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Bundesweite Informationskampagnen zu Schutz und Unterstützung

In Deutschland werden bislang kaum Informationskampagnen zu den hier gültigen Frauenrechts-instrumenten durchgeführt (Vgl. Artikel 13). Publikationen des BMFSFJ sind regelmäßig nicht in leichter Sprache oder anderen in Deutschland häufig gesprochenen Sprachen verfügbar. Schutzsu-chenden Frauen wird somit aufgrund ihres Bildungsniveaus, ihrer Herkunft, einer Behinderung oder ihrer sozialen Schicht der Zugang zu Informationen verwehrt.

Fehlende Informationen und damit einhergehende Kenntnisse zur Einschätzung der besonderen Sachlagen (bzgl. der Istanbul-Konvention, z. B. Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen, Strafver-folgung, Unterbringungen, Gewaltschutzgesetz, Aufenthaltsrechte, usw.) sind eine große Heraus-forderung für schutzsuchende Frauen, die schwerwiegende Entscheidungen für sich treffen müs-sen.

Die Initiative „Stärker als Gewalt“106, eine aktuelle Maßnahme des BMFSFJ, stellt eigentlich ein gutes Beispiel für eine Informationskampagne für die breite Öffentlichkeit dar. Während der Coro-na-Pandemie kooperierte das Bundesfrauenministerium mit 26.000 Supermärkten bundesweit, um Gewaltbetroffene über Hilfeangebote zu informieren107. Dabei wurden an den Supermarktkassen und an den „schwarzen Brettern“ im Kundenbereich gut sichtbare Infozettel mit abtrennbaren Tele-fonnummern des Hilfetelefons angebracht. Allerdings adressiert diese Initiative ausdrücklich sowohl

106 BMFSFJ: Gemeinsam stärker als Gewalt, [online] https://staerker-als-gewalt.de/ (aufgerufen am 08.09.2020).

107 BMFSFJ 2020: Supermarkt-Aktion gegen häusliche Gewalt gestartet, 29.04.2020, [online] https://www.bmfsfj.

de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/supermarkt-aktion-gegen-haeusliche-gewalt-gestartet/155054 (aufgeru-fen 08.09.2020).

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Gewalt gegen Frauen als auch gegen Männer und vermeidet eine differenzierte Einordnung der Geschlechtsspezifik von Gewalt. Zudem waren die Informationen aufgrund fehlender Mehrsprachig-keit, die längst eine Realität in Deutschland ist, für die in den letzten Jahren migrierten und/oder geflüchteten Frauen sowie für Frauen mit Behinderungen nicht verständlich. Bedauerlicherweise wurden kleine, oftmals migrantisch geführte Lebensmittelläden nicht in die Aktion eingebunden, so dass Frauen, die vor allem dort einkaufen, außen vor blieben.

Empfehlungen

Wir empfehlen der Bundesregierung, den Bundesländern und Kommunen,

» die Verfügbarkeit von mehrsprachigen, in leichter Sprache verfassten und barrierearmen In-formationsangeboten im Bereich der Prävention, Betroffenenunterstützung/-versorgung und Rechtsaufklärung sicherzustellen. Um die Erstellung und zielgruppengerechte Bereitstellung der Informationsmaterialien und -kampagnen zu gewährleisten, sollten NGOs finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

» eine enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft (insbesondere Minderheitenvertretungen und besonders vulnerable Gruppen) und Wissenschaft. Dies beinhaltet sowohl klare Über-weisungspfade, sowie eine enge Zusammenarbeit und Kooperationsvereinbarungen zwischen Fachkräften der Gesundheitsversorgung, Mitarbeiter*innen von Hilfsdiensten und Behörden sowie NGOs.

» die finanzielle und personelle Förderung außerbehördlicher Unterstützungssysteme für Men-schen, für die eine Inanspruchnahme staatlicher Hilfen problematisch sein kann (z. B. Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, Betroffene von Menschenhandel, Sexarbeiter*innen, etc.).

Wir empfehlen den Bundesländern,

» die diversitäts- und gendersensible Schulung und Sensibilisierung von Polizist*innen als An-sprechpartner*innen für Betroffene.

Artikel 20 Allgemeine Hilfsdienste

108 Gemeinsamer Bundesausschuss: Qualitätsmanagement-Richtlinie/QM-RL, Fassung vom 17.09.2020, [on-line] https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2309/QM-RL_2020-09-17_iK-2020-12-09.pdf (aufgerufen am 15.01.2021).

109 Gemeinsamer Bundesausschuss 2020: Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Qualitätsmanagement-Richtlinie (QM-RL), 16.07.2020, [online] https://www.g-ba.de/

downloads/40-268-6813/2020-07-16_QM-RL_Vorgaben-aktueller-Stand_TrG.pdf (aufgerufen am 15.01.2021).

Anforderungen

Artikel 20 verpflichtet dazu, den Zugang für Betroffene von Gewalttaten zu qualifizierten und ad-äquat ausgestatteten unterstützenden Diensten im Gesundheits- und Sozialbereich zu gewährleis-ten.

Herausforderungen

Der wichtigen Rolle der allgemeinen Hilfsdienste für die Unterstützung Betroffener wird bundesweit nicht ausreichend entsprochen. Die im Artikel genannten Bereiche, wie finanzielle Unterstützung, Unterkunft, Ausbildung, Schulung sowie Unterstützung bei der Arbeitssuche werden von Hilfs-diensten übernommen, bei denen das Wissen um geschlechtsspezifische Gewalt (noch) nicht zur notwendigen Grundvoraussetzung gehört. Dies macht das Unterstützungsersuchen für die Betrof-fenen zu einer Lotterie, ob sie auf angemessene Fachkräfte als Gegenüber treffen. Besonders in der Frage des Schutzes kann dies gefährliche Folgen haben, weil an diesen Stellen des Öfteren Lücken bei der Durchsetzung der Anonymisierung der gefährdeten Frauen deutlich werden. So können sie auch nicht dem Anspruch des Artikel 20 genügen, die Genesung nach Gewalterfahrung zu unter-stützen.

