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Schienen- und Hafeninnovationen

Im Dokument KONZEPT GÜTER (Seite 123-128)

5 Gestaltungsfelder für den Güterverkehr

5.4 Innovationen im Güterverkehr

5.4.4 Schienen- und Hafeninnovationen

Im Vergleich zu den technischen Entwicklungen und Fortschritten zu anderen Verkehrsträ-gern entwickeln sich technische Fortschritte im Schienengüterverkehr und in der Binnen-schifffahrt in der Vergangenheit eher über längere Zeiträume hinweg und in kleineren Schrit-ten. Große Basisinnovationen, die sich flächendeckend im Markt etablieren konnten, bilde-ten abgesehen von wenigen grundsätzlichen Veränderungen wie dem Übergang von der Dampfmaschine zum Verbrennungsmotor und zum Elektroantrieb bei der Bahn eher die Aus-nahme.

Dennoch kam es im Bereich der Schiene zu verschiedenen Entwicklungen, die prinzipiell zur Verfügung stehen, teilweise auch genutzt werden, und das erhebliche Potenzial zur Effizienz-steigerung für den Schienengüterverkehr versprechen:

autonomes Fahren im Überlandverkehr ab-seits der Autobahnen

Fokus auf den Güter-verkehr ausbauen

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 Bei der automatisierten Zugbildung wird Personal nur noch zur Überwachung und – sofern keine automatische Kupplung zum Einsatz kommt – zum Kuppeln der Wagen benötigt. Das Abdrücken, das Stellen der Weichen und die Bremsanlage in der Zug-bildungsanlage funktioniert automatisch über ein elektronisches Stellwerk mit auto-matischem Weichenumlauf. Als erster Rangierbahnhof in Deutschland wurde 2018 der Rangierbahnhof in Halle (Saale) mit der entsprechenden, vollautomatischen Technik ausgerüstet. Neben den Projekten zur Automatisierung von Zugbildung und der Bremsprobe gibt es auch weitergehende Projekte mit dem Ziel, Rangierbewe-gungen zu automatisieren indem autonom verkehrende Rangierfahrzeuge eingesetzt werden, die die bereits heute genutzte Fernsteuerung von Rangierlokomotiven ab-lösen können.

 Im Personenverkehr wird bereits seit mehr als 100 Jahren mittels automatischer Kupplungen die Zugbildung deutlich vereinfacht und beschleunigt. Auch für den Gü-terverkehr sind vergleichbare Lösungen am Markt verfügbar, konnten sich aber mit Ausnahme von branchenspezifischen Lösungen (z.B. im Stahltransport) trotz zahlrei-cher Vorteile wie erhöhter Anhängelasten, eines durchgehenden Datenbus und der Strom- und Luftversorgung des gesamten Zuges über die Kupplung bislang nicht durchsetzen, u.a. da die gleichzeitige Umrüstung des kompletten europäischen Gü-terwagenbestands nicht realistisch erscheint. Der Zugdatenbus ermöglicht die Über-tragung von Wagenzustandsdaten in den Führerstand des Triebfahrzeugs. Dies ist nicht nur relevant für die Überwachung der Zugintegrität und des Ladungszustands, sondern z.B. auch für die Instandhaltung, die Ausgabe von Bremszettel und Wagen-liste. Anfang 2020 haben führende Bahnverbände die Charta für die „Digitale Auto-matische Kupplung“ (DAK) unterzeichnet. Die DAK legt die Grundlagen für deutlich schnellere und effizientere Prozesse. Sie unterstützt eine zustandsorientierte In-standhaltung, ermöglicht automatisierte Zugbildung und Bremsproben ebenso wie die Einbindung in digitalisierte Logistikketten. Durchgehend gekoppelte Stromleitun-gen erlauben den Einsatz elektropneumatischer Bremstechnik und damit schnellere und längere Güterzüge. Die DAK schafft auch eine wichtige Voraussetzung für die flächenhafte Einführung von ETCS Level 3, da sie digitale Zugintegritätsprüfungen für Güterzüge und damit den Verzicht auf kostenintensive Technik am Gleis wie Achs-zähler und Gleisfreimeldeanlagen ermöglicht. Das ambitionierte Ziel der Bahnver-bände ist es, bis zum Jahr 2030 sämtliche Güterwagen in ganz Europa automatisch kuppeln.

