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Teil 1: Lernzentren in wissenschaftlichen Bibliotheken

3 Geschichte und Entwicklung

3.3 Entwicklung in Deutschland

Auch in Deutschland gibt es eine Entwicklung hin zur Verbesserung der Lernorte innerhalb der Hochschulbibliotheken. Diese steht jedoch noch am Anfang und ist längst nicht so weit entwickelt wie in Großbritannien; außerdem hat sie andere Hintergründe. In Deutschland gab es keinen konkreten Anlass, der eine grund-legende Veränderung erforderte, wie er im Vereinigten Königreich einerseits durch die Ernennung der Polytechnics zu Universitäten und andererseits den Follett-Report vorlag. Vielmehr spielen hier verschiedene Gründe zusammen, die einige Hochschul-bibliotheken zu einer Umgestaltung motivieren.

Grundsätzlich stellt sich schon seit einiger Zeit die Frage nach der Zukunft der Hoch-schulbibliotheken, die sich angesichts der stark zunehmenden Bedeutung von elektronischen Medien und Dienstleistungen und gleichzeitig sinkenden Besucher-zahlen immer häufiger gegen Forderungen nach finanziellen Kürzungen – oder gar ihrer Abschaffung – behaupten müssen. Angesichts dieser Entwicklung müssen sich Hochschulbibliotheken neu positionieren und neue Schwerpunkte ihrer Arbeit finden.

Wie in Kapitel 1.4 beschrieben, gab es in den letzten Jahren Veränderungen, die Auswirkungen auf das Lern- und Arbeitsverhalten der Studierenden hatten, bei-spielsweise der Bologna-Prozess, Studiengebühren und die Informationstechnik.

Darauf mussten die Hochschulbibliotheken reagieren und ihrerseits ihr Angebot an-passen. Die Folgen der Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse wie beispielweise eine zunehmende Bedeutung der Hochschule als Aufenthaltsort, Projektarbeit, Teamarbeit oder Halten von Präsentationen erfordern eine größere Anzahl von Gruppen-, aber auch Einzelarbeitsplätzen. Aber auch qualitativ müssen diese verändert werden, beispielweise durch eine bessere technische Ausstattung, Lernmaterialien, qualifizierter Beratung und die Möglichkeit zur Gruppenarbeit. Ein weiteres Motiv für die Verbesserung des Lernorts kann der Wunsch nach einer grundsätzlichen Modernisierung der Arbeitsplätze sein, die nicht mehr den heutigen Standards an Qualität, Ergonomie und technischer Ausstattung entsprechen.

Als Vorbilder für deutsche Lernorte in Bibliotheken dienen die britischen Learning (Resource) Centres, aber auch die in den USA und Australien verbreiteten Information Commons. Sie sind in Deutschland gut bekannt durch zahlreiche

Ver-3 Geschichte und Entwicklung 40 öffentlichungen und Vorträge auf Fortbildungsveranstaltungen sowie gelegentlich stattfindende Exkursionen. Einzelne Hochschulbibliotheken haben bereits Lern-zentren umgesetzt bzw. befinden sich derzeit in konkreten Planungen. Wie bereits erwähnt, stehen deutschen Hochschulbibliotheken jedoch nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung, wie dies in Großbritannien der Fall war, sodass in Deutschland noch keine Einrichtung existiert, die das „Gesamtkonzept“ Learning Centre vollständig um-gesetzt hat. Nachfolgend sollen einige Entwicklungen Richtung Lernzentrum vor-gestellt werden.

Eine Integration verschiedener Hochschuleinrichtungen wurde beispielsweise an der Universität Ulm vorgenommen, das sich selbst als „bundesweiten Vorreiter für diese Entwicklung […] als neuartiges Organisationsmodell“45 bezeichnet. Das „kiz“

(Kommunikations- und Informationszentrum) vereint seit 2002 die Universitätsbiblio-thek, das Rechenzentrum und die Zentrale für Photographie, Grafik und Reproduktion unter einem Dach. Heute werden die Leistungen in die Servicebereiche Bibliothek, Informationstechnik und Medien aufgeteilt. Ein zentraler Helpdesk dient als 1st-Level- Support für die Nutzer aller vom kiz angebotenen Dienste und ist telefonisch oder per E-Mail erreichbar.

Ein weiteres Konzept ist das „Learning Resources Center“, das seit 2005 in Göttingen an der Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) existiert. Ko-operationspartner ist die „Gesellschaft für Wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen“. Das eher kleine Learning Resources Center ist eine eigene, räumlich ge-trennte Abteilung im Gebäude der Universitätsbibliothek, die personell und organisatorisch von beiden Organisationen betrieben wird. Es befindet sich im Neu-bau der Bibliothek und bietet neben Arbeitsplätzen eine breite technische Aus-stattung, zu der WLAN, 40 PC-Arbeitsplätze, diverse Scan- und Druckmöglichkeiten, ein Videokonferenzraum, ein Videoschnittplatz sowie ein großes Softwareangebot gehören. Durch die Lage innerhalb der Bibliothek wird eine Nutzung der Bibliotheks-medien in Kombination mit der IT-Ausstattung des Learning Resources Center er-möglicht. Ziel ist die Schaffung eines lebendigen Lern- und Forschungsortes für die Studierenden, Lehrenden und Forscher, an dem Informationen an einem Ort zu wissenschaftlicher Arbeit verwertet werden können. Auch das Angebot von Lern-managementsystemen (LMS) und E-Learning spielt eine große Rolle.

