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In diesem Kapitel werden Schwierigkeiten diskutiert, die sich mit dem Gedanken einer rein pragmatischen Funktion von Überzeugungen als Handlungsleitfäden verbinden, den das Konzept der moralischen Gewißheit beinhaltet. Diese Funktion ist nicht selbstverständlich mit dem Zielen auf Wahrheit vereinbar, das zur Erkenntnistätigkeit gehört.

Alle Bedingungen der Erkenntnis, auch z.B. Rechtfertigung, haben irgendwie mit der Wahrheit von Überzeugungen zu tun. Doch Descartes stellt den „usus vitae“, auf den Sinneswahrnehmungen vor allem abzwecken, der Wahrheit gegenüber. Wenn Sinneswahrnehmungen aber Informationen vermitteln sollen, scheinen auch sie auf Wahrheit gerichtet. Diese Ambiguität prägt auch den allgemeineren Begriff der moralischen Gewißheit. Diese ist nicht unbedingt eine epistemische Kategorie. Dies läßt sich an W. Alstons Fassung dieser cartesischen Kategorie demonstrieren, wonach

„[...]Menschen unter dem Druck des Alltagslebens oft wohlberaten sind, Überzeugungen anzunehmen, für die sie keine hinreichenden Gründe haben.“(Alston 1987, 234)

Diese Formulierung erinnert sehr an Descartes´ Begründung der moralischen Gewißheit. Was bedeutet es jedoch, keine hinreichenden Gründe zu haben? Es kann nicht bedeuten, keine hinreichenden Gründe in einem allgemeinen Sinn zu haben, der Gründe für ein Handeln einschließt. Denn dann bedeutet, keine hinreichenden Gründe zu haben, daß etwas dazu fehlt, eine Überzeugung anzunehmen, auch praktische Gesichtspunkte nicht hinreichen. Es muß daher bedeuten, daß es keine hinreichenden Gründe in einem epistemischen Sinn gibt, wohl aber in einem nichtepistemischen Sinn. Wie ist diese Unterscheidung zu fassen? Eine Möglichkeit wäre, auf Williams´ Gedanken der reinen Untersuchung zurückzugreifen: Es gibt epistemische und außerepistemische Rücksichten. Epistemische Rücksichten wurden bereits diskutiert. Zu ihnen gehören Aspekte wie die Maximierung der Zahl wahrer Überzeugungen oder die Vermeidung falscher Überzeugungen. Vielleicht bilden solche Rücksichten Unterscheidungskriterien für hinreichende Gründe im epistemischen Sinn und hinreichende Gründe im außerepistemischen Sinn. Alstons Fall ist dann so zu beschreiben, daß einer für eine Überzeugung, die nicht angenommen werden sollte, wenn die reine Untersuchung verfolgt wird, hinreichende Gründe im außerepistemischen Sinn hat. In diesem Sinn Gründe zu haben, mag bedeuten: Es ist wahrscheinlich für den Erfolg des Handelns besser, eine bestimmte Überzeugung zu haben, als sie nicht zu haben.

Diese Angabe muß jedoch in mehreren Hinsichten ergänzt werden. Zu ihnen leitet die folgende Erwägung hin: Wäre es nicht denkbar (z.B. in der Welt eines genius malignus), daß ich regelmäßig erfolgreicher bin, wenn ich eher falsche als wahre Überzeugungen habe? Nun berücksichtigt Descartes solche Situationen in seinen Überlegungen zur moralischen Gewißheit nicht. Sie scheinen vielleicht zunächst auch unmöglich zu sein. Denn selbst wenn es einen genius malignus gäbe, der den Erfolg meiner Handlungen manipuliert, scheint es kaum vorstellbar, daß ich einen Zusammenhang zwischen der Falschheit meiner Überzeugungen und ihrem Erfolg finden kann. Daher bleibt mir nur, mich auf die Überzeugungen zu stützen, die mir wahr erscheinen, auch wenn dies in der Situation des genius malignus nicht die erfolgreichste Vorgehensweise ist. Folgendes Beispiel zeigt, wie es in

