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Unterstützung bei Einzel- oder Sammelklagen

112 Deutscher Juristinnenbund e. V. 2018: Stellungnahme zur effektiven Umsetzung des Übereinkommens des Euro-parats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Deutschland, 29.01.2018, [online] https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st18-02/ (aufgerufen am 18.01.2021).

113 Ebd.

114 Ebd.

115 Rabe, Heike & Britta Leisering 2018: Die Istanbul-Konvention: Neue Impulse für die Bekämpfung von ge-schlechtsspezifischer Gewalt, Deutsches Institut für Menschenrechte, [online] https://nbn-resolving.org/

urn:nbn:de:0168-ssoar-56238-3 (aufgerufen am 15.01.2021), S. 15.

Anforderungen

Artikel 21 fordert, dass Gewaltopfer Informationen über geltende regionale und internationale Me-chanismen für Einzel- oder Sammelklagen erhalten und Zugang zu diesem Rechtsweg haben. Ge-waltopfern soll sensible und sachkundige Unterstützung des Staats, von Rechtsvertretern, NGOs etc. zuteilwerden.

Herausforderungen

Der Deutsche Juristinnenbund e. V. (djb) hat bereits in einer frühen Stellungnahme aus dem Jahr 2018 auf die Problematik der praktischen Umsetzung des Artikels 21 hingewiesen112. Hiernach sind gezielte Maßnahmen der Bundesrepublik zur Information der Betroffenen nicht erkennbar. Staatlich geförderte Institutionen wie das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) stellen zwar Informa-tionen zu Beschwerdewegen bereit, aber eine flächendeckende Information Betroffener ist damit kaum gegeben. Auch eine qualifizierte Unterstützung von Gewaltbetroffenen beim Einreichen ent-sprechender Rechtsbehelfe ist in Deutschland nicht garantiert. Mangelhaft ist zugleich der Zugang zu Rechtsbeistand und unentgeltlicher Rechtsberatung. Dem muss unverzüglich abgeholfen wer-den.

Insbesondere für Frauen mit Behinderungen, ältere Frauen, wohnungslose Frauen, Migrantinnen mit prekärem Aufenthaltsstatus und weibliche Geflüchtete ist der Zugang zum Rechtsweg proble-matisch, da das Angebot an Informationen, Beratung und Unterstützung wegen fehlender personel-ler und finanzielpersonel-ler Ressourcen oft weder in verschiedenen Sprachen noch barrierefrei ist113.

Unverzüglich müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Rechte aller Frauen auf Rechtsbeistand, kostenlose Rechtsberatung und Informationsrechte gewährleisten zu können. Ef-fektiver Rechtszugang, gerade für Frauen, die sich besonderen Hindernissen gegenübersehen, be-inhaltet Änderungen des Gewaltschutzgesetzes sowie die Etablierung wirksamer Überwachungs- und Beschwerdemechanismen114. Expertinnen des DIMR kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sachkundige Unterstützung von Gewaltbetroffenen bei einer Einreichung von Beschwerden ga-rantiert sein muss. Dies beinhaltet eine finanzielle Stärkung und Qualifizierung des spezialisierten Unterstützungssystems inklusive der Anwält*innen in Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen115.

Der Zugang Gewaltbetroffener in Deutschland zu Informationen über Einzel- und Sammelkla-gen, wie ihn der Artikel 21 der Istanbul-Konvention vorsieht, ist unzureichend, nicht niedrigschwellig genug und nicht barrierearm.

