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Die Ambiguität des moralischen Subjekts

Es wird gezeigt, wie die Konkurrenz der zwei Auffassungen vom höchsten Gut der menschlichen Natur und die Spannung zweier verschiedener Festlegungen der Natur des moralischen Subjekts miteinander verknüpft sein könnten, das Gegenstand dieser Auffassungen ist. Zunächst werden diese Festlegungen aufgezeigt: Ich bin wesentlich ein Geist, der Mensch aber eine Einheit von Geist und Körper. Beide sind eigenständige moralische Subjekte. Der Geist ist gegenüber dem Körper in einer Ordnung der Wesen vorrangig. Resultierende Schwierigkeiten und Spielräume der normalen Praxis, Personen Prädikate zuzuschreiben, werden erörtert. Nach vor allem interpretierenden werden auch allgemeiner motivierende und kritisierende Forschungspositionen von Schütt, Ryle und McDowell kurz gewürdigt.

Der aufgezeigte Gegensatz der zwei Ideale, die beanspruchen, das Normative am menschlichen Wesen zu erfassen, bildet das geeignete Ausgangsproblem, um die Spannung in der Wesensbestimmung des

128 Eine einfache Lösung des Konkurrenzproblems bietet G. Rodis-Lewis. Sie sieht den Widerspruch des aristotelischen und des stoischen Ideals; aber sie meint, er sei durch den technischen Fortschritt in der Erweiterung der Grenzen der eigenen Macht zu lösen. Der Mensch beschränkt sich auf die Grenzen, die seiner Generation jeweils gesteckt sind, nicht der nächsten (Rodis-Lewis 1998, 25). „Ces perspectives proprement cartésiennes limitent l´accent stoicien de la troisième maxime.“(Rodis-Lewis 1998, 26) Am Ende wird der Mensch vielleicht seine Grenzen bis dahin ausgedehnt haben, daß er sich alle Güter der Seele, des Leibes und des Glücks mit Sicherheit verschaffen kann, weil er Besitzer und Eigentümer der äußeren Natur ist. Die Natur des Menschen im allgemeinen wird also im Sinne dessen verstanden, was der Mensch am Ende seines Fortschritts über Generationen hinweg an Fähigkeiten erreichen kann. Der Mensch im besonderen ist der Mensch der jeweiligen Gegenwart, der bestimmte Grenzen noch nicht überschritten hat. Die Rede von Grenzen ist hier recht metaphorisch, so daß sie schwer zu analysieren ist. Sie führt zu einem Widerspruch in Rodis-Lewis´

Idee, wenn sie beinhaltet, daß der Fortschritt dadurch erzielt wird, daß die Grenzen zu dem hin überschritten werden, was noch nicht in der Macht des Menschen liegt. Damit überschreitet der gegenwärtige Mensch die Grenzen, die ihm jeweils gesteckt sind, und verletzt so das stoische Ideal. Prinzipiell wäre es vielleicht denkbar, daß der Mensch innerhalb seines Machtbereichs seine Gedanken reformiert, bis sich dieser Machtbereich erweitert. Rodis-Lewis´ Interpretation ist jedoch auch philologisch unhaltbar, weil Descartes in den eigenen Gedanken, auf die sich die Stoiker beschränken, eine fixe Grenze dessen setzt, was vollständig in ihrer eigenen Gewalt ist. Technischer Fortschritt mag nach Descartes´ Ansicht noch so viel Macht verleihen, vollständige Macht verleiht er nicht. Das bedeutet natürlich nicht, daß Descartes kein Fortschrittsideal hätte. Allein dieses kann nicht eingesetzt werden, um das Problem von stoischem und aristotelischem Ideal zu lösen.

moralischen Subjekts herauszuarbeiten, die dem cartesischen Dualismus inhärent ist. Descartes äußert sich verschiedentlich über sein eigenes Wesen: In den Meditationen läßt er den Denker, der die Meditationen vollzieht, sagen, daß er aus Leib und Seele bestehe,

„[...]daß mein Körper oder vielmehr mein ganzes Ich, insofern ich aus Körper und Geist bestehe, von den umliegenden Körpern in verschiedener Weise mit Zuträglichem und Unzuträglichem affiziert werden kann[...]“(AT VII, 81)129

