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Die Zerschlagung des antifaschistischen Münzenberg-Imperiums

Eines der wichtigsten Signale, die Stalin zu dieser Zeit aussandte, um die Welt von der Ernsthaftigkeit seiner national orientierten und an der Auslösung und Unterstützung revolutionärer Prozesse desinteressierten Politik zu überzeugen, betraf neben dem Terror gegen Ausländer und Politemigranten in der Sowjetunion die von Münzenberg inspirierten „überparteilichen“ antifaschistischen Massenorganisationen, Komitees, Emigrationsverlage u. a. m. im Umkreis der Komintern. Diese versuchte nun, das

„Münzenberg-Imperium“ unter ihre unmittelbare Kontrolle zu bekommen. Dabei ging es nicht alleine darum, Münzenberg das Imperium zu entreißen, sondern im Zuge von Terror und Renationalisierung zugleich die internationalen Organisationen offeneren Typus im Umkreis der Komintern weitgehend zu beseitigen. Tatsächlich wurden die Massen- und sympathisierenden Organisationen wie die Internationale Arbeiterhilfe mit ihren weitverzweigten kulturellen Aktivitäten weitgehend liquidiert, darunter neben der Internationalen Arbeiterhilfe, die Seeleute-Internationale sowie zahlreiche transnationale antikolonialistische und kulturell ausgerichtete Netzwerke.

Im Dezember 1936 wurde der aus der tschechischen Sozialdemokratie stam-mende und zum gefügigen Bürokraten gewordene Bohumír Šmeral im Auftrag der Komintern nach Paris geschickt, um dort die betreffenden Organisationen, Initiati-ven, Komitees und Verlage zu evaluieren, die nach Hitlers Machtantritt den Umzug von Berlin überstanden hatten (Dok. 396).341So wurde den Editions du Carrefour, die sich unter Münzenbergs Leitung zum wichtigsten deutschen Exilverlag entwickelt hatten, die finanzielle Unterstützung durch die Komintern entzogen, was ihr Ende bedeutete.342 Dort wurde nicht nur das Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-terror publiziert,343sondern auch die Schriften des Welthilfskomitees für die Opfer des Faschismus, des Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus sowie des Internati-341 Einen weiteren Bericht Šmerals siehe in Reinhard Müller: Bericht des Komintern-Emissärs Bohu-mir Šmeral über seinen Pariser Aufenthalt 1937. In: Exilforschung 9 (1991). S. 236–261; Französisch in Stéfane Courtois: „Dossier Willi Münzenberg“. In: Communisme (1994). Nr. 38/39. S. 66ff.

342 Vgl. Simone Barck, Silvia Schlenstedt, Tanja Bürgel, Volker Giel, Dieter Schiller (Hrsg.): Lexikon sozialistischer Literatur: Ihre Geschichte in Deutschland bis 1945. Unter Mitarbeit von Reinhard Hil-lich. Stuttgart/Weimar: Metzler 1994. S. 124–126.

343 Siehe Klaus Sohl: Entstehung und Verbreitung des Braunbuchs über Reichstagsbrand und Hit-lerterror 1933/34. Mit drei bibliographischen Übersichten. In: Jahrbuch für Geschichte 21 (1980). S.

289–327.

onalen Antifaschistischen Archivs verlegt. Dass dadurch die Herausgabe der gesam-ten deutschen antifaschistischen Literatur gefährdet wurde, geht exemplarisch aus einem Brief Johannes R. Bechers und des (gleichfalls einflussreichen) ungarischen, im Rahmen der KPD-Strukturen arbeitenden Schriftstellers Sándor (Alexander) Barta an den Sekretär des sowjetischen Schriftstellerverbandes hervor (Dok. 398).

Begleitet war der Terror von einer Abschottung und Verpuppung der Komin-tern, die ihr letztes Stadium einleitete. Mit bürokratischem Eifer erfolgte die partielle Liquidierung bzw. Umorientierung der internationalen antifaschistischen Netzwerke.