Einzelsituationen dazu kommen könnte, daß falsche Überzeugungen pragmatisch besser erscheinen als wahre: Gesetzt, ich lebe in einer Gegend, in der viele Menschen von Löwen getötet werden, diese Tatsache ist mir bekannt, und ich habe zudem herausgefunden, daß immer die Menschen von den Löwen verschont werden, die in deren Gegenwart keine Angst haben. Weiterhin habe ich herausgefunden, daß es einen notwendigen Zusammenhang zwischen meiner Angst und meiner Überzeugung gibt, daß Löwen gelegentlich Menschen töteten, dergestalt, daß meine Angst nur dann verschwände, wenn ich zu der Überzeugung käme, daß Löwen nie Menschen töteten (weil sich ein vergleichbarer Zusammenhang in anderen Fällen, in denen ich zunächst Angst aufgrund falscher Überzeugungen hatte, hinreichend bestätigt hat). Ich habe hinreichende epistemische Gründe, zu glauben, daß eine Überzeugung zum Erfolg meiner Handlungen beitrüge, die nicht zu haben ich hinreichende epistemische Gründe habe. Sollte ich dann Überzeugungen annehmen, von denen ich vermute, daß sie falsch sind? Könnte ich solche Überzeugungen überhaupt annehmen? Diese Möglichkeit scheint mit der Natur von Überzeugungen schwer vereinbar. Denn wenn ich überwiegende epistemische Gründe habe, anzunehmen, eine Überzeugung sei falsch, dann scheint es irrational, zu glauben, sie sei wahr.

Eine gegensätzliche Auffassung vertritt R. Foley. Er fragt wie Descartes nach der allgemeinen Zielstruktur, in die Erkenntnis eingebettet werden muß. Epistemische Rationalität steht in einer komplexen Wechselbeziehung mit Rationalität einfachhin, auch nichtepistemische Aspekte berücksichtigt, die sich wiederum an der Zielstruktur des rationalen Akteurs bemißt. Foley nennt als Bedingung für die epistemische Rationalität einer Überzeugung:

„Believing P is rational in an epistemic sense if it is rational for one to believe that believing P would acceptably contribute to the epistemic goal of one´s now having accurate and comprehensive beliefs.”(Foley 2001, 218) Eine Überzeugung ist epistemisch rational, wenn erwartet wird, daß sie zur Erreichung bestimmter epistemischer Ziele beiträgt. Solche Ziele wie Richtigkeit und Umfassendheit liegen ja in der reinen Untersuchung. Allgemeine Rationalität einer Überzeugung bestimmt sich so:

„Believing P is rational, all things considered, if it is epistemically rational for one to believe that believing P acceptably contributes to the total constellation of one´s goals.”(Foley 2001, 220)

Eine Überzeugung ist allgemein rational, wenn erwartet wird, daß sie zur Erreichung der eigenen Ziele insgesamt beiträgt. Genau betrachtet, sind Foleys Bedingungen freilich zirkulär: Epistemische Rationalität wird im Rückgriff auf Rationalität tout court bestimmt und umgekehrt. Foley führt eine ganz ähnliche Überlegung wie Descartes vor, um zu zeigen, daß wir manchmal Überzeugungen haben müssen, die wir epistemisch nicht rational finden:

„Epistemic rationality is concerned with a narrowly circumscribed, synchronic intellectual goal, that of now having accurate and comprehensive beliefs, whereas our everyday assessments are sensitive to the fact that because we have many goals, pragmatic as well as intellectual, [...] there are sharp limitations on how much time and effort it is feasible to spend pursuing intellectual goals.”(Foley 2001, 221)

Die verfügbaren Ressourcen an Zeit und Kraft müssen auf intellektuelle und andere Ziele aufgeteilt werden. Die Beschränkung epistemischer Ziele auf synchrone erscheint freilich willkürlich. Foley nennt die Konsequenz, daß es manchmal epistemisch irrational sein kann, zu glauben, was man dennoch im Lichte seiner allgemeinen Ziele glauben sollte:

„After all, even when it is not epistemically rational to believe that a proposition P is true, it can be epistemically rational to believe that the overall consequences [...] of believing P would be significantly better than those of not believing P.”(Foley 2001, 221)

Foley akzeptiert die extreme Konsequenz, daß es auch rational sein kann, bewußt falsche Überzeugungen anzunehmen (Foley 2001, 221). Welche Folgerungen ergeben sich daraus für Descartes´ Begriff der moralischen Gewißheit? Auch wenn es ad usum vitae beitragen mag, bestimmte falsche Überzeugungen zu haben, und vielleicht, wenn wir Foley folgen, sogar rational sein, bedeutet das nicht unbedingt, daß es moralisch gewiß ist. Moralische Gewißheit kann nämlich auf zwei Weisen verstanden werden. Die erste entspricht Foleys Rationalitätskriterium:

Es ist genau dann moralisch gewiß (a), zu glauben, daß p, wenn es aus der Perspektive des rationalen Handelnden mehr zum Erfolg des Handelns beiträgt, zu glauben, als nicht zu glauben, daß p.

