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Der ausgebliebene Bruch der Sowjetunion mit Hitler – keine antifaschistische Massenpropaganda der Komintern

Die Verantwortung von VKP(b), Komintern und KPD für den Verzicht auf einen „ent-schlossenen Abwehrkampf“ (Remmele) bzw. eine zielgerichtete Massenpropaganda gegen den ohne nennenswerten zentralen Widerstand erduldeten Machtantritt Hitlers sowie für den Verzicht auf die theoretische Analyse eines bisher einmaligen totalitären Unterdrückungssystems bildet einen zentralen Markstein der

Stalinismus-144 Wenige Tage vor Beginn des XIII. EKKI-Plenums im November/Dezember 1933, dem obersten Beschlussgremium des EKKI außerhalb der Weltkongresse der Komintern, wurde der Fall Remmele erneut auf die Tagesordnung des EKKI-Präsidiums gesetzt. Auch eine für den 25.11.1933 einberaumte außerordentliche Sitzung des EKKI kümmerte sich nicht etwa um die Probleme einer unter den Schlä-gen der MassenverfolgunSchlä-gen ächzenden KPD, sondern nach einem Bericht von Marty um die erneute (und definitive) Verurteilung Remmeles. Dieser hatte es gewagt, die deutsche Januarniederlage als das zu sehen, was sie war, ein „fundamentaler Systemwechsel“ und die „größte Niederlage des Pro-letariats seit 1914“.

forschung.145 Als der „richtige Faschismus“ an die Macht gekommen war, nahm die Komintern zunächst seinen Charakter als qualitativ neuartiges und für die Arbeiter-bewegung insgesamt äußerst bedrohliches politisches Mobilisierungsregime nicht wahr. Anfang April 1933 wurden die Kommunistischen Parteien angewiesen, unge-achtet der offiziellen Bekundungen für eine neue Einheitsfront den Kampf gegen die II. Internationale zu verstärken.146 Leitende Funktionäre des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) äußerten sich auch in der 2. Hälfte des Jahres 1933 und Anfang 1934 noch positiv über die Liquidierung der Sozialdemokratie durch den NS-Terror, die ja nur eine Parallele zur – weitaus blutigeren – Verfolgung der Kommunisten selbst war:

„[D]ie Sozialdemokraten [...] standen als chinesische Mauer und haben uns nicht zugelassen zu den Massen. [...] Aber jetzt ist diese Mauer eingefallen. Die Faschisten haben [für] uns diese Mauer zerbrochen [...] und von uns hängt es ab, diese Mauer so zu vernichten, dass auch kein Fundament für den neuen Aufbau besteht.“ – so Pjat-nickij auf der Sitzung des EKKI-Sekretariats vom 19. September 1933 (Dok. 335). Der Vorsitzende der Roten Gewerkschaftsinternationale, Solomon Lozovskij, der bereits Kommunisten und Faschisten als Erben der sozialdemokratisch dominierten Gewerk-schaftsbewegung gesehen hatte (Dok. 328), hob im Dezember 1933 die Zerschlagung der Sozialdemokratie durch die Nationalsozialisten als ein Ereignis von „riesige(r) historische(r) Bedeutung“ hervor (Dok. 344).

Willi Münzenberg gehörte nicht nur zu denjenigen Repräsentanten des interna-tionalen Kommunismus, die Stalin am besten kannten, er war auch als Gründer und Leiter der Internationalen Arbeiter-Hilfe (IAH) der effektivste und herausragendste Propagandist der Komintern. Seine in diesem Band erstmals dem deutschen Leser vorgelegten Briefe werfen nicht nur ein neues Licht auf seine erstaunliche und für die kommunistischen Eliten des 20. Jahrhunderts paradigmatische Biographie. Sie legen auch die Vermutung nahe, dass es der Komintern unmittelbar nach der „Machtergrei-fung“ zunächst gar nicht um die Implementierung des Antifaschismus ging. Noch im April 1933 verzichtete sie auf die Implementierung einer antifaschistischen Massen-propaganda und setzte ihre antisozialdemokratische und nur allgemein gegen den Krieg – nicht gegen Hitler als Hauptfeind – orientierte Linie fort. Nicht nur am Kurs gegen die Sozialdemokratie wurde festgehalten, sondern noch Mitte 1933 bestand man auf einer scharfen Trennung zwischen Antikriegs- und antifaschistischen Akti-vitäten zugunsten Ersterer.147 So bestätigte einer der besten Kenner Stalins und als Politbüromitglied und Herausgeber des „Roten Aufbaus“ einer der schärfsten Wider-sacher Trotzkis gleichwohl dessen Fundamentalkritik. Darüber hinaus beklagte er sich bei Stalin in einem persönlichen Schreiben darüber, dass vor und nach dem Januar 1933 auf eine umfassende propagandistische Strategie und damit

entschei-145 Als Ausnahmen siehe Broué, Histoire de l’Internationale, S. 527ff.; Hoppe, In Stalins Gefolg-schaft.

