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Urbane Logistik

Im Dokument KONZEPT GÜTER (Seite 73-78)

5 Gestaltungsfelder für den Güterverkehr

5.2 Verbesserung der Organisation des Systems Güterverkehr

5.2.2 Urbane Logistik

In verdichteten Ballungsräumen besteht oftmals eine hohe Nachfrage nach Flächen im Allge-meinen und Verkehrsinfrastruktur im Besonderen. Das Angebot an Flächen und Verkehrswe-gen ist jedoch begrenzt. Die Nachfrage übersteigt in der Folge oft das Angebot, das Parken in zweiter Reihe, Verkehrsbehinderungen, Staus und Lieferverzögerungen in den Städten sind das Resultat. Da die öffentliche Hand die Verkehrswege zur Verfügung stellt, besteht hier die Möglichkeit steuernd einzugreifen. Sei es zum einen durch Regulierungsmaßnahmen wie Lie-ferzeitbeschränkungen, um damit eine temporäre Reduktion der Infrastrukturbelastung zu erreichen, oder durch einen Ausbau der Verkehrswege.

Für den stationären Handel in den Städten bzw. im urbanen Raum nimmt vor diesem Hinter-grund die Logistik einen besonderen Stellenwert ein. Nur durch ein ausreichendes Angebot auf dem Speditions- und Verkehrsmarkt kann der stationäre Handel die Endverbraucher noch zufriedenstellen. Die Belieferung des Einzelhandels und Endkunden erfolgt in Städten und Ballungsräumen jedoch mehr und mehr kleinteilig. Es sind überwiegend Dienstleister im Ku-rier-, Express- und Paketbereich (KEP) für die Belieferung der Innenstädte im Einsatz und, nicht zuletzt wegen der oftmals auffälligen Fahrzeuglackierung, für jedermann sichtbar. Da-her wird dem KEP-Markt in der aktuellen Diskussion zur urbanen Logistik eine erhöhte

Auf-Optimierungen bestehender Park-räume

Flächenmangel und knappe Infrastruktur

KEP-Branche im Fokus

56 merksamkeit zu Teil. Zunehmend werden innovative Zustellverfahren ausprobiert und um-gesetzt, um das starke Wachstum des Sendungsvolumens stadtverträglich bewältigen zu können.

Die urbane Logistik wird in Baden-Württemberg als zentrale Herausforderung erkannt und diskutiert. Insbesondere die Notwendigkeit zur verbesserten Luftreinhaltung bietet derzeit einen wesentlichen Treiber der urbanen Logistik: zur Reduktion der Schadstoffbelastungen in Innenstädten werden bereits in einigen Städten lokal emissionsfreie Lieferfahrzeuge ein-gesetzt; sofern keine anderen Maßnahmen wirksame Verbesserungen der Luftqualität zulas-sen, sind aber auch in manchen baden-württembergischen Städten mittlerweile Fahrverbote für ältere Fahrzeuge eingeführt. Zwar können Gewerbetreibende hiervon Ausnahmen bean-tragen, sind aber auch einem erhöhten bürokratischen Aufwand ausgesetzt und haben den Wunsch, ihre Flotten möglichst rasch – aber zu wirtschaftlich tragfähigen Konditionen – zu erneuern.

Luftreinhaltung ist aber nicht der einzige Einflussfaktor, der derzeit die urbane Logistik treibt.

Vielmehr zeigen Studien, dass auch eine ganze Reihe gesellschaftlicher Einflussfaktoren (wie z.B. die Urbanisierung oder sich verändernde Einkaufsgewohnheiten), technische Gegeben-heiten (wie z.B. die Verfügbarkeit alternativer Kraftstoffe oder Big Data), wirtschaftliche Grö-ßen (wie z.B. eine zunehmende Wettbewerbsintensität), in der die Transportkostensenkung eine zentrale Rolle spielt. Auch die Art der politischen Einflussnahme (z.B. über Anreize oder Regulierungsmaßnahmen) prägt die urbane Logistik (siehe Abbildung 5-9).