Die Alternative (b) ist schwerer zu formulieren. Sie kann durch die Aufgabe charakterisiert werden, eine genuin erkenntnistheoretische Kategorie zu entwickeln, die verständlich macht, warum von moralischer Gewißheit als epistemischer Kategorie die Rede sein kann; warum Descartes diese praktische Gewißheit als Erfordernis des Urteilens beschreibt, bei dem es um Wahrheit und Falschheit geht. Denn wie der Bereich der Erkenntnis auch immer ausgestaltet werden mag, er scheint immer etwas damit zu tun zu haben, daß man sich mit Überzeugungen irgendwie in Übereinstimmung mit den Tatsachen bringt. Man könne an Überzeugungen denken, die dann nützen, wenn sie wahr sind.

Doch es gibt äußerst unwahrscheinliche Überzeugungen, die, wenn sie wahr wären, trotzdem zum Erfolg des Handelns beitrügen (z.B., daß ich im Lotto gewinne), und vielleicht sogar einige, die es unabhängig von ihrer Wahrheit tun (vielleicht die feste Überzeugung, die eigenen Ziele zu erreichen).

Vielleicht führt folgender Definitionsversuch weiter, der auf die Verläßlichkeit der Überzeugungsbedingung abstellt:

Es ist genau dann moralisch gewiß (b), daß p, wenn aus der Perspektive des rationalen Handelnden gilt, daß es

1) zum Erfolg des Handelns beiträgt, genau dann zu glauben, daß p, wenn p, 2) ein verläßlicher Prozeß der Überzeugungsbildung zur Überzeugung führt, daß p,

3) ohne daß zusätzliche Anstrengungen, die Verläßlichkeit der Überzeugungsbildung zu steigern, zum Erfolg des Handelns beitrügen.

Die erste Interpretation (a) enthielte sogar die extreme Konsequenz, daß p moralisch gewiß sein kann, während nicht-p metaphysisch gewiß ist. Da Descartes einerseits die Bedürfnisse des Lebens denen der Erkenntnis vorordnet, aber andererseits nirgends behauptet, es könnte Situationen geben, in denen man dem nicht zustimmen darf, was metaphysisch gewiß ist, scheint er sie nicht im Sinn zu haben.

Was metaphysisch gewiß ist, ist immer auch moralisch gewiß. Moralische Gewißheit im ersten Sinn (a) als epistemische Kategorie zu interpretieren, wäre auch mit der Idee der reinen Untersuchung nicht ohne weiteres vereinbar.

Die Probleme einer angemessenen Interpretation moralischer Gewißheit lassen sich auch an einer Auffassung moralischer Gewißheit als epistemischer Stufe illustrieren, die R. Chisholm vorstellt. Er charakterisiert epistemische Stufen dadurch, was anzunehmen vernünftig wäre. Er situiert die Evidenz, die er dadurch kennzeichnet, was vernünftig wäre, zur Grundlage des Handelns zu machen, zwischen zwei anderen epistemischen Stufen. Oberhalb liegt die Gewißheit, die Affinitäten zu Descartes´

Konzept metaphysischer Gewißheit aufweist, unterhalb die Unbezweifelbarkeit (Chisholm 1982, 8f.).

Was unbezweifelbar ist, darf deshalb noch nicht zur Grundlage des Handelns gemacht werden. Diese

sehr anspruchslose Konzeption der Unbezweifelbarkeit ist nicht unbedingt überzeugender als die cartesische. A kann zweifeln, ob sein Rembrandt echt ist, und doch ihn und nicht sein Haus seinen liebsten Verwandten vermachen (was A nur tut, wenn er glaubt, das Bild sei echt).76 Doch selbst wenn wir die Einordnung der Unbezweifelbarkeit akzeptieren, scheint die Situierung der Evidenz bzw.

moralischen Gewißheit nicht hinreichend. Auch wenn Foleys Unterscheidung epistemischer und allgemeiner Rationalität nicht unproblematisch ist, zeigt sie doch, daß Evidenz in Chisholms Sinn oder moralische Gewißheit nicht ohne weiteres in eine Reihe von epistemischen Stufen paßt. Es könnte im Sinne einer Handlungsrationalität vernünftig sein, falsche oder zumindest sehr unsichere Überzeugungen zur Grundlage des eigenen Handelns zu machen.