146 Direktiventwurf an die kommunistischen Parteien, 7.4.1933; RGASPI, Moskau, 495/19/529, 55.

147 Bahne, Die KPD und das Ende von Weimar, S. 58ff., 68ff.

dende Wirkungsmöglichkeit der Propaganda gegen Hitler verzichtet worden sei (Dok.

330). Ohne dies freilich darauf zurückzuführen, dass es Stalin darum ging, eine revo-lutionäre Situation in Deutschland unter allen Umständen zu vermeiden, die Alterna-tiven oder vielleicht schon bestehende geheime Pläne erschwert hätte.148

Umgekehrt wurden Kominternfunktionäre für individuelle Vorstöße mit anti-faschistischer Ausrichtung sogar gemaßregelt. Ein solches Schicksal ereilte Alfred Kurella, den Sekretär des Weltkomitees gegen Faschismus und Krieg und späteren Sekretär Dimitrovs. Einige Ego-Dokumente aus dem Personenarchiv liefern indirekt

„heiße“ Informationen zu den wirklichen Absichten der Kominternführung, die sich auch im April 1933 gegen eine antifaschistische Massenagitation wandte. Noch im gleichen Monat wurde gegen ihn im Politsekretariat der Komintern eine mündliche Rüge ausgesprochen, weil er zugelassen hatte, dass der Vorsitzende des Weltkomitees gegen imperialistischen Krieg und Faschismus, Henri Barbusse, Sozialdemokraten zu einer internationalen Konferenz eingeladen hatte, die der Sondierung gemein-samer Hilfsaktionen für die deutschen Arbeiter dienen sollte. Der Kominternspitze schien die Zielsetzung auf international wirkungsvolle antifaschistische Aktionen nicht zu goutieren. Wie in der Personalakte überliefert, lehnte sie den eingebrach-ten Vorschlag zur „Verschmelzung der Antikriegs- und Antifabewegung“ ausdrück-lich ab (Dok. 322). Zum Zeitpunkt der Zerschlagung der deutschen Arbeiterbewegung entsprach dies den gültigen Direktiven des EKKI. Die Mobilisierungskampagnen der Komintern nach dem Januar 1933 zielten auf einen nur allgemein definierten Anti-kriegskampf, der defensiv auf den „Kampf für den Frieden“ beschränkt blieb (wie es später auch unter dem Stalin-Hitler-Pakt praktiziert wurde). Dem Nationalsozialis-mus als politisches System und der nationalen und sozialen Demagogie der NSDAP wurde seitens der KPD kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Der Antifaschismus wurde

„nationalisiert“, als übergreifende, strategische Linie existierte er für die Komintern nicht.

Trotz des erhöhten Drucks seitens der Kommunistischen Parteien (so der KP Frankreichs) und der kommunistischen Fraktion des Weltkomitees gegen imperialis-tischen Krieg und Faschismus weigerten sich die Kominternspitze und ihr Emissär Karol’skij weiterhin, den Kampf gegen den Krieg und Hitlers strategische Ziele mit dem Kampf gegen den Faschismus zusammenzuführen. Es verging mehr als ein Jahr, bis dieser bürokratische Standpunkt aufgegeben wurde, der nur aus der offiziellen und geheimen Haltung der Sowjetunion gegenüber NS-Deutschland zu erklären war.149 Auch nach dem Reichstagsbrand wurde das Konzept einer politisch-kulturell umfas-senden Massenpropaganda gegen den Nationalsozialismus, wie es Willi Münzenberg vorschlug, abgelehnt. Die Auswertung der sowjetischen Politbürobeschlüsse ergibt,

148 Vgl. auch die vom NKVD abgefangene Aussage eines abtrünnigen deutschen Kommunisten, der bereits im März 1933 gesagt haben sollte, die sowjetische Regierung wünsche eine deutsche Revoluti-on am allerwenigsten, müsse aber pro forma so tun (RGASPI, Moskau, 558/11/185, 85–96).

149 RGASPI, Moskau. Personalakte Alfred Kurella 495/205/6339, 373–376, hier: S. 355.

dass sich seit Januar 1933 ein explizit gegen das NS-Regime gerichteter Beschluss des obersten Sowjetorgans nicht nachweisen lässt (!). Am 15. August 1933 billigte das Politbüro zwar eine finanzielle Unterstützung für die „Vorschläge Münzenbergs“, explizit hieß es jedoch, dass dies ausschließlich für eine internationale Kampagne gegen den Krieg gelte. Das NS-System wurde nicht einmal thematisiert. Auf die für die internationale Arbeiterbewegung sicherlich folgenreichste Zäsur im 20. Jahrhundert reagierte die Sowjetunion keineswegs mit einem Bruch, der eine nicht nur symboli-sche Bedeutung nach sich gezogen hätte, ja nicht einmal mit Protesten. Stalin schonte zwar die „Hitlerregierung“, doch er schoss weiterhin gegen die Sozialdemokraten; die Sozialfaschismus-Doktrin blieb sowjetische Regierungspolitik.

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