Im März 1938 war dies jedoch noch nicht abgeschlossen, wie die hier erstmals abge-druckten Anweisungen Dimitrovs und Gottwalds deutlich machen (Dok. 435). Laut den Instruktionen sollte sich Šmeral zunächst vor seiner Abreise mit den deutschen Genossen abstimmen, um die eventuellen Schäden der „Liquidierung der Münzen-berg-Frage“ so gering wie möglich zu halten (siehe Dok. 396). Als Begleitmaßnahmen zur Zerschlagung der Peripherorganisationen schlug Šmeral u. a. vor, über die Ver-mittlung Aleksej Tolstojs Heinrich Mann einen Daueraufenthalt (in Paris?) zu ermög-lichen sowie monatlich bis zu 20.000 französische Francs in Valuta zur Verfügung zu stellen, damit „denjenigen deutschen antifaschistischen Schriftstellern, die an größeren Werken arbeiten, eine regelmäßige Monatshilfe bis zu 2.000 Frc. gegeben werden könnte“.344

Als „Kaderfragen“ deklariert, wurde mit großer Präzision über das Schicksal zen-traler, transnationaler Institutionen wie der Editions du Carrefour, der „Deutschen Informationen“ und des „Deutschen Archivs“, der verschiedenen antifaschistischen Komitees und der RUP-Bewegung entschieden und darüber hinaus der „internatio-nalen Zentren für Negerarbeit, für Studentenarbeit“, Jugendarbeit, der Gottlosenbe-wegung, des Europäischen Agrarinstituts, der Internationale der Seeleute oder der Solidaritätsarbeit mit China (Dok. 435).

Dass dabei Reibungsverluste eingeplant waren, zeigt ein Hinweis darauf, darüber mit zentralen Partnern wie Breitscheid, Gabrielle Duchêne und „Luis“ (vermutlich der Argentinier Victorio Codovilla, der sich besonders der ebenfalls 1937 aufgelösten Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit „annahm“) zu sprechen.

Münzenberg wurde zum künstlichen Feindbild – schlimmer als Trotzki, wie Pieck meinte – um die transnationalen Netzwerke zu zerschlagen.345 Der Generalsekretär der KP Frankreichs, Maurice Thorez, sollte Heinrich Mann, Leon Feuchtwanger, Paul Langevin, Francis Jourdan und evtl. auch Pierre Cot kontaktieren, „um sie über die Lage von Münzenberg zu informieren und sie in entsprechender Weise zu

beeinflus-344 Šmeral an Dimitrov, 13.6.1939; RGASPI, Moskau, 495/73/70, 94.

345 Kasper Braskén: „Hauptgefahr jetzt nicht Trotzkismus, sondern Münzenberg“. East German Uses of Remembrance and the Contentious Case of Willi Münzenberg, CoWoPa. Comintern Working Paper 22/2011, Åbo Akademi University, https://www.abo.fi/sitebuilder/media/7957/cowopa22brasken.pdf (15.8.2013).

sen, damit die Liquidierung der Frage Münzenberg (...) keine, oder möglichst geringe Reibungen hervorrufe.“

Den übergreifenden Charakter dieser Maßnahmen unterlegt ein Beschluss des sowjetischen Politbüros vom 26. März 1938, der die Existenz der Internationalen Lenin-Schule der Komintern beendete, die in zehn Jahren bereits zu einem Mythos geworden war. Alle Schüler sollten bis zum 1. Juni abgeschoben werden. Begründet wurde diese Zerlegung der Komintern als Renationalisierungs- und De-Internatio-nalisierungsprozess damit, dass die Kader auch in ihren Heimatländern vorbereitet werden könnten.346

Inzwischen war auch der Mordbefehl Stalins bzw. die mündliche Anweisung an Dimitrov erteilt.347Zu seinem eigenen Glück entzog sich Münzenberg jedoch der

