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Fahrradlogistik

Im Dokument KONZEPT GÜTER (Seite 78-83)

5 Gestaltungsfelder für den Güterverkehr

5.2 Verbesserung der Organisation des Systems Güterverkehr

5.2.3 Fahrradlogistik

Fahrradlogistik meint den Einsatz von Lastenrädern zur Transportabwicklung, insbesondere im urbanen Bereich. Ziel der Landesregierung ist ein Maßnahmenszenario, welches bereits 2020 einen Anteil des Fahrrads von 5 % an den Liefervorgängen in den baden-württembergi-schen Städten ermöglichen sollte. Hierfür ist die maximale Abschöpfung des Systempotenzi-als erforderlich und zwar sowohl unter technischen, rechtlichen Systempotenzi-als auch organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Aspekten.

Als Lastenräder gelten Fahrradtypen, die über spezielle Vorrichtungen für einen (Lasten-)Transport verfügen und die für eine Zuladung von über 25 kg herstellerseitig ange-dacht sind. Weitere gängige Bezeichnungen dieses Fahrradtyps sind unter anderem Car-gobike und Transportrad. Das Lastenrad soll durch die Aufnahme verhältnismäßig großer Las-ten und Volumina eine geeignete umweltfreundliche Transportalternative zu Pkw insbeson-dere in innerstädtischen Regionen darstellen. Neben dem gewerblichen Einsatz werden Las-tenräder auch im privaten Bereich eingesetzt. Hier spielt hauptsächlich der Transport von Kindern und Einkäufen eine Rolle. Durch den vielfältigen Einsatz hat sich eine Diversifizierung verschiedenster Bauformen ergeben. Unterscheidungsmerkmale existieren bei der Anzahl an Rädern und der Position der Last. Mehrspurige Lastenräder können bis zu 300 kg transpor-tieren (siehe Abbildung 5-11).

Das (Lasten-)Rad als Bestandteil urbaner Logistikprozesse

Definition und Typisie-rung Lastenrad

61 Abbildung 5-11: Gängige Lastenrad-Bauformen

Quelle: Eigene Darstellung

Quelle: TU Wien (2019)

Quelle: TU Wien (2019)

Gemäß Richtlinie 2002/24/EG gelten Fahrräder mit einer elektrischen Tretkraftunterstützung unter einer Geschwindigkeit von 25 km/h und einer Nenndauerleistung bis 250 Watt als Fahr-rad und nicht als Kraftfahrzeug. Da Bund und Länder diese Abgrenzung analog vornehmen, unterliegen auch herkömmliche E-Lastenräder allen Rechten und Anforderungen wie alle an-deren Fahrradtypen. Insbesondere bezieht sich dies auf die Anforderungen der Straßenver-kehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO). Ein einspuriges Lastenrad darf maximal eine Breite von 1,0 m einnehmen, ein mehrspuriges Lastenrad 2,0 m Maximalbreite. Ein Lastenrad benötigt darüber hinaus keine Betriebserlaubnis und es gibt keine Führerschein-, Kennzeichnungs-, Versicherungs- und Helmpflicht. Das zulässige Gesamtgewicht ist auf keine bestimmte Be-grenzung definiert, jedoch darf die Zuladung in keinem Fall einen sicheren Betrieb beein-trächtigen.

Das Be- und Entladen von Lastenrädern im eingeschränkten Halteverbot, beispielsweise in ausgewiesenen Ladezonen, ist entsprechend den Bestimmungen für Kraftfahrzeuge geregelt.

Ein Halt zum zügigen Be- und Entladen ist dann erlaubt, wenn das Transportgut bezogen auf Größe und Menge die Beförderung durch ein Fahrzeug verlangt. Die Zeitdauer des Entladens ist dabei nicht förmlich festgelegt und wird als Einzelfallentscheidung ausgelegt. Seit der 2020 erfolgten StVO-Novelle existiert auch ein Sinnbild "Lastenfahrrad", mit dem die zuständigen Straßenverkehrsbehörden eigene Parkflächen und Ladezonen für Lastenräder ausweisen können. Die Befahrung von Radwegen, für den Radverkehr freigegebenen Gehwegen und gemeinsamen Fuß-/ und Radwegen ist für Lastenräder grundsätzlich erlaubt. Wenn ein Rad-weg direkt neben der Fahrbahn verläuft, ist es auch für Fahrerinnen und Fahrer eines Lasten-rads verpflichtend, diesen zu nutzen. Lediglich bei objektiver Nicht-Nutzbarkeit des Radwegs, beispielsweise durch falsch parkende Pkw oder zu schmalen Abmessungen, ist das Auswei-chen auf die Fahrbahn zulässig. Grundsätzlich nicht erlaubt ist das Befahren von Gehwegen mit einem Lastenrad.

