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Unterstützung weiblicher Betroffener des Menschenhandels

Die Unterbringung für weibliche Betroffene des Menschenhandels ist in Deutschland nicht einheitlich geregelt und stellt in der Praxis eine große Herausforderung dar. Es bestehen zum Teil gravierende Unterschiede in der Ausgestaltung der Unterbringungsmöglichkeiten. Besondere Schwierigkeiten treten bei der Unterbringung von betroffenen Familien auf. Auch die Unterbringung Minderjähriger erweist sich als problematisch. Die existierenden Unterbringungsmöglichkeiten, wie Obdachlosen-unterkünfte für Frauen oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe für Minderjährige, sind nicht ausgerichtet auf diese Zielgruppen.

Gesundheitsbezogener Unterstützungsbedarf in Frauenhäusern

Valide Daten zur gesundheitlichen Lage der Nutzer*innen und ihrer Kinder von Frauenhäusern in Deutschland liegen nicht vor. Internationale Studien lassen eine überdurchschnittlich hohe Präva-lenz von Depression, PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) und Substanzabhängigkeit in Frauenhäusern vermuten. Eine weitgehende Qualifizierung der Mitarbeitenden kann nur für den Umgang mit PTBS unterstellt werden. Ein systematisches Fortbildungsangebot zur Gesundheits-förderung gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder für Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern fehlt.

Während der SARS COV2-Pandemie zeigt sich die unzureichende räumliche Ausstattung zur Sicherstellung einer infektionsgeschützten Aufnahme in ein Frauenhaus. Eine Standardausstattung zum Infektionsschutz für den Betrieb von Frauenhäusern und Beratungs-/ Interventionsstellen fehlt.

Finanzierung

Es fehlt eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung für die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen. Die derzeitige Finanzierung schließt Gruppen von Frauen aus und ist unsicher157. Bundesweit gleicht die Finanzierungslandschaft einem Flickenteppich: Finanzierungsquellen sind zu unterschiedlichen Teilen Landesmittel, kommunale Mittel, Kostenbeteiligungen von gewaltbetroffe-nen Frauen sowie Eigenmittel der Träger. Seit Beginn der 1980er Jahre werden ca. zwei Drittel der Frauenhäuser in Deutschland über sogenannte Tagessätze finanziert. Hierbei werden die Personal-, Sach- und Hauskosten, die dem Frauenhaus entstehen, auf die einzelnen Frauenhausbewohnerin-nen umgelegt. Für sozialleistungsberechtigte BewohnerinFrauenhausbewohnerin-nen und ihre Kinder zahlt je nach Rechts-grundlage das Jobcenter oder das Sozialamt die Tagessätze an das Frauenhaus. Die Tagessätze sind von Frauenhaus zu Frauenhaus unterschiedlich. Auszubildende, Student*innen, erwachsene Schüler*innen, Frauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, EU-Angehörige (teilweise), Frauen mit eigenem Einkommen oder gemeinsamem Vermögen haben allerdings keinen Leistungsanspruch nach den Sozialgesetzbüchern II und XII und somit ist die Finanzierung ihres Frauenhausaufenthal-tes abhängig vom Standort des jeweiligen Frauenhauses und der dort geregelten Finanzierung. Dies sind für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder oft unüberwindbare Hürden in einer Situation, in der schneller, unbürokratischer und bedarfsgerechter Schutz und Unterstützung gebraucht werden, um sich aus der gewaltgeprägten Beziehung zu befreien. Die Frauenhausträger sehen sich zudem mit zahlreichen Problemen konfrontiert: die Aufnahme ortsfremder Frauen wird reglementiert, die

157 Frauenhauskoordinierung 2012: Stellungnahme zum Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäu-ser, Frauenberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kin-der, [online] https://www.frauenhauskoordinierung.de/fileadmin/redakteure/Publikationen/Stellungnahmen/

Stellungnahme_FHK_Bericht_BReg_7.11.2012.pdf (aufgerufen am 02.07.2020) S. 6; Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser: Zugang zu Schutz und Hilfe. Hürde Sozialgesetzgebung und Tagessatzfinanzierung, [online] https://www.autonome-frauenhaeuser-zif.de/de/content/zugang-zu-schutz-und-hilfe (aufgerufen am 02.07.2020); Forderungen des bff zur Mindestausstattung von Fachberatungsstellen, in bff 2018: Die Fachbera-tungsstellen: Aktiv gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Stark für die Gesellschaft – Gegen Gewalt, [online]

https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/finanzierung-von-hilfe.html (aufgerufen am 02.07.2020).

