• Keine Ergebnisse gefunden

Während der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre gehörte der Antifaschismus zum strategischen Fundament der Komintern, allerdings in unterschiedlicher Ausfor-mung und Intensität. Trotz positiver Ansätze erfolgte keine grundlegende theoretische Analyse seitens der offiziellen kommunistischen Bewegung. Die Fehleinschätzung Hitlers durch die Komintern lässt sich auch auf die Abnutzung des Faschismusbe-griffs im KPD-Diskurs in den Jahren vor 1933 zurückführen. Ihre ideological power wurde nicht nur durch die „Sozialfaschismus“-Politik geschwächt, tatsächlich wurde jede deutsche Regierung seit Beginn der 1930er Jahre als „faschistisch“ bezeichnet!

Als nach Brüning, Schleicher und von Papen schließlich Hitler an die Macht kam, repräsentierte dies für die KPD eben einen „Faschismus“ unter vielen, mehr nicht.

Konsequenterweise wurde dieser auch linguistisch dem sozialdemokratischen „Sozi-alfaschismus“ nachgeordnet. Als lexikalische Besonderheit wurde dazu der verharm-losende Begriff „Nationalfaschismus“ zur Bezeichnung des Nationalsozialismus ein-geführt. Während letzterer Begriff in der KPD gebräuchlich war, ersetzte ihn Stalin selbst häufiger durch die apologetische oder verharmlosende Bezeichnung „Natio-nalismus“.

Seit der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre legten oppositionelle Kommunisten Faschismusanalysen vor, die an Prägnanz und Analyse bis heute nicht an Bedeutung verloren haben, darunter besonders die Texte Trotzkis, Thalheimers und auch Mün-zenbergs.101 Gegenüber dem „Zyklus der Entwicklung zum Faschismus“, der „Krise 99 Die sogenannte Versöhnlergruppe.

100 Hierin ist ein Grund dafür zu suchen, dass die Analysen der Versöhnler bisher in der Historiogra-phie kaum eine Rolle spielten.

101 Einige der prägnantesten Faschismusanalysen Trotzkis sind abgedruckt in L. D. Trotzki: Schrif-ten über Deutschland. Hrsg. v. Helmut Dahmer. Eingeleitet v. Ernest Mandel. 2 Bde. Frankfurt/M.: Eu-ropäische Verlagsanstalt 1971 (L. Trotzki, Gesammelte Werke, I–II). Hierin siehe bes. Lev Trotzki: „Por-trait des Nationalsozialismus“. In: Trotzki: Schriften über Deutschland. Bd. 2. S. 571–580; Lev Trotzki:

des deutschen Kapitalismus“ und der „Tragödie des deutschen Proletariats“ bedeu-tete – so Trotzki – der Nationalsozialismus als „gewaltsame Zusammenfassung aller Kräfte und Mittel des Volkes im Interesse des Imperialismus – die wahre geschicht-liche Sendung der faschistischen Diktatur – (...) die Vorbereitung des Krieges; diese Aufgabe duldet keinerlei Widerstand von innen und führt zur weiteren mechanischen Zusammenballung der Macht. Den Faschismus kann man weder reformieren noch zum Abtreten bewegen. Ihn kann man nur stürzen. Der politische Weg der Nazi-herrschaft führt zur Alternative Krieg oder Revolution.“102 Im Einvernehmen mit den Analysen Gramscis und gegen die innerhalb der Komintern herrschenden, ver-schwommenen Vorstellungen – die besondere Radikalität und emotionale Aggressi-vität des Faschismus wurde zwar registriert, nicht jedoch als Erscheinungsform einer tiefergehenden Funktion verstanden – richtete Trotzki sein Hauptaugenmerk auf die soziale Funktion des Faschismus innerhalb des Kräfteverhältnisses der Klassen: Das faschistische ,Massenphänomen‘ beschrieb er später als die ,plebejische Lösung‘ der Konterrevolution, den Rassismus und Antisemitismus als Kulminationspunkt der ahistorischen Komponente faschistischer Ideologie, der in Richtung auf die Massen als eine Art „zoologisches Pendant“ zum Materialismus und von Seiten der Bourgeoi-sie als Dissimulierung des ökonomischen Liberalismus gebraucht würde. Überhaupt habe Hitler im Vergleich zu Mussolini – ein Bezug, der seitens der Komintern voll-kommen fehlte – die „Methodologie des italienischen Faschismus in die Sprache der deutschen Mystik übersetzt“.103

