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Nationalistische Versöhnungsrhetorik der KPD und „Politik des Trojanischen Pferdes“

In der Zwischenzeit wurde auf Betreiben der Komintern die Stoßrichtung der Einheits- und Volksfrontpolitik in Richtung auf die „Einheit und Versöhnung des Volkes“, d. h.

auf die Gemeinsamkeit mit den „nationalsozialistischen Massen“ verstärkt.308 In der Folge des Nürnberger Parteitages der NSDAP, nach vierjähriger NS-Herrschaft, ging es der KPD nicht mehr in erster Linie um den Kampf gegen Hitler, sondern um eine breite Bewegung auf dem Boden der NS-Massenorganisationen zur Versöhnung des Volkes und der Erhaltung des Friedens. Die Orientierung der KPD auf die nationalis-tischen, nationalsozialistischen oder faschistischen Massenbewegungen kulminierte

307 „Contre-procès en Suisse. Münzenberg, homme d’affaire de Staline, avoue les faux des Procès de Moscou.“ In: Archives de Jules Humbert-Droz, IV, S. 253–255.

308 Auf der Sitzung des KPD-Politbüros vom 23.4.1936.

zu Beginn des Jahre 1936 im sog. „Versöhnungsaufruf“ an die NS-„Volksgenossen“, den Ulbricht als Reaktion auf den Nürnberger Parteitag verfasst hatte.309 In der Pro-paganda trat das NS-System als Hauptfeind zurück, der Kampf der KPD richtete sich fortan „gegen die 3.000 Millionäre“ (Dok. 402 u. a.). Es erfolgte nun die Umsetzung der Moskauer Instruktionen vom März 1936, nachdem das Kominternsekretariat große Mängel in der Kaderpolitik der KPD, „ungenügende Wachsamkeit gegenüber feindlichen Elementen“ sowie Sektierertum festgestellt und das Eindringen in die nazistischen Massenorganisationen als zentrale Aufgabe festgelegt hatte. Nur solche Verantwortlichen sollten fortan die neuen Leitungen im Land bilden, die „von der Notwendigkeit einer solchen Arbeitsmethode [überzeugt] und fähig sind, legale Funktionen in den faschistischen Massenorganisationen zu erzielen.“ (Dok. 380). Im hierzu verabschiedeten Dokument wurde weder der durch die Unterdrückungspolitik des Nationalsozialismus, noch den antifaschistischen Widerstand, noch der durch die Verhaftungen, Konzentrationslager und Erschießungen von KPD-Mitgliedern und Funktionären erfolgte Aderlass der Partei thematisiert.

Pieck monierte im April im Präsidium des EKKI, man habe sich bisher zu sehr auf die innere Situation des sich festigenden Regimes, den Terror etc. konzentriert und zu wenig auf die Außenpolitik und die Kriegsvorbereitungen (Dok. 381). Auch diesbezüg-lich erfolgte nun eine Umstellung der Linie und zunehmend trat die außenpolitische Linie Hitlers in den Fokus. Angesichts dieses Kurswechsels, der mehr einer Inszenie-rung glich, ging es nur noch vordergründig um die Volksfront, tatsächlich jedoch um die Grundausrichtung und den Widerstand der KPD und ihr Verhältnis zum Hitler-regime. Funktionen und Ausrichtungen Kommunistischer Parteien in autoritären bzw. totalitären Regimen wurden neu bestimmt. Neben dem von Ulbricht verfassten

309 In diesem Appell wird der Kampf gegen Hitler und das NS-Regime nicht mehr verbalisiert. Statt-dessen konnte man bsw. lesen: „Wollen wir uns alle wieder versöhnen, damit des Volkes Wille obers-tes Gesetz ist und nicht der Egoismus von 3.000 Millionären. Du, Nationalsozialist, Du, Sozialdemo-krat, Du, Katholik, Du, Kommunist, Du, Arbeiter, Du, Bauer, Du, Handwerker, Du, Wissenschaftler – haben wir alle, Söhne des deutschen Volkes, nicht die gleiche Sehnsucht, nach einem Leben in Friede, Freude und Wohlstand? Haben wir heute nicht alle die gleichen Nöte? Schliessen wir treue Ka-meradschaft zur Verteidigung unserer Lebensinteressen und des Friedens, zur Verteidigung Deutsch-lands gegen die raffende Oberschicht von 3.000 Millionären!“ (Walter Ulbricht: „Für die Versöhnung des deutschen Volkes“. In: Deutsche Volkszeitung (18.10.1936). Prag); Siehe dazu Jörn Schütrumpf:

Versöhnung der antifaschistischen und nationalsozialistischen Massen. In: Utopie kreativ (1996). H.

71. S. 28–42 (enthält: Walter Ulbricht: Für die Versöhnung des deutschen Volkes. Das Zentralkomi-tee der Kommunistischen Partei Deutschlands: Für Deutschland, für unser Volk. Ein bedeutsamer Aufruf des ZK der KPD. Berlin Oktober 1936 (sic)). Wohlweislich wurden diese Texte in der Ausgabe der Schriften Walter Ulbrichts nicht aufgenommen, siehe Walter Ulbricht: Ausgewählte Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Berlin: Dietz 1979;

Ders.: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen. Hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Bd. 1: 1918–1933. Berlin: Dietz 1953; Bd. 2: 1933–1946.

Zusatzbd. Berlin: Dietz 1966; Bd. 2, 2. Zusatzbd. Berlin: Dietz 1968 (Geschichte der deutschen Arbei-terbewegung/ Autorenkollektiv Walter Ulbricht, Horst Bartel, Lothar Berthold u. a.).

Aufruf des ZK der KPD zur „Versöhnung des deutschen Volkes“ betraf dies die Auffor-derung an die KPD-Mitglieder, statt des Kampfes für unabhängige Gewerkschaften, der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront (DAF) beizutreten. Die sprachli-che Annäherung an die Nationalsozialisten und die Wendung zu den NS-Massenor-ganisationen waren nicht nur politisch bedenklich, sondern auch, wie in einem Stim-mungsbericht aus dem Reich geschildert wurde, durchweg unglaubwürdig. Stimmen aus dem Land besagten, dass die KPD-Mitglieder „bis zuletzt die Parolen der Partei befolgt und (...) nicht in die faschistischen Organisationen gegangen [seien], während die anderen schon lange drin waren.“ (Dok. 433).

Während in Spanien Republikaner und Internationale Brigaden erstmals seit ihrer Gründung als eine ‚bewaffnete Komintern’ gegen Franco und die Falange, die spanische Form des Faschismus, kämpften, gab mithin eben diese Komintern der KPD das Ziel einer „Versöhnung des deutschen Volkes“ vor. Die Hypothese, nach der Moskau seine Annäherungsversuche an Hitler-Deutschland mit einer entsprechen-den Komintern-Politik zu flankieren suchte, scheint hier nicht völlig aus der Luft gegriffen zu sein. Wie es Materialen zur deutschen Frage, die vom zuständigen Sekre-tär Togliatti für seine Kollegen, wie den für die Verbindungen zum NKVD zuständi-gen Moskvin, zusammengestellt wurden, nahelezuständi-gen, ging es nicht mehr nur um das Regime, sondern um die Entfaltung einer breiten Bewegung innerhalb der NS-Strukturen, um eine Verlagerung der Aktionsfelder kommunistischer Politik in die faschistischen Massenorganisationen zur „Versöhnung des deutschen Volkes“ und der Erhaltung des Friedens gegen die „3.000 Millionäre“. Gerade die Linie des „Tro-janischen Pferdes“ wurde ab Mitte 1936 verstärkt propagiert (Dok 383).310 Nicht auf-grund einer Einzelinitiative Ulbrichts, sondern qua Beschluss der Komintern wurde Mitte Oktober 1936 ein (maßgeblich von Ulbricht verfasster) Aufruf der Auslandslei-tung der KPD mit der neuen Versöhnungsbotschaft aus der stalinistischen Hexen-küche veröffentlicht.311 Die „Volksgenossen“ (sic) wurden hierin zur „Ordnung und Sauberkeit in diesem Lande“ und zur „Versöhnung des Volkes gegen die Macht der dreitausend Millionäre, gegen die Herrschaft der oberen Zehntausend!“ aufgerufen.

Anfang 1937 versuchte die Kominternführung dann wieder, ein Stück zurück-zurudern, nicht zuletzt aufgrund der Opposition aus der KPD. Das EKKI-Sekretariat warnte nun davor, „die Versöhnung des deutschen Volkes“ als „Versöhnung mit der Nazi-Partei“ zu verstehen.312 Pieck kritisierte den Versöhnungsaufruf scharf, in dem

„kein Wort vom Kampf gegen Hitler“ stünde (Dok. 403D). Dass es sich jedoch nicht um eine Eintagsfliege handelte, zeigt das italienische Beispiel. In Deutschland gip-310 Walter Ulbricht: „Die Taktik des trojanischen Pferdes“. In: Die Internationale (1936). Nr. 6/7. S.

31–36.

311 „Versöhnung des deutschen Volkes für Frieden, Freiheit und Wohlstand, gegen die 3000 Milli-onäre!“ In: Deutsche Volks-Zeitung (18.10.1936). Nr. 31; Siehe auch Schütrumpf, Versöhnung der an-tifaschistischen und nationalsozialistischen Massen; Vgl. Langkau-Alex, Deutsche Volksfront, III, S.

155–163.

312 Komolova, Komintern protiv fascisma, S. 438–444.

felte die laut Münzenberg „verbrecherische“ Politik Ulbrichts in einer Erklärung des ZK vom Sommer 1937 darin, jeden aus der Partei zu entfernen, der Informationen über militärische Geschehnisse in Deutschland verbreite, da dies Hitler die Möglichkeit gebe, die KPD als antinational darzustellen.313 Ulbricht habe überhaupt „durch offene Denunziationen versucht, eingeleitete Arbeiten zur Schwächung der Kriegsmaschine und der Wiederaufrüstung Hitlers zu durchkreuzen.“

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