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Teil 1: Lernzentren in wissenschaftlichen Bibliotheken

4 Best-Practice-Lernzentren in Bibliotheken

4.2 Information Commons, University of Sheffield

Die University of Sheffield66 ist mit 24.000 Studierenden die kleinere Universität in Sheffield mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Forschung. Im Jahr 2007 wurde hier das Information Commons (IC) eröffnet, eines der wenigen Lernzentren einer „alten“

Universität. Überdies ist es das einzige Information Commons in Großbritannien unter vielen Learning Centres und Learning Resource Centres.

Die Idee des Information Commons entstand u.a., weil die Studierenden mit der Uni-versitätsbibliothek und den kleineren Institutsbibliotheken unzufrieden waren. Die zentrale „Western Bank Library“ stammt aus dem Jahr 1959 und entsprach den heutigen Ansprüchen von Studierenden längst nicht mehr. Besonders wurden das mangelnde Angebot von Arbeitsplätzen und die fehlenden Gruppen- und PC-Arbeitsplätze in der Bibliothek bemängelt. Dies und eine Reihe anderer Kritikpunkten ließen sich jedoch in dem bestehenden Gebäude nicht verbessern, sodass eine Partnerschaft mit dem Rechenzentrum und der Neubau einer gemeinsamen Ein-richtung beschlossen wurden.

Das Information Commons wird gemeinsam von den beiden Einrichtungen University Library und Corporate Information & Computing Services angeboten. Die

66 The University of Sheffield. URL: http://www.sheffield.ac.uk/ (letzter Zugriff: 02.08.2009)

4 Best-Practice-Lernzentren in Bibliotheken 57 heit ist, dass beide Einrichtungen weiterhin organisatorisch getrennt sind. Das Information Commons ist ein gemeinsames Projekt zweier unabhängiger Partner.

Dementsprechend ist das Information Commons eine zusätzliche Einrichtung zur Universitätsbibliothek und ihren Institutsbibliotheken, die weiterhin ohne Ein-schränkungen existieren.

Abbildung 24: Zusammenarbeit im Information Commons.

Quelle: http://www.tilburguniversity.nl/services/

lis/ticer/08carte/publicat/lewis.ppt

Mit dem Information Commons sollte das Ziel erreicht werden, einen integrierten Lernort mit Dienstleistungen der Bibliothek und des Rechenzentrums zu schaffen, der gedruckte und digitale Medien zusammenbringt und ausreichend viele Arbeitsplätze für verschiedene Lernformen anbietet.

Das IC erhielt für £23 Millionen einen spektakulären, sehr auffälligen Neubau der britischen Architekten „RMJM“, der sich gleich am Eingang des Campus befindet. Da es an einer sehr verkehrsreichen Durchfahrtsstraße liegt, wurde besonderer Wert auf eine vollständige Schallisolierung des Gebäudes gelegt, um keine Geräusche nach innen dringen zu lassen.

Abbildung 25: Information Commons Sheffield Quelle: eigenes Foto

4 Best-Practice-Lernzentren in Bibliotheken 58 Sieben Stockwerke, wovon die obersten beiden flächenmäßig kleiner und räumlich getrennt sind, und rund 8.000 qm2 Fläche umfasst das Information Commons. Die rund 100.000 gedruckten Medien setzen sich aus viel genutzten Standardwerken und Medien aus den „reading lists“ der Studierenden zusammen. Sie gehören zum Präsenzbestand oder stehen nur für eine Kurzausleihe zur Verfügung. Vor dem Hintergrund des 1,3 Millionen Medien umfassenden Bestandes der benachbarten Western Bank Library wird der recht kleine Bestand des Information Commons als Vorteil angesehen, da er mehr Raum für Arbeitsplätze ermöglicht.

Der Eingang befindet sich auf Ebene 0, dort ist auch ein Learning Café, die Informationstheke und einige „Kiosks“ für kurze Katalog- oder Internetrecherchen.

Auch im Information Commons befindet sich das offene Treppenhaus in der Mitte des Gebäudes in einem großen Lichthof.

Abbildung 26: Lichthof des Information Commons Sheffield Quelle: eigenes Foto

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Die übrigen Ebenen sind in Zonen unterteilt:

- Mixed Study - Gruppenarbeit sowie das Benutzen von PCs und Laptops sind erlaubt. Gleiches gilt für Gespräche und das Benutzen des Mobiltelefons.

- Silent Study - stille Einzelarbeit, Gespräche sind nicht erlaubt.