In einzelnen Städten haben sich Netzwerke mit Wohnungsbaugesellschaften gebildet, die Frau-en nach Gewalterfahrung dFrau-en Zugang zum regulärFrau-en Wohnungsmarkt erleichtern, wie z. B. die Hes-tia e. V.-Wohnungsvermittlung in Berlin. Angesichts dessen, dass bezahlbarer Wohnraum der we-sentliche Punkt für die von Gewalt betroffenen Frauen ist, wieder ein selbstbestimmtes gewaltfreies Leben führen zu können, wird der Frage der Wohnungsbeschaffung viel zu wenig Raum eingeräumt.

Dieses Problem verstärkt sich im Angesicht massiv gestiegener Mieten vor allem in den Ballungs-räumen extrem.

Gesundheitsdienste

Mit Aufnahme des Themas „Prävention von und Hilfe bei Missbrauch und Gewalt“ in die Qualitäts-management Richtlinie108 (QM-RL) des gemeinsamen Bundesausschusses Gesundheit (G-BA) sind u. a. Kliniken, niedergelassene Ärzt*innen und Therapeut*innen seit November 2020 aufgefordert, eine sichere Umgebung zu bieten und als Ansprechpartner*innen zur Verfügung zu stehen109. Zu be-obachten bleibt, inwiefern diese Vorgaben praktisch umgesetzt werden, ob sie auch für erwachsene Betroffene gelten und welche Wirkung sie ggf. in Hinblick auf eine Verbesserung der Versorgungs-situation auch für Erwachsene entfalten.

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Einzelne Gesundheitsdienste verfügen bereits über Protokolle und Richtlinien für Mitarbeitende zum Umgang mit Patient*innen, die häusliche und/oder sexualisierte Gewalt erfahren haben110.

Praxisberichte zeigen, dass Art und Umfang der Angebote der Gesundheitsversorgung stark vom Engagement einzelner Personen oder Kliniken abhängig sind. Eine sektorenübergreifende Zu-sammenarbeit zwischen Gesundheitsversorgung, spezialisierten Fachstellen und weiteren in die Intervention und Prävention einbezogenen Stellen ist überwiegend nicht oder nur in Ansätzen ent-wickelt. Es mangelt an verbindlichen Versorgungs-/Überweisungspfaden und an Kooperationen.

Die unzureichende Finanzierung relevanter ärztlicher Leistungen, wie vertiefende Anamnese-gespräche, oder interdisziplinäre Fallbesprechungen, stellt ein erhebliches Hindernis für die Eta-blierung angemessener Angebote in der Gesundheitsversorgung dar111. Gleiches gilt für eine ggf.

erforderliche Sprach- oder Kulturmittlung. Bei Finanzierungs- und Abrechnungsfragen sind Schutz und Sicherheit von Betroffenen zu gewährleisten (vgl. Ausführungen bei Art. 25).

In den allgemeinen Hilfsdiensten sind zudem Sensibilisierung und zusätzliche zeitliche und fi-nanzielle Ressourcen für eine adäquate Versorgung von Frauen und Mädchen mit spezifischen Be-darfen wie mit Behinderungen, Wohnungsnotfällen, mit Migrations- und Fluchterfahrung, sowie von LBTI*-Personen notwendig.

Empfehlungen

Wir empfehlen der Bundesregierung,

» eine umfassende Finanzierung aller Leistungen der gesundheitlichen Versorgung Gewaltbe-troffener sicherzustellen.

Siehe auch: gesundheitsbezogene Empfehlungen zu Artikeln 15, 16, 18 und 25.

Wir empfehlen den Bundesländern,

» zu überprüfen, inwieweit die QM-RL Vorgaben (Teil A § 4, Abs. 2 und Teil B, Abschnitt I, § 1) zu Missbrauch und Gewalt auch auf Erwachsene bezogen sind und inwieweit sie umgesetzt werden.

» in allen gesundheitlichen und sozialen Diensten hinreichend und flächendeckend Fortbildun-gen im Themenfeld Gewalt und Gesundheit sicherzustellen.

Wir empfehlen den Kommunen,

» die Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Sozialdiensten und spezialisierten Fachstel-len bzw. Hilfeangeboten zu fördern.

» Wohnungskontingente für Frauen (mit Kindern) in einem Wohnungsnotfall mit Anbindung an die kommunalen Versorgungsstrukturen zur Verfügung zu stellen.

110 Wieners et al. 2014: Häusliche und sexuelle Gewalt – Versorgungsangebote in Berliner Rettungsstellen – Er-gebnisse einer Bestandsaufnahme, [online] https://www.signal-intervention.de/sites/default/files/2020-04/

Lit_33RST_Poster_1_9_2014.pdf (aufgerufen am 15.01.2021).

111 Vgl. Fischer, Lisa 2020: Akutversorgung nach sexualisierter Gewalt, Zur Umsetzung von Artikel 25 der Istan-bul-Konvention in Deutschland, Vorabfassung, Deutsches Institut für Menschenrechte, [online] https://www.

institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Aktuelles/Analyse_Artikel_25_Istanbul-Konven-tion_Vorabfassung.pdf (aufgerufen am 15.01.2021).

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