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Nichtstaatliche Organisationen und Zivilgesellschaft

35 BMJV 2019: Thesen zu einer Reform des Sorge- und Umgangsrechts, [online] https://www.bmjv.de/SharedDocs/

Downloads/DE/News/Artikel/102919_Thesen_AG_SorgeUndUmgangsrecht.pdf;jsessionid=D9702A40A5AB-45932FD3995FD5AE6974.2_cid289?_ _blob=publicationFile&v=2 (aufgerufen am 09.10.2020).

Anforderungen

Artikel 9 verpflichtet dazu, die Arbeit von Zivilgesellschaft und NGOs gegen Gewalt an Frauen und Mädchen zu fördern und eine wirkungsvolle Zusammenarbeit mit ihnen einzurichten.

Herausforderungen

Die unzureichende und projektgebundene Finanzierung von zivilgesellschaftlicher Arbeit gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Deutschland widerspricht einer Anerkennung ihrer gesellschaft-lichen Bedeutung gemäß der Istanbul-Konvention. Die Ressourcen, die die NGOs regelhaft in die Sicherung der eigenen Existenz investieren müssen, fehlen für die politische und gesellschaftliche Wirksamkeit (vgl. Artikel  8). Auf kommunaler und Länderebene ist die politische Beteiligung der Gewaltschutz-Akteur*innen häufig explizit nicht finanziert und muss im Ehrenamt von den Mitarbei-ter*innen geleistet werden.

Auf Ebene der Zusammenarbeit mit NGOs gibt es in den Kommunen, den Bundesländern und im Bund zum Teil sehr gute, vertrauensvolle und langjährige Kooperationen (vgl. Artikel 10). Insbeson-dere mit den Gleichstellungsbeauftragten in den Kommunen und den Gleichstellungsressorts auf Länder- und Bundesebene sind die Kontakte vielerorts eng und partnerschaftlich. Der Informations-austausch mit diesen Stellen ist gegeben, so z. B. bei lokalen Runden Tischen, Landespräventionsrä-ten oder der Bund-Länder-AG „Häusliche Gewalt“. Allerdings zeigt sich auf allen politischen Ebenen, dass die Fähigkeit der Gleichstellungsressorts, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, begrenzt ist, was die Wirksamkeit der Kooperationen regelhaft einschränkt.

Bislang fehlt eine bundesweite Einbindung der NGOs in die Umsetzung der Istanbul-Konven-tion. Der 2019 neu gegründete Runde Tisch Bund-Länder-Kommunen „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“, an dem NGOs explizit nicht beteiligt sind, setzt hier einen negativen Präzedenzfall (vgl.

Artikel 7). In die Entwicklung des „Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ von 2007 wurde die Zivilgesellschaft ebenfalls kaum eingebunden.

Es gibt auf Bundesebene weder eine ressortübergreifende politische Gesamtstrategie gegen Gewalt an Frauen und Mädchen noch eine gleichstellungspolitische Gesetzesfolgenabschätzung.

Deshalb werden NGOs aus dem Frauen- und Gewaltschutzbereich immer wieder an relevanten poli-tischen Prozessen nicht beteiligt. Die „Arbeitsgruppe zur Reform des Sorge- und Umgangsrechts“, die 2019 im Auftrag des BMJV ein Thesenpapier erstellte, ist dafür ein Beispiel. Obwohl Gewalt-schutz eine prioritäre Rolle spielen müsste (vgl. Artikel 31), war kein*e Expert*in aus dem Bereich beteiligt und das Thema fand keine Erwähnung35.

Auf Bundesebene behindert der Trend zu sogenannten „Omnibus-Verfahren“ in der Gesetzge-bung die Einbindung der Verbände, die sonst formal in Deutschland sehr gut geregelt ist. Wenn beispielsweise die Entscheidung über die Krankenkassenfinanzierung von Akutversorgung nach

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sexualisierter Gewalt in ein Gesetz über Masernschutz eingepflegt wird, ist es für die Frauen- und Gewaltschutzorganisationen kaum möglich, im Gesetzgebungsverfahren Gehör zu finden36.

Außerdem stellt etwa die Erstellung mehrsprachiger Informationsmaterialien sowie die Ver-dolmetschung von Gesprächen und Diskussionen in den Workshops, Seminaren und Panels eine besondere Kostenkomponente und einen besonderen Förderungsbedarf derartiger NGOs dar.

Schließlich besteht ein weiteres wichtiges Aufgaben- und Finanzierungsfeld der entsprechenden Organisationen darin, empirische Studien durchzuführen, die sich mit den Herausforderungen und Bedürfnissen von marginalisierten Frauen, u. a. migrierten und geflüchteten Frauen und Mädchen, Frauen und Mädchen mit Behinderungen, LBTI*-Personen und wohnungslosen Frauen befassen.

Empfehlungen

Wir empfehlen der Bundesregierung, den Bundesländern und Kommunen,

» politische Kooperationen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mäd-chen in allen relevanten Ressorts zu etablieren.

» die Bereitstellung mehrsprachiger Informationsmaterialien sowie die Übernahme der Kosten für die Dolmetschleistungen.

» Zusätzliche Ressourcen für die für Minderheiten tätige NGOs bereitzustellen, die einen besse-ren Zugang zu den Zielgruppen haben.

Wir empfehlen den Bundesländern und Kommunen,

» die angemessene politische Beteiligung der NGOs aus dem Frauen- und Gewaltschutzbereich durch die Bereitstellung finanzieller Ressourcen zu gewährleisten.

