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5. Ausführliche Darstellung der Indikatoren

5.2 Bereich 2: Schutz vor gesundheitlichen Schädigungen und Belastungen

5.2.3 Unbeabsichtigter Gewichtsverlust

Der Indikator beschreibt den Anteil der Bewohner einer Einrichtung, bei denen es in einem Zeitraum von sechs Monaten zu einem erheblichen, nicht intendierten Gewichtsverlust ge-kommen ist. Gewichtsverluste, die vor dem Heimeinzug eingetreten sind oder die auf beste-hende Erkrankungen oder medizinische Therapien zurückzuführen sind, bleiben dabei außer Betracht. Bei diesem Indikator besteht das korrespondierende Versorgungsziel darin, durch ein fachgerechtes Ernährungsmanagement ein stetiges Körpergewicht zu erhalten.

Formale Definition

Mit dem Indikator „unbeabsichtigter Gewichtsverlust“ wird der Anteil der Bewohner erfasst, bei denen es in einem Zeitraum von sechs Monaten in der Pflegeeinrichtung zu einem Ge-wichtsverlust von mehr als 10% ihres Körpergewichtes gekommen ist.

Aus der Berechnung ausgeschlossen werden Bewohner, bei denen medizinische Gründe, beispielsweise eine Krebserkrankung, Amputationen von Gliedmaßen oder eine medikamen-töse Ausschwemmung den Gewichtsverlust erklären können. Dadurch verursachte Ge-wichtsverluste können von den Einrichtungen kaum verhindert werden.

Wie sich bei der Auswertung der Daten zeigte, besteht für kognitiv beeinträchtigte Bewohner ein höheres Risiko, einen unbeabsichtigten Gewichtsverlust zu erleiden. Bei der Berechnung des Indikators werden deshalb zwei Bewohnergruppen unterschieden:

 Unbeabsichtigter Gewichtsverlust bei Bewohnern, die keine oder nur geringe kognitive Einbußen aufweisen,

 Unbeabsichtigter Gewichtsverlust bei Bewohnern, die mindestens erhebliche kognitive Beeinträchtigungen aufweisen.

Als Grundlage für die Zuordnung eines Bewohners in die entsprechende Gruppe wird das Ergebnis des Moduls „Kognitive und kommunikative Fähigkeiten“ des NBA herangezogen.

Relevanz

Alte Menschen sind im Vergleich zur Gesamtbevölkerung besonders gefährdet, Ernährungs-defizite zu erleben. Dies trifft in besonderem Maße auf Bewohner stationärer Pflegeeinrich-tungen zu (Heseker/Stehle 2008). Sie sind häufiger von Problemen wie Appetitlosigkeit, Kau- und Schluckproblemen oder motorischen Problemen betroffen, die zu einer reduzierten Nah-rungsaufnahme führen können (Tannen 2009). Um die Auswirkungen derartiger Beeinträch-tigungen zu minimieren, bedürfen viele Heimbewohner der Unterstützung bei der Nahrungs-aufnahme, aber auch der Bereitstellung individuell geeigneter Nahrung.

Von Mangelernährung betroffene Personen sind gefährdet, schwerwiegende körperliche Folgen, z. B. neurologische und kardiovaskuläre Beeinträchtigungen oder eine erhöhte In-fektanfälligkeit zu erleiden. Insgesamt steigt ihr Risiko, bei bestehenden Erkrankungen Kom-plikationen zu entwickeln (DNQP 2008a; Volkert 2004). Aus einer Mangelernährung

resultie-ren für die Betroffenen oft auch Einschränkungen ihrer Lebensqualität (Norman et al. 2006a;

Norman et al. 2006b).

Forschungsergebnisse

Die vorliegenden Untersuchungen kommen hinsichtlich der Prävalenz von Mangelernährung unter Heimbewohnern zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Für Deutschland weisen eini-ge Untersuchuneini-gen älteren Datums aus, das bis zu 43% der Bewohner stationärer Pfleeini-ge- Pflege-einrichtungen mangelernährt seien (MDS 2004; Roth/Garms-Homolová 2005). Für den deutschsprachigen Raum ermittelten aktuelle Studien unter geriatrischen Patienten Präva-lenzraten zwischen 14% und 18,7% (Frick et al. 2009; Galvan et al. 2006).