Descartes stellt allerdings kurz vor der eben zitierten Stelle in der fünften Meditation, indem er zugleich auf die Verbindung mit dem Körper vorgreift, fest, daß der Denker, der die Meditationen vollzieht, wesentlich nur ein Geist ist:

„Ich weiß von meiner Existenz und schreibe gar nichts anderes meiner Natur oder meinem Wesen zu, als daß ich ein denkendes Ding sei; daraus schließe ich mit Recht, daß mein Wesen allein darin besteht, ein denkendes Ding zu sein. Zwar habe ich vielleicht (und bald werde ich sagen können: gewiß) einen Körper, mit dem ich aufs innigste verbunden bin. Denn einerseits habe ich doch eine klare und deutliche Vorstellung meiner selbst, sofern ich lediglich denkendes, nicht ausgedehntes Ding bin; andererseits habe ich eine deutliche Vorstellung vom Körper, sofern er lediglich ausgedehntes, nicht denkendes Ding ist. Somit ist sicher, daß ich wirklich vom Körper verschieden bin und ohne ihn existieren kann.“(AT VII, 78)130

Die umstrittenen Begründungen, die Descartes an verschiedenen Stellen dafür gibt, daß Geist und Körper getrennte Wesen bilden, sollen nicht diskutiert werden (vgl. Schiffer 1976). Obgleich mein Geist mit einem Körper aufs innigste verbunden ist, bin ich wirklich vom Körper verschieden, wesentlich nur ein denkendes Ding. Schon im Discours hebt Descartes hervor, daß das, was mich zu mir macht, die Identität mit einem denkenden Ding ist,

„[...]Es ist demnach dieses Ich, d.h. die Seele, durch die ich bin, was ich bin, von meinem Körper gänzlich verschieden (distinct) und selbst leichter zu erkennen, als er, und wenn es gleich keinen Körper gäbe, so würde sie trotzdem genau das bleiben, was sie ist.“(I.I, 28, AT VI, 33)131

Descartes spricht hier ausdrücklich von dem, was ihn zu dem macht, was er ist. Er denkt hier offenbar nicht in erster Linie an die Bedingungen dafür, daß ein Denker sich auf sich beziehen kann, also die Bedingungen des Gebrauchs von „ich“, sondern er antwortet auf die metaphysische Grundfrage: Was bin ich? Diese wiederholten Äußerungen zeigen, daß die Identifikation seiner selbst mit dem denkenden Ding das eigene Wesen festlegt.132

In der Forschung wurde auf diese Zweiheit von Ich-Begriffen verschieden reagiert. Röd schlägt vor, Kontexte festzulegen, in denen die beiden Begriffe angebracht sind:

„Nur innerhalb der Metaphysik bezeichnet `Ich´ ausschließlich das Subjekt der Erkenntnistheorie, dem der Körper als bloße `Gliedermaschine´, somit als Teil der Außenwelt gegenübersteht, während dieser Ausdruck im Leben die konkrete Person meint, zu der die Körperlichkeit wesentlich gehört.“(Röd 1982, 144)

129 „[...] meum corpus, sive potius me totum, quatenus ex corpore & mente sum compositus, variis commodis &

incommodis a circumjacentibus corporibus affici posse.“

130 „[...]ac proinde, ex hoc ipso quòd sciam me existere, quòdque interim nihil plane aliud ad naturam sive essentiam meam pertinere animadvertam, praeter hoc solum quòd sim res cogitans, recte concludo, meam essentiam in hoc uno consistere, quòd sim res cogitans. Et quamvis fortasse (vel potiùs, ut postmodum dicam, pro certo) habeam corpus, quod mihi valde arcte conjunctum est, quia tamen ex unâ parte claram & distinctam habeo ideam meî ipsius, quatenus sum tantùm res cogitans, non extensa, & ex aliâ parte distinctam ideam corporis, quatenus est tantùm res extensa, non cogitans, certum est me a corpore meo revera esse distinctum, &

absque illo posse existere.“

131 „En sorte que ce Moy, c´est a dire, l´Ame, par laquelle ie suis ce que ie suis, est entierement distincte du cors,