Abbildung 5-9: Einflussfaktoren auf die urbane Logistik

Quelle: Bauer et al. (2018), S. 32 (Darstellung angepasst)

Luftreinhaltung als zentraler Treiber inno-vativer Logistikkon-zepte

57 Insgesamt sind mit der Vielzahl dieser Einflussfaktoren für die Optimierung der urbanen Lo-gistik zahlreiche Ansatzpunkte vorhanden, die in einer ganzen Reihe an Gutachten und Stu-dien aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden. Im Fokus steht dabei die KEP-Branche.

Der Wirtschaftsverkehr in der Stadt geht aber weit über die KEP-Branche hinaus. So gilt es, neben der Paketzustellung auch z.B. Stückgutlieferung, Handwerksverkehre oder Dienstleis-tungsfahrten zu berücksichtigen. Potenziale für innovative Lösungen bieten sowohl der Ein-satz emissionsfreier und platzsparender Fahrzeuge, als auch das autonome Fahren, die zu-nehmende Digitalisierung und eine vermehrte integrierte Betrachtung von Personen- und Güterverkehr (siehe Abbildung 5-10).

Abbildung 5-10: Ansatzpunkte für Maßnahmen in der urbanen Logistik

Quelle: Bienzeisler et al. (2018), S. 12

Diese sieben Ansatzpunkte werden in aktuellen Konzepten zur urbanen Logistik unter ande-rem wie folgt in Maßnahmen umgesetzt und – oft noch in Piloten und Reallaboren, teilweise aber auch schon im Regelbetrieb – ausgestaltet:

 Mittlerweile flächendeckend eingesetzt werden Pack- oder Paketstationen zur Un-terstützung der Zustellung von Paketen auf der letzten Meile v.a. an Privatkunden.

Der Empfänger eines Paketes ist hier nicht mehr auf eine bestimmte Zustellzeit an-gewiesen, sondern kann selbst bestimmen, wann er sein Paket entgegennehmen möchte. Gleichzeitig erhöht sich die Zustellquote des KEP-Dienstleisters. Die Pakete müssen vom Empfänger allerdings an einer vorab definierten Station abgeholt wer-den. Auf der Bundesgartenschau 2019 in Heilbronn wurde erstmals und mit sehr gu-ten Ergebnissen ein System erprobt, bei dem die Packstation im Quartier autonom unterwegs ist, und der Empfänger Ort und Zeit der Übergabe selbst bestimmen kann.

Ansatzpunkte für Maß-nahmen der innovati-ven urbanen Logistik

Innovative Distributi-onssysteme

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 Aus wettbewerblichen Gründen stehen die eingerichteten Paketstationen in der Re-gel nur einem oder mehreren, in einem Verbund zusammengeschlossenen Anbietern zur Verfügung. Das theoretisch vorhandene Bündelungspotenzial in der Stadt wird so allerdings noch nicht vollständig abgeschöpft. Daher haben sich zuletzt unter dem Begriff White Labelling auch unabhängige Dienstleister etabliert, die wettbewerber-neutral die Bereitstellung von Stationen zur Paketabholung unabhängig vom beför-dernden Dienstleister anbieten. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit die Zu-stellung auf der letzten Meile generell anbieterunabhängig bzw. anbieterübergrei-fend zu gestalten und dadurch eine weitreichendere Bündelung vorzunehmen.

 Neben der Zustellung an die Wohnadresse gibt es auch Bündelungskonzepte, die es Arbeitnehmern ermöglichen, privat bestellte Waren und Pakete an einer zentralen Anlaufstelle am Arbeitsplatz zu empfangen. Dabei wird das Paket direkt an diese zentrale Stelle adressiert und der jeweilige Paketkunde erhält eine persönliche Emp-fangsbenachrichtigung. Das Konzept ermöglicht durch Öffnung für alle (KEP-)Dienst-leister die Bündelung von Sendungen.