Verantwortlich für die große Spannweite der angegebenen Prävalenzen sind in erster Linie unterschiedliche Definitionen und Messmethoden, die bei der Ermittlung und Interpretation des Ernährungszustandes zugrunde gelegt wurden (DNQP 2008a; Volkert 2004). So wird teilweise auf die Erfassung von Laborparametern, z. B. des Serumalbuminwertes oder auf Körperfettmessungen zurückgegriffen. Andere Untersuchungen verwenden Instrumente wie das Mini Nutritional Assessment, um das Risiko oder das Bestehen einer Mangelernährung zu erfassen (Galvan et al. 2006). In weiteren Untersuchungen werden Einschätzungen des Körpergewichts im Verhältnis zur Körpergröße oder Veränderungen des Körpergewichtes im Zeitverlauf zugrunde gelegt, um den Ernährungsstatus von Heimbewohnern zu erfassen (Tannen 2009; Zimmerman 2003). Allerdings wird betont, dass aufgrund einzelner Parame-ter kein definitiver Rückschluss auf den Ernährungszustand einer Person, sondern nur Hin-weise auf die bestehende Gefahr einer Mangelernährung gewonnen werden können (DNQP 2010a; Tannen 2009). Gewichtsverluste im Zeitverlauf werden dabei als aussagekräftigerer Hinweis auf eine mögliche Mangelernährung angesehen als ein erniedrigter Body Mass In-dex (Volkert 2004).

In stationären Einrichtungen lebende Menschen sind beim Erhalt oder der Wiedergewinnung eines guten Ernährungszustandes in mehrfacher Hinsicht auf die Unterstützung der Einrich-tung und ihrer Mitarbeiter angewiesen. Der Expertenstandard Ernährungsmanagement zur Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege sieht dabei die Einschät-zung des Risikos einer Mangelernährung und die individuell darauf abgestimmte Bereitstel-lung personeller Unterstützung als wichtige Aufgabe der Pflegekräfte an. Er weist aber auch darauf hin, dass die erfolgreiche Unterstützung gefährdeter Personen von der Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen durch die Pflegeeinrichtungen, z. B. der Bereitstellung ei-nes geeigneten Ernährungsangebotes oder der Schaffung adäquater räumlicher Vorausset-zungen abhängt (DNQP 2010a). Ernährungsdefizite bei älteren, pflegebedürftigen Menschen lassen sich nach Expertenmeinung durch ein Ernährungsmanagement, das die o. g. Aspekte berücksichtigt, erheblich reduzieren (Bartholomeyczik et al. 2008; DNQP 2010a).

Nutzung bei Qualitätsbeurteilungen

Der Ernährungszustand von Heimbewohnern wird relativ häufig als Kriterium zur Beurteilung der Qualität herangezogen. Die Merkmale, anhand derer der Ernährungszustand bzw. das

potenzielle Risiko einer Mangelernährung eingeschätzt werden, unterscheiden sich aller-dings erheblich. Einige Systeme stützen sich bei ihrer Einschätzung auf isolierte Teilaspekte der Ernährungssituation, wie den Anteil von Bewohnern mit Sondenernährung oder Anzei-chen von Dehydration (Rantz et al. 2004; Unruh/Wan 2004; Wallrafen-Dreisow/Weigel 2007).

Überwiegend wird jedoch versucht, anhand des Body Mass Index (BMI) oder durch die Er-fassung von Gewichtsveränderungen der Bewohner Rückschlüsse auf deren Ernährungszu-stand zu ziehen (Schmidt et al. 2008; The Aged Care Branch of the Department of Human Services [Victoria] 2004). Insbesondere zur Verwendung im Rahmen externer Qualitätsver-gleiche wird die übermäßige und/oder ungeplante Gewichtsabnahme von Bewohnern oft als Beurteilungsgrundlage herangezogen (Rantz et al. 2004; Steering Committee Responsible Care 2008; U.S. Dept. of Health & Human Services and Centers for Medicare & Medicaid Services 2004).

Messverfahren

Die Erfassung des Gewichtes erfolgte sehr einfach anhand der zu den Erhebungszeitpunk-ten vorliegenden Gewichtsangaben. Das zuletzt ermittelte Körpergewicht und das Datum der Gewichtsmessung wurden von den Einrichtungsmitarbeitern in einen Bewohnerfragebogen übertragen. Zusätzlich wurde erfragt, ob bei dem Bewohner eine Erkrankung vorliegt, die zu erheblichen Gewichtsverlusten führen kann oder ob medizinische Therapien durchgeführt wurden, die zu einem Gewichtsverlust führen können.

Erprobungsergebnisse

Die Ermittlung von Gewichtsangaben, die sich in das durch den Indikator vorgesehene Ras-ter von sechs Monaten einordnen ließen, war nicht für alle Bewohner möglich. Nicht alle Ein-richtungen ermittelten das Gewicht ihrer Bewohner zeitnah zu den Erhebungszeitpunkten.

Um Vergleichbarkeit zwischen den Einrichtungen herzustellen, wurden Bewohner von der Bewertung ausgeschlossen, wenn die Erhebungszeitpunkte der Gewichtsangaben erheblich vom Erhebungszeitpunkt abwichen. Als erheblich wurde eine Abweichung von mehr als drei Wochen bezogen auf den Bewertungszeitraum von sechs Monaten angesehen. Bewohner, bei denen dies der Fall war wurden bei der Berechnung des Indikators ausgeschlossen. Die führte dazu, dass nur für 1.182 der erfassten Bewohner (72.3%) nutzbare Datensätze

vorla-gen. Von diesen wurden weitere 38 Fälle von der Berechnung ausgeschlossen, weil medizi-nische Gründe für einen möglichen Gewichtsverlust angegeben wurden28.

Der Anteil der Bewohner, die im Verlauf von sechs Monaten 10% ihres Körpergewichtes ver-loren, belief sich auf insgesamt 6,0%. Die kognitiv erheblich oder schwerer beeinträchtigten Bewohner waren mit 7,6% mehr als doppelt so häufig betroffen wie kognitiv weniger beein-trächtigte Personen, bei denen der Anteil 3,7% betrug. Dies deckt sich mit Ergebnissen an-derer Untersuchungen, die für kognitiv beeinträchtigte Heimbewohner ein höheres Risiko unbeabsichtigter Gewichtsverluste konstatieren (Heseker/Stehle 2008). Der Gesamtdurch-schnitt liegt leicht unter dem Niveau, das in anderen Systemen zur Qualitätsbewertung aus-gewiesen wird (z. B. Nursing Home Compare: 8%, MDS Quality Measure/Indicator Report 2010: 8,9%). Allerdings unterscheiden sich die Kriterien zum Ausschluss von Bewohnern im Vergleich zu diesen Systemen. Zudem ist nicht bekannt, wie hoch dort der Anteil kognitiv stärker beeinträchtigter Bewohner ist.

In Einrichtungen mit Vollerhebung waren insgesamt 6,2% der erfassten Bewohner von einem unbeabsichtigten Gewichtsverlust betroffen. Einen Überblick gibt die nachfolgende Tabelle:

Tab. 22: Unbeabsichtigter Gewichtsverlust in 10 Vollerhebungseinrichtungen nach dem Grad kognitiver Beeinträchtigung (N=389)

28 Ob eine medizinische Begründung für den Ausschluss der Bewohner vorlag, wurde anhand der freischriftlichen Angaben der Rater entschieden. Ausschlussgrund war bei 14 Bewohnern eine fortge-schrittene Krebserkrankung, bei 14 Bewohnern eine massive medikamentöse Ausschwemmung, bei 3 Bewohnern wurden Gliedmaßen amputiert. In 8 Fällen wurden weitere schwere Erkrankungen als Grund akzeptiert. Hinzu kamen 5 Bewohner, bei denen eine Gewichtsreduktion gezielt erfolgte und 7 Bewohner, bei denen eine reduzierte Nahrungsaufnahme ausdrücklich auf eigenen Wunsch erfolgte.

