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Rechtsauslegung zu sog. „Ehrenmorden“

Eine juristische Definition darüber, was „Ehrenmord“ bedeutet, findet sich in der deutschen Recht-sprechung kaum. Während Landgerichte bei einschlägigen Fällen den Begriff „Ehrenmord“ nicht verwenden298, gebraucht der Bundesgerichtshof ihn hingegen in seinen Pressemitteilungen über jene Entscheidungen299. In den fraglichen Entscheidungen geht es um Tötungen, die im Zusammen-hang mit verletzter Familienehre stehen. Auffällig ist dabei, dass die Täter in jenen Fällen stets als

„Fremde“ gesehen und verurteilt werden300.

„Ehrenmorde“ und andere Straftaten, die im Namen der Ehre begangen werden, werden im deutschen Strafrechtssystem hingegen nicht mit gesonderten Straftatbeständen geahndet. Zu den Tötungsdelikten des StGB zählen Totschlag, § 212 StGB, und Mord, § 211 StGB. Totschlag, also die vorsätzliche Tötung eines Menschen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, im besonders schweren Fall mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Als Mörder mit lebenslanger Freiheitsstrafe wird bestraft, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder aus sons-tigen niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln, oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. Niedere

296 Kopietz, Andreas & Klaus Oberst 2019: Mann erstach seine Frau, weil sie ihn verlassen hatte, in: Berliner Zeitung, 17.12.2019, [online] https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/mann-erstach-seine-frau-weil-sie-ihn-verlassen-hatte-li.3434 (aufgerufen am 28.06.2020).

297 Schwarz, Carolina 2019: Femizide sind kein „Drama“, in: taz, 07.10.2019, [online] https://taz.de/Mord-an-Frau-en/!5628432/ (aufgerufen am 30.06.2020).

298 Foljanty, Lena & Ulrike Lembke 2014: Die Konstruktion des Anderen in der „Ehrenmord“-Rechtsprechung, in:

Kritische Justiz 2014, S. 298–315.

299 Vgl. Pressemitteilungen des BGH v. 20.9.2010, Nr. 178/2010; v. 30.6.2010, Nr. 136/2010; v. 26.11.2009, Nr. 242/2009;

v. 02.11.2007, Nr. 163/2007 zu den Entscheidungen LG Schweinfurt v. 10.03.2010, 1 KLs 11 Js 6760/09; LG Kleve v.

29.12.2009 [Fn. 6]; LG Hamburg v. 13.2.2009, 621 Ks 17/08; LG Limburg v. 23.4.2007, 3 Js 14048/06 – 2 Ks.

300 Foljanty, Lena & Ulrike Lembke 2014: Die Konstruktion des Anderen in der „Ehrenmord“-Rechtsprechung, in:

Kritische Justiz 2014, S. 298-315.

Beweggründe sind solche, die sittlich auf tiefster Stufe stehen und nach allgemeiner Anschauung in besonderer Weise verachtenswert sind301.

Aus der deutschen juristischen Perspektive findet sich das Problem damit nicht im Fehlen eines Straftatbestands „Femizid“ oder „Frauenmord“, sondern in der Auslegung und Anwendung des be-stehenden Rechts302. Die Frage ist also, ob Femizide, d. h. wenn Frauen ermordet werden, weil sie Frauen sind, als Totschlag oder als Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten ist. Das Motiv bei Femiziden ist fast immer die Trennungsabsicht der Frau oder eine bereits erfolgte Trennung, welche der Ex-Partner nicht akzeptieren will: Die Trennungstötung ist der Standardfall männlicher Tötungsdelikte in Beziehungen303. Bei den sogenannten Ehrenmorden werden in diesen Fällen eher niedrige Beweggründe angenommen, während bei derselben christlich-deutschen Konstellation eher Totschlag angewendet wird.

Nach aktueller Rechtsprechung sollen die dem deutschen Recht zugrunde liegenden Werte die Grundlage der Beurteilung darstellen mit der Folge, dass „Ehrenmorde“ nun auf objektiver Ebene den Tatbestand der niederen Beweggründe erfüllen304. Auf subjektiver Ebene wird grundsätzlich angenommen, dass die Täter eines „Ehrenmordes“ sich dessen Verwerflichkeit bewusst waren. Nur wenn die Täter ausnahmsweise aufgrund ihrer „Verhaftung“ in ihrer „heimatlichen Kultur“ nicht den Unwertgehalt ihres Tuns erkennen konnten, soll es am subjektiven Tatbestandsmerkmal fehlen305. Es muss demzufolge individuell nachgewiesen werden, dass eine solche „Verhaftung“ vorliegt und diese für den Täter subjektiv handlungsleitend war. Eine Bestrafung soll auch erfolgen, wenn nach Wertung des Gerichts der Täter aufgrund langjährigen Aufenthalts in Deutschland sich hätte von seinen Vorstellungen lösen können306.

