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Die „Ulbricht-Verschwörung“: Demontage der „Deutschen Volksfront“ und Ausgreifen nach rechts

Die Politik des „Trojanischen Pferdes“, die bisher in der Forschung nicht entsprechend ihrer Bedeutung aufgearbeitet wurde, erfolgte in etwa zeitgleich mit der Lahmlegung des Ausschusses der deutschen Volksfront in Paris und der bürokratischen Zerschla-gung des „Münzenberg-Imperiums“ vor allem da, wo es der Komintern nicht gelang, die personellen und institutionellen Netzwerke unter ihre Kontrolle zu bringen.

Ulbrichts Interventionen im Pariser Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront sind in der Forschung weitgehend aufgearbeitet.317 Sie führten dazu, dass der bisher hoffnungsvollste Ansatz einer Volksfront im Exil, der u. a. von Heinrich Mann und zentralen Persönlichkeiten der SPD unterstützt wurde, im Sommer/Herbst 1937 auseinanderbrach. Als Stalins Handlanger in Deutschland hatte Ulbricht gegen Münzenberg die Führung an sich gerissen.318 In den hier erstmals dem deutschen Leser vorgelegten Dokumenten über diese bisher in der Forschung kaum wahrgenom-mene „Ulbricht-Verschwörung“ aus den Jahren 1936 bis 1938 ging es Münzenberg, der sich damit fatalerweise noch vertrauensvoll an Stalin und Dimitrov wandte, darum den de facto neuen Generalsekretär der KPD eines verschwörerischen Komplotts von der Spitze aus zu überführen, genauso wie der Aufgabe des Antifaschismus in Theorie und Praxis. Zu Ulbrichts Helfern zählten neben dem stellvertretenden Chefredakteur

317 Grundlegend dazu Langkau-Alex, Deutsche Volksfront, II; Neuerdings Dirk Kemper: Heinrich Mann und Walter Ulbricht. Das Scheitern der Volksfront, Briefwechsel und Materialien. München:

Wilhelm Fink 2012.

318 Bei Langkau-Alex wird die Charakterisierung Ulbrichts als „deutscher Stalin“ abgelehnt: „Bis zum Beweis des Gegenteils bezweifle ich jedoch, dass Ulbricht damals ein spezieller ‚Vertrauter’ Stalins war, wie eine Reihe von Forschern meint, mindestens suggeriert. Wohl aber erscheint er, im Rahmen des als Exilant machtpolitisch außerordentlich beschränkten, vom EKKI und der IKK und wohl auch vom NKWD überwachten Möglichkeiten, Stalin adäquat.“ (Langkau-Alex, Deutsche Volksfront, II, S. 349).

der Pariser Tagezeitung, Kurt Caro,319 und dem österreichischen Schriftsteller Bruno Frei320 auch Franz Dahlem, Paul Merker und Herbert Wehner als Mitglieder der Par-teiführung.

Die angenommene „Verschwörung“, zu der Münzenberg eine Vielzahl von Indi-zien lieferte und dabei mit politisch-kriminalistischem Gespür versuchte, das gegen ihn gestrickte personelle Netzwerk zu rekonstruieren, wurde bisher empirisch nicht aufgearbeitet. Ähnlich dem „Thälmann-Skandal“ aus dem Jahre 1928 stellt er gleich-wohl ein entscheidendes Kapitel der Parteigeschichte, ja einen weiteren Wendepunkt in der Geschichte des deutschen Kommunismus dar. Trotz sensationell anmutender Beweisführung gegen konkrete Personen blieb die Hauptmotivation eine politische:

Münzenberg, der auch Rudolf Breitscheid für den Volksfrontausschuss gewonnen hatte, sammelte Belege dafür, dass die KPD von der Grundidee einer Einheitsfront mit den Sozialdemokraten, als einzig realistischer Perspektive gegen Hitler, abgegangen war. Die Angriffe Ulbrichts erweisen sich tatsächlich als frontale Attacke gegen das Münzenbergsche Idearium eines gemeinsamen Vorgehens mit den Sozialdemokra-ten als Keimzelle einer künftigen Einheitsfront und weiterer, daraus erwachsenden Bündnisperspektiven.

Bereits seit Anfang 1936 hatte die operative Leitung des Politbüros der KPD unter Federführung Ulbrichts das Pariser Volksfrontabkommen als verfrüht und inkorrekt kritisiert, u. a. mit der Begründung, dass das Zentrum als dritte „der in Deutschland tätigen Organisationen“ nicht in ihr vertreten sei.321 Münzenberg attackierte Ulbricht umso schärfer, als dieser nach durchaus verheißungsvollen Anfänge im Rahmen des Pariser Volksfrontausschusses versuchte, mit Hilfe der sog. „Freundeskreise der deutschen Volksfont“ eine politisch von ihm kontrollierte Organisation aufzubauen, besetzt mit eigenen „politisch und in jeder Beziehung ungeeignetsten“ Leuten (Dok.

442A). Dass dabei Unsicherheiten über die sowjetische Außenpolitik die Vertrauens-basis innerhalb der Volksfront schwächten, geht aus Äußerungen des Chefredakteurs der Pariser Tageszeitung, Georg Bernhard, hervor (siehe Dok. 446). Ulbricht arbeitete seinerseits mit spektakulären „Enthüllungen“, um Münzenberg mit dem Trotzkismus-Vorwurf zu überziehen. Der innerparteiliche Kampf endete mit der de-facto Auflö-319 Kurt Cuno, „wichtigste prägende Persönlichkeit“ des Pariser Tageblatts/der Pariser Tageszeitung (L. Maas), war bereits maßgeblich an der Intrige beteiligt, die zum Rücktritt Wladimir Poljakows, dem ersten Besitzer der Zeitung, führte.