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Dauer eines Frauenhausaufenthaltes wird begrenzt und von Geldgeber*innen werden Nachweise über die Notwendigkeit des Frauenhausaufenthaltes gefordert.

Ein ähnliches Bild ergibt sich für Fälle von Betroffenen des Menschenhandels. Es gibt hier keine bundeseinheitlichen Strukturen oder Regelungen für ein spezialisiertes Hilfesystem. Der Bund gibt lediglich den gesetzlichen Rahmen vor, in dem Betroffene des Menschenhandels Individualleistun-gen nach den Sozialleistungsgesetzen, namentlich dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), SGB II und SGB XII für die Sicherung des Lebensunterhalts erhalten können. Die Schaffung, Fi-nanzierung und Ausgestaltung von Unterbringungsmöglichkeiten liegt dann jedoch in der Verant-wortung der einzelnen Bundesländer und Kommunen und sieht in der Praxis sehr unterschiedlich aus. In den meisten Bundesländern erhalten spezialisierte Fachberatungsstellen für Betroffene des Menschenhandels für die Unterbringung Zuwendungen des Landes und/oder der Kommune, mit denen ein Aufenthalt im Frauenhaus oder in einer Schutzwohnung ermöglicht werden kann. Einige Bundesländer, z. B. Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, stellen einen Landesfonds für die Unterbringung von Betroffenen des Menschenhandels zur Verfügung, mit dem beispielsweise auch eine kurzfristige Unterkunft in einem Hotel oder einer Pension möglich ist. In der Regel reichen die Mittel jedoch nicht aus, sodass sich in allen Bundesländern die Notwendigkeit einer Mischfinanzierung ergibt, die zusätzlich aus Eigenmitteln, Spenden und/oder Stiftungsgeldern besteht und pro Fall neu gestemmt und verhandelt werden muss.

Empfehlungen

Wir empfehlen dem Bundesgesetzgeber,

» zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse die Schaffung einer bundesgesetzlichen und damit bundeseinheitlichen Regelung zur Finanzierung aller Frauenhäuser und Schutz-unterkünfte. Zu prüfen sind zumindest zwei Modelle, zum einen eine einzelfallunabhängige Finanzierung als Einrichtung und zum anderen eine Finanzierung von Schutz im Frauenhaus über Leistungsgesetze. In der Regelung sollte auch die Beteiligung des Bundes an der Finan-zierung festgehalten sein. Diese muss den schnellen, unbürokratischen, bedarfsgerechten und kostenfreien Zugang aller gewaltbetroffenen Frauen* und ihrer Kinder zu Schutz und bedarfs-gerechter Unterstützung in einem Frauenhaus ihrer Wahl gewährleisten. Eine solche Regelung muss in enger Abstimmung mit den Dachverbänden der Frauenhäuser und Beratungsstellen sowie der Zivilgesellschaft erarbeitet werden und darf keine Gruppen, z. B. wegen fehlender Leistungsansprüche oder aufenthaltsrechtlicher Fragen, ausschließen. Die Finanzierung der Frauenhäuser auf dieser Grundlage muss kostendeckend sein. Zudem muss sie die bedarfs-gerechte qualifizierte Unterstützung der Frauen und Kinder und gewaltbetroffener Mädchen sicherstellen sowie die Finanzierung von Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung, Kooperation und politischer Arbeit gegen Gewalt an Frauen umfassen.

» die aufenthalts- und asylrechtlichen, Zugangshürden zu Schutzunterkünften und Frauenhäu-sern unverzüglich zu beseitigen. Für geflüchtete Frauen würde das bedeuten, dass sie unab-hängig von etwaigen Wohnsitzauflagen (§ 12a AufenthG) Zugang zu allen Schutzunterkünften bundesweit erhalten.