& mesme qu´elle est plus aisée a connoistre que luy, & qu´encore qu´il ne fust point, elle ne lairroit pas d´estre tout ce qu´elle est.“

132 Die gleiche Überzeugung setzt Williams´ Äußerung voraus: „Ich bin sozusagen in meinem Körper, aber nicht an irgendeinem Platz in ihm.“(Williams 1981, 235)

Röd läßt damit jedoch offen, wie Metaphysik und Leben zueinander stehen. Ist erstere für das Leben irrelevant? Er könnte eine Humesche These zum Verhältnis von Philosophie und Praxis vertreten, wonach ich in der Metaphysik zwar herausfinden mag, was ich eigentlich bin (ein denkendes Ding).

Aber immer dann, wenn es darum geht, ein bestimmtes Handeln zu wählen, verfahre ich so, wie ich verführe, wenn ich eine Einheit von Geist und Körper wäre; so ist es opportuner, zu reden, als sei ich eine solche Einheit. Aber diese These ist mit der Bedeutung unvereinbar, die Descartes metaphysischen Einsichten für die Praxis gibt. Röd könnte die Beschränkung des Ausdrucks „ich“ auf den Denker erkenntnistheoretisch motivieren, denn die cartesische Metaphysik ist ja großenteils Erkenntnistheorie. Solange die Zuordnung des Geistes zum Körper bezweifelbar ist, bezieht sich dieser Ausdruck heuristisch auf den Geist. Descartes´ Festlegung, er sei ein Geist, wäre dann nur in dem Kontext zu erwarten, in dem er an der Existenz des Körpers zweifelt. Aber die zitierten Aussagen zeigen, daß er die Identifikation seiner mit dem Geist nicht erkenntnistheoretisch beschränkt.

D. Perler neigt wohl ebenfalls einer solchen Lesart zu:

„Wir müssen uns nämlich stets vor Augen haben, daß Descartes die Aussage `Was bin ich nun also. Ein denkendes Ding´ ganz zu Beginn der Meditationes macht, nämlich zu dem Zeitpunkt, wo er nach einer unbezweifelbaren Wissensgrundlage sucht. Die Antwort `Ein denkendes Ding´ [...] stellt keine endgültige Antwort dar. Die letzte Antwort wird erst in der Sechsten Meditation gegeben, wo Descartes sagt, er sei nicht nur ein denkendes Ding, sondern ein `mit dem Körper vermischtes´ Ding.“(Perler 2002, 160)

Die Identifikation mit dem denkenden Ding beantwortet für Perler die Frage: Was kann mir an einer bestimmten Stelle der Argumentation unbezweifelbar zugeschrieben werden? Ich bin unbezweifelbar ein denkendes Ding, und vielleicht noch etwas anderes, was aber im Moment bezweifelt werden kann.

Aber Descartes sagt nicht nur, ich bin, solange ich an anderen Zuschreibungen zweifle, ein denkendes Ding, sondern, mein Wesen besteht allein darin, ein denkendes Ding zu sein.

Perler kritisiert allein mit obigem Argument die Auffassung,

„[...] die Autonomie einer Person bestehe in der Tatsache, daß eine Person von allen äußeren –insbesondere körperlichen- Bedingungen befreit sei. [...] Eine Cartesische Person sei, in Richard Rortys Terminologie ausgedrückt, ein `gläsernes Wesen´, das sich selbst vollkommen transparent[..ist..] Descartes scheint sich selber ausschließlich mit dem Geist zu identifizieren. [...] So scheint Descartes in der Autonomie der Person die Autonomie des `reinen Geistes´ zu sehen, die dieser gegenüber der Außenwelt und dem Körper hat.“(Perler 2002, 159)

Rortys Kritik der Transparenzthese hängt nicht von Annahmen darüber ab, worin mein Wesen besteht.