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Bundesebene

Weder die vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) herausgegebe-nen Broschüre „Opferfibel. Rechte von Verletzten und Geschädigten in Strafverfahren“116, noch die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebene Broschüre „Entschädigung für Opfer von Gewalttaten“117 enthalten Artikel 21 entsprechende Informationen. Die vom BMJV im Jahr 2020 eingerichtete Website „Hilfe-Info für Betroffene von Straftaten“118 enthält ebenfalls keine In-formationen gemäß Artikel 21 der Istanbul-Konvention. Zwar verweist das BMJV auf dessen Website zum Thema „Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte“ auf einen vom Europarat/Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2014 herausgegebenen „Leitfaden zu den Zulässigkeits-voraussetzungen“119 entsprechender Beschwerden, allerdings ist dieser ausschließlich in deutscher Sprache und nicht barrierearm zugänglich, was den Zugang für z. B. gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen oder gewaltbetroffene Migrant*innen, die auf eine englische oder anderweitig mehrsprachige Übersetzung angewiesen sind, erschwert. Weitere relevante Broschüren, u. a. des DIMR sind ebenfalls ausschließlich auf Deutsch und in keiner barrierearmen Variante zugänglich120.

Gewaltbetroffene könnten sich, neben der selbstständigen Recherche im Internet zu Beschwer-demöglichkeiten im Sinne des Artikels 21, noch ggf. bei Fachanwält*innen hierüber informieren, al-lerdings setzt dies materielle Ressourcen voraus, die nicht jedem Gewaltopfer in Deutschland zur Verfügung stehen dürften und ist aus Sicht der Praxis ebenfalls sehr hürdenreich. Die Bereitstellung einfühlsamer und sachkundiger Unterstützung für Gewaltopfer bei der Einreichung von Einzel- oder Sammelklagen und ein niedrigschwelliger Zugang, ist somit nicht gegeben.

Zur Einreichung von Sammelklagen muss erwähnt werden, dass das im erläuternden Bericht der Istanbul-Konvention erwähnte Zusatzprotokoll zur Europäischen Sozialcharta, das Sammelklagen unter der Charta ermöglicht, von Deutschland nicht ratifiziert worden ist. Das heißt, dass dieser Weg Gewaltbetroffenen in Deutschland prinzipiell nicht offensteht.

Länderebene

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In Berlin gibt es von staatlicher Stelle keine umfassende Aufklärung über die Beschwerdemöglich-keiten gemäß Artikel 21 der Istanbul-Konvention. Die Fachberatungs- und Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt bieten jede an einem Wochentag Rechtsberatung durch eine Anwältin an, aber inhaltlich geht es dort mehr um die rechtlichen Möglichkeiten vor Ort. Es hängt damit immer sehr von der beratenden Anwältin ab, ob diese die internationalen Möglichkeiten kennt, in Erwägung zieht und darauf hinweist. Einfach zugängliche und verständliche Informationen gibt es in Berlin hierzu nicht.

In Sachsen ist unklar, wo sich Betroffene hinwenden können, wenn sie solche Klagen anstreben.

Im Sinne der beschriebenen Beschwerdemechanismen sind keine bekannt, die sich auf die Thematik häusliche Gewalt und sexualisierte Gewalt beziehen.

116 BMJV 2020: Opferfibel, Informationen für Betroffene von Straftaten rund um das Strafverfahren, [online] https://

www.bmjv.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Opferfibel.pdf?_ _blob=publicationFile&v=16 (aufgerufen am 15.01.2021).

117 BMAS 2019: Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, [online] https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/

DE/PDF-Publikationen/a719-hilfe-fuer-opfer-von-gewalttaten-256.pdf;jsessionid=459757743856F6A568F-C2CB13EA9F364.delivery1-replication?_ _blob=publicationFile&v=1 (aufgerufen am 15.01.2021).

118 BMJV: Hilfe-Info für Betroffene von Straftaten, [online] https://www.hilfe-info.de (aufgerufen am 15.01.2021).

119 Europarat/Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 2014: Leitfaden zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen, [online] https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/EGMR_Leitfaden_zu_den_Zu-laessigkeitsvorraussetzungen.pdf (aufgerufen am 15.01.2021).

120 Hüfner, Klaus et al. 2012, Menschenrechtsverletzungen: Was kann ich dagegen tun? Menschenrechtsverfahren in der Praxis, 3. Aufl., [online] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/

menschenrechtsverletzungen_was_kann_ich_dagegen_tun.pdf (aufgerufen am 15.01.2021).