320 Der antifaschistische Autor und Journalist Bruno Frei, ursprünglicher Name: Benedikt Freistadt, („Die Männer von Vernet“ (1944), „Carl von Ossietzki“ (1966)) war unter Münzenberg Herausgeber der „Welt am Morgen“ und Anhänger bzw. Bewunderer Stalins. Noch in den siebziger Jahren wurde – besonders von anarchistischer Seite – der diffamierende Charakter zahlreicher Äußerungen bzw.

Schriften Freis öffentlich kritisiert; Siehe Hans-Peter Duerr, Augustin Souchy: Stalinismus und An-archismus in der spanischen Revolution oder Bruno Frei und die Methode der Denunziation. Berlin:

Karin Kramer Verlag 1973.

321 Klaus Kinner, Elke Reuter: Der deutsche Kommunismus. Selbstverständnis und Realität. Bd. II:

Gegen Faschismus und Krieg, 1933 bis 1939. Berlin: Dietz 2005 (Geschichte des Kommunimus und Linkssozialismus. 5). S. 191f.

sung der deutschen Volksfront und dem Ausschluss Münzenbergs nach einer eigent-lich im Sande verlaufenen „Untersuchung“ seines „Falles“ durch die Internationale Kontrollkommission der Komintern.

Den zweiten Abschnitt der „Münzenberg-Saga“ bilden die sich bis in den Sommer des Jahres 1939 hinziehenden Untersuchungen der Internationalen Kontrollkommis-sion der Komintern über den „Fall Münzenberg“. In einem Beschluss vom 5. Juli 1939, der als letztes Dokument das hier veröffentlichte „Münzenberg-Dossier“ abschließt, wurde Ulbricht von den Vorwürfen reingewaschen. Nur wenige Monate, bevor Stalin im August 1939 tatsächlich gemeinsame Sache mit Hitler machte, wurden dessen Vor-stöße mit dem formellen Ausschluss Münzenbergs aus der KPD von Erfolg gekrönt.

Nach den Enthüllungen der Dimitrov-Tagebücher war sein Schicksal bereits besiegelt, die Verhandlungen nur noch eine Formalie. Über Münzenberg war das Todesurteil gesprochen – spätestens im November 1937, als Stalin Dimitrov aufforderte, ihn nach Moskau „zu locken“, um ihn unverzüglich verhaften zu lassen. Einer „Einladung“, der er wohlweislich nicht nachkam.

Die neu erschlossenen Dokumente gestatten es, das von Hermann Weber für die 1920er Jahre exemplifizierte Stalinisierungskonzept als fortlaufenden Prozess auch auf die 1930er Jahre anzuwenden. Vor allem lässt sich die innere Zersetzung der anti-faschistischen Kräftezentren der Komintern und ihrer internationalen Netzwerke, besonders des „Münzenberg-Imperiums“, im Schatten der Volksfront genauer nach-vollziehen. Die Volksfront sollte dabei, wie es neuerdings auch Recherchen russischer Historiker nahelegen, der von den linken oppositionellen Strömungen kommunisti-scher oder linkssozialistikommunisti-scher Prägung ausgehenden Kontaminationsgefahr entge-genwirken.322 Auch die bereits von Alexander Nekrich formulierte These, es könnte sich bei der Volksfrontpolitik um eine Art Rückzugsposition oder einen „Plan B“ des Diktators für den Fall einer gegen die Sowjetunion gerichteten außenpolitischen Wende NS-Deutschlands gehandelt haben, – die nationalsozialistische Ideologie und Praxis selbst beunruhigte Stalin weniger – wird nun empirisch gestützt.323

Terror und antifaschistischer Leitdiskurs verdeckten dabei, dass die Volksfront-konzeption gleichzeitig grundlegend modifiziert wurde. Spätestens seit 1937 wurde sie mit dem Konzept der „Volksdemokratie“ als neuem strategischen Ordnungsrah-men verbunden, der im Spanischen Bürgerkrieg erprobt wurde und grundsätzlich gegen eine offensive Verknüpfung von Krieg und Revolution gerichtet war. Besonders die Hitlerregierung sowie die Mitglieder des Londoner Nicht-Interventionskomitees dürften diese Wandlung mit großem Interesse verfolgt haben. Während Stalin insge-heim weiter seine Fühler nach Deutschland ausstreckte324 und die wichtigsten Gene-räle der Roten Armee – zumeist wegen angeblicher Konspiration mit Deutschland (!) – exekutieren ließ, dazu 70 % der deutschen Kommunisten in der Sowjetunion

322 Šubin, Mir na kraju bezdny, S. 209f.

323 Heller, Nekrich, Utopia in Power, S. 254ff. u. a.

324 Besymenski, Hitler und Stalin, S. 99f.

umkamen und deutsche Arbeiter, Spezialisten und Russlanddeutsche deportiert sowie gefangene Antifaschisten der Gestapo übergeben wurden,325 stufte Dimitrov als Generalsekretär der Komintern die „Volksfront als eine für Deutschland ungeeignete Form“ ein (Dok. 409).326

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