 Mit der Einführung von Hybridlokomotiven, die kurze nicht-elektrifizierte Abschnitte befahren können, hat sich die Effizienz der Bedienung von Gleisanschlüssen mit Ganzzügen enorm verbessert. Auch innerhalb von Rangierbereichen gibt es Zwei-kraftloks, welche Batterie-, Diesel- und Elektroantrieb wahlweise miteinander kom-binieren, um so optimale Betriebsergebnisse zu erzielen. In Zukunft können unter bestimmten Voraussetzungen auch autonom fahrende Güterwagen ganz ohne Loko-motive unterwegs sein, wenn die Sicherungstechnik (ERTMS L2/3) dafür ausgerüstet ist.

Automatisierte Zugbil-dung

Automatische Kupp-lungen

Hybridlokomotiven

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 Auch die Entwicklung des innovativen Güterwagens schreitet voran. Drehgestelle moderner Güterwagen sind dank ausgereifter Federungs- und Lagerungstechnik nicht nur laufruhiger und leiser, sondern schonen auch Oberbau und Ladegut, sodass auch empfindliche Güter mit hohen Geschwindigkeiten transportiert werden kön-nen. Neben der Entwicklung von neuen Drehgestellen liegt ein weiteres Augenmerk auf den Bremssystemen. Scheibenbremsen sollen die aktuell eingesetzte Druckluft-bremse mittel- bis langfristig ersetzen. Durch den Einsatz von ScheibenDruckluft-bremsen kann ein sichereres und materialschonenderes Bremsen ermöglicht werden. Mit Überwa-chungssensorik und einem Zugbus kann der Bremszettel automatisch generiert wer-den und die aufwendige Bremsprobe entfällt. Der Austausch veralteter Grauguss-Bremsklötze durch moderne Verbundstoff-Bremssohlen wird bereits seit Jahren praktiziert. Im Jahr 2020 wird dadurch eine Halbierung des Lärmniveaus durch Gü-terzüge erreicht werden.

 Moderne Güterwagen werden schon heute mit zahlreichen Sensoren ausgerüstet, die Daten zur Ladung und zum Wagenzustand liefern. Diese Daten werden besonders zur optimierten, prädikativen Instandhaltung der Wagen genutzt, aber auch zur In-formation des Kunden über den Zustand seiner Ware. Güterwagen Telematik erhöht auch die Sicherheit im Bahnbetrieb, da z.B. Heißläufer, kaputte Bremsen oder fest-gebremste Radsätze sofort detektiert werden können.

 Damit bilden sie eine wichtige Schnittstelle zur Digitalisierung der Infrastruktur, z.B.

über „Wayside Monitoring Systeme“ als Überwachungsstationen an der Strecke, die mögliche Gefahren z.B. an Bahnsteigen, Bahnübergängen oder in windanfälligen Waldgebieten frühzeitig erkennen sollen. Dabei kommen optische, akustische, mag-netische und weitere Sensoren mit anderen physikalischen Wirkprinzipien zum Ein-satz. Durch entsprechende Softwareanwendungen lassen sich die vorhandenen In-formationen noch zielgerichteter und strukturierter nutzen. Damit kann der Bahnbe-trieb in Zukunft effizienter und gewinnbringender geplant und abgewickelt werden.