Wenn der Bereich dessen betrachtet wird, was Chisholm für evident hält, wird eher verständlich, warum er diese mögliche Spannung zwischen Handlungsrationalität und epistemischer Rationalität nicht sieht. Ganz ähnlich wie Descartes führt Chisholm die Stufe des Evidenten ein, um Überzeugungen aufgrund von Sinneswahrnehmungen zu beschreiben. Die Gewißheit, die Aussagen darüber haben, wie mir etwas in der Wahrnehmung erscheint („how I am appeared to“) ist größer als die Evidenz, daß ein äußerer Gegenstand so ist, wie er mir erscheint (Chisholm 1982, 8, 12, 18). Diese ist aber hinreichend, das Tun zu leiten, wie die Alltagserfahrung zeigt. Chisholm benutzt den Begriff der Evidenz vor allem für den Übergang von selbstpräsentierenden Eigenschaften, wie sie ein Urteil der Form „Ich habe einen ... –Eindruck“ wiedergibt, zu Überzeugungen, welche die Existenz wahrgenommener physikalischer Objekte voraussetzen. Es geht ihm also um die Weise, in der wir ganz selbstverständlich auf Sinneswahrnehmungen reagieren. Die Konzentration auf die relativ einheitliche Gewißheit von Sinneswahrnehmungen erklärt auch, warum Chisholm gar nicht darauf kommt, Eventualitäten zu erwägen, daß falsche Überzeugungen für das Handeln besser sein könnten als richtige. Denn die normale Funktion von Sinneswahrnehmungen ist die, Informationen zu liefern, die in der Regel zutreffen. Wenn eine allgemeine Regel für den vernünftigen Umgang mit Sinnesideen aufgestellt werden soll, dann ergibt sie sich aus dieser Eigenschaft, nicht daraus, daß bestimmte Überzeugungen für das Handeln nützlich sein können, auch wenn sie falsch sind. Auch wenn Chisholms Fokussierung auf Sinneswahrnehmungen die Problematik von falschen Überzeugungen, die als solche nützlich sind, vermeiden hilft, bleibt doch umgekehrt fraglich, warum Sinneswahrnehmungen gerade die epistemische Stufe zugeordnet wird, die daran bemessen wird, welche Annahmen im Handeln vernünftig sind. Vielleicht steht dahinter eine evolutionstheoretische Perspektive. Für den natürlichen Menschen sind seine Sinne jenseits aller Erkenntnisinteressen die wichtigste Informationsquelle, an der er sein Handeln ausrichtet. An dieser Funktion bemißt sich auch der evolutionäre Erfolg, zu dem sie führen. Aber eine solche Perspektive schränkt den Gebrauch der Sinnesideen dann auch auf das Handeln im Sinne bestimmter natürlicher Ziele ein, dessen Erfordernisse nicht unbedingt mit denen eines rationalen Handelns schlechthin zusammenfallen. Wenn das Handeln von diesen Zielen gelöst wird, muß auch die Rolle der Sinneswahrnehmungen neu bewertet werden. Daher wäre eine solche Erklärung unzureichend. Darin liegt keine Zurückweisung einer evolutionären Erkenntnistheorie, sondern lediglich der Verknüpfung von Sinneswahrnehmungen

76(Vgl. Hookway 2000, 156). Vermutlich liegt dieser Problematik eine Ambiguität des Zweifelsbegriffs zugrunde. „Ich zweifle, daß p“ wird normalerweise benutzt, um auszudrücken, daß man dazu neigt, p nicht zu glauben. Einen Rembrandt, den A in diesem Sinne bezweifelt, sollte er seinen Lieblingsverwandten lieber nicht vermachen. „Ich zweifle nicht, daß p“ wird dagegen gewöhnlich als verstärkender Ausdruck für die Überzeugung, daß p gebraucht. Man kann durchaus eine Einstellung zu p einnehmen, für deren Charakterisierung man einen solchen Ausdruck zu stark fände, und sich doch verhalten, als sei p der Fall. In einer solchen Situation muß nicht behauptet werden, p sei jenseits vernünftigen Zweifels, und die Überzeugung, daß p, kann doch zur Grundlage des Handelns gemacht werden.

und Evidenz in Chisholms Sinn. Im Gegensatz zu Chisholm gibt Descartes eine Begründung, warum gerade die Sinnesideen mit moralischer Gewißheit verbunden werden. Von seinem Begründungsgang muß hier nur der Abschluß wiedergegeben werden: Sinneswahrnehmungen gehören zur natürlichen Einrichtung des Menschen. Mit ihnen verbinden sich ganz bestimmte natürliche Ziele, die weitgehend mit dem übereinstimmen, was in einer Evolutionstheorie als evolutionärer Erfolg beschrieben würde:

Überleben, Erhaltung und Wahrnehmung natürlicher Körperfunktionen (unter die dann auch der Reproduktionserfolg fallen mag). Hinsichtlich dieser Ziele sind Sinnesideen eher durch ihre relative Zuverlässigkeit nützlich. Wenn Descartes wie Chisholm seine Konzeption der moralischen Gewißheit auf Sinneswahrnehmungen fokussiert, spielt die Frage, welche der beiden Interpretationen moralischer Gewißheit er verficht, praktisch keine große Rolle. Denn die wesentlichen Fälle moralischer Gewißheit sind dann mit beiden Interpretationen vereinbar.

Die obigen Bedingungen moralischer Gewißheit stellten auf die Perspektive des rationalen Akteurs ab.

Wie bei der metaphysischen Gewißheit gehört zum Begriff der moralischen Gewißheit die Zugänglichkeit der ausschlaggebenden Bedingungen. In der kurzen Diskussion von Foleys Unterscheidung epistemischer und allgemeiner Rationalität klang schon an, daß wir Gründe für die Annahme haben müssen, es sei für das Handeln gut, eine bestimmte Überzeugung zu haben. Foley drückt diese Anforderung so aus, daß jene Annahme epistemisch rational sein muß. Gegen Foleys Beschreibung der allgemeinen Rationalität einer Überzeugung p als bedingt durch die epistemische Rationalität der Überzeugung q, daß es zum Erfolg des Handelns beitrüge, die Überzeugung p zu haben, läßt sich einwenden, daß die Überzeugung q ihrerseits nicht epistemisch, sondern allgemein rational und daher unter Umständen sogar epistemisch irrational sein könnte und so fort für die Überzeugungen, die q betreffen. Die aus diesen Überlegungen resultierende Forderung an Descartes lautet, daß die Gründe, die der rationale Akteur braucht, damit etwas aus seiner Perspektive moralisch gewiß erscheint, ihrerseits eine bestimmte, wohl moralische Gewißheit haben müssen. Zumindest in der zweiten Interpretation (b) der moralischen Gewißheit können diese Gründe natürlich auch metaphysische Gewißheit haben. Insofern scheint ein Regreßproblem zu drohen.

Die Meditationen zeigen -wohl mit metaphysischer Gewißheit-, daß bestimmte Weisen der Überzeugungsgewinnung den praktischen Zweck haben, die Lebensführung zu erleichtern. Descartes konzentriert sich dabei auf die Sinnesideen. Es ist für das Leben besser, ihnen bei angemessenem Umgang zu vertrauen, als ihnen nicht zu trauen. Insofern sind sie moralisch gewiß. Die allgemeine Regel, Sinnesideen seien zuverlässig, kann allerdings so nicht bestehen. Denn auch wenn wir ihnen in der Regel vertrauen, finden wir sie in bestimmten Situationen, z.B. unter ungünstigen Umständen oder, wenn sie konfligieren, nicht vertrauenswürdig. Daher kann das Vertrauen nur auf einer prima-facie-Regel beruhen, die unter ungünstigen Umständen oder bei Konflikten mit anderen Regeln konfrontiert wird. Doch wann sind Umstände zu ungünstig, um den Sinnesideen zu vertrauen? Wie ist mit Konflikten umzugehen? Vielleicht lassen sich auch zur Beantwortung solcher Fragen moralisch gewisse Regeln entwickeln. Descartes behauptet, wir könnten Sinnesideen bei angemessener Korrektur zu metaphysischer Gewißheit bringen. Allerdings bleibe nicht immer genug Zeit für diesen Aufwand, weil die Erfordernisse des Lebens drängten. Doch woher wissen wir, wann diese Erfordernisse wie dringend sind? Ein solches Wissen muß offenbar moralische Gewißheit haben.

