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Teil 1: Lernzentren in wissenschaftlichen Bibliotheken

1.4 Veränderte Rahmenbedingungen und ihre Auswirkungen

Nachfolgend werden Entwicklungen dargestellt, die in den letzten Jahren nicht nur starken Einfluss auf das Lernverhalten der Studierenden, sondern auch auf ihre Ein-stellung gegenüber der Hochschule und deren Einrichtungen wie die Universitäts-bibliothek.

1.4.1 Informationstechnik

Dazu zählt die zunehmende Bedeutung von Informations- und Kommunikations-technologie. Ihr rasanter Fortschritt und zunehmender Einfluss auf den Lehrbetrieb der Hochschulen bedingen Veränderungen der bereitgestellten Technik für die Studierenden. Computer sind heute ein unverzichtbarer Bestandteil der Hochschulen und des Studienalltags und lassen Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentationen, Datenbanken und spezielle Anwendungen wie CAD5 überhaupt erst zu. Ein Teil des Lehrbetriebs verläuft heute schon im Internet, sei es durch die Bereit-stellung von Vorlesungsmaterial, Audio- oder Videomitschnitten der Lehrver-anstaltungen, Kommunikation mit den Dozenten, virtuelle Zusammenarbeit mit Kommilitonen oder die Integration von E-Learning: Ohne Computer und das Internet ist die Absolvierung eines Hochschulstudiums heute schwierig. Gleiches gilt für die Hochschulbibliotheken, aus denen elektronische Bibliothekskataloge, elektronische Semesterapparate, E-Books und E-Journals nicht mehr wegzudenken sind. Analog veränderten sich Umgang und Weiterverarbeitung von Informationen: sie können heute am Computer recherchiert, abgerufen, evaluiert, weiterverarbeitet und

4 Stangl, Werner: Lernmotive und Lernmotivation. URL: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/MOTIVATION/Lernmotivation.shtml (letzter Zugriff: 30.04.2009)

5 Computer Aided Design, auch rechnerunterstützte Konstruktion.

1 Grundlagen des studentischen Lernverhaltens 16 öffentlicht werden. Die wissenschaftliche Arbeit kann ohne Medienbruch und an einem Ort entstehen. Aus einer Vielzahl von Medien- und Informationsangeboten können die Studierenden heutzutage ihre Lernaktivitäten selbst gesteuert und individuell planen. Sie besitzen heute mobile Geräte wie Laptops, PDAs6 und Mobil-telefone, die sie nicht nur zur Unterhaltung, sondern selbstverständlich auch zur Informationssuche und -verarbeitung verwenden. Von den Hochschulen und Biblio-theken wird erwartet, dass die Nutzung dieser Geräte berücksichtigt und gefördert wird.

Weitere technische Neuerungen wie das WLAN flexibilisieren Arbeitsorte und -zeiten und bedeuten einen Durchbruch für die Studierenden. Mit Beamern oder großen Plasmabildschirmen können Gruppenarbeiten entstehen, bei denen mehrere Personen an einem Dokument arbeiten, Videokonferenzen mit Teilnehmern aus der ganzen Welt durchgeführt werden oder Präsentationen eingeübt und gehalten werden. Durch die Anschaffung und Bereitstellung technischer Geräte wie Video-kameras, Webcams oder Smartboards können ganz neue Projekte und Medien-produktionen entstehen.

Viele Lernprozesse laufen heutzutage IT- und internetbasiert ab, was den Studierenden wiederum ermöglicht, räumlich und zeitlich flexibel zu arbeiten. Hoch-schulen sollten auf diese Entwicklungen reagieren und für eine entsprechende technische Infrastruktur sorgen.

Die schnelle Entwicklung und große Bedeutung der Informationstechnik bedingte in den meisten Bibliotheken eine Trennung von gedruckten und digitalen Ressourcen („print/digital divide in the study space“7). Da die Bibliotheken architektonisch in der Regel nicht darauf ausgerichtet waren, entstanden PC-Arbeitsplätze oft in PC-Pools räumlich getrennt von den übrigen Bibliotheksarbeitsplätzen. Die meisten PC-Pools an Hochschulen wurden außerdem von den Rechenzentren fernab der Bibliotheken eingerichtet. Diese Trennung bewirkt, dass in den Bibliotheken hauptsächlich recherchiert und gelesen wird sowie Informationen exzerpiert werden. Die Weiterver-arbeitung, das Schreiben, Ändern und Veröffentlichen von Texten findet dann in räumlich entfernten PC-Pools statt.

Die Architektur bzw. Einrichtung der Bibliotheken entspricht also oft nicht mehr den heutigen Nutzungsformen der Gebäude und erschwert diese sogar. Die Realität heute sieht so aus, dass die Studierenden die gedruckten Bibliotheksmedien ebenso nutzen wie elektronische Quellen und PC-Arbeitsplätze – und zwar gleichzeitig. Die Trennung elektronischer und gedruckter Medien ist also unzweckmäßig und steht den

6 Personal Digital Assistant; ein sehr kleiner Computer, der hauptsächlich zur Termin- und Adressverwaltung eingesetzt wird.

7 Lewis, Martin: The Information Commons. Learning as architecture. Präsentation.

29.08.2008. URL: http://www.tilburguniversity.nl/services/lis/ticer/08carte/publicat/lewis.ppt (letzter Zugriff: 02.07.2009), S 19f

1 Grundlagen des studentischen Lernverhaltens 17 studentischen Bedürfnissen entgegen. Eine solche Bibliothek ist kein „ganzheitlicher“

Ort des Lernens, sondern nur eine erste Station im Lernprozess.