Generell schafft die Digitalisierung von Fahrzeugen und Infrastruktur die wesentlichen tech-nischen Grundlagen, um in Zukunft auch Zugfahrten ohne Fahrpersonal („automatisch“) durchzuführen. Die ersten derartigen „unbemannten“ Güterzüge operieren bereits in Aust-ralien. Dabei überwachen die Wagen und die Lokomotiven ihre Funktionsfähigkeit, auch der Fahrweg hat eine angepasste Überwachung, z.B. an Bahnübergängen. Die Steuerung des Zu-ges übernehmen ein Streckenrechner (Verkehrssteuerung) und der Bordcomputer (Loksteu-erung). Im dicht besiedelten Europa stellen sich hingegen besondere Anforderungen, die nach heutigem technischen Kenntnisstand voraussichtlich ebenfalls nicht kurzfristig und nur unter höheren Investitionskosten angegangen werden können. Während Rangier- und Bedi-enfahrten aufgrund der geringeren Systemkomplexität als erstes Versuchsfeld dienen könn-ten, so ist der reguläre Bahnbetrieb aufgrund der unterschiedlichen Gleisnutzer und der da-mit verbundenen Sicherheitsanforderungen (z.B. lange Bremswege) das vergleichsweise schwierigere Umsetzungsfeld. In diesen Feldern besteht somit noch Forschungs- und Ent-wicklungsbedarf.

innovative Güterwa-gen und Lärmschutz

technische Ausrüstung

Digitalisierung der Inf-rastruktur

Automatisches Fahren

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 Großes Innovationspotential besteht in der Entwicklung von Lösungen zum Trans-port von nicht kranbaren Sattelaufliegern im Kombinierten Verkehr. Gegenwärtig sind viele Systeme auf dem Markt verfügbar. Der Einsatz ist teilweise mit hohen In-vestitionskosten in die Infrastruktur sowie in den Wagen verbunden. Unter kranba-ren Sattelaufliegern versteht man Lkw-Anhänger, die für den Umschlag mit speziel-len Krananlagen auf Bahnwagen geeignet sind. Nicht kranbare Sattelauflieger sind für die Verladung per Kran nicht ausgelegt, können mit innovativen Verladesystemen wie NiKRASA, Modalohr oder CargoBeamer dennoch auf die Bahn verladen werden.

Ein neues am Markt verfügbares System ist das System HELROM. Die Technologie erfordert keine Suprastruktur und kann nahezu auf jeder beliebigen Fläche einge-setzt werden. Der Wagen ist schwenkbar, so dass die Trailer mit Hilfe von Zugmaschi-nen auf den Wagen rangiert werden könZugmaschi-nen. Unberücksichtigt davon ist davon aus-zugehen, dass die Anschaffungskosten des Wagens deutlich höher liegen, verglichen mit der Beschaffung eines konventionellen Wagens. Obwohl seit mehreren Jahren am Markt verfügbar, konnte sich allerdings keines dieser Systeme bislang wirksam durchsetzen.

Da viel Zugbildung und Güterverkehr in den Häfen bzw. auf den Hafenbahnen stattfindet, stellen diese Schieneninnovationen gleichzeitig auch Hafeninnovationen dar. Darüber hinaus gibt es in den Häfen auch eigene Konzepte und Ansätze, die derzeit verfolgt werden:

 Am Oberrhein haben sich neun Häfen (Basel, Weil am Rhein, Mulhouse, Colmar/Neuf-Brisach, Strasbourg, Kehl am Rhein, Karlsruhe, Ludwigshafen am Rhein und Mannheim) zu einer grenzüberschreitenden Kooperation zusammengeschlos-sen und gemeinsam das digital gestützte Verkehrsmanagementsystem RPIS entwi-ckelt. Diese IT-Plattform trägt dazu bei, Containerverkehre mit dem Binnenschiff auf dem Oberrhein effizienter abzuwickeln. Seit dem Jahr 2019 wird die RPIS-Plattform um weitere Module, bspw. Massengutverkehr, Flusskreuzschifffahrt ergänzt. Durch Etablierung digitaler Dienstleistungen – vor allem im Sinne der Vernetzung - wird den Oberrheinhäfen eine Schlüsselfunktion zugewiesen.

 Mit dem Förderprogramm Innovative Hafentechnologien des Bundes (IHATEC) wurde ein wichtiger Grundstein gelegt. Im Kern zielt das Programm, das zwischen 2016 und 2021 über ein Volumen von insgesamt 64 Mio. EUR verfügt, in fünf Förder-schwerpunkten (Umwelt, Sicherheit, Transport, Umschlag, Infrastruktur) darauf ab die Prozesse in Häfen effizienter zu gestalten, die Schadstoffemissionen zu reduzie-ren und die Sicherheit zu erhöhen.