Wir empfehlen dem Bund,

» sich in den zeitnahen Ausbau und die Sicherung der Finanzierung der Frauenhäuser bundes-weit einzubringen.

Wir empfehlen der Bundesregierung, den Bundesländern und Kommunen,

» die barrierefreie Ausstattung aller Frauenhäuser intensiv zu befördern.

Wir empfehlen den Bundesländern und Kommunen,

» die Lücken in der Hilfestruktur der Schutzunterkünfte und Frauenhäuser zu schließen und in allen Landkreisen und Städten Frauenhäuser bereitzustellen. Zeitnah müssen weitere 15.000 Frauenhausplätze158 geschaffen werden, damit die Quote des in CETS 210 empfohlenen Schlüs-sels von 1 Familienplatz (= 2,59 Frauenhausbetten) à 10.000 Einwohner*innen (Gesamtbevöl-kerung) erfüllt wird. In allen Bundesländern sollten spezialisierte Schutzunterkünfte für ge-waltbetroffene Mädchen und junge Frauen unter 18 Jahren sowie für junge volljährige Frauen mit bedarfsgerechter Platzzahl eingerichtet werden. Auch für Betroffene von Menschenhandel sollten in allen Bundesländern geeignete Schutzunterkünfte bereitgestellt werden, auch für betroffene Familien und Minderjährige. Die dafür erforderliche systematische Bedarfsplanung ist zu installieren.

» die Personalressourcen in Frauenhäusern und Schutzunterkünften umgehend bedarfsgerecht auszubauen. Das betrifft besonders die spezifische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Für die Unterstützung von Frauen und/oder Kindern mit psychischen Erkrankungen, Suchtprob-lematiken, Mobilitätseinschränkungen oder anderem gesundheitsbezogenen Versorgungsbe-darf, in einem Wohnungsnotfall sowie für eine umfassende Sprachmittlung, empfehlen wir die Bereitstellung von ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen.

158 Aufstockung Frauenhausplätze bis zur Umsetzung der in CETS 210 empfohlenen Quote von 1 Familienplatz (= 2,59 Frauenhausbetten) à 10.000 Einwohner*innen (Gesamtbevölkerung).

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Artikel 24 Telefonberatung

159 BMFSFJ 2020: Jahresbericht des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen 2019. Vermittlungen: 4.969 an Frauen-häuser, 13.556 an Fachberatungsstellen, [online] https://www.hilfetelefon.de/fileadmin/content/Materialien/

Jahresberichte/2019/Hilfetelefon_Gewalt_gegen_Frauen_Jahresbericht_2019_barrierefrei.pdf (aufgerufen:

02.07.2020), S. 27.

160 Frauenhauskoordinierung 2018: Statistik Frauenhäuser und ihre Bewohner_innen 2018. 0,4 % der Bewohner*in-nen (N: 7.172 Frauen in 180 Frauenhäusern).

161 medica mondiale 2019: Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen im In- und Ausland kohärent bekämpfen.

Stellungnahme zum 13. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik, S. 6.

162 BMFSFJ 2020: Jahresbericht des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen 2019, [online] https://www.hilfetelefon.de/

fileadmin/content/Materialien/Jahresberichte/2019/Hilfetelefon_Gewalt_gegen_Frauen_Jahresbericht_2019_

barrierefrei.pdf (aufgerufen am 02.07.2020), S. 25.

Anforderungen

Artikel 24 sieht die Einrichtung einer rund um die Uhr erreichbaren vertraulichen Telefonberatung für Gewaltbetroffene vor.

Herausforderungen

Mit dem bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ hat die Bundesregierung eine wichti-ge und niedrigschwelliwichti-ge Erstanlaufstelle für die Beratung, Information und Weitervermittlung ins regionale Hilfesystem eingerichtet. Das Hilfetelefon vermittelt viele beratungsuchende Frauen an Frauenhäuser und Beratungsstellen159.

Aber die Lotsenfunktion für schutzsuchende Frauen in Frauenhäuser funktioniert teilweise nicht unmittelbar, an manchen Stellen überhaupt nicht. Nur ein geringer Teil der Bewohner*innen in Frau-enhäusern wurde durch das Hilfetelefon vermittelt160. Gleiches gilt für die Vermittlung in Beratungs-stellen.