(Lasten-)Räder verschiedenster Bauart kommen derzeit in folgenden Marktsegmenten ge-werblich zum Einsatz (DLR 2016):

 Post-, Kurier- und Paketdienstleistungen

 Lieferservices

 Werkverkehr

 Personenwirtschaftsverkehr, z.B. Handwerkerdienstleistungen

StVO-Regelung für Lastenräder

Nutzung von Rad- und Gehwegen durch Las-tenradverkehre

62 Die genaue Anzahl von Lastenrädern in Deutschland ist nicht darstellbar, da keine amtliche Statistik geführt wird und Lastenräder vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), welcher jährlich Marktdaten für Fahrräder und E-Bikes bekannt gibt, mit anderen Fahrradmodellen wie Tan-dems und Liegerädern unter der Rubrik „Sonstige“ zusammengefasst werden. Schätzungen gehen von derzeit rund 40.000 bis 50.000 Lastenrädern aus, die in Deutschland im Einsatz sind (DLR 2016, ZIV 2018).

Die Fahrradlogistik kann in Pilotversuchen und Feldtests bereits als verhältnismäßig gut ex-ploriert gelten:

 Im Projekt „Ich ersetze ein Auto“ wurde der Einsatz von Elektro-Lastenräder im Ku-riermarkt im Zeitraum von 2012 bis 2014 erprobt. Hierbei wurden insgesamt 40 Las-tenräder bei acht Kurierzentralen eingesetzt. In dieser Zeitspanne wurden 127.000 Sendungen befördert und eine Strecke von etwa einer halben Million Kilometer zu-rückgelegt. Als Projektergebnis konnte festgehalten werden, dass rund 42 % der Auf-träge, die bisher von konventionell angetriebenen Fahrzeugen ausgeführt wurden, durch Elektro-Lastenräder substituiert werden konnten. Dies entsprach einer Substi-tuierung von 19 % der daraus resultierenden Fahrleistung. Darüber hinaus bewerte-ten im Anschluss von „Ich ersetze ein Auto“ neun von zehn Kurieren die gewerbliche Nutzung von Fahrradlogistik als sinnvoll (DLR 2016).

 Im Folgeprojekt „Ich entlaste Städte“ von Januar 2017 bis Dezember 2019 wird die Nutzung von Lastenrädern auf alle weiteren Firmen und öffentliche Einrichtungen in Deutschland erweitert. Den teilnehmenden Unternehmen stehen nun über 150 Las-tenräder zur Verfügung, die für eine Nutzungspauschale von 1€ pro Tag und einer Laufzeit von drei Monaten erworben werden können. Das Testangebot lief bis Ende 2019, derzeit erfolgt die Auswertung (DLR o.D.).

 Im Rahmen des Projekts „Transportrad Initiative Nachhaltiger Kommunen“ (TINK) wurden in den Städten Norderstedt und Konstanz je 24 Lastenräder an mindestens zwölf Standorten bereitgestellt, die im Zeitraum Sommer 2016 bis Sommer 2017 via Internet, App oder Telefon gemietet werden konnten. Dieses stationsbasierte Sha-ring-System erreichte eine Substituierung von Fahrten mit Kraftfahrzeugen, die bei 53 % in Konstanz (210 Teilnehmende) und 44 % in Norderstedt (109 Teilnehmende) lagen.

 Im Juni 2017 wurde in Köln das bislang europaweit größte Verleihsystem für E-Las-tenräder gestartet. Donk-EE ist ebenfalls ein stationsbasiertes Sharing-System, das an über 50 Standorten in Köln insgesamt 60 Lastenräder zur Vermietung bereitstellt.