Seitens der sowjetischen Staats- und Außenpolitik wurde der Antifaschismus als Grundausrichtung der kommunistischen Bewegung durch die guten Beziehungen zum Mussolini-Regime in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre erstmals durchbro-chen, obwohl breite Parteikreise dagegen opponierten und in der Komintern bsw.

auch der für die romanischen Länder Europas und Südamerikas zuständige „latei-nische“ Sekretär des EKKI, Jules Humbert-Droz, dagegen protestierte.104 Im Falle des

Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats. In: Trotzki: Schriften über Deutschland, Bd., 1, S. 180–307. Vgl. zu weiteren Faschismusanalysen bes. August Thalheimer: Über den Faschismus.

In: Faschismus und Kapitalismus. Hrsg. v. Otto Bauer, Herbert Marcuse, Arthur Rosenberg [u. a.].

Frankfurt/M./Wien: Europäische Verlagsanstalt und Europaverlag 1967. S. 19–38 (Politische Texte). Zu Trotzkis Faschismusanalyse siehe auch Bernhard H. Bayerlein: L. Trockij und seine Auseinanderset-zung mit dem Faschismus. Grundlagen und methodischer Zugang. In: Pensiero e Azione politica di Lev Trockij. Atti del convegno Internazionale per il quarantesimo anniversario della morte promosso dalla Fondazione Giangiacomo Feltrinelli. Hrsg. v. Francesca Gori. II. Firenze 1982. S. 667–692.

102 Trotzki, „Portrait des Nationalsozialismus“, S. 579.

103 Trotzki, „Portrait des Nationalsozialismus“, S. 574.

104 Der italienische Fall macht frühe Formen der Doppelgleisigkeit von Komintern- und sowjetischer Politik sichtbar. So hatte die KP Italiens zusammen mit dem Lateinischen Sekretariat der Komintern Anfang 1927 eine internationale Boykottkampagne des faschistischen Italiens gefordert. Doch die Ab-lehnung durch Stalin und auch Bucharin zeigte die Dominanz der russischen Interessen. Ein Boykott seitens der Sowjetunion hätte die „(…) internationale politische Aufmerksamkeit, die auf China und die Sowjetunion konzentriert sein muss, auf Italien abgelenkt“ – so stellte Humbert-Droz wohl die offizielle

Deutschen Reiches wurde auf prophylaktische staatspolitische oder operativ militä-rische Maßnahmen gegen die Machteroberung Hitlers als geostrategische negative Wende der Kräftebalance in Europa zu Ungunsten der Sowjetunion und der interna-tionalen kommunistischen Bewegung jedenfalls verzichtet. Die hier veröffentlichten Beschlüsse des sowjetischen Politbüros lassen den Schluss zu, dass die staatlichen Organe der Sowjetunion nicht einmal defensive Maßnahmen im Vorfeld einleiteten, obwohl mit Hitler erklärtermaßen das Prinzip der Zerstörung der Sowjetunion und der Liquidierung der internationalen kommunistischen Bewegung zur Macht gelangt war. Die Komintern ließ sich insofern in dieses Handlungsschema integrieren und ver-zichtete auf eine gemeinsame Abwehrstrategie der Arbeiterbewegung gegen Hitler, ja verdammte sogar eine solche als konterrevolutionäres Teufelszeug.105

