• Keine Ergebnisse gefunden

Regionale Verteilung und Spezialisierung

In allen Bundesländern gibt es Fachberatungsstellen, darunter solche mit Spezialisierung für ge-waltbetroffene Frauen allgemein, für häusliche Gewalt, für sexualisierte Gewalt (Frauennotrufe), für sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend und spezialisierte Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel. Trotzdem gibt es nicht für alle Gewaltformen und Betroffenen ein erreichba-res Angebot in ihrer Nähe. So gibt es Regionen, in denen zwar eine Beratungsstelle für häusliche Ge-walt existiert, eine von ihrem Chef vergeGe-waltigte Frau aber kein Angebot findet (oder umgekehrt).

Die Fachberatungsstellen im ländlichen Raum verfügen in allen Bundesländern in der Regel über sehr wenig Personal, mit dem sie ein sehr großes Einzugsgebiet und breites Themenspektrum ab-decken müssen. Für die Betroffenen sind die Wege zur nächsten spezialisierten Beratungsstelle weit, die öffentlichen Verkehrsmittel unzureichend. Angebote aufsuchender Beratung gibt es nur vereinzelt.

Beispiel Hochsauerlandkreis in Nordrhein-Westfalen: für den Landkreis mit einer Fläche von 2.000 km2 mit 260.000 Einwohner*innen gibt es zwei Beratungsstellen, an die sich gewaltbetroffe-ne Frauen wenden köngewaltbetroffe-nen. Die größere von beiden verfügt über drei Personalstellen, davon 1,5 für die allgemeine Beratung von Frauen (inklusive häuslicher Gewalt) und 1,5 für sexualisierte Gewalt (inklusive Prävention). Öffentliche Verkehrsmittel sind so rar, dass aus manchen Orten die Fahrt zur Beratungsstelle mit Umstiegen mehrere Stunden in Anspruch nimmt; selbst mit einem PKW dauert die Anfahrt meist länger als eine Stunde.

In Ballungsgebieten sind unterschiedliche Beratungsstellen mit Spezialisierung für bestimmte Gewaltformen und Zielgruppen vorhanden, z. B. Beratungsstellen für häusliche Gewalt und/oder

123 Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Niedersachsen 2017: Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen für Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind. Erlass vom 30.6.2017 – 202-38313, [online] http://www.nds-voris.de/jportal/?quelle=jlink&query=VVND-241000-MS-2 0170630-SF&psml=bsvorisprod.psml&max=true (aufgerufen am 19.09.2020).

Kapitel IV 76

Stalking (gegen Frauen), Interventionsstellen nach Polizeieinsatz, Beratungsstellen für vergewaltig-te und sexuell belästigvergewaltig-te Frauen, Beratungssvergewaltig-tellen bei sexualisiervergewaltig-ter Gewalt in Kindheit und Jugend, Migrantinnenberatungsstellen etc. Die Kapazitätsprobleme dieser Stellen sind enorm. So gibt es z. B. für die Hauptstadt Berlin mit über 3,5 Mio. Einwohner*innen ein einziges Beratungszentrum für vergewaltigte und sexuell belästigte Frauen mit 8,7 Vollzeitstellen (inkl. Verwaltung). Die Wartezeit auf ein Erstgespräch betrug im Jahr 2018 zwei Monate, im Jahr 2019 musste das Angebot von 10 möglichen Sitzungen pro Klientin auf 5 reduziert werden.

Auch 30 Jahre nach der deutschen Einheit gibt es große Unterschiede zwischen der Versor-gung in den östlichen und den westlichen Bundesländern. In den östlichen Bundesländern existieren kaum oder gar keine ambulanten Angebote speziell für Frauen. Generell existieren in den östlichen Bundesländern weniger Angebote und diese sind schlechter ausgestattet.

So gibt es in Mecklenburg-Vorpommern Beratungsstellen für sexualisierte Gewalt sowie für häusliche Gewalt, die jeweils einen Auftrag zur Versorgung aller Geschlechter (und bei sexualisier-ter Gewalt auch Alsexualisier-tersgruppen) haben. Das Bundesland ist in sechs Landkreise aufgeteilt, die zu den flächengrößten Deutschlands gehören, es gibt aber nur in fünf Landkreisen eine Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt, zwei davon arbeiten mit nur einer Personalstelle. Die dünn besetzten Bera-tungsstellen sind für Betroffene nur schwer telefonisch erreichbar, für persönliche Beratung sind oft die Anfahrtswege zu weit. Die Beratungsstellen können mit der vorhandenen Personalausstattung maximal in akuten Fällen unterstützen, für längerfristige Beratungsprozesse oder Tätigkeiten wie Netzwerkarbeit, Prävention oder Sensibilisierungsmaßnahmen reichen die Kapazitäten nicht aus.

Weiterhin gibt es ganze Landkreise, in denen kein einziges Angebot für Betroffene mit Behinderun-gen barrierefrei zugänglich ist.

In Brandenburg gibt es kein Netz von spezialisierten ambulanten Beratungsstellen, lediglich an zwei Orten gibt es solche. Ansonsten sind in Brandenburg die Frauenhäuser dafür zuständig, zu-sätzlich zur Schutzunterkunft ein ambulantes Beratungsangebot zu machen. Die Frauenhäuser in Brandenburg werden anteilig durch das Land und die Kommunen finanziert und sind mit maximal fünf Personalstellen, die meisten mit deutlich weniger, ausgestattet. Die meisten verfügen nicht über feste externe Beratungsräume. Zusätzliches Personal, das ein verlässlich erreichbares ambu-lantes Angebot neben der Frauenhausarbeit sicherstellen könnte, wird nicht finanziert. Frauen, die in einem geschützten Rahmen ambulante Beratung benötigen, müssen sich entweder bei einem Frauenhaus telefonisch beraten lassen oder sich mit der Mitarbeiterin eines Frauenhauses außerhalb verabreden.

In allen Bundesländern existieren Interventionsstellen für das proaktive Zugehen bei häuslicher Gewalt nach einem Polizeieinsatz. Die Interventionsstellen werden durch die jeweiligen Bundes-länder finanziert. Ihre Ressourcen unterscheiden sich teils stark. Es gibt Interventionsstellen, z. B.

im ländlichen Raum in Niedersachsen, die mit lediglich vier Wochenstunden Personal auskommen müssen und dementsprechend keine Ressourcen für Netzwerkarbeit oder Krankheits- und Urlaubs-vertretung haben. Eine Analyse der Interventionsstellen in Niedersachsen hat ergeben, dass für diese Arbeit im Bundesland insgesamt 400 Wochenstunden zu wenig finanziert werden, um sie be-darfsgerecht auszuführen. Viele Interventionsstellen sind an Beratungsstellen angeschlossen oder in Trägerschaft eines Frauenhauses.

Spezialisierte Fachberatungsstellen bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend gibt es in allen Bundesländern. Sie sind ebenfalls sehr unterschiedlich finanziert, so dass sich z.T. sehr ähnliche Probleme wie bei den Beratungsstellen bei häuslicher Gewalt und bei sexualisierter Gewalt gegen erwachsene Frauen ergeben. Wenn in einer Beratungsstelle sowohl zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche als auch gegen Frauen gearbeitet wird, stellt sich in den meisten Bundes-ländern das Problem der Finanzierung aus verschiedenen „Töpfen“, d. h. die ressortübergreifende Finanzierung muss immer wieder erkämpft werden. Ein großes Problem ergibt sich daraus, dass diese Beratungsstellen in der Regel auch den meist indirekten Auftrag zur Primär-, vor allem aber auch Sekundärprävention erhalten, ohne eine dafür spezielle Finanzierung zur Verfügung zu haben.

Zudem wird dem umfangreichen Aufwand, der bei einer Fallberatung entstehen kann (Beratung der Betroffenen, der unterstützenden Angehörigen, des Umfelds, wie z. B. Schule und Mitarbeiterinnen der Freizeitangebote, Unterstützung bei Gerichtsverfahren und Umgangsregelungen, Klärung von Fragen des Aufenthaltsstatus, Sprachmittlung u.v.m.), nicht Rechnung getragen, so dass die immer

wieder der Bedarfsermittlung zu Grunde gelegten Fallzahlen dem tatsächlichen Bedarf in keiner Weise entsprechen.

Beratung, Begleitung und Information für Frauen und Mädchen, die von Menschenhandel be-troffen sind, wird bundesweit durch etwa 50 spezialisierte Fachberatungsstellen, die im Bundes-weiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel zusammengeschlossen sind, angeboten. Be-tont werden muss jedoch, dass es bundesweit kein flächendeckendes Angebot von spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel gibt. So gibt es in Thüringen noch keine Fachberatungsstelle, in anderen Bundesländern wie zum Beispiel Schleswig-Holstein und Mecklen-burg-Vorpommern lediglich eine bzw. sind diese personell nur unzureichend ausgestattet (bspw.

mit nur einer Personalstelle).

Spezielle Angebote, die sich an Kinder von gewaltbetroffenen Frauen richten, gibt es im ambu-lanten Bereich nur vereinzelt, angeschlossen z. B. an eine Beratungsstelle oder Interventionsstelle.

Das Land Niedersachsen hat z. B. in den Jahren 2015 bis 2017 insgesamt fünf Modellprojekte für Kinder, die Gewalt gegen ihre Mutter miterlebt haben, finanziert124. Obwohl nach Ablauf der Modelle festgestellt wurde, dass es sich um notwendige Angebote handelt, hat das Land die Finanzierung eingestellt und die Arbeit an die Jugendämter verwiesen.

Auch die reibungslose Zusammenarbeit zwischen Flüchtlingsunterkünften und Frauenbera-tungsstellen gelingt in vielen Fällen nicht. In den meisten Unterkünften haben Vertreter*innen von Frauenberatungsstellen nur sehr eingeschränkten bis gar keinen Zutritt und den geflüchteten Frau-en fehlt es oftmals an dFrau-en finanziellFrau-en Mitteln oder an TransportmöglichkeitFrau-en, um die nächstgele-gene Beratungsstelle aufzusuchen.

Ausstattung

Alle Beratungsstellen berichten von stetig steigender Inanspruchnahme sowohl durch Betroffene als auch durch Bezugspersonen, Fachkräfte und Kooperationspartner*innen. Der Anteil der Bera-tungen ist in den im bff angeschlossenen Fachberatungsstellen innerhalb von vier Jahren um 20 % gestiegen125.

Im gleichen Zeitraum ist die durchschnittliche Anzahl der Veranstaltungen, Gruppen- und Fort-bildungsangebote pro Fachberatungsstelle und Jahr von 27 auf 37 gestiegen. Neben einer stetig zu-nehmenden Inanspruchnahme (Anzahl Kontakte) nehmen die Beratungsintensität sowie die Kom-plexität der Themen und Problemfelder zu126.

Dem Anstieg der Inanspruchnahme steht die Stagnation der Personalressourcen auf niedrigem Niveau gegenüber. Durchschnittlich verfügen Beratungsstellen bei geschlechtsspezifischer Gewalt (gegen Frauen) über öffentlich geförderte Personalstellen von 2,1 Vollzeitäquivalenten, verteilt auf durchschnittlich 3–4 Personen127. Die Personalknappheit führt dazu, dass viele Beratungsstellen ihre Angebote reduzieren müssen (geringere Erreichbarkeit, weniger Beratungstermine u.ä.). Selbst in

124 Landespräventionsrat Niedersachsen und Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleich-stellung 2018: Kinder als Zeugen häuslicher Gewalt – Die Erfahrungen der Modellprojekte in Niedersachsen.

125 Jährliche Abfragen des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) bei Fachberatungs-stellen; Vergleich Zeitraum 2014–2018.

126 Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) 2018: Die Fachberatungsstellen: Aktiv ge-gen Gewalt gege-gen Frauen und Mädchen. Stark für die Gesellschaft- gege-gen Gewalt, [online] https://www.frau- en-gegen-gewalt.de/de/broschueren-und-buecher/die-fachberatungsstellen-aktiv-gegen-gewalt-gegen-frau-en-und-maedchen-stark-fuer-die-gesellschaft-gegen-gewalt.html (aufgerufen am 04.07.2020).

Auch die Bestands- und Bedarfsabfrage der Fachberatungsstellen in Baden-Württemberg hat eine Zunahme an Anfragen und höhere Beratungsintensität u. a. bei häuslicher und sexualisierter Gewalt ergeben (Bestands- und Bedarfsabfrage der Fachberatungsstellen in Baden-Württemberg für Prostitution, Menschenhandel zum Zwe-cke der sexuellen Ausbeutung, häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt, Interventionsstellen, Frauennotrufe und Be-ratungsstellen für sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden Ergebnisbericht der landesweiten Erhebung im Februar/März 2019, S. 50).

127 Jährliche Abfragen des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) bei Fachberatungs-stellen: Sie verfügten in den Jahren 2015 bis 2018 durchschnittlich über öffentlich geförderte Stellenanteile zwi-schen 2,09 und 2,18 Vollzeitäquivalenten. Die Situation unterscheidet sich teils stark zwizwi-schen den Bundeslän-dern. So kam eine wissenschaftliche Erhebung in Bayern zu dem Ergebnis, dass die Fachberatungsstellen dort im

Kapitel IV 78

Schleswig-Holstein, dem einzigen Bundesland, in dem die Beratungsstellen gesetzlich abgesichert finanziert sind, fehlen gemessen an den fachlich begründeten Bedarfsstandards des bff insgesamt über 200 Personalstellen.

Die Bezahlung der Fachkräfte kann in den meisten Einrichtungen nicht angemessen der an-spruchsvollen Tätigkeit geleistet werden. Dabei schreibt der öffentliche Geldgeber oftmals eine niedrige tarifliche Eingruppierung vor, die der Schwere der Arbeit nicht angemessen ist.

Wichtige Tätigkeiten wie Verwaltung, Netzwerkarbeit, Gremienarbeit, Öffentlichkeitsarbeit oder Prävention sind oft nicht Bestandteil der Regelfinanzierung und müssen mit extra akquirierten Eigenmitteln oder „nebenbei“ geleistet werden, obwohl sie für eine ganzheitliche Arbeit der Bera-tungsstellen unerlässlich sind.

Trotz steigender Kosten (z. B. für Miete) stagnieren die Zuschüsse, das bedeutet für die Fachbe-ratungsstellen regelmäßig faktische Kürzungen ihres Budgets.

Eine Bedarfsabfrage bei den im Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe organisierten Beratungsstellen hat im Jahr 2020 die desolate Ausstattung vieler Stellen aufgezeigt.

So fehlt es vielen Beratungsstellen an digitaler Infrastruktur (gute Telefonanlagen, moderne Com-puter, Diensthandys), Schallschutzdämmung der Beratungsräume, barrierefreien Eingangsberei-chen und WCs, Mobiliar, Büromaterial, guter Beleuchtung der Räume und vielem mehr.