 Mit dem Projekt Binntelligent („Intelligente Informationssysteme für Prozessopti-mierung und -automatisierung im Binnenhafen“) sollen durch Koordination zwischen allen Akteuren des multimodalen Verkehrs freie Kapazitäten in der Binnenschifffahrt erschlossen werden. Somit lassen sich die Transport- und Umschlagsprozesse leis-tungsmäßig optimieren. Konkret soll eine Plattform entwickelt werden, auf der alle Akteure die für den Umschlag und Transport wichtige Daten hinterlegen können und auf die Daten anderer Akteure zugreifen können.

innovative Sattelauflie-ger

IT - Plattform RPIS

innovative Hafentech-nologien

Binntelligent

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 Im Projekt AutoModal ist die Automatisierung von trimodalen Terminals vorgesehen.

Durch diese Automatisierung soll ein effizienterer Ablauf des Umschlagvorgangs er-reicht werden. Den Kern der Automatisierung bildet hierbei ein automatisierter Por-talkran, dessen Steuerungssoftware als Open-Source-Modell ausgelegt ist. Nach aus-giebigem Testen des Kranes soll eine Roadmap erstellt werden, die die noch zu voll-ziehenden Schritte zur vollständigen Digitalisierung der Terminals auflisten soll.

 Das EU-Projekt RIS-COMEX („River Information Services Corridor Management Exe-cution“) hat ebenfalls die Digitalisierung der Wasserstraßen zum Ziel, indem der Da-tenaustausch zwischen den einzelnen Wasserstraßenverwaltungen der im TEN-T Programm vertretenen EU-Mitgliedsstaaten mit Wasserstraßenanbindung verbes-sert wird. Durch den Datenaustausch soll es Wasserstraßenbetreibern und Binnen-schiffern möglich gemacht werden, aktuelle Daten zur Routen- und Schleusenpla-nung von einer Plattform abrufen zu können.

 Im Masterplan Binnenschifffahrt des BMVI wird auch das automatisierte, vernetzte und autonome Fahren von Schiffen als ein wichtiges Ziel herausgestellt. Ziel ist es, durch den autonomen Betrieb von Schiffen, die Wettbewerbsfähigkeit der Binnen-schifffahrt zu verbessern. Gerade bei der BinnenBinnen-schifffahrt werden aufgrund der Be-sonderheiten der Navigation und des relativ geringen Verkehrsaufkommens abseits des Güterverkehrs hier gute Ansatzpunkte gesehen.

In der Wirksamkeit sind die beschriebenen Innovationen unterschiedlich zu beurteilen. Alle Ideen wurden durch Auswertung vorhandener Gutachten und Studien, zusätzliche Fachge-spräche im Rahmen der Erstellung des Güterverkehrskonzepts Baden-Württemberg, die Dis-kussion im Rahmen der Fachforen und Workshops und eigene Bewertungen beurteilt (siehe Abbildung 5-21).

AutoModal

RIS-COMEX

Masterplan Binnen-schifffahrt

Wirksamkeit der Inno-vationen

110 Abbildung 5-21: Implementierungspfade für Schienen- und Hafeninnovationen

Quelle: Eigene Darstellung

Die Aufzählung zeigt, dass viele Konzepte dem Grunde nach bereits vorliegen und auch in Pilotanwendungen erfolgreich getestet werden. Der Innovationsgrad ist insofern als durch-aus hoch zu bezeichnen. Woran es hingegen mangelt, ist die Durchsetzung der Innovationen über (in aller Regel öffentlich geförderte) Pilotvorhaben hinaus, d.h. deren Bewährung unter marktlichen Gesichtspunkten. Daher ist diesem Aspekt in Zukunft besondere Aufmerksam-keit zu schenken.

Im Dokument KONZEPT GÜTER (Seite 123-128)