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Die Istanbul-Konvention fordert in Artikel 12 Abs. 6 für die geschlechtsbezogene Gewaltprävention Maßnahmen zum Empowerment. Sie benennt die Notwendigkeit einer direkten Ermächtigung und Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen zur Prävention und zum Schutz vor Gewalt. In der deutschen Version wird „Empowerment of women“ nicht ganz treffend mit „Stärkung der Rechte der Frauen“ übersetzt. Der deutsche Text verengt so die Perspektive auf das Rechtssystem und schwächt die aktive Rolle der Frauen in der Entwicklung eigenständiger Handlungsstrategien zum Abbau und zur Prävention von Gewalt gegen Frauen. Direktes Empowerment dagegen ermöglicht die Auflösung alter Verhaltensmuster und Rollenzuweisungen, und wirkt mit neuen Handlungsop-tionen auch primärpräventiv gegen Gewalt (Art. 12.1 IK).

In den Aktionsplänen der Bundesländer zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wird Emp-owerment mit Ausnahme des Landesaktionsplans von Nordrhein-Westfalen nicht berücksichtigt oder als Zielvorgabe benannt. Dies wirkt sich auf die Finanzierungsmöglichkeiten von Empower-mentangeboten in den jeweiligen Gebietskörperschaften der einzelnen Bundesländer negativ aus.

So existieren zwar Empowerment-Angebote wie feministische Selbstbehauptung und -verteidi-gung, die Qualitätsstandards entsprechen und nachweislich effektiv in der geschlechtsbezogenen Gewaltprävention wirken41. Aufgrund fehlender staatlicher Förderung werden diese aber nicht flä-chendeckend angeboten mit der Konsequenz, dass nur wenige Frauen Zugang zu diesen Angebo-ten finden, und diese insbesondere auch für Frauen mit Behinderungen, für Frauen mit geringem Einkommen oder für Frauen mit Flucht- und/oder Migrationserfahrung schwer zugänglich sind.

Empowerment von Frauen und Mädchen, um Gewalt, ungleiche Machtverhältnisse und Diskri-minierungen nicht zu akzeptieren und sich gegen diese erfolgreich zur Wehr zu setzen, sollte auf allen Ebenen – Familien, Bildungs- und Freizeitinstitutionen, Gesundheitswesen – gefördert, imple-mentiert und verstetigt werden. Es wäre zu ergänzen um ein Empowerment von Jungen, um gleich-berechtigte gewaltfreie Beziehungen zu Mädchen und Frauen aufzubauen und aktiv durchzusetzen sowie Solidarität zwischen den Geschlechtern zu fördern.

Auch die aktive politische Einbeziehung von Frauen, die Gewalt erlebt haben, in die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen und die Öffentlichkeitsarbeit als Expertinnen mit Erfahrungswissen stellt eine wichtige Maßnahme zum Empowerment dar, die in Deutschland bislang so gut wie nicht umgesetzt wurde. Das gilt auch und insbesondere für marginalisierte und diskriminierte Gruppen.

Empfehlungen

Wir empfehlen der Bundesregierung, den Bundesländern und den Kommunen,

» die Entwicklung und Etablierung eines umfassenden, intersektional ausgerichteten und wir-kungsvollen Gesamtkonzeptes zur Prävention geschlechtsbezogener Gewalt.

» ein umfassendes Gewaltschutzkonzept für Frauen und Mädchen mit Behinderungen, woh-nungslose Frauen sowie für geflüchtete Frauen und Mädchen.

» ein Empowerment für alle in Deutschland lebenden Frauen und Mädchen, sich gegen Gewalt, Diskriminierung und ungleiche Machtverhältnisse erfolgreich zur Wehr zu setzen.

» ein Empowerment von Jungen und Männern, gleichberechtigte gewaltfreie Beziehungen mit Mädchen und Frauen zu leben und aktiv für die Gleichstellung und Solidarität zwischen den Geschlechtern einzutreten.

» diese Präventionsmaßnahmen unabhängig von Sozial- und Bildungsschichten und von der Herkunft der Zielgruppen diskriminierungsfrei zu gestalten.