45 Universität Ulm: Das Kommunikations- und Informationszentrum der Universität Ulm. URL:

http://www.uni-ulm.de/fileadmin/website_uni_ulm/kiz/org/kiz.imagebro.200709.pdf (letzter Zugriff: 11.06.2009)

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Abbildung 9: Arbeitsplätze im Learning Resources Center Göttingen Quelle:

http://www.sub.uni-goettingen.de/bilder/pressematerial/gross/SUB_Goettingen_Neubau_LRC.jpg Foto: Tobias Möller-Walsdorf

Das Learning Resources Center ist an die recht langen Öffnungszeiten der Bibliothek gebunden. Eine Beratung durch die angelernten studentischen Mitarbeiter46 findet zu eingeschränkten Zeiten statt. Die Beratung durch das LRC versteht sich als 1st-Level-Support, also als eine erste Anlaufstelle bei Fragen zur Nutzung der IT-Services.47 Anfragen, die darüber hinaus gehen, werden an die Bibliothek oder das Rechenzentrum weitergeleitet. Eine ständige Verfügbarkeit der Einrichtung, seiner Angebote und des qualifizierten Personals für Beratungen und Auskünfte inhaltlicher Art wird damit nicht gewährleistet. Somit erinnert es eher an ein Multimediazentrum als an ein Learning Resource Centre nach britischem Vorbild. Trotz allem ist das Learning Resources Center ein interessanter und technisch sehr gut ausgestatteter Arbeitsort.

Mit der Einrichtung „IBIT“ (Informations-, Bibliotheks- und IT-Dienste) besitzt auch die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg eine integrierte Organisationsform von Bibliothek, Rechenzentrum und Medienzentrum. Im Jahr 2006 durch einen von der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) ausgeschriebenen Wettbewerb

46 Vgl. E-Mail von Ralf Köster, Abteilung Digitale Bibliothek / Gruppenleiter eLearning, Nieder-sächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, 28.07.2009

47 Vgl. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Dienstleistungskatalog des LRC. URL: http://www.sub.uni-goettingen.de/lrc/service.html.de (letzter Zugriff:

11.06.2009)

3 Geschichte und Entwicklung 42 standen, hat IBIT britische „Learning Spaces“ zum Vorbild. Neben dem neuen Organisationsmodell entstand auch – unter der Voraussetzung eines Bibliotheks-gebäudes aus den 80er Jahren, das für eine andere Nutzung konstruiert worden war – ein neuer Lernort für die Studierenden. Das Beratungs- und Dienstleistungsangebot ist integriert und wird gleichermaßen von Bibliothekaren und IT-Fachleuten erbracht.

Das IKMZ (Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum) der Branden-burgischen Technischen Universität Cottbus ist ein sehr bekanntes und viel be-schriebenes Beispiel für eine integrierte Einrichtung. Im IKMZ sind Bibliothek, Rechenzentrum, Multimediazentrum und betriebliche Datenverarbeitung zusammen-geführt und übernehmen mit einem einheitlichen Konzept die gesamte Informations- und Medienversorgung der Universität. Besonders bekannt ist das IKMZ für das außergewöhnliche Gebäude, das moderne Raumkonzept und die Ausstattung. Das IKMZ bietet seinen Benutzern 597 Arbeitsplätze, darunter Einzel- und Gruppen-arbeitsplätze, Einzelarbeitskabinen (Carrels), Internetarbeitsplätze und einen Lernpool (Schulungsraum mit PCs für die Teilnehmer). Weiterhin Arbeitsplätze mit besonderer technischer Ausstattung: Publikationsarbeitsplätze, Medienarbeitsplätze, Scan-Arbeitsplätze sowie einen sehbehindertengerechten Arbeitsplatz. Die Einzel-arbeitsplätze sind als Leseecken mit Sofas und als ruhige Lesesäle für ungestörtes Lernen aufgebaut. Gemeinsam entwickelten die Einrichtungen des IKMZ ein Studierendenportal und ein Lernportal. Für dieses gibt es eine Unterstützung, darüber hinaus jedoch keine Lernberatung. Das Angebot eines zentralen Helpdesks erwies sich als nicht tragfähig. Einfache und häufig vorkommende Fragen aus allen Be-reichen werden deshalb von allen Mitarbeitern des IKMZ beantwortet, während spezielle Fragen per Ticketsystem und Serviceadressen direkt an die ent-sprechenden Fachleute gehen.48

48 Vgl. E-Mail von Dr. Andreas Degkwitz, Leiter des IKMZ der BTU Cottbus, 05.08.2009

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Abbildung 10: Sitzplätze im IKMZ Cottbus

Quelle: http://picasaweb.google.com/lh/photo/VcgTiyBmZ-9SB_TnICZxxw

Abbildung 11: Einzelarbeitsplätze im IKMZ Cottbus

Quelle: http://picasaweb.google.com/myalbums4/LibrariansTourTo GermanyJune2007#5077876988722021938

Ein kleiner Ausblick auf die sich derzeit noch im Bau befindliche Zentralbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin: Sie wird im Herbst 2009 in einem neuen Gebäude, dem Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, eröffnet. Nicht nur werden neben der alten

4 Best-Practice-Lernzentren in Bibliotheken 44