Über die Donk-EE App ist es dem Anwendenden möglich, verfügbare Lastenräder in der Nähe zu suchen und für bis zu 30 Minuten zu reservieren. Die Bezahlung dieses Systems wird minutengenau mit 5 Cent pro Minute abgerechnet, während die maxi-male Tagesmiete bei 18 € liegt. Die Lastenräder von Donk-EE besitzen eine elektrisch unterstützte Reichweite bis 75 km mit einer Geschwindigkeit von bis zu 25 km/h. Die Nutzlast beträgt 100 kg. Auch Kindersitze mit Sicherheitsgurten gehören zur Ausrüs-tung dazu.

Statistik zur Lasten-radnutzung

Pilotprojekte der Las-tenradlogistik

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 Im Auftrag der Industrie- und Handelskammer Stuttgart wurden mehrere Projekte zur Fahrradlogistik in Stuttgart durchgeführt. Zunächst wurde eine Kurzstudie ver-fasst und exemplarisch anhand zweier Logistikdienstleister maßgebliche Vorausset-zungen und Prozessanpassungen für den Einsatz für Lastenräder im innerstädtischen Paketdienst geprüft. Dadurch konnte der erforderliche zusätzliche Infrastruktur- und Flächenbedarf abgeschätzt werden. Zudem wurden in Kooperation mit einem KEP-Unternehmen drei unterschiedliche Varianten eines Lastenradkonzepts bzw. der Zu-stellung mit Sackkarren getestet. Allen drei Varianten war die Nutzung eines mobilen Mikrodepots im öffentlichen Straßenraum gemeinsam (Rüdiger et al. 2016). Es konn-ten die Einflüsse auf bestehende Lieferverkehrsströme, (verlängerte) Zustellzeit-räume sowie die Personalstruktur und -planung in der Paketdienstleistung gezeigt werden, aber auch die Notwendigkeit innerstädtischer Flächen und Ladeinfrastruk-turen für E-Lastenräder. Ebenfalls konnte gezeigt werden, dass das Lastenrad in ei-nem typischen Zustellprogramm zwar bis zu 75 % der Zustellungen übernehmen kann, aber keine vollständige Substitution für den Einsatz von Lieferfahrzeugen sein kann. Dies ist auf die Abmessungen und Gewichte der Pakete zurückzuführen, die nicht in allen Fällen für den Transport mit Lastenrädern geeignet sind.

 Die Stadt Stuttgart ist als Akteur selbst auch in diversen Projekten der Stadtlogistik integriert, so z.B. seit 2015 im Projekt LogSPAZE, das durch die Stadt selbst ins Leben gerufen wurde. In Kooperation mit diversen KEP-Dienstleistern wurden hier Stand-orte für Mikro-Hubs im öffentlichen Raum gesucht und pilotiert. Seit 2018 wird in-tensiv daran geforscht, wie die Integration von Container-Hubs in den Stadtraum ver-bessert werden kann und welche Potenziale zur Flottenumstellung auch in anderen Branchen (z.B. Spedition) existieren. Darüber hinaus ist die Landeshauptstadt assozi-ierter Partner im Pilotprojekt Park up, das in der Förderrichtlinie mFUND des BMVI bis Ende des Jahres 2019 gefördert wurde. Hier wurde ein Geschäftsmodell für die Mehrfachnutzung von Flächen in Parkhäusern entwickelt: temporär können Flächen für Logistikzwecke an- und abgemietet werden. Zwei große Parkhausanbieter in Ba-den-Württemberg sind in dieses Projekt einbezogen.

 Ebenfalls in Stuttgart wird die Nutzung von Lastenrädern für den privaten Bereich erprobt. Im Rahmen des Realexperiments „rotierendes Lastenrad“ des Vereins „Las-tenrad Stuttgart e.V.“ wird seit Mitte 2016 die Verleihung von Lastenrädern an Pri-vatpersonen in der Stuttgarter Innenstadt getestet, die zwischen verschiedenen Aus-leihstationen rotieren. Derzeit verfügt das Realexperiment über sieben feste Statio-nen, an denen insgesamt 13 unterschiedliche Lastenrad-Modelle für maximal drei aufeinanderfolgende Tage geliehen werden können. Durch das Projekt konnten bis-her einige Erkenntnisse gewonnen werden: So war die Erprobung des Lastenrad-Ro-tationssystems innerhalb des Realexperiments zwar erfolgreich, jedoch zweifeln die Autoren an der Sinnhaftigkeit in Stuttgart, da der aus einem dauerhaft rotierendem Lastenrad resultierende hohe Organisationsaufwand und die unregelmäßige Verfüg-barkeit für Nutzer nicht lohnenswert sei (Becker et. al. 2018).