Die Gründe für nicht gelungene Vermittlungen in Frauenhäuser liegen in fehlenden freien Platz-kapazitäten in den Frauenhäusern, aber auch in fehlenden Personalressourcen in den zuerst kon-taktierten Frauenhäusern für die Weitervermittlung in andere Frauenhäuser, wenn die Plätze belegt sind oder sich der Platz für die Unterstützungsbedarfe der Frau nicht eignet.

Eine bundesweite tagesaktuelle und öffentliche Übersicht über freie Frauenhausplätze gibt es nicht. Die Hürden liegen hier in unterschiedlichen Interessen der Bundesregierung und der Regie-rungen in den einzelnen Bundesländern.

Zudem nutzen nicht alle Frauen das Hilfetelefon gleichermaßen. Erfahrungen aus der Arbeit mit geflüchteten Frauen zeigen bspw., dass schriftliches Informationsmaterial, welches in Geflüchtete-nunterkünften ausgelegt wird, um die Frauen über die Existenz des Hilfetelefons oder anderer Hilfe-angebote zu informieren, selten rezipiert wird. Das gilt selbst dann, wenn es in mehreren Sprachen vorliegt161. Bezüglich der von der Bundesregierung benannten Zahlen zu Beratungen im Fluchtkon-text mit Hilfe von Dolmetscher*innen ist nicht ersichtlich, wie viele Beratungen tatsächlich direkt für geflüchtete Frauen durchgeführt wurden. Die angegebenen Zahlen beziehen sich lediglich auf die am häufigsten nachgefragten Sprachen für Dolmetscher*innen, sagen aber nichts darüber aus, ob die Frau geflüchtet ist oder einen Migrationshintergrund hat162.

Frauen mit Behinderungen nutzen das Angebot des Hilfetelefons ebenfalls sehr selten. Insbe-sondere gehörlose Frauen bemängeln den Zugang. Zwar gibt es die technische Lösung, dass eine Gebärdensprachdolmetscher*in hinzugeschaltet werden kann. Aber sehr viele gehörlose Frauen

lehnen diese Lösung ab, weil sie ihnen technisch zu aufwendig ist (ihnen wäre eine Verbindung z. B.

über Skype lieber, die jedoch nicht datensicher ist) oder sie wünschen sich eine Berater*in, die sel-ber üsel-ber Gebärdensprachkompetenz verfügt und mit der sie direkt das Beratungsgespräch führen können163.

Empfehlungen

Wir empfehlen der Bundesregierung,

» die finanzielle Förderung des Betriebs der bundesweiten Website für die tagesaktuelle und öffentliche Übersicht über freie Frauenhausplätze zur Unterstützung des Hilfetelefons bei der Weitervermittlung von schutzsuchenden Frauen.

» die Vergütung der Berater*innen beim Hilfetelefon anzupassen, damit sich die hohen Belastun-gen in der tariflichen Eingruppierung widerspiegeln. Ebenso sollte die statistische Erhebung des Hilfetelefons um eine Erhebung zu geflüchteten Frauen ergänzt werden.

» in der Öffentlichkeitsarbeit des Hilfetelefons “Gewalt gegen Frauen” neben Social-Media-Kam-pagnen auch auf Print-PR-Materialien in verschiedenen Sprachen zu setzen.

Wir empfehlen Bundesländern und Kommunen,

» um die Lotsenfunktion des Hilfetelefons zu gewährleisten, den zeitnahen Ausbau der Platz-kapazitäten in den Frauenhäusern zur Vermittlung schutzsuchender Frauen* und ihrer Kinder.

Ebenso sind die Frauenhäuser mit Personalressourcen auszustatten, um die erforderliche Wei-tervermittlung (wegen Vollbelegung oder nicht bedarfsgerechtem Angebot) in andere Frau-enhäuser zu gewährleisten.

163 BMFSFJ 2017: Jahresbericht des Hilfetelefons 2016. S. 38. Beratungen insgesamt: 34.400, Beratung von Frauen mit Behinderungen/Beeinträchtigungen: 2.095, davon 1,29 % gehörlose Frauen.

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