Auch wenn ich eine Einheit von Geist und Körper bin, kann alles Geistige transparent sein, und intransparent, wenn ich keine bin. Was Perler unter Autonomie versteht, kommt mit dem überein, was Descartes als absolute Macht oder Herrschaft über sich beschreibt, und was wir als Autarkie beschrieben haben und noch beschreiben werden. Perler gelingt es nicht, die These zu widerlegen, der cartesische Geist sei derart autonom. Im Gegenteil, viele der bisher betrachteten Überzeugungen Descartes´ sprechen für eine solche Autonomiekonzeption. Aber andere Überlegungen wie auch das obige Zitat (AT VII, 81) zeigen, daß Perler insoweit Recht hat, als ich zwar vielleicht wirklich autark gegenüber äußeren Bedingungen bin, aber diese aufgrund der Einheit des Geistes mit dem Körper doch irgendeine noch zu spezifizierende Rolle für die moralische Person spielen.

Eine andere Konsequenz zieht Kemmerling. Er sieht nur die Identifizierung des „ich“ der Meditationen mit einer geistigen Substanz als Aussage über das Wesen dieses „ich“ an: „Das Ich ist bei Descartes die (eigene) Seele, der (eigene) Geist“ (Kemmerling 1996, 102). Von dieser Identifikation, die mein Wesen festlegt, unterscheidet Kemmerling einen Gebrauch des Ausdrucks

„ich“ für ein Ganzes aus Geist und Körper. Die Feststellung „Ich bin ein Ganzes aus Körper und

Geist“, wie Descartes sie an der oben zitierten Stelle (AT VII, 81) trifft, sagt nicht unbedingt etwas über das eigene Wesen aus. Descartes sagt nur an der Stelle, an der er über den eigenen Geist spricht, ausdrücklich, daß darin das eigene Wesen bestehe. Daraus könnte die Folgerung gezogen werden, daß ich nur kontingenterweise aus Geist und Körper zusammengesetzt bin, wie ein Mensch nicht seinem Wesen nach ein Kaminkehrer ist. Kemmerling und Perler nennen den Ich-Gebrauch für die Einheit von Körper und Geist ähnlich wie Röd den personalen im Gegensatz zu einem, den Kemmerling strikt nennt (Kemmerling 1996, 116, Perler 1996, 61) Der strikte Ich-Begriff, der auf den Geist beschränkt wird, beinhaltet keine individuellen Eigenschaften der konkreten Person:

„Die strikte Idee vom Ich ist hingegen nicht die Idee eines individuellen Ichs. Zwar ist jeder Geist gerade die individuelle Substanz mit jenen ganz besonderen Gedankenvorkommnissen. Aber die den Geist, insofern er nur Geist ist, individuierenden Modifikationen können nicht von einer Idee erfaßt werden.“(Kemmerling 1996, 116) Die individuierenden Modifikationen können zumindest nicht von der strikten Ich-Idee erfaßt werden, Das muß aber nicht heißen, daß ich sie nicht klar und deutlich erfassen könnte. Außerdem stellt sich die Frage, was es heißt etwas zu individuieren. Man könnte durch das indexikalische „ich“ sich selbst eindeutig unter allen herausgreifen, ohne dass man mit Hilfe nicht-indexikalischer Prädikate sagen könnte, wie man sich unterscheidet. Aber von welchem Ding könnte man das letztere schon?

Unter einer Person kann zweierlei verstanden werden. Erstens ist eine Person das Individuum mit den vielen Eigenschaften, die es von allen anderen Individuen unterscheiden. Zweitens kann der Ausdruck

„Person“ aber einen Status bezeichnen, den alle Menschen haben, z.B. eine Rechtsperson zu sein. In diesem zweiten Sinn kann ein personaler Ich-Gebrauch durchaus maßgeblich dafür sein, welche Ziele der Mensch im allgemeinen haben sollte. So ist auch der Denker der Meditationen, wenn er von sich als einer Einheit von Geist und Körper spricht, Mitglied einer hinreichend ausgezeichneten Gruppe von Wesen, um daraus Ziele abzuleiten, die in der Natur der Mitglieder dieser Gruppe liegen.

