe 1979, 157) Die Bedingung dafür, daß die Handlung selbst eine Lüge genannt werden kann, ist die Integration einer Beschreibung der Handlung als richtig in die Handlung selbst:

[...] the idea of the description under which what is done is done is integral to the notion of action [...], then these predicates apply to actions strictly and properly[...]“(Anscombe 1979, 158)

Wenn wir aber einen Anspruch mit jeder Handlung verbinden, daß sie als gut oder gerecht zu charakterisieren sei, wenn es Teil der Handlung selbst ist, daß sie als gerecht beschrieben wird, ist es zumindest in foro interno ausgeschlossen, daß wir eine Handlung trotz der Überzeugung wählen, sie sei schlecht oder ungerecht. Denn