Der Juristinnenbund stellt dazu fest: sogenannte Ehrenmorde von türkisch- oder arabischstäm-migen Tätern werden inzwischen durchgängig als Mord aus niedrigen Beweggründen bestraft. Ei-nen kulturellen Bonus gebe es nicht, sondern eher eine bedenkliche Verkürzung der Prüfung des Mordmerkmals307. Der Wunsch des Täters, das Opfer möge nach seinen Vorstellungen leben, werde als freiheitsbeschränkender patriarchaler Herrschaftsanspruch und bei Trennungstötungen über-wiegend als vulnerabler emotionaler Zustand interpretiert308.

Empfehlung

Wir empfehlen der Bundesregierung,

» regelmäßige Datensammlungen und fundierte, breit angelegte wissenschaftliche Studien zur Femiziden, die unabhängig von kulturellen, religiösen oder sonstigen Zugehörigkeiten sind.

Somit können angepasste Schutzmaßnahmen bzw. Hilfeangebote entwickelt werden.

301 BGH, Urt. v. 25.07.1952, 1 StR 272/52.

302 Leonie Steinl in Holstein, Natascha 2019: Trennungstötungen werden oft nicht als Mord eingestuft, in : SZ, 17.10.2019, [online] https://www.sueddeutsche.de/panorama/femizid-gewalt-gegen-frauen-1.4635132 (aufgeru-fen am 18.01.2021).

303 djb 2019: Themenpapier 19–24: Femizide in Deutschland: Strafverfolgung und angemessene Bestrafung von so-genannten Trennungstötungen, 25.11.2019, [online] https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st19-24 (aufgerufen am 18.01.2021).

304 Foljanty, Lena & Ulrike Lembke 2014: Die Konstruktion des Anderen in der „Ehrenmord“-Rechtsprechung, in:

Kritische Justiz 2014, S. 298–315; BGH v. 20.08.2004 – 2 StR 281/04; BGH v. 20.02.2002 – 5 StR 538/01; BGH v. 24.04.2001 – 1 StR 122/01; LG Detmold v. 16.05.2012 (Fn. 5); LG Kleve v. 29.12.2009 (Fn. 6); LG Hamburg vom 13.02.2009.

305 Foljanty, Lena & Ulrike Lembke 2014: Die Konstruktion des Anderen in der „Ehrenmord“-Rechtsprechung, in:

Kritische Justiz 2014, S. 298–315; BGH v. 07.10.1994 (Fn. 17); BGH v. 20.02.2002 (Fn. 20).

306 Foljanty, Lena & Ulrike Lembke 2014: Die Konstruktion des Anderen in der „Ehrenmord“-Rechtsprechung, in: Kri-tische Justiz 2014, S. 298–315; BGH v. 07.10.1994 (Fn. 17); BGH v. 20.02.2002 (Fn. 20); BGH v. 28.01.2004 (Fn. 9).

307 djb 2019: Themenpapier 19–24: Femizide in Deutschland: Strafverfolgung und angemessene Bestrafung von so-genannten Trennungstötungen, 25.11.2019, [online] https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st19-24 (aufgerufen am 18.01.2021).

308 Ebd.

Kapitel V 142

Wir empfehlen der Bundesregierung, den Bundesländern und den Kommunen,

» diversitätssensible Lehrmaterialien, Sensibilisierungskampagnen und Schulungsprojekte in al-len Bereichen gegen Genderrolal-lenbilder aufzulegen.

Wir empfehlen den Beauftragten für Kultur und Medien,

» Femizide klar und deutlich als solche zu benennen – und zwar ohne Kulturalisierung. Ge-schlechtsspezifische Gewalt muss immer benannt und sichtbar gemacht werden. Verharmlo-sende Bezeichnungen wie „Ehrenmord“, „Bluttat“, „Beziehungsdrama“ oder „Familiendrama“

rücken die Tat ins Private und banalisieren damit zugleich die Gewalt gegen Frauen. Deshalb sollten sie im öffentlichen Raum nicht mehr verwendet werden.

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