 Über diese Projekte hinaus gibt es in Baden-Württemberg bislang kaum nennens-werte Initiativen zum Lastenrad-Sharing. Weitere Lastenräder Initiativen in Baden-Württemberg, die im Rahmen des Forums Freie Lastenräder eingebunden sind, sind LastenVelo Freiburg mit derzeit acht Lastenrädern, Lastenkarle in Karlsruhe mit fünf

64 Lastenrädern, der Lastenradverleih im ZuM in Heidelberg mit einem Rad, das Lasten-Velo Mannheim mit einem Rad, sowie das Lastenrad Marbach mit ebenfalls einem Lastenrad.

 Das Land Baden-Württemberg fördert im Rahmen der „Landesinitiative III Markt-wachstum Elektromobilität BW“ die Anschaffungen von E-Lastenrädern. Dabei wer-den u.a. ansässige Unternehmen mit 30 % der förderfähigen Anschaffungskosten bis maximal 3.000 Euro je Lastenrad durch die Landesregierung unterstützt. Bis Anfang Mai 2020 wurden bisher über 2.000 Lastenräder gefördert (VM BW o.D.).

Aus diesen Projekten heraus lassen sich verschiedene Ansatzpunkte ableiten, wie die Nut-zung von Lastenrädern weiter ausgebaut werden kann. Hierzu zählen u.a. ordnungspolitische Maßnahmen wie eine Verlängerung von Lieferzeitfenstern für die innerstädtische Beliefe-rung mittels (Lasten-)Fahrräder sowie eine Ausdehnung der Freigabe für die entgegenge-setzte Befahrung von Einbahnstraßen. Auch die Erhöhung der Sichtbarkeit und Tests durch Projekte wie „Ich entlaste Städte“ und eine Ausweitung der Kaufprämien wird für hilfreich gehalten. Ein weiteres erfolgsversprechendes, aber auch umstrittenes Konzept stellt das so-genannte „White Labelling“ dar. Hierbei betreibt ein neutraler Logistikdienstleister z.B. am Stadtrand oder auch in zentraler Lage einen Umschlagpunkt, der von mehreren Paketdiens-ten, Spediteuren und Einzelhändlern genutzt wird. Dort werden die Sendungen umgeschla-gen und auf Lastenräder zur Endzustellung umgeladen. Weiteres Potenzial für Lastenräder ergibt sich durch die Einrichtung (öffentlicher) Leihsysteme. Obwohl im Bereich Lastenrad-Sharing bereits einige Angebotsformen vorhanden sind, ist dieses Konzept jedoch bisher nur als Nische zu sehen, welche kaum wahrgenommen wird. Die folgende Tabelle stellt sechs der gängigsten Sharing-Konzepte dar.

Tabelle 5-3: Angebotsformen für das Lastenrad-Sharing

Verfügbarkeit Nutzungsdauer

we-nige Stunden Gering RFID-Karte, SMS oder App

ta-geweise Mittel Persönliche

Übergabe Privat Host-basierte Systeme

Öffnungszei-ten des Hosts

Stunden- bis

ta-geweise Variabel Persönliche

Übergabe Variabel

Testzeitraum Einige Monate Gering Persönliche Übergabe

ta-geweise Gering Persönliche Übergabe

öffentliche Hand Quelle: TU Wien (2019)

Maßnahmen zur Aus-weitung des Lastenra-deinsatzes

65 Um eine Ausweitung der Nutzung von E-Lastenrädern in Baden-Württemberg zu unterstüt-zen, ist ein Ausbau der Infrastruktur zu lastenradtauglichen Radverkehrsanlagen notwendig.

Neben der Erweiterung der Ladeinfrastrukturen und sinnvollen Fördermöglichkeiten, ist auch der Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs beim Einsatz von Lastenradsystemen und der Erhöhung der Nutzerakzeptanz die gebotene Aufmerksamkeit zu widmen.

Im Dokument KONZEPT GÜTER (Seite 78-83)