36 BMG 2019: Bundestag beschließt Masernschutzgesetz, 14.11.2019, [online] https://www.bundesgesundheitsmi-nisterium.de/presse/pressemitteilungen/2019/4-quartal/masernschutzgesetz.html (aufgerufen am 23.10.2020).

Artikel 10 Koordinierungsstelle

37 Rabe, Heike & Britta Leisering 2018: Die Istanbul-Konvention: Neue Impulse für die Bekämpfung von ge-schlechtsspezifischer Gewalt, Deutsches Institut für Menschenrechte, [online] https://nbn-resolving.org/

urn:nbn:de:0168-ssoar-56238-3 (aufgerufen am 12.06.2020).

Anforderungen

Artikel 10 sieht vor, dass eine oder mehrere offizielle Stellen eingeführt werden, die für die Koordi-nierung, Durchführung, Überwachung und Bewertung der Politik und Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verantwortlich sind.

Herausforderungen

Die konsequente und kohärente Umsetzung der Istanbul-Konvention macht ein politisches Gesamt-konzept auf Bundes- und auf Länderebene erforderlich. Dafür fehlen in Deutschland weiterhin die Strukturen.

Koordinierungsstelle

Auf Bundesebene gibt es keine Koordinierungsstelle, die ressortübergreifend und im Austausch mit Ländern und Kommunen die Regierungstätigkeiten zur Umsetzung der IK sicherstellt37.

Referat 403 im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist fach-lich für die Istanbul-Konvention zuständig. Das Referat kann jedoch für Koordinierungsaufgaben weder auf ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen, noch auf die nötige Verankerung in der Hierarchie zurückgreifen. Referat 516 ist für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt zuständig. Die Maßnahmen für Mädchen werden mit denen für Frauen unge-nügend abgestimmt.

Eine Zusammenarbeit mit den anderen Bundesministerien, die für die Umsetzung der Istan-bul-Konvention mitverantwortlich sind, ist auf höherer Verwaltungsebene nicht institutionalisiert.

Dadurch wird verdeutlicht und verstetigt, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen eine niedrige politische Priorität beigemessen wird.

Verschiedene Bund-Länder-Arbeitsgruppen beschäftigen sich jeweils mit Teilaspekten des Ge-waltschutzes, was nicht zur Kohärenz beiträgt. In ihren Befugnissen sind sie stark begrenzt.

An der Bund-Länder-AG „Häusliche Gewalt“ sind neben der Zivilgesellschaft verschiedene Bun-desressorts auf Arbeitsebene vertreten. Sie dient dem Austausch und der Beratung. Die AG kann lediglich Empfehlungen aussprechen und hat keine Weisungsbefugnis. Die Teilnahme der Bundes-länder ist freiwillig.

Der Nationale Rat „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung“

wird im Herbst 2020 zum ersten Mal tagen und soll bis Sommer 2021 politische Ziele und konkrete Umsetzungsschritte formulieren. Wie verbindlich diese Ziele für Bundesländer und Kommunen sind und mit welchen finanziellen Mitteln sie hinterlegt sind, ist unklar. Ebenso wenig ist geklärt, ob der Nationale Rat in der nächsten Legislaturperiode verstetigt wird.

Am Runden Tisch von Bund, Ländern und Kommunen „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“

sind neben BMFSFJ und Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), keine anderen

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ressorts beteiligt, ebenso wenig die Zivilgesellschaft. Der Runde Tisch befasst sich zudem nur mit dem Ausbau und der finanziellen Absicherung des Hilfesystems.

Länderebene

In den meisten Bundesländern gibt es seit längerem Koordinierungsstellen zum Aufbau und zur Weiterentwicklung der Hilfeangebote und zur Durchführung (präventiver) Maßnahmen zur Ver-hütung von häuslicher Gewalt. Sie sind in zivilgesellschaftlicher Trägerschaft (Brandenburg, Bay-ern, Berlin, Mecklenburg-VorpommBay-ern, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz) oder in Ministerien an-gesiedelt (Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Thüringen, Sachsen, Schleswig-Holstein). Ihre politische Wirksamkeit ist in beiden Fällen durch die institutionelle Verankerung begrenzt. Diese Stellen haben zudem nicht das Mandat, sich mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention in ihrer Gänze zu befassen. Die personellen Ressourcen sind häufig nicht ausreichend. Bei den freien Trägern ist die Finanzierung oft nicht langfristig gesichert.

In einigen Ländern erhielten die Koordinierungsstellen bzw. speziell eingerichtete Projektstellen explizit die Aufgabe der Begleitung der Umsetzung der Istanbul-Konvention. Diese sind in Bayern und Schleswig-Holstein bei zivilgesellschaftlichen Trägern und in Rheinland-Pfalz im Ministerium angesiedelt. Auch diesen Stellen fehlen jedoch bislang zum Teil der Zugang zu offiziellen Berichten und Daten. In Berlin gibt es seit dem 01.09.2020 eine Koordinierungsstelle, angesiedelt bei der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Es handelt sich dabei um eine Perso-nalstelle, die federführend für die Koordinierung und Umsetzung der notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention zuständig sein soll. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat außer-dem die Einberufung eines ressortübergreifenden Gremiums beschlossen mit der Zielsetzung einen Aktionsplan für Berlin zur Umsetzung der Istanbul-Konvention zu erarbeiten. Zivilgesellschaftliche Akteure sollen hierbei ausdrücklich miteinbezogen sein.