Entweder zeigen Sinnesideen bzw. klare und deutliche Ideen an, wie dringend die Situation ist, oder es gibt andere Quellen moralischer Gewißheit, bezüglich deren sich dann freilich fragt, ob sie selbst wieder auf Sinnesideen oder klare und deutliche Ideen zurückgehen, oder was ihre moralische Gewißheit etabliert, wenn es nicht eine Untersuchung wie die ist, die den Sinnesideen moralische

Gewißheit gibt. Gegen den Anschein, den Descartes erweckt, erweist sich moralische Gewißheit auch mit Bezug auf die Sinnesideen als ein schwieriger Begriff. Eine Ergänzung der Regel, daß wir den Sinnesideen vertrauen sollen, ist die Forderung eines kohärentistischen Abgleichs von Sinnesideen mit dem restlichen Überzeugungssystem, auf den Descartes hinweist. Diese Forderung ist nicht vollständig, weil sie keine Regeln beinhaltet, wie aufwendig der Abgleich sein darf, und was bei Inkohärenz geschehen sollte.

Chisholm und Descartes suggerieren, daß moralische Gewißheit intersubjektiv feststehe. Doch sind Gesichtspunkte, auf die hin moralische Gewißheit relativiert werden muß, durch den Gesamtbereich einer individuellen Praxis gegeben. Wie das Beispiel der Löwen zeigt, hängt die Nützlichkeit einer Überzeugung im Handeln davon ab, welche Ziele und Absichten man verfolgt. Wer kein Interesse daran hat, daß ihn die Löwen verschonen, muß nicht glauben, sie seien ungefährlich. Das heißt nicht, daß die Kriterien moralischer Gewißheit nicht intersubjektiv feststehen. Aber diese Kriterien stellen auf Ziele ab, die bei verschiedenen Menschen verschieden ausfallen. Daher steht für zwei Menschen bei gleichem Informationsstand nicht intersubjektiv fest, was für sie moralisch gewiß ist. Descartes vermeidet diese Gefahren für sein Konzept der moralischen Gewißheit, weil er dieses Konzept auf ein ganz bestimmtes Bild natürlicher Ziele und Neigungen und ganz bestimmte Informationsquellen, die Sinnesideen, beschränkt. Wenn moralische Gewißheit allgemeiner als Teil von Handlungsrationalität verstanden werden soll, muß sie diese relativierenden Bezüge einbegreifen.

Moralische Gewißheit ist vielleicht einigermaßen wohlbestimmt, solange sie auf Sinneswahrnehmungen beschränkt wird. Aber es bleibt offen, ob eine solche Beschränkung den Bereich der moralischen Gewißheit ausschöpft. Realistisch erscheint diese Beschränkung nicht, denn wir müssen im Handeln vieles akzeptieren, was nicht durch Sinneswahrnehmung zu begründen ist, z.B. das Zeugnis anderer, wie Descartes selbst feststellt (AT IX / 2, 323). Ein Sonderfall ist die blinde Wahl einer Überzeugung. Moralische Gewißheit kann bisher als Funktion von Gründen begriffen werden, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit beinhalten, daß etwas der Fall oder zumindest nützlich ist. Descartes zeichnet indes Situationen extremer Bedrängnis, in denen wir nicht einmal das Wahrscheinliche abwarten dürfen, sondern irgendetwas auswählen müssen. Wenn wir daraufhin p wählen, müssen wir so handeln, als sei p der Fall. In diesen Fällen ist die Überzeugung q, daß wir etwas auswählen müssen, vielleicht das Ergebnis von Gründen. Aber es gibt keinen Grund, p zu wählen, anstatt nicht-p und so nicht p zu wählen. Haben wir dann moralische Gewißheit, daß p? Oder haben wir nur moralische Gewißheit, daß wir blind etwas auswählen müssen? Diese Frage stellt sich freilich wohl nur in der allgemeinen Interpretation (a), wonach das moralisch gewiß ist, was aus der Perspektive des Erkennenden nützt. Denn in der zweiten Interpretation (b) soll eine Überzeugung ja nicht deshalb nützen, weil es besser ist, eine zu haben als keine zu haben, sondern, weil es nützlich ist, sie genau dann zu haben, wenn sie wahr ist. Was die erste Interpretation angeht, so scheint das Kriterium, daß eine Überzeugung für die Lebensführung besser ist, zu keiner Entscheidung zu führen.

Denn wenn es besser ist, irgendetwas auszuwählen, als keine Überzeugung zu haben, kann man behaupten, es sei besser für die Lebensführung, p zu wählen. Aber man könnte sich auch darauf berufen, daß nichts für p im Vergleich zu nicht-p spreche. Daher könnte genauso wie für p argumentiert werden, es sei besser für die Lebensführung, nicht-p zu wählen, also p nicht zu wählen.

So mag die moralische Gewißheit nur darin liegen, überhaupt etwas zu glauben.

1.7 Übergang zum zweiten Hauptteil: Einbettung der Erkenntnisziele in die praktische