 Eine andere Form des White Labelling bei gleichzeitiger Umstellung auf eine lokal emissionsfreie Zustellung ist der Einsatz von Fahrrädern und (E-)Cargo-Bikes für die Zustellung auf der letzten Meile. Auch unabhängig von einem White Labelling ist die Fahrradlogistik (siehe Kapitel 5.2.3) in Verbindung mit einer unternehmenseigenen Mikro-Hub-Struktur (z.B. in Form von Containern im öffentlichen Raum) ein vielver-sprechender Ansatz für die urbane Logistik.

 Auch die Mitnutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln durch die urbane Logistik in Form einer Kombination von Güterverkehr mit dem Personenverkehr bietet Poten-zial. Zum einen besteht die Möglichkeit, vorhandene Infrastrukturen zu nutzen (z.B.

Schieneninfrastruktur, Haltestellen) oder einen integrierten Transport von Personen und Waren z.B. mit Bussen oder Straßenbahnen durchzuführen. Eine dritte Option besteht darin, innerhalb der Kommunen vorhandene Wasserstraßen als Infrastruktur für die Nahversorgung zu nutzen.

 Ein ähnliches Konzept, das eine Kombination aus Bündelung und den Einsatz von emissionsfreien Fahrzeugen umsetzt, ist die Idee von größeren Logistik Hubs am Rande der Städte. Durch Bündelung von Transportströmen an einem zentralen Hub und dem anschließenden Transport in die Stadt mit kleineren und elektrisch betrie-benen Fahrzeugen soll die Feinverteilung im Stadtgebiet lokal emissionsfrei gestaltet und gleichzeitig die Anzahl der Fahrten minimiert werden. Durch eine strategische Flächennutzungsplanung besteht die Möglichkeit, solche Hubstrukturen auch trimo-dal auszustatten und damit neben der Straße auch den Umschlag auf/von Binnen-schiff und Schiene herzustellen. Allerdings greifen derartige Strukturen massiv in die wettbewerblich geprägte Zustellstruktur und damit gestaltend in die Logistikwirt-schaft ein, und bedürfen daher immer zumindest einer besonderen Begründung.

 Auch wenn bislang mit derartigen Kampagnen nicht die gewünschten Erfolge erzielt werden konnten, ist die Fortführung und Weiterentwicklung von Imagekampagnen

Sendungsbündelung

59 für die urbane Logistik erforderlich. Ziel der Kampagnen ist insbesondere die Ver-deutlichung der Relevanz der Lieferungen, die die Versorgung der Städte und ihrer Bewohner/innen sicherstellen. Deshalb muss ein größeres Verständnis für Fahrzeuge im Straßenraum und die Belegung von Flächen für Logistiknutzung geschaffen wer-den, wobei die Logistik als gleichberechtigter Akteur gegenüber anderen Nutzungen gilt.

 Angesichts der Flächenknappheit im urbanen Raum beschäftigen sich verschiedene Projekte mit einer Mehrfachnutzung von Flächen zur multifunktionalen Nutzung (auch) für die urbane Logistik. Dabei ist sowohl eine zeitliche Mehrfachnutzung (z.B.

nächtliche Nutzung von Tiefgaragen zur Paketsortierung) als auch eine räumliche Mehrfachnutzung (z.B. mehrgeschossige Bauweise mit Wohnnutzung, Parkflächen, Schienenanschluss und Umschlagebene) denkbar.

 Um den Bedarf nach ausgewiesenen Lieferzonen bzw. Lieferflächen für Lieferkehre zu befriedigen, können härtere Kontrollen für Falschparker, aber auch die ver-mehrte Nutzung von digitalen Möglichkeiten eine Option sein, z.B. indem eine App-basierte Kurzzeitreservierung von Lieferflächen eingeführt wird. Ziel ist es, das Par-ken in zweiter Reihe oder auf Gehwegen zu verhindern. In jedem Fall benötigen die Unternehmen Flächen, die – zumindest temporär – logistisch genutzt werden kön-nen.

 Auch wenn die urbane Logistik moderner Prägung in Abgrenzung zur City-Logistik-Idee der 1990er Jahre mit weitaus weniger Regeln, dafür vermehrt mit Anreizen ar-beitet, werden auch regulatorische Maßnahmen wie z.B. Ansätze zur Verkehrslen-kung oder Lieferzeitfenster durch die Kommunen nicht grundsätzlich negativ einge-schätzt, solange für alle Transportunternehmen die gleichen Voraussetzungen gelten und sich jeder an den gleichen Leitlinien orientieren muss.

In den drei während der Erarbeitung des Güterverkehrskonzeptes durchgeführten urbanen Foren in Reutlingen, Ulm und Ludwigsburg standen Fragestellungen zu spezifischen Themen des urbanen Raumes im Fokus. Neben einer Bestandsaufnahme der derzeitigen Ist-Situation wurden Zukunftsszenarien und Konzeptideen entwickelt. Die Ergebnisse der Diskussionen mit Relevanz für die urbane Logistik in Baden-Württemberg lassen sich in folgenden Leitlinien zusammenfassen:

 Es bedarf einer Definition von Pilotstädten für eine neue urbane Logistik in Baden-Württemberg.

 Kommunale Planungsverfahren, die Logistik als einen integrativen, festen Planungs-bestandteil vorsehen, sind anzustreben.

 Konsequente Flächen-Mehrfachnutzung (über die Zeit, aber auch über den Raum, z.B. durch Mehrebenen-Konzepte) zur Schaffung der erforderlichen Logistikflächen („Mikro-Hubs“) in der Stadt werden erforderlich.

 Die Warenmengen bleiben in der Stadt – Ziel ist nicht die „logistikfreie Stadt“.

 Ergriffene Maßnahmen und das Ziel der Kostenwahrheit gelten für alle betroffenen Akteure gleichermaßen, um Wettbewerbsverzerrungen bzw. unfaire Wettbewerbs-vorteile zu vermeiden.

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 Maßnahmen zur Anpassung des Verkehrsraums und des Rechtsrahmens für einen umfassenden Einsatz von (E-)Lastenrädern müssen umgesetzt werden („Fahrradlo-gistik“).

 Vermehrt sind auch intelligente Verknüpfungen von Personen- und Güterverkehr („Paketbus“ bzw. „Kombibus“) zu prüfen und ggf. umzusetzen (Paketmitnahme in Linienbussen z.B. im Spätverkehr oder auf Quartierslinien).

 Verkaufen (Vermarktung und Kommunikation von Maßnahmen der urbanen Logis-tik, angemessene Bürgerbeteiligung) und Regulieren (Durchsetzen von beschlosse-nen Maßnahmen) ergänzen sich sinnvoll.

 Entscheidend für die Durchsetzung der gefundenen Lösungen ist, dass die Konzepte auch im Regelbetrieb funktionieren, und nicht nur in idealisierten „Showcases“ bzw.

mithilfe externer Förderung.

 Die Umsetzung im Detail entscheidet über den Erfolg.

 Verstetigte kommunale und interkommunale Akteurs-Dialoge sind zur Erhöhung der Sichtbarkeit und der Wahrnehmbarkeit der Logistik in der Stadt notwendig.

Die Erwartungen der Akteure an die urbane Logistik zeigen zum einen die Notwendigkeit auf, neue Lösungen zu entwickeln, machen aber gleichzeitig auf das Problemlösungspotenzial aufmerksam, welches im Land bereits vorhanden ist. Da es sich bei den definierten Leitlinien überwiegend noch um vorwettbewerbliche Überlegungen handelt, sind bestehende und ggf.

auch weitere Förderprogramme eine Hilfestellung dabei, möglichst rasch markttaugliche An-sätze zu identifizieren und zu etablieren. Auch Anreize für lokal emissionsfreie Fahrzeuge wie z.B. exklusive Einfahrtsberechtigungen können hier positiv zur Entwicklung beitragen.

Im Dokument KONZEPT GÜTER (Seite 73-78)