1.4.2 Veränderte Studienstrukturen

Weitreichende Veränderungen brachte auch der Bologna-Prozess mit sich, in dessen Rahmen bis zum Jahr 2010 alle Studiengänge auf Bachelor-/Masterabschlüsse um-gestellt werden müssen. Die neuen Studiengänge sind zeitlich gestrafft und stärker verschult, sodass sie den Studierenden weniger Freiräume erlauben als bislang.

Auch die Zahl der benoteten Prüfungsleistungen von Beginn des Studiums an nimmt zu. Das bedeutet, dass sich die Studierenden öfter und länger an der Hochschule aufhalten und durch die gestiegene Anzahl an Prüfungen mehr lernen müssen.

Projekt- und Gruppenarbeiten, eine gemeinsame Problemlösung und die Präsentation von Projektergebnissen werden ausgebaut und nehmen einen wesent-lichen Raum des Studiums ein. Entsprechend wird auch der Erwerb von Schlüssel-kompetenzen aufgewertet, ganz besonders von Informations- und Medienkompetenz, aber auch von Teamfähigkeit, Problemlösungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit und Präsentationstechniken.

Diese Veränderungen der Studienstruktur und -inhalte führen dazu, dass sich auch das Lernverhalten der Studierenden stark wandelt. Die Beschleunigung des Studiums kann dazu führen, dass die Studierenden auch von den Hochschulbibliotheken eine schnellere Arbeitsweise erwarten und diese ihre Arbeitsprozesse effizienter gestalten oder den Personaleinsatz verstärken müssen. Im Bereich der Informations- und Medienkompetenz müssen sich Bibliotheken noch mehr als bislang engagieren und zu einer Teaching Library entwickeln, die über ein an die Lehre gebundenes Kurs- und Schulungsangebot verfügt.

Durch die stärkere Verschulung und längere Präsenzzeiten der Studierenden an der Hochschule nimmt diese als Aufenthaltsort und sozialer Treffpunkt an Bedeutung zu, ebenso werden sie und ihre Einrichtungen als Lernort stärker beansprucht: Neue Formen des Lernens müssen berücksichtigt und gefördert werden. Die Studierenden suchen Orte, an denen sie gemeinsam in Gruppen diskutieren und arbeiten können.

Ob sie die Bibliothek dabei verlassen und andernorts fündig werden oder sie als Arbeitsort aussuchen, hängt von ihrer Attraktivität als Lernort ab. Auch werden neue Arbeitsmaterialien und technische Ausstattung benötigt, die kreative Zusammenarbeit vor Ort, aber auch virtuell von verschiedenen Plätzen aus unterstützen. Eine ver-stärkte Nutzung der Bibliothek kann wiederum dazu führen, dass bestimmte Be-stände stärker nachgefragt werden und beispielsweise Lehrbuchsammlungen aus-gebaut oder als E-Books lizenziert werden müssen.

1.4.3 Studiengebühren

Im Wintersemester 2006/2007 wurden in mehreren Bundesländern Studiengebühren für das grundständige Studium eingeführt. Die Studierenden müssen Gebühren in

2 Theorie der Lernzentren 18 Höhe von bis zu 500€ pro Semester für ihr Studium bezahlen. Diese werden erhoben, um die Studienbedingungen für die Studierenden zu verbessern. Eingesetzt werden die Gebühren beispielweise für Personal (wissenschaftliche Mitarbeiter oder Hilfs-kräfte, Tutoren, Lehrbeauftragte), die technische Ausstattung und die Bibliothek.

Dies hat zur Folge, dass die Studierenden sich zunehmend als Kunden der Hoch-schule und deren Einrichtungen sehen und eine höhere Erwartungshaltung gegen-über den Leistungen, die ihnen erbracht werden, an den Tag legen. Als zahlende Kunden sind ihre Ansprüche auch an die Angebote und Dienstleistungen der Hoch-schulbibliotheken gestiegen, die von den Studiengebühren in nicht geringem Maße profitieren. Die Bibliotheken sehen sich zunehmend in der Pflicht, ihre Einrichtungen für die studentische Nutzung zu verbessern. Vielfach umgesetzte Maßnahmen sind verlängerte Öffnungszeiten, verbesserte Dienstleistungen, Bestandsaufbau, Bereit-stellung von E-Books und E-Journals, aber auch die Verbesserung der Lern-umgebung in der Bibliothek.

2 Theorie der Lernzentren

Im folgenden Kapitel soll dargestellt werden, wie ein Lernzentrum definiert wird.

Aufbauend auf die Begriffsklärung wird ein Überblick über verschiedene Typen und Betriebsformen von Lernzentren gegeben. Die provokante Frage lautet: Was unter-scheidet den Lesesaal einer Bibliothek oder eine Ansammlung von Computerarbeits-plätzen von einem Lernzentrum? Zu diesem Zweck werden Ziele, Aufgaben und Merkmale von Lernzentren geklärt. Der Fokus liegt dabei auf wissenschaftlichen Bibliotheken, jedoch wird zur Differenzierung auch auf Lernzentren in öffentlichen Bibliotheken und privatwirtschaftlichen Unternehmen eingegangen.