„freundlichen“ Einladung nach Moskau. Am 11. Oktober 1937 schickte Dimitrov eine Direktive an Šmeral in Paris, nach der „allmählich alle mit W[illi Münzenberg] ver-bundenen Elemente entfernt werden“ sollten.348 Was der in der Literatur auch als „red millionaire“ und zwielichtige, ja teuflische Gestalt dargestellte Münzenberg häufig im Alleingang und gegen die Parteibürokratie aufgebaut hatte, wurde nun bürokratisch inspiziert und seziert. Im März 1938 beauftragte Dimitrov den Tschechen Šmeral, der bereits vorher eine Rolle als „Auge Moskaus“ im Münzenberg-Imperium gespielt hatte, damit, Strukturen, Kompetenzen und Kontakte neu zu ordnen.

Netzwerkanalytisch war die Auflösung des antifaschistischen und antikolonia-listischen „Münzenberg-Imperiums“ ein Muster für die Einschränkung der „Spaces of flows“ (Manuel Castells).349Der ausländerfeindliche Terror und die abenteuer-lichen Anklagen der Moskauer Prozesse waren radikale Mittel, um transnationale Knoten im Netzwerk der Komintern zu „kappen“ oder in vertikale (und vollkommen autoritär strukturierte), eher nationale bzw. bilaterale, doch vor allem allein von der Sowjetunion kontrollierte Netze zu überführen. Während in den Jahren 1933 bis 1936 die Sowjetunion den NS-Terror und die Unterdrückung der deutschen Kommu-nisten weitgehend ohne Proteste hinnahm, übernahm sie es im „Großen Terror“ ab 1936/1937 sozusagen selbst, die sich auf sowjetischem Territorium im Exil befindli-chen KPD-Mitglieder mit Repressionen zu überziehen (ca. 70 % wurden zu Opfern des Stalinschen Terrors). Durch die Auflösung der noch verbliebenen horizontalen Netzwerke wurden die Verbindungen zu den antifaschistisch eingestellten Massen, besonders in Frankreich, gekappt.

Seltsamerweise ist der Kern der Anklagen Münzenbergs gegen Ulbricht und seine Helfershelfer, zu denen er eine Untersuchung seitens der Komintern einforderte, in der Zeitgeschichts- und Exilforschung nicht weiter untersucht worden. Insofern ist

346 RGASPI, Moskau, 17/162/22, 158; Publ. in Adibekov, Anderson, Širinja, Rogovaja, Politbjuro i Komintern, S. 765.

347 Dimitroff, Tagebücher, I, S. 163–165.

348 Direktive von Hel. [Dimitrov] an Flor. [Šmeral], 11.10.1937; RGASPI, Moskau, 495/73/76, 9.

349 Manuel Castells: The Rise of the Network Society. Cambridge: Blackwell 1996.

die Historiographie der Kominternpolitik gefolgt. Die eigentliche Untersuchung zu Münzenbergs Anklagen begann erst nach dessen Ausschluss und der Rehabilitierung Ulbrichts durch den Beschluss der IKK vom 5. Juli 1939 – vermutlich um sie dann im Sande verlaufen zu lassen. Bereits Anfang 1938 wurde in einem „Memorandum“

der Parteiführung die „partei-, einheits- und volksfrontfeindliche Tätigkeit“ Münzen-bergs, die er zur Durchsetzung seiner „Spaltungspolitik“ angeblich entfaltete, ausge-breitet (Dok. 431).

Doch die KPD-Führer im Exil waren nun in den Augen der Komintern allesamt suspekt geworden, nicht zuletzt als Folge ihrer Isolierung: „Wegen ihrer früheren Führungsposition in der Partei und weil sie von der direkten politischen Arbeit in der deutschen Partei ausgeschlossen sind, stellen diese in der Sowjetunion leben-den Elemente ein Ärgernis dar, da sie sich weigern, sich der gegenwärtigen Situation anzupassen.“

Praktiken des Stalinismus in der deutschen politischen

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