Am 28. Januar 1933, zwei Tage vor der „Machtergreifung“, berichtete die Pravda über die Krise der Regierung Schleicher. Dabei gestand sie den „Nationalfaschisten“, in Abkehr vom geltenden Sprachgebrauch, auch die voll ausgeschriebene Bezeich-nung „National-Sozialisten“ zu, während die Sozialdemokraten nach wie vor als

„Soz[ial]-Faschisten“ diffamiert wurden.106 An gleicher Stelle ist von der „Liquidie-rung einer konterrevolutionären trotzkistischen Gruppe in Deutschland“ die Rede, auch dies ein Hinweis darauf, dass die innerkommunistische Opposition selbst, also der reale und imaginierte Trotzkismus, neben der Sozialdemokratie weiterhin als eigentlicher Hauptfeind angesehen wurde. Noch eine Woche nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler veröffentlichte die Pravda einen Artikel mit der Über-schrift „Angriff des polnischen Faschismus auf die Werktätigen“ (!)107 – womit den historischen Vorgängen in Deutschland ihre Singularität genommen wurde. Am 1.

Februar 1933 wurde auf der Titelseite ein Hitler-Vertrauter mit einer Voraussage schar-fer Repressionen gegen die KPD zitiert, daneben prangerte eine Notiz die „Sozialfa-schisten“ an, sie würden zur „Unterwerfung unter die Hitler-Regierung“ aufrufen. Die Pravda-Artikel suggerierten, dass es sich bei den faschistischen Regimen um eine Art europäische Normalität handelte.

Die fatale, zwischen laisser faire, krassen Fehleinschätzungen, falschen Ein-ordnungen („Sozialfaschismus“) und vorsätzlichem Appeasement gegenüber dem

Haltung dar. „La chose viendra au Présidium mercredi, mais après cette position des Russes, il est bien difficile d’insister. Les interêts de l’URSS, à l’heure actuelle où l’Angleterre menace de rompre, sont cer-tainement au-dessus de tout.“ (Brief von Jules Humbert-Droz an Palmiro Togliatti, Moskau, 26.2.1927, in:

Archives de Jules Humbert-Droz. Les partis communistes des pays latins et l’internationale commu-niste dans les années 1923–1927. Hrsg. Von Siegfried Bahne, Bernhard Bayerlein, Eugen Kretschmann und Reiner Tosstorff, Dordrecht-Boston-London, D. Reidel Publishers, 1983, S. 376–379, hier S. 378.) 105 Siehe als extremes Beispiel den Artikel von Willi Münzenberg: Trotzkis faschistischer Vorschlag einer Blockbildung der KPD mit der SPD. In: Der Rote Aufbau, 15.2.1932.

106 Der Titel lautete: Germanskoe pravitel’stvo nastaivaet na ramorospuske rejchstaga. Ot našego special’nogo korrespondenta. In: Pravda, 28.1.1933. Zur „trotzkistischen Gruppe“ lautete der Titel:

„Likvidacija kontrrevoljucionnoj trockistskoj gruppy v Germanii“.

107 Nastuplenie pol’skogo fašizma na trudjaščichsja. In: Pravda, 8.2.1933.

Nationalsozialismus anzusiedelnde Strategie der KPD und der Komintern erwies sich auf dem Hintergrund von Stalins Machtkalkül in den Jahren 1931 bis 1933 als selbst-zerstörerisch. Nicht nur die kommunistische Opposition und die SPD, sondern auch Teile der Komintern und die Parteiführung beklagten Passivität und den Verzicht auf eine nachhaltige Widerstandsstrategie vor und unmittelbar nach dem Machtantritt Hitlers. Die Dramatik einer welthistorischen Situation, die in der Katastrophe endete, wird hier durch interne Analysen und Prognosen von Eugen Varga, von Emissären der Komintern wie Lájos Mad’jar oder auch durch teilweise entwaffnend offene Briefe Thälmanns, die bisher dem interessierten Leser unbekannt waren, anschaulich greif-bar.

Schicksalsjahr 1933. KPD, Komintern und VKP(b) von der „Machtergreifung“ Hitlers bis zum

Reichstagsbrandprozess

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE