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Ursprünge der Volksdemokratie als ,Demokratie neuen Typs‘

Die Briefe Münzenbergs dokumentieren ein konzeptionell grundsätzlich unter-schiedliches Verständnis des Inhalts der Volksfrontpolitik seitens der beiden zen-tralen Protagonisten. Münzenbergs Konzept entsprach nicht der Kominterndefinition einer Ausdehnung des Bündnisses auf liberal-bürgerliche Kreise und Parteien, ihm war vielmehr das Zusammengehen mit den Sozialdemokraten (die „Einheitsfront“, wie er sie selbst nannte) als Lehre aus der Geschichte der internationalen Arbeiter-bewegung vorrangig. Die (breitere) Volksfront stellte in diesem Konzept ein der Ein-heitsachse nachgeordnetes Ziel im Rahmen einer globalen und wirkungsvollen anti-faschistischen Strategie unter Einbeziehung der sozialdemokratischen Arbeiter dar.

Ulbrichts Angriffe gegen Münzenberg speisten sich hingegen aus einer nach der offi-333 Adibekov, Di Biagio, Gori, Dundovic [u. a.] (Hrsg.), Politbjuro CK RKP(b)-VKP(b) i Evropa, S. 341;

Dazu auch Chlevnjuk, Stalin i Kaganovič, S. 682.

334 Adibekov, Di Biagio, Gori, Dundovic [u. a.] (Hrsg.), Politbjuro CK RKP(b)-VKP(b) i Evropa, S. 346f.

335 Broué, Histoire de l’Internationale, S. 870.

336 Entsprechend wurde es in einem in Moskau vorgelegten Memorandum von „Raymond“ (d. i.

Raymond Guyot) vom 21.12.1936 über die spanischen Fragenformuliert; RGASPI, Moskau, 495/20/270, 147–159.

ziellen Lesart zu engen und damit falschen Vorstellung der Volksfront im Rahmen des Zusammengehens mit der Sozialdemokratie gegen den Nationalsozialismus. So hatte bereits Anfang 1936 die operative Leitung des Politbüros der KPD unter Federführung Ulbrichts das Pariser Volksfrontabkommen als verfrüht und unkorrekt kritisiert, u.

a. weil das katholische Zentrum als dritte „der in Deutschland tätigen Organisatio-nen“ nicht vertreten gewesen sei.337 Münzenberg war der Auffassung, dass Ulbricht die Taktik in der Einheits- und Volksfront vollständig geändert und damit die früher erzielten Erfolge zerschlagen habe. In seinen Briefen an Stalin und Dimitrov führte er Beispiele aus der Parteipraxis dafür an, wie Ulbricht mit seinen Helfern die „theoreti-sche Arbeit der Partei auf den Hund gebracht haben, ihre politi„theoreti-sche Stoßkraft auf das schwerste geschwächt, und das Ansehen und die Autorität auf unüberbietbare Weise geschädigt haben.“ (siehe Dok. 442A).338

Doch er erkannte zu spät, dass die vom VII. Weltkongress verabschiedete Volks-frontpolitik in eine schleichende, in Spanien erprobte, volksdemokratische Entwick-lung mündete, deren Ziel weder eine demokratische, noch eine sozialistische Repu-blik nach dem Sturz Hitlers war. „Die Massen sollen wissen, in der nächsten Etappe steht nicht die Aufgabe der Errichtung der proletarischen Diktatur und unmittelbare Verwirklichung des Sozialismus [an], sondern das muss man an dem Beispiel von Spanien zeigen – andere Aufgaben – so empfahl es Dimitrov der KPD (Dok. 410). Wie das zu verstehen war, mag aus einem Referat Dimitrovs im EKKI-Sekretariat vom 18.

September 1936 hervorgehen, in dem es hieß: „Die Spanische Demokratische Repub-lik, für deren Sieg das Volk kämpft, wird nicht die alte demokratische Republik sein, sondern ein besonderer Staat mit einer wahren Volksdemokratie, in dem die Volks-front entscheidenden Einfluß hat.“339 Semantik und Strategie der Volksdemokratie und die Politik des „Trojanischen Pferdes“ als ihr Pendant finden sich hier klar vor-formuliert, auch andere Wendungen wie „demokratische antifaschistische Republik“

oder „neue demokratische Republik“, lassen die neue Stoßrichtung erkennen, die grosso modo gegen eine Perspektive der sozialistischen Umwälzung gerichtet war.340

Die konkurrierenden Konzeptionen stießen auf der Volksfrontkonferenz im April 1937 offen gegeneinander. Ulbrichts Konzept, entsprechend der Kominternlinie einer 337 Kinner, Reuter, Der deutsche Kommunismus, II, S. 191f.

338 Den 26-seitigen Brief an das Sekretariat der Komintern vom 30.8.1938 verfasste Münzenberg nach der vom ZK der KPD lancierten und bewusst irreführenden Veröffentlichung über seinen angeblichen Ausschluss aus der KPD in der Deutschen Volkszeitung und der Pariser Tageszeitung.