Die Behauptung, nur die Identifikation mit dem Geist bezeichne das eigene Wesen, ist nicht ohne weiteres mit Descartes´ Beschreibung der Verbindung von Körper und Geist vereinbar. Descartes nennt sie substantiell („[...]unio illa substantialis[...]“, AT VII, 228). Er scheint durchaus geneigt, die Einheit von Körper und Geist als eine eigenständige Entität anzusehen. So weist er Regius an:

[...]Du mußt verkünden, daß Du glaubst, der Mensch sei etwas, das wahrhaft durch sich bestehe (ens per se), nicht aber akzidentell (per accidens), und der Geist mit dem Körper wirklich und in substantieller Weise vereint.“(an Regius, 1.1642, AT III, 493)133

Das Verhältnis von Ich und Mensch muß noch diskutiert werden. Descartes verbindet die Behauptung, der Mensch sei ein ens per se, und die Behauptung, es gebe eine substantielle Verbindung von Geist und Körper. Es liegt nahe, zu schließen, daß der Mensch deshalb ein ens per se ist, weil der Geist mit dem Körper in substantieller Weise vereint ist. Die substantielle Vereinigung wäre es dann, die den Menschen zu einem ens per se machte. Die eher künstliche Alternative wäre, daß Descartes sich in dem ersten Satzteil über den Menschen auf diesen als Geist beziehe, und der zweite Satzteil über die substantielle Einheit von Geist und Körper davon unabhängig sei. Die Wendung „ens per se“ ist in Descartes´ Ontologie schwer einzuordnen, denn sie scheint ein Wesen zu meinen, das eine gewisse

133 „[...]debes profiteri te credere hominem esse verum ens per se, non autem per accidens, & mentem corpori realiter & substantialiter esse vnitam.“(vgl. an Regius 12.1641, 1.1642, AT III, 460, 508) Diese Stelle stimmt anscheinend genau mit der mittelalterlichen Konzeption der Geist-Körper-Einheit überein, wie sie Perler beschreibt:

„Deshalb faßten die mittelalterlichen Philosophen die Geist-Körper-Einheit als ein ens per se auf; als eine organische Einheit, die sich durch bestimmte Dispositionen auszeichnet, und unabhängig von anderen Dingen (außer Gott) existiert“(Perler 2003, 143)

Unabhängigkeit von anderen hat. Hinsichtlich dieser Unabhängigkeit steht aber die Einheit von Geist und Körper noch schlechter da als der individuelle Körper, denn es wäre denkbar, daß nur der Geist zugrunde geht, weil Gott ihm seinen Beistand versagt, nicht aber dem Körper. Immerhin kann diese Einheit von einem bloßen Akzidens oder einem Modus unterschieden werden, die von einem anderen Wesen allein „getragen“ werden wie z.B. eine Modifikation des Geistes durch den Geist.

Vielleicht gibt es ja einen anderen Substanzsinn als den ontologischen. P. Markie unterscheidet drei cartesische Substanzbegriffe: Eine Substanz im ersten Sinn ist gekennzeichnet durch kausale bzw.

ontologische Unabhängigkeit von anderen Dingen außer Gott. Dieser Substanzenbegriff steht hier im Mittelpunkt. Eine Substanz im zweiten Sinne hat wahrnehmbare Eigenschaften. Eine Substanz im dritten Sinn hat keine Teile (AT VII, 13, Markie 1994).134 Man könnte versuchen, auf einen der letzteren Sinne zurückzugreifen. Aber auch im dritten Sinn sind substantielle Einheiten von Körper und Seele keine Substanzen. Im zweiten Sinn könnte die Einheit von Geist und Körper eine Substanz sein. Aber es besteht kein Grund, diese ein ens per se zu nennen.

Gegen die Prämisse, die substantielle Verbindung sei eine Substanz, die z.B. Hoffmann (1986, 346) zu vertreten scheint, wendet sich neben V. Chappell (1994, 409) Perler: 135

„`Einheit´ (`unio´) ist für ihn [Descartes] ein Ausdruck, der eine Relation zwischen zwei Entitäten und nicht eine Entität sui generis bezeichnet. Von einer substantiellen Einheit spricht er, weil es sich bei der Relation zwischen Körper und Geist um eine Relation zwischen zwei Substanzen (nicht etwa zwischen zwei Modi oder zwischen einer Substanz und einem Modus) handelt.“(Perler 1996, 58)

