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Die hier größtenteils bisher unveröffentlichten Dokumente über den militärpoliti-schen Apparat (MP) der KPD („Kippenberger-Apparat“) belegen die Zerschlagung dieses noch 1935 von der Komintern als beispielhaft herausgestellten illegalen zen-tralen Apparates, der unter NS-Bedingungen von existentieller Bedeutung für die Gesamtpartei war.202 Die Dokumente aus dem Archiv der Bundesbeauftragten für die

202 Die Begrifflichkeit ist häufig ungenau, man findet auch die Bezeichnungen „AM-Apparat“

(Weber/Herbst), „M-Apparat“ oder „Nachrichtendienst“ als pars pro toto für den MP-Bereich (Bernd Kaufmann, Eckhard Reisener, Dieter Schwips, Henri Walther (Hrsg.): Der Nachrichtendienst der KPD 1919–1937. Berlin: Dietz 1993).

Stasi-Unterlagen (BStU) beleuchten einerseits seine Wirkungsgeschichte und ande-rerseits auch die besonders von Ulbricht und der Moskauer Führung angewandten Mittel und Methoden zu seiner Liquidierung, die mit dem Tod der Verantwortlichen in der Sowjetunion endete. Sie belegen, dass es sich um eine weitere Zäsur der KPD-Geschichte handelte, die den Erosionsprozess infolge des NS-Terrors verstärkte, in dem die KPD-Führung die Arbeit der Gestapo übernahm und wertvolle, verdiente Funktionäre wie Kippenberger der stalinistischen Vernichtungsmaschinerie in der Sowjetunion überantwortete.

Bezeichnend ist, dass seit 1924 und für den gesamten Zeitraum bis 1936 Berichte und Einschätzungen von Kominternverantwortlichen wie Tuure Lehén, Boris Vasil’ev und Wilhelm Zaisser über die MP-Arbeit der KPD grundsätzlich positiv waren. Auf dem VII. Weltkongress kritisierte dann Vasil’ev erstmals in dieser Form die MP-Arbeit der KPD als rückständigsten Bereich der Parteiarbeit (siehe Dok. 365). Dem vorausgegangen war eine Fundamentalkritik von interessierter KPD-Seite, besonders Ulbrichts. Dabei wurde auch auf die Verantwortung der Komintern selbst hingewie-sen. So sprach Zaisser in seinem Bericht vom Dezember 1935 angesichts der man-gelhaften Anleitung der MP-Arbeit durch die zuständige Abteilung sogar von einem

„Bankrott“ (Dok. 373).

Zur Durchführung des „Deutschen Oktober“ im Herbst 1923 wurde mit russischer Beteiligung ein starker MP-Apparat aufgebaut, der sich während der Stalinisierungs-phase – als der „Deutsche Oktober“ selbst zum Nicht-Ereignis in der Parteigeschichte deklariert wurde – vom bewaffneten Kern zum bürokratischen Apparat entwickelte.

Zu dieser Form von „Sterilisierung“203 gehörte, dass die eigene Aufstandsgeschichte der KPD der Jahre 1919 bis 1923 als Geschichte einer gescheiterten Revolution unter-drückt und strikter Zensur bzw. Geheimhaltung unterworfen wurde. Selbst der „Ham-burger Aufstand“ wurde mit wenigen Ausnahmen als Parteigeheimnis behandelt. Aus den Reihen der Parteimitglieder wurden kritische Fragen nicht mehr gestellt. Selbst Franz Feuchtwanger, einer der MP-Verantwortlichen befragte seinen Chef Kippenber-ger nicht mehr dazu. Die eigene Parteigeschichte blieb damit ein „Buch mit sieben Siegeln“, wohingegen die Geschichte der Bolschewiki seit der Illegalität in ihrer „sta-linistischen Lesart“ in allen Einzelheiten zum normativen Grundwissen gehörte.

Die ersten Jahre der kommunistische Bewegung waren nicht von der Dicho-tomie Gewalt/Gegengewalt, sondern von theoretischen Überlegungen und prakti-schen Umsetzungsversuchen einer „besseren“, effektiveren Form der revolutionären Umwälzung geprägt. Statt der Gewaltfrage trat unter dem Einfluss der Bolschewiki bald das Problem der Militarisierung der Kommunistischen Parteien (Illegalität, mili-tärischer Apparat etc.) in den Vordergrund. Die revolutionären Parteien sollten wie eine Armee organisiert werden, die gestützt auf die Arbeiterklasse das infolge des

203 Feuchtwanger: „Der Militärpolitische Apparat der KPD in den Jahren 1928–1935. Erinnerungen“.

In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (1981). Nr. 4. S. 485–533, hier: S. 528.