339 Die Dimitrov-Rede im Sekretariat des EKKI vom 18.9.1936 wird nach der Zeitschrift Voprosy istorii KPSS. Nr. 3. Moskau 1969. S. 13 zit. in Ernstgert Kalbe: Streit um Georgi Dimitroff. Zum Erscheinen der Tagebücher Georgi Dimitroffs. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2001, S. 58 (Diskurs. Streit-schriften zu Geschichte und Politik des Sozialismus. 8).

340 Siehe die Überblicksdarstellung von Hermann Weber in diesem Band. Vgl. die Resolution der

„Berner Konferenz“ der KPD im Januar/Februar 1939: Der Weg zum Sturze Hitlers und der Kampf um die neue demokratische Republik. Resolution der Berner Konferenz der KPD (30. Januar bis 1. Februar 1939). Paris: Imprimerie Coopérative Etoile 1939; Gekürzt in Weber, Der Deutsche Kommunismus, S.

331–338.

Volksfront von links bis ganz rechts (einschl. Strasser), war mit dem Münzenbergs nicht mehr kompatibel, dem es zunächst um eine Einheitsfront mit den Sozialde-mokraten zur strategischen Zusammenarbeit und Teilung der Macht im Falle eines Sturzes Hitlers vor Kriegsbeginn und erst in zweiter Hinsicht um eine Verbreiterung ging. Seitens der KPD-Führung war (im Unterschied zu Münzenbergs Position) von der Perspektive eines Sturzes des Hitlerregimes keine Rede mehr. Münzenberg hinge-gen schätzte angesichts der strategischen Rolle Deutschlands in der internationalen Politik die Bedeutung der KPD, trotz ihres offensichtlichen Scheiterns seit 1933 und ihrer momentanen Schwäche, immer noch als beträchtlich ein.

Auf den im Februar 1937 einberufenen Moskauer Sitzungen der deutschen Kom-mission der Komintern wurde der schleichende Transformationsprozess der Volks-frontpolitik deutlich. Worauf Bucharin bereits 1936 hingewiesen hatte und wie es linke Sozialdemokraten wie Otto Bauer befürchteten, wurde unter der Ägide Dimit-rovs eine Revision der Volksfrontpolitik eingeleitet. Sich gegen den Schematismus der Deutschen wendend, verbalisierte Dimitrov in staunenswerten Redebeiträgen tatsächlich die Inkompatibilität der Volksfront für die deutschen Verhältnisse (Dok.

408, 410). Die politische Positionsbestimmung in Form einer Resolution des Sekre-tariats des EKKI definierte das Hauptziel der KPD als den Kampf gegen Faschismus und den Trotzkismus als „Hauptkriegstreiber“ (!) und machte erneut die Arbeit in den NS-Organisationen zum Schwerpunkt (Dok. 410).

Zentrales Dokument der Anklage gegen Ulbricht und zur Analyse der KPD-Politik seit 1933 ist der dem deutschen Leser hier erstmals vorgelegte Brief Münzenbergs vom Juli 1937. In diesem (ausgerechnet an Stalin) gesandten Hilfsappell, fast ein Schrei um Aufmerksamkeit, stellte er seiner Partei ein Zeugnis des zögerlichen und nur halb-herzigen antifaschistischen Widerstands aus (Dok. 417). Auf ca. 15 Seiten zählte er deswegen die Indizien dafür auf, dass in den letzten Jahren gegen die Volksfront- und Antikriegsbemühungen in der KPD Politik gemacht worden war. Er hob die entschei-dende weltpolitische Notwendigkeit hervor, alles zu tun, um die Kriegspläne Hitlers zu verhindern und wies auf die Verantwortung „seiner“ KPD hin. Er attestierte ihr ein Abrücken (unter Anleitung Ulbrichts) von den ursprünglichen Zielen des Antifa-schismus und bekräftigte als wichtigste Aufgabe im In- und Ausland, Hitlers Ausweg des Krieges mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern. Sollte sich dies als nicht ausreichend erweisen, müsste innerhalb kürzester Zeit und unter äußerster Entfaltung aller Anti-Hitler-Kräfte nach einem Kriegsbeginn eine einheitliche revolu-tionäre Bewegung geschaffen werden, um das Hitler-Regime zu stürzen. In diesem Sinne sei jedoch nicht nur nichts unternommen, sondern sei dem entgegengehandelt worden. „Dieser Brief muß ein Appell zur Hilfe sein, ein Schrei um Ihre Aufmerksam-keit auf die Gefahr zu lenken (...) Um das zu erreichen, was ich von Ulbricht nicht erhielt: Die Tatsachen und Gründe für die verschiedenen persönlichen Divergenzen, die durch sichere und objektive Genossen festgestellt werden müssen.“ (Dok. 417).

Der Appell an Stalin blieb nicht nur ungehört, sondern in Moskau wurden dar-aufhin Vorbereitungen für seine Verhaftung getroffen. Man kann sich die

traumati-sche Enttäuschung Münzenbergs vorstellen, als Hitler den Zweiten Weltkrieg mit der Rückendeckung Stalins auslöste. Der „Fall Münzenberg“ ist ein weiteres Indiz für den schleichenden, verdeckten Übergangsprozess der sowjetischen Politik zum Pakt mit Hitler.

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