41 Vgl. Kelly, Liz & Nicola Sharp-Jeffs 2016: Knowledge and Know-how: the Role of Self-defence in the Prevention of Violence against Women, [online] https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?referen-ce=IPOL_STU(2016)571385 (aufgerufen am 23.09.2020).

Artikel 13 Bewusstseinsbildung 37

Artikel 13 Bewusstseinsbildung

42 Heisecke, Karin 2014: Raising awareness of violence against women: Article 13 of the Istanbul Convention, Council of Europe, September 2014, [online]

https://edoc.coe.int/en/violence-against-women/7142-raising-awareness-of-violence-against-women-artic-le-13-of-the-istanbul-convention.html (aufgerufen am 14.01.2021). Siehe insbesondere die „Checklist“ auf S. 31 f.

der Handreichung.

43 Die Initiative „Stärker als Gewalt“ (https://staerker-als-gewalt.de) ist im November 2019 gestartet. Sie ist Teil des Aktionsprogrammes der Bundesregierung „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ und setzt sich dafür ein, dass mehr betroffene Frauen und Männer Mut haben und sich wehren, wenn sie von körperlicher, sexueller oder psy-chischer Gewalt betroffen sind; mehr Menschen im Umfeld von betroffenen Personen hinsehen und ihnen helfen;

alle Betroffenen Hilfe finden, die Zuhause von Gewalt bedroht sind.

Anforderungen

Artikel  13 verpflichtet dazu, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu den von der IK abgedeckten Formen von Gewalt, ihren Auswirkungen und der Notwendigkeit ihrer Verhütung zu stärken. Hierzu sollen Informationskampagnen und Programme zur Bewusstseinsbildung durchgeführt und geför-dert werden.

Herausforderungen

Bei vielen der in Deutschland von den Regierungen (Bund, Länder, Kommunen) umgesetzten oder finanzierten Bewusstseinsbildungs-/ Informationskampagnen ist nicht erkennbar, dass die Empfeh-lungen der Europarats-Handreichung “Raising awareness of violence against women: Article 13 of the Istanbul Convention“ für die Planung und Umsetzung beachtet wurden42. Insbesondere ist zu bemerken, dass Bewusstseinsbildungs-Kampagnen scheinbar ohne übergeordnete Strategie und klare Einbindung in einen umfassenden Aktionsplan zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt und mit Bereitstellung der notwendigen Ressourcen konzipiert werden und dass ihre Wirkung häufig nicht evaluiert wird. Die Thematisierung aller relevanten Gewaltformen sowie die Ansprache aller relevanten Zielgruppen steht auf vielen Ebenen noch aus.

Von der Bundesregierung wurden als Teil des Aktionsprogrammes „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ 2 Millionen Euro für eine „Bundesweite Öffentlichkeitskampagne zur Ächtung von Ge-walt gegen Frauen sowie zur Sensibilisierung und Information“ bereitgestellt. Obwohl das Ziel der bundesweiten Initiative “Stärker als Gewalt“ im Staatenbericht als dritter Teil des Aktionsprogramms

„Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ genannt wird, um „die breite Öffentlichkeit für das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen zu sensibilisieren“, behandelt sie sowohl Gewalt gegen Frauen als auch Gewalt gegen Männer43.

Während Bewusstseinsbildung zum Thema Gewalt gegen Männer ebenfalls wichtig ist, ist es kontraproduktiv, dass eine Kampagne, die explizit als Teil des Aktionsprogramms zu Gewalt gegen Frauen finanziert wird, einen anderen Fokus hat. Insbesondere im Kontext der europaweit zu beob-achtenden Tendenz, dass in politischen Ansätzen die geschlechtsspezifische Dimension von Gewalt gegen Frauen vernachlässigt wird, ist dies besorgniserregend. Es steht den Prinzipien der Istan-bul-Konvention entgegen, die klar benennt, dass Gewalt gegen Frauen im Kontext der bestehenden Geschlechterverhältnisse betrachtet und behandelt werden muss.