Ersten Weltkriegs geschwächte imperialistische System stürzen sollte. Dieser sich auf die russische Erfahrung und den Kriegskommunismus aufbauende, in der Dokumen-tation präsente Urmythos bildete einen schreienden Gegensatz zur realen Situation der KPD (und den übrigen Kominternparteien).204 Allerdings war die KPD insofern eine Ausnahme, als sie zwar die stärkste Sektion war, ihre hier dokumentierten zen-tralen militärisch-revolutionären Aktionen (1918/1919, 1921, 1923) jedoch jeweils in katastrophalen Niederlagen endeten. Diese illustrierten, dass die Bündnispartner in den übrigen gesellschaftlichen Gruppen, besonders im Militär und im Kleinbürger-tum, fehlten.

Zunächst war die Gewaltfrage der revolutionären Strategie und Taktik nachgeord-net. Seit Mitte der zwanziger Jahre funktionierte die KPD-Militärpolitik zunehmend nach Vorgaben „die die russische Parteiführung nach eigenem Gutdünken traf.“205 Die Nationalsozialisten machten die undifferenzierte Gewalt zum Prinzip und den Militarismus zum Hauptbestandteil der Ideologie, während in der Folge auch der Sta-linismus die Gesetzmäßigkeiten des sozialen Wandels auf die am wenigsten zurück-gehaltenen Gesetzmäßigkeiten der Gewalt, letztlich des Krieges reduzierte.206 Demge-genüber blieb die Militarisierung des deutschen Marxismus207 – wie sie Brandler 1923 anvisierte – auf halbem Wege stecken. Als Teil des Apparats spielte die sog. T-Gruppe bzw. die Abteilung „Verschwörungen, Provokationen und individueller Terror“ und ihre zwielichtigen Akteure, wie Felix Neumann, bis 1923 eine gewisse Rolle. Die Doku-mente belegen jedoch ebenfalls, dass seinerzeit derartige terroristische Vorstöße ins-besondere von russischer Seite (einschließlich der OGPU-Führung) liquidiert wurden.

Insofern wurden der Militarisierungsbegriff und die militaristische Sichtweise zumin-dest anfänglich nicht mit unspezifischer Gewalt identifiziert. Undifferenzierter Terror wurde weiterhin nicht zentrales Instrument der KPD-Politik.

Obwohl die Kommunistischen Parteien seit 1926 in das Korsett der Verteidigung der Sowjetunion bzw. der „Bekämpfung der Kriegsgefahr gegen die UdSSR“ gepresst wurden, entwickelten sie sich mit Ausnahme der KP Chinas nicht zu bewaffneten Kriegsverbänden. Die entstandene Kluft wurde dadurch überbrückt, dass die Sowje-tunion mit ihren Spezialorganen der Roten Armee und des NKVD die Militärapparate der (wichtigsten) Kommunistischen Parteien unmittelbar in die Hand nahm. Diesbe-züglich aufschlussreich ist eine Denkschrift des Referenten der Organisationsabtei-lung des EKKI, Karol Swierczewski, über die sog. Wehrkurse der Komintern in den Jahren 1931/1932 mit Einzelheiten zu Lehrkräften und Programmen, darunter

Waffen-204 Ein diesbezüglich aufschlussreiches Dokument ist der vom MP-Spezialisten Otto Steinfest in russischen Diensten erstellte Aufstandsplan für Berlin im denkwürdigen Herbst 1923. Siehe Dok. 94.

205 Feuchtwanger, Der Militärpolitische Apparat, S. 527.

206 Maurice Andreu: L’Internationale Communiste contre le Capital 1919–1924. Ou comment empoig-ner l’adversaire capitaliste? Paris: Puf 2003 (Actuel Marx. Confrontation. Série Histoire). S. 256f.

207 Maurice Andreu, L’Internationale Communiste, S. 256f.

training und Sprengstoffkursen (vgl. Dok. 371 u.a.). Auch hier wurde übrigens die MP-Struktur in Deutschland noch am besten bewertet.

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