An Perlers Aussage ist zu kritisieren, daß der menschliche Körper keine Substanz ist, sondern eine Modifikation der ausgedehnten Substanz. Die substantielle Einheit von Körper und Geist ist daher genau, was Perler bestreitet, eine Verbindung zwischen einer Substanz und einem Modus –es sei denn, Perler nimmt eine von drei Möglichkeiten wahr: Er behauptet auch, 1) der menschliche Körper sei eine Substanz, was angesichts seiner Unterordnung unter eine allgemeine ausgedehnte Substanz, ohne die er nicht existieren kann, schwierig ist; 2) Descartes habe hier einen schwächeren Sinn von Substanz im Sinn als den, in dem ein Geist eine Substanz ist; dann ist nicht klar, was daraus für den Status der Einheit mit dem Geist folgt; außerdem gehört die Unterscheidung von Substanzen und Modi, die Perler gebraucht, zum ontologischen Substanzsinn; 3) Descartes spreche hier von einer Verbindung zwischen einem Geist und der gesamten Welt des Ausgedehnten. Dies wird aber dadurch ausgeschlossen, daß Descartes die Charakteristika, mit denen er die These einer besonderen substantiellen Verbindung von Geist und Körper begründet, als Relationen zwischen dem Geist und dem individuellen Körper im Unterschied zur körperlichen Gesamtsubstanz beschreibt, nicht zwischen dem Geist und der körperlichen Gesamtsubstanz. Perler selbst geht es bei der Klärung der Natur der Geist-Körper-Einheit um die Emotionen, die Geist und Körper gemeinsam haben, nicht aber der individuelle Geist und alles Ausgedehnte. Trotzdem könnte Descartes von der substantiellen Verbindung schon deshalb sprechen, weil eines der Relata eine Substanz ist. Die Rede von einer Verbindung könnte darauf abstellen, daß zwei normalerweise distinkte Dinge verknüpft sind. Insofern könnte Perler seine These aufrechterhalten, daß nicht die Verbindung selbst Substanzenstatus hat. Er schlägt vor, daß die Verbindung von Geist und Körper die rein epistemologische Funktion habe,

134 Beyssade (1996) versucht dagegen, die Einheitlichkeit des Substanzbegriffs zu verteidigen.

135 Hoffman (1986, 341) meint, Descartes eine hylemorphistische Auffassung der Seele als Form und des Körpers als Materie zuschreiben zu dürfen. Er begründet diese Auffassung mit den Schwierigkeiten, die eine Einwirkung des Körpers auf den Geist bereitet, weil sie zugleich geistig und ausgedehnt sein muß. Voss widerlegt diese Unterstellung: „On a true hylomorphic account, form is an abstraction from a substance[...] form

Emotionen als Zustände, die weder allein dem Geist, noch allein dem Körper zugeschrieben werden können, einer Instanz zuzusprechen (Perler 1996, 59f.).136 Die spätere Diskussion wird freilich zeigen, daß Emotionen doch dem Geist zuzuschreiben sind. Eine Schwierigkeit, die Perler tatsächlich zugunsten seiner Konzeption der Geist-Körper-Einheit anführen könnte, aber gerade als deren Problem sieht, besteht darin, daß der Körper auf den Geist einwirken können soll und umgekehrt.

Denn die jeweiligen Akte müssen Denken und Ausdehnung zugleich sein und dürfen es anscheinend doch nicht (Perler 2003, 57, s.u.). Solche Akte könnten der Geist-Körper-Einheit zugeschrieben werden. Es fragt sich freilich, welche Erkenntnis mit der Zuschreibung von Emotionen oder Akten an eine Instanz gewonnen wäre, wenn es keine anderen Perspektiven auf diese Instanz gibt, die eine solche Zuschreibung informativ machten. Außerdem wäre damit das Problem der zugleich und doch nicht zugleich geistigen und körperlichen Akte nicht gelöst. Perler selbst räumt ein, daß die ontologische Frage noch nicht beantwortet sei, was die Geist-Körper-Einheit ist. Später unterscheidet er die „metaphysische Frage“ „Woraus besteht ein Mensch oder eine Person?“ und die „konzeptionelle Frage“: „Wie viele grundlegende Begriffe brauchen wir, um uns als Personen zu verstehen?“(Perler 2002, 156) Da Emotionen als Modi einem Ding zugeschrieben werden müssen, aber weder dem Körper, noch dem Geist zugeschrieben werden können, muß der Begriff der Einheit beider eingeführt werden, der sie zugeschrieben werden können. Aber um die Unterscheidung der beiden Fragen treffen zu können, müßte Perler beantworten, welchen Stellenwert der konzeptionelle Zug hat, daß wir etwas so beschreiben, als bestünde es aus drei Instanzen, während es doch aus zweien besteht. Ein solcher konzeptioneller Zug scheint eine gewisse Relativität wissenschaftlicher Aussagen überhaupt zu den jeweiligen Beschreibungsschemata zu erfordern, also auch der Antworten auf die metaphysische Frage. Eine solche Relativität schließt Descartes aber aus. Der Gebrauch des Begriffs einer Geist-Körper-Einheit erschöpft sich auch nicht in der Zuschreibung bestimmter Zustände. Doch Perler weist auf einen wichtigen Punkt hin. Descartes meint, daß der Mensch die substantielle Verbindung nicht ganz verstehen kann (Kemmerling 1996, 122).137 Es scheint daher, daß er den Begriff der Substantialität als Behelf gebraucht, ohne daß er beanspruchte, seiner begrifflichen Verlegenheit wirklich abzuhelfen. Descartes gebrauchte diesen Begriff also, um die unbezweifelbare Einsicht auszudrücken, daß Geist und Körper in besonderer Weise zusammengebunden sind.

Vielleicht läßt sich eine Beschreibung der Beziehung von Geist und Körper finden, die ohne Rekurs auf den Substanzbegriff erklärt, welche unbezweifelbaren Erkenntnisse hinter dem Ausdruck der substantiellen Verbindung stehen: Der Geist kann auf das Ausgedehnte einwirken, indem er auf den eigenen Körper einwirkt, aber nur auf diese Weise. Umgekehrt kann auch das Ausgedehnte nur durch den Körper auf den Geist einwirken. Der Körper beeinflußt den Geist durch Leidenschaften, der Geist lenkt körperliche Funktionen. Der Körper wird anders wahrgenommen als andere Körper, die mittels seiner wahrgenommen werden. Die Weise, wie der Geist den Körper wahrnimmt, unterscheidet sich von der, in der der Schiffer sein Schiff wahrnimmt. Zur ersten gehören immer emotionale Zustände wie Schmerz, Durst, Hunger, zur zweiten nicht (AT VII, 81). Schmerz, Durst etc. motivieren direkt von Natur aus, zu handeln, die Wahrnehmung des Schiffs nicht von Natur aus. Für den Körper gilt:

is not itself a substance.“(Voss 1994, 283) Da der Geist aber eindeutig eine Substanz ist, kann er keine Form des Körpers sein.

136 Er beruft sich auf die Unterscheidung Geist, Körper, Einheit beider (an Elisabeth, 21. Mai 1643 AT III, 665) Descartes unterscheidet diese Grundbegriffe aber nicht in ihrem Status.

137 An Kemmerlings Bezugsstelle (an Elisabeth, 28.6.1643, AT III, 693) sagt Descartes nur, daß wir nicht die Einheit und die Unterscheidung von Geist und Körper gleichzeitig klar und deutlich begreifen.

„[...]von ihm konnte ich mich nicht trennen wie von allem anderen; in ihm und für ihn fühlte ich alle Triebe und Gemütsbewegungen; den Schmerz und den Kitzel der Lust empfand ich in Teilen des Körpers, nicht in °etwas außerhalb seiner Liegenden°.“(AT VII, 76, Zeichen „°“ vom Übersetzer)138

Bestimmte Empfindungen werden also als im Körper befindlich wahrgenommen. Das bedeutet wohl weniger, daß Wahrnehmungserlebnisse räumliche Eigenschaften haben, als daß sie etwas Körperliches repräsentieren und mit der natürlichen Meinung einhergehen, sie entstünden auf bestimmten körperlichen Wahrnehmungswegen.139 Wir erhalten privilegierte Informationen über den Körper, und wir nehmen gefühlsmäßig an ihm unweigerlich teil, das bedeutet, wir erhalten eine Fülle von verhaltensmotivierenden Repräsentationen den eigenen Körper betreffend, die wir betreffend andere Körper nicht erhalten.140 Diese Verbindungen von Geist und Körper sind nicht zufällig, sondern sie haben einen Zweck. Der Körper unterstützt den Geist in seinen genuinen Tätigkeiten und umgekehrt.