Die Silent-Study-Bereiche sind räumlich getrennt und vollständig schallisoliert, sodass keine Geräusche hineindringen und dort eine sehr konzentrierte Arbeitsatmosphäre herrscht. Durch Fensterflächen nach innen sind sie trotzdem an die anderen Bereiche angeschlossen und bieten außerdem einen Ausblick auf den anderen Teil des Ge-bäudes.

Insgesamt gibt es 1.300 Arbeitsplätze, davon 550 PC-Arbeitsplätze. Für Gruppen-arbeiten stehen 10 Gruppenarbeitskabinen zur Verfügung, außerdem können sich Arbeitsgruppen im Haus selbst geeignete Plätze suchen. Die Kabinen sind mit Breit-bildmonitoren, Whiteboards und großen ovalen Tischen ausgestattet. Zusätzlich gibt es den sogenannten „Flexispace“, eine Abteilung, in der alle Tische, Stühle, Trenn-wände und Whiteboards mit Rollen versehen sind, damit Gruppen sich für ihre Be-dürfnisse einrichten können. Ein Breitbildmonitor steht bereit, um Gruppenarbeiten zu präsentieren. Darüber hinaus stehen zwei Hightech-Unterrichtsräume der Lehre zur Verfügung. Die vernetzten PCs lassen sich an die 42“-Bildschirme an den Wänden anschließen, um Arbeitsergebnisse gemeinsam zu betrachten. Wenn die Räume nicht gebucht sind, sind sie für die Studierenden zum Lernen freigegeben.

Abbildung 27: "Flexispace" im Information Commons Sheffield Quelle: http://www.flickr.com/photos/12342144@N00/998399120/

Eine Auflistung der Arten von Arbeitsplätzen im Information Commons:

- “open plan individual study desk

- silent study space individual study desk - open plan group work tables

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- open plan group work pods

- informal seats (open plan and silent study) - enclosed group study rooms

- Flexispace places - classroom places - cybercafe places

- silent study space with desktop PC - silent study space with laptop provision” 67

Abbildung 28: Gruppenarbeitsraum im Information Commons Sheffield Quelle: http://www.flickr.com/photos/jiscinfonet/1826991152/in/set-72157602844855199

67 Levy, Philippa; Lewis, Martin: Bringing the Information Commons home. Präsentation.

31.10.2008. URL:

http://www.educause.edu/sites/default/files/library/presentations/E08/SESS122/LEVY%20L EWIS%20Educause%202008%20upload.ppt (letzter Zugriff: 05.07.2009), S. 38f

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Abbildung 29: Arbeitsbereich im Information Commons Sheffield Quelle: http://www.flickr.com/photos/12342144@N00/998399188

Abbildung 30: Arbeitsbereich „silent study“ im Information Commons Sheffield Quelle: http://www.flickr.com/photos/12342144@N00/998349726

4 Best-Practice-Lernzentren in Bibliotheken 62 Die Arbeitsplätze sind „durchmischt“ – in den Mixed-Study-Zonen finden sich Tische aller Formen und Größen, verschiedene Stühle und viele Sofas und Sessel, die nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Ausruhen und Erholen genutzt werden. Anders als im Adsetts Centre findet hier keine Trennung nach Nutzungsart statt, sondern alles ist bunt gemischt. Bei der Aufstellung der Tische werden gerade Reihen ver-mieden und beispielsweise Zickzacklinien bevorzugt, sodass eine informelle und lockere Atmosphäre entsteht. Ebenso wird durch den Einsatz von bunten, licht-durchlässigen Scheiben auf den Tischen vermieden, dass die Studierenden sich beim Arbeiten nicht frontal gegenübersitzen, sondern eigene, etwas abgeschiedene Arbeitsbereiche haben.

Abbildung 31: Einzelarbeitsplätze mit Sichtschutz im Information Commons Sheffield

Quelle: http://www.flickr.com/photos/12342144@N00/998349792/

Die Tische sind sehr groß und erlauben die gleichzeitige Nutzung von PC oder Laptop, Bücher, Notizen und privaten Gegenständen. Die einzelnen Arbeitsplätze im Innern des Gebäudes sind mit eigenen Leselampen ausgestattet, was auch bei größeren Tischen eine gewisse Privatsphäre für jeden Studierenden schafft und nachts Strom spart, da nicht alle Arbeitsplätze voll ausgeleuchtet werden müssen.

Steckdosen und WLAN erlauben überall im Gebäude die Nutzung eigener Laptops.

Die einzelnen Stockwerke sind alle ähnlich aufgebaut. Eine gute Orientierung ver-schafft die Farbgebung: jedes Stockwerk hat eine eigene Farbe, in der alle Stühle, Sessel, Sofas, Trennwände und Schilder gehalten sind. Anfangs wurde das Leit-system des IC über große Flachbildschirme dargestellt, dies erwies sich jedoch als wenig hilfreich für die Studierenden, sodass nachträglich Schilder angebracht werden mussten. Die Bildschirme verbreiten nun Neuigkeiten, Informationen zur Nutzung des IC und zeigen an, wie viele PC-Arbeitsplätze in den einzelnen Stockwerken noch frei

4 Best-Practice-Lernzentren in Bibliotheken 63 sind. Im Erdgeschoss befindet sich ein Learning Café, das tagsüber heiße und kalte Getränke und Mahlzeiten verkauft und die Studierenden nachts per Automat versorgt.

Zum Café gehören 70 Plätze, die stets ausgelastet sind. Da im IC nur kalte Getränke und Speisen verzehrt werden dürfen, im Café aber auch heiße, wird es gerne als Treffpunkt und Pausenort genutzt. Ein Gebetsraum bietet den Studierenden die Möglichkeit zu einer stillen Auszeit vom Lernen.

Abbildung 32: Farbgebung der Stockwerke im Information Commons Sheffield

Quelle:

http://www.flickr.com/photos/12342144@N00/998350072/

Neben dem IC können die Studierenden vor allem die University Library nutzen. Es stellte sich heraus, dass Studierende gezielt die Bibliothek für konzentrierte und stille Einzelarbeit und das Information Commons für Gruppenarbeit oder zur Ablenkung aufsuchen.68

68 Vgl. Gespräch mit Alexandra Hunt, Information Commons Manager, University of Sheffield, 12.05.2009

4 Best-Practice-Lernzentren in Bibliotheken 64 Ganz in der Nähe der Treppen sind auf den Ebenen 1-4 „Business Units“ aufgestellt, in denen zentral die (lärmverursachenden) technischen Geräte aufgestellt sind. Dazu gehören Telefone, Drucker, Scanner, Zahlautomaten und Selbstverbuchungsgeräte.

Auch die Rückgabe verläuft wegen der verwendeten RFID-Technologie vollauto-matisch mit einem Buchrückgabe- und Sortieranlage, sodass die Ausleihe rund um die Uhr aufrechterhalten werden kann.

Auch der Personalaufwand bleibt so gering: Im Erdgeschoss und auf Ebene 1 sind Informationstheken, die übrigen Mitarbeiter sind im Erdgeschoss, von der Öffentlich-keit nicht zugänglich, untergebracht. Die Mitarbeiter haben keine bibliothekarische oder IT-Ausbildung, sondern wurden von der Bibliothek bzw. dem Rechenzentrum angelernt, bevor sie ins Information Commons übernommen wurden.69 Daraus ergibt sich, dass alle Mitarbeiter unterschiedliche Kenntnisse und Erfahrungen haben. Es fanden zwar Schulungen im jeweils anderen Fachgebiet statt, die Mitarbeiter sind weiterhin jedoch weiterhin nur für ihr Fachgebiet zuständig: An den Informations-theken ist immer Personal beider Einrichtungen vor Ort. Die Zusammenarbeit von Bibliotheks- und Rechenzentrumspersonal wird als sehr positiv bewertet70. Die Mit-arbeiter berichten an den Information Commons Manager, der wiederum dem Direktor der Bibliothek und dem Direktor des Rechenzentrums untersteht. Im IC werden keine Fachreferenten eingesetzt, bei fachspezifischen Fragen werden die Studierenden deshalb an die Bibliothek und ihre Mitarbeiter verwiesen. Die Informationstheke wird tatsächlich nur als „Erste Hilfe“ verstanden.

Das IC ist rund um die Uhr geöffnet, an jedem Tag im Jahr. Die beiden Informations-theken sind während des Semesters unter der Woche zwölf und am Wochenende vier Stunden am Tag besetzt. Da sich auf den Ebenen zwei bis sechs keine Informationstheke befindet, können die Studierenden in den Business Units tele-fonisch einen Mitarbeiter an den eigenen Arbeitsplatz „bestellen“, außerdem laufen ständig Mitarbeiter durch das Gebäude, um Fragen zu beantworten. Am Eingang ist ein Wachdienst, der 24 Stunden am Tag vor Ort ist und für Sicherheit im Gebäude sorgt. Externe Nutzer haben keinen Zutritt, dieser ist ausschließlich Angehörigen der Universität vorbehalten.

Das IC bietet über die Bibliothek neben den gedruckten Beständen auch Zugang zu Datenbanken, E-Books und E-Journals an. Das hochschuleigene Portal MUSE (My University of Sheffield Environment) gewährt auch von außerhalb Zugriff auf diese Ressourcen. Jedoch wurden diese Angebote nicht vom IC, sondern von der Biblio-thek entwickelt. E-Learning wird über die Plattform MOLE (My Online Learning En-vironment) von der Einrichtung „Learning and Teaching Services“ angeboten, die vom Information Commons und der Bibliothek unabhängig ist.

69 Vgl. E-Mail von Alexandra Hunt, Information Commons Manager, University of Sheffield, 20.07.2009

70 Vgl. Lewis 2008 (a), S. 50

4 Best-Practice-Lernzentren in Bibliotheken 65 Im ersten Jahr seit seiner Eröffnung verzeichnete das Information Commons eine Besucherzahl von 1,136 Millionen mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von etwa drei Stunden.71 Das Information Commons wird von vielen Studierenden ge-nutzt, die vor dessen Eröffnung keine Bibliotheken besucht haben. Den Preis für diesen Erfolg bezahlt allerdings die Universitätsbibliothek, sie verzeichnet einen Nutzerrückgang von 40% seit Eröffnung des Information Commons.72 Besonders häufig nutzen Bachelorstudierende in den ersten beiden Studienjahren das Information Commons. Studierende, deren Studium schon weiter fortgeschritten ist, nutzen wegen des größeren Bestandes eher die Western Bank Library oder die Institutsbibliotheken.73 Die Umschichtung der Aufgaben war beabsichtigt - der Direktor der Universitätsbibliothek Sheffield, Martin Lewis, dazu: „[…] by investing in the In-formation Commons, we take some of the load off our Western Bank Library, ena-bling us to optimise it for the research support mission.“74 Das Information Commons deckt demnach den allgemeinen Bedarf der Masse der Studierenden ab, während die Universitätsbibliothek einen spezielleren bzw. Forschungsbedarf abdeckt.

Durch die offene Konstruktion ist das Gebäude sehr anfällig für Lärm, durch schall-dämmendes Material an Decken und Wänden im ganzen Gebäude wird jedoch sehr vieles abgefangen. Dazu kommt, dass Studierende, die in einer stillen Umgebung lernen möchten, in den Silent Space ausweichen können, während sich die in Gruppen oder laut lernenden Studierenden weniger an den ständigen Hintergrund-geräuschen stören.

Bedauernswert ist, dass an der Informationstheke kein Fachpersonal zur Verfügung steht, was einen etwas unprofessionellen Eindruck vermittelt. Andererseits versteht sich das Information Commons nicht als Ersatz der Bibliothek und möchte dement-sprechend auch nicht deren Aufgaben übernehmen. Die Unterscheidung zwischen Universitätsbibliothek und Information Commons und deren Sinn zu verstehen dürfte vielen Studierenden allerdings schwerfallen. Bedauerlich ist auch, dass es wenige Dienstleistungen und Angebote des Information Commons zur Lernunterstützung und -beratung gibt.75 Das ansonsten vorbildliche Lernzentrum stellt die Voraussetzungen zur Verfügung, geht dann aber nicht den logischen nächsten Schritt der Vermittlung und Beratung, damit die Studierenden das Angebot optimal nutzen können. Hier hat das IC noch ein großes Verbesserungspotenzial.

Im Information Commons herrscht eine geschäftige und konzentrierte Atmosphäre.

Durch die offene, helle und freundliche Gestaltung fühlt man sich überall im Gebäude

71 Vgl. Lewis 2008 (a), S. 55

72 Vgl. ebenda, S. 55

73 Vgl. Joint Information Systems Committee: Planning & Designing Technology-Rich Learning Spaces. Information Commons Case Study. URL:

http://www.jiscinfonet.ac.uk/infokits/learning-space-design/more/case-studies/sheffield/index_html2 (letzter Zugriff: 05.07.2009)

74 Lewis, Martin: Redefining the library. In: Library + information update 7(2008)1-2, S. 41

75 Vgl. E-Mail von Alexandra Hunt

4 Best-Practice-Lernzentren in Bibliotheken 66 sofort wohl. Dazu tragen vor allem die bunten Farben der Einrichtung, die ver-wendeten Materialien – helles Holz und sehr viel Glas, die riesigen Fensterflächen rund um das Gebäude sowie die moderne und für Bibliotheken eher ungewöhnliche Möblierung einen großen Teil bei. Einrichtung und Ausstattung des IC scheinen außerdem bis ins Detail durchdacht, um den Bedürfnissen der Studierenden ent-gegen zu kommen und ihnen die Nutzung komfortabel zu gestalten. Das Information Commons wird so zu einem Ort, an dem man sich gerne aufhält und die Zeit verbringt – eine ideale Voraussetzung für einen Lernort, dem es dann noch gelingen muss, Lernenden die passenden Angebote zu bieten.