121 Die genannten Informationen entstammen, soweit nicht anders erwähnt, den Angaben der Landeskoordinie-rungsstellen gegen häusliche/sexualisierte Gewalt der Bundesländer vom Oktober 2020. Weitere Kenntnisse zur Umsetzung des Artikels 21 der Istanbul-Konvention in den Bundesländern sind nicht bekannt.

In Mecklenburg-Vorpommern ist nicht bekannt, wer Gewaltopfern Informationen zu Beschwer-demechanismen gemäß Artikel 21 zur Verfügung stellen kann. Weder die Beratungsstellen des Hilfe-netzes, noch die allgemeine Opferhilfe oder die Opferhilfebeauftragte der Justiz können hierüber Auskunft geben und verweisen ihrerseits auf Anwält*innen.

In Brandenburg ist die Vermittlung von Kontakten zu Anwält*innen durch die Beratungsstellen der Opferhilfe und auch durch die Frauenschutzeinrichtungen und Beratungsstellen gegeben, ins-besondere werden Kontakte und Informationsquellen zu regionalen und nationalen Einzelklagen bereitgestellt. Weniger bzw. gar keine Vermittlung zu Kontakten gibt es dagegen zu rechtlichen Möglichkeiten im internationalen Bereich und zum Bereich Sammelklagen. Eine direkte rechtliche Beratung durch professionelles Personal, z. B. Anwält*innen, gibt es bei den Beratungsstellen nicht.

Bei den Landeskoordinierungsstellen gegen häusliche/sexualisierte Gewalt aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen liegt kein Kenntnisstand hierzu vor. In Niedersachsen dürfen die Koordinie-rungsstellen keine Rechtsberatung leisten, was jedoch bei dem Verweis auf Klagemöglichkeiten der Fall wäre.

In Baden-Württemberg sind keine dem Artikel 21 der Istanbul-Konvention direkt Rechnung tra-genden Aktivitäten bekannt. Das Land hat mit dem Opferbeauftragten einen Ansprechpartner für Opferschutzeinrichtungen, der für eine Koordinierung und „Lotsenfunktion“ im Land Sorge trägt.

Ob dieser hinreichende Informationen und Unterstützung für Opfer, die Individual- oder Kollektiv-beschwerden anstreben, bereitstellt, bleibt unklar.

Es zeigt sich, dass die Umsetzung von Artikel 21 der Istanbul-Konvention auch auf Länderebene unzureichend und dringend verbesserungswürdig ist. Die Bereitstellung einfühlsamer und sachkun-diger Unterstützung für Gewaltopfer bei der Einreichung von Einzel- oder Sammelklagen, gemäß Artikel 21 IK und ein niedrigschwelliger Zugang ist nicht gegeben.

Empfehlungen

Wir empfehlen der Bundesregierung und den Bundesländern,

» den Zugang von Gewaltopfern zu Informationen über geltende regionale und insbesondere internationale Mechanismen für Einzel- oder Sammelklagen und ein Zugang zu diesen im Sinne des Artikels 21 IK zu verbessern und auszubauen.

» die einfühlsame und sachkundige Unterstützung für die Opfer bei der Einreichung solcher Kla-gen umfassend zu fördern und einen niedrigschwelliKla-gen Zugang sicherzustellen.

» aktualisierte, mehrsprachige sowie barrierefreie Versionen von Informationsmaterialien zu Be-schwerdemöglichkeiten (z. B. von Bundesministerien) leicht zugänglich anzubieten, um den Bedürfnissen der Gewaltopfer gerecht zu werden. Die Ressourcen hierfür bei relevanten NGOs sollten ebenfalls aufgestockt werden.

Wir empfehlen den Bundesländern,

» der bestehenden Leerstelle des Wissens um die nationalen und internationalen Klagemög-lichkeiten für Gewaltopfer seitens der Beratungsstellen und der Opferhilfebeauftragten der Bundesländer durch Schulungen von Fachanwält*innen zu begegnen.

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