Der Geist sorgt für die Erhaltung des Körpers. All diese Aspekte faßt Descartes in seiner Aussage zusammen, daß Gott Körper und Geist füreinander bestimmt habe (AT VII, 222). Der Geist ist trotz seiner Eigenständigkeit von Natur aus darauf angelegt, mit dem Körper zusammenzuwirken, eine Funktion innerhalb eines Ganzen aus Geist und Körper wahrzunehmen, um Ziele zu erreichen, die nicht aus dem Wesen des Geistes hervorgehen, sondern daraus, daß er mit dem Körper ein Ganzes bildet. Wenn aber auch der Geist für die Verbindung mit dem Körper bestimmt ist, dann erfordert, selbst wenn Descartes´ Metaphysik nicht zuläßt, daß er der Einheit von Körper und Geist den Status einer Substanz zuspricht, seine Rede von einer substantiellen Einheit offenbar doch, daß die Verbindung mit dem Körper berücksichtigt wird, wenn es darum geht, den Zusammenhang zwischen dem höchsten Gut und der Natur des Menschen herzustellen, und zwar vermutlich so, als bildeten Körper und Geist zusammen ein Wesen.141 Zugleich muß immer beachtet werden, daß nur bestimmte Teilaspekte der substantiellen Verbindung wie die eben genannten sicher erkennbar sind.

Wenn nicht angenommen wird, Descartes treffe nur, wenn er sich mit seinem Geist identifiziert, eine Aussage über sein Wesen, wenn er von sich als einem Ganzen von Körper und Geist redet, dagegen irgendeine andere Art von Aussage, die damit vollständig vereinbar ist, dann scheint Descartes eine Äquivokation zu begehen. Er identifiziert das eigene Wesen mit seinem Geist. Er trifft aber auch eine Aussage, die so etwas wie eine Aussage über das eigene Wesen ist, daß er eine Verbindung eines Geistes mit einem Körper ist. Beides scheint nicht vereinbar. Descartes´ mehrdeutige Benutzung des Ausdrucks „ich“ läßt sich indes vielleicht einem Typ von Äquivokationen zuordnen, den Descartes für erlaubt hält. Er führt in den Passions aus, daß die Benennung eines Ganzen jeweils nach dem edleren Teil erfolgen könne (§ 19).142 So nennten wir das Wollen ein Tun, weil Tun besser sei als Leiden, obgleich das Wollen auch ein Nicht-Tun, ein Leiden beinhalte, nämlich in der Wahrnehmung des Wollens, so daß nur ein Teil des Wollens als Tun zu klassifizieren sei. Es ist also erlaubt und motiviert, ein Ganzes mit dem Prädikat seines edleren Teils zu versehen, obgleich dem Ganzen dieses

138 „[...]neque enim ab illo poteram unquam sejungi, ut a reliquis; omnes appetitus & affectus in illo & pro illo sentiebam; ac denique dolorem & titillationem voluptatis in ejus partibus, non autem in aliis extra illud positis, advertebam.“

139 Vgl. unten die Auseinandersetzung mit Perlers These, diese Empfindungen seien Geist-Körper-Qualia, so daß wir eine Empfindung „im Körper“ hätten, und mit der resultierenden Sicht dieses Beispiels.

140 Descartes scheint hier anzudeuten, daß wir Emotionen immer als eine Körperwahrnehmung interpretieren.

Dies scheint der Darstellung der Passions zu widersprechen (s.u.).

141 L. Shapiro kommt zu demselben Ergebnis, daß die Geist-Körper-Einheit ein moralisches Ganzes ausmacht:

„[...]the union of mind and body has a life of its own, and so is an independent entity in this moral sense.“(Shapiro 2003, 67) Dieses Ergebnis wird allerdings durch eine falsche Theorie der Leidenschaften herbeigeführt, wie gezeigt werden wird.

142 „[...]la denomination se fait tousjours par ce qui est le plus noble[...]“