Bewohner mit keinen oder geringen kogni-tiven Beeinträchtigungen

Bewohner mit erheblichen bis schwersten kognitiven Beeinträchtigungen

Bewertungssystematik

Zum Teil können sich aufgrund der bei diesem Indikator vorliegenden geringen Fallzahlen Einzelfälle stark auswirken. Aus diesem Grund berücksichtigt das Bewertungsschema neben dem Anteil der Bewohner mit Gewichtsverlust auch, ob der Anteilswert durch mehr als einen Bewohner zustande gekommen ist. Ist dies nicht der Fall, erhält eine Einrichtung trotz hoher Anteilswerte keine unterdurchschnittliche Bewertung.

Ergebnis

Bewertungskriterien bei Bewohnern mit keinen oder geringen kognitiven

Beeinträchtigungen

Bewertungskriterien bei Bewohnern mit erheblichen bis schwersten

kog-nitiven Beeinträchtigungen +

überdurchschnittlich gutes Ergebnis

Der Anteil der Bewohner mit unbeab-sichtigtem Gewichtsverlust liegt bei maximal der Hälfte des

Gesamtdurch-schnitts (hier: <1,9%)

Der Anteil der Bewohner mit unbeab-sichtigtem Gewichtsverlust liegt bei maximal der Hälfte des

Gesamtdurch-schnitts (hier: <3,8%)

O

durchschnittliches Ergebnis

Es ist bei maximal einem Bewohner ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust einge-treten oder der Anteil liegt zwischen der

Hälfte des Gesamtdurchschnitts und dem 1,5fachen des

Gesamtdurch-schnitts (hier: 1,9% bis 5,6%)

Es ist bei maximal einem Bewohner ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust einge-treten oder der Anteil liegt zwischen der

Hälfte des Gesamtdurchschnitts und dem 1,5fachen des

Gesamtdurch-schnitts (hier: 3,8% bis 11,4%)

unterdurchschnittli-ches Ergebnis

Es ist bei mehr als einem Bewohner ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust eingetreten und der Anteil liegt über

dem 1,5fachen des Gesamtdurch-schnitts (hier: >5,6%).

Es ist bei mehr als einem Bewohner ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust eingetreten und der Anteil liegt über

dem 1,5fachen des Gesamtdurch-schnitts (hier: 11,4%).

Tab. 23: Bewertung der Ergebnisse des Indikators unbeabsichtigter Gewichtsverlust für Einrichtungen mit Vollerhebung

Bewohner mit keinen oder geringen kognitiven Beeinträchtigungen

Bewohner mit erheblichen bis schwersten kognitiven Beeinträchtigungen Einrichtung Bewohner mit

unbeabsichtigtem

Fazit

Der Indikator „unbeabsichtigter Gewichtsverlust“ ist sowohl im internen Qualitätsmanage-ment einer Einrichtung als auch für Qualitätsvergleiche und die öffentliche Qualitätsbericht-erstattung verwendbar. Mit seiner Hilfe kann eine Einschätzung vorgenommen werden, in welchem Maße Bewohner akut von Mangelernährung betroffen oder bedroht sind. Diese Informationen können dem internen Qualitätsmanagement einer Einrichtung Hinweise auf mögliche Qualitätsdefizite liefern. Unterschiede zwischen Pflegeeinrichtungen können jedoch auch im Rahmen externer Vergleiche herangezogen werden.

Die Erfassung der benötigten Daten ist grundsätzlich präzise und mit geringem Aufwand möglich. Das Körpergewicht der Bewohner wird in der Praxis bereits heute regelmäßig erho-ben und dokumentiert. Dies bestätigen auch die Aussagen der Teilnehmer aus den Regio-nalgruppen, die um Einschätzungen zu diesem Sachverhalt gebeten wurden. Die Verläss-lichkeit dieser Daten lässt sich im Rahmen externer Qualitätsprüfungen stichprobenartig kon-trollieren.