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Einschätzung von Verhaltensauffälligkeiten bei Bewohnern mit kognitiven Einbußen 145

5. Ausführliche Darstellung der Indikatoren

5.3 Bereich 3: Unterstützung bei spezifischen Bedarfslagen

5.3.3 Einschätzung von Verhaltensauffälligkeiten bei Bewohnern mit kognitiven Einbußen 145

Verhaltensauffälligkeiten bzw. „herausforderndes Verhalten“ umfassen ein breites Spektrum von Handlungen, das sich vom unsachgemäßen Umgang mit Gegenständen über die Her-stellung von Gefahrensituationen beim ziellosen Umhergehen bis hin zu verschiedenen For-men der Aggression erstreckt. Es ist eine häufige Begleiterscheinung deFor-menzieller Erkran-kungen. Schon seit langem ist bekannt, dass Verhaltensauffälligkeiten zu den wichtigsten Gründen für die Heimaufnahmen zählen. Sie sind häufig ausschlaggebend für die Überforde-rung der pflegenden Angehörigen und den Entschluss, nach einem Heimplatz Ausschau zu halten.

Im Lebens- und Versorgungsalltag der stationären Altenhilfe kommt ihnen inzwischen ein hoher Stellenwert zu. Sie stellen eine der wichtigsten aktuellen fachlichen Herausforderun-gen in diesem Versorgungsbereich dar, weil Konzepte zum Umgang mit den betreffenden

Heimbewohnern noch schwach entwickelt sind. Hierbei geht es weniger um das Verhalten von Mitarbeitern in Problemsituationen (also die unmittelbare Reaktion auf das Bewohner-verhalten), sondern um die Gestaltung der Lebensumgebung und andere Maßnahmen, die auf verhaltenswirksame Faktoren einwirken. Das Ziel der Unterstützung besteht darin, es dem Bewohner zu ermöglichen, mit Hilfe der ihm verbliebenen körperlichen und psychischen Ressourcen den eigenen Bedürfnissen nachzugehen, ohne sich selbst oder andere zu ge-fährden oder Situationen herbeizuführen, die von ihm selbst als belastend oder seiner sozia-len Umgebung als nicht akzeptabel erlebt werden.

Eine Voraussetzung für wirksame Hilfen ist eine sorgfältige Einschätzung von Verhaltens-weisen und die Klärung der Frage, ob aus VerhaltensVerhaltens-weisen Unterstützungsbedarf erwächst.

An diesem Punkt setzt der Indikator „Einschätzung von Verhaltensauffälligkeiten bei Bewoh-nern mit kognitiven Einbußen“ an. Er gibt Hinweise darauf, ob sich eine Einrichtung gezielt der Bedarfslagen von Bewohnern mit charakteristischen Verhaltensproblemen annimmt. Oh-ne eiOh-ne solche Einschätzung und den darauf aufbauenden Abklärungsprozess sind die Chancen auf nachhaltige Ergebnisse der Unterstützung gering (Wingenfeld et al. 2011; Bar-tholomeyczik et al. 2006).

Formale Definition

Der Indikator beschreibt den Anteil der Bewohner mit kognitiven Einbußen, bei denen eine ausreichend differenzierte Einschätzung der Verhaltensweisen vorliegt, die nicht älter als ein halbes Jahr ist. Als ausreichend differenziert wird eine Einschätzung mit einem Instrument definiert, das neben der Beurteilung der Häufigkeit des Auftretens eines Verhaltens auch die Beurteilung enthält, ob daraus ein pflegerischer Unterstützungsbedarf resultiert. Die Instru-mente sollten dabei u. a. folgende Verhaltensweisen gesondert erfassen:

 Motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten

 Physisch aggressives Verhalten gegen Personen

 Verbal aggressives Verhalten

 Selbstverletzendes/selbstgefährdendes Verhalten

 Ablehnung notwendiger Unterstützung (z. B. bei der Nahrungsaufnahme)

 Angstzustände.

In die Berechnung einbezogen werden nur Bewohner, die laut Einschätzung der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten mit dem Neuen Begutachtungsassessment mindestens erhebliche kognitive Beeinträchtigungen aufweisen. Weitere Bewohnergruppen werden nicht ausgeschlossen, da das Ergebnis unabhängig von der Bewohnerstruktur ist und in hohem Maße durch eine Einrichtung beeinflusst werden kann.

Relevanz

Herausforderndes Verhalten gewinnt in der Versorgung alter Menschen immer mehr an Be-deutung. In stationären Pflegeeinrichtungen kommt es zu einer besonderen Häufung dieser Problematik. Studien zufolge zeigen 30% bis 60% der Heimbewohner regelmäßig Verhalten-auffälligkeiten. In den projektbeteiligten Einrichtungen lag der Anteil zum letzten Erhebungs-zeitpunkt etwas höher als 70% (einschl. Bewohner mit einer eher schwach ausgeprägten Verhaltensproblematik). In einer weiteren deutschen Untersuchung zeigten in einem Zeit-raum von vier Wochen 40% bis 50% der Bewohner verschiedene Formen von problemati-schen Verhaltensweisen (Bartholomeyczik et al. 2006).

Viele Verhaltensweisen wie z. B. Aggressivität, Schreien oder Apathie werden durch Pfle-gende und das weitere Umfeld als sehr belastend empfunden. Einen weiteren Belastungs-faktor stellt die Unvorhersehbarkeit dar. Häufigkeit und die Intensität des Auftretens können sich bei einigen Bewohnern von Tag zu Tag ändern. Dies stellt hohe fachliche und kommu-nikative Anforderungen an das Pflegepersonal. Der Umgang mit verhaltenssauffälligen Be-wohnern ist somit von hoher Bedeutung für den Pflegealltag (Halek/Bartholomeyczik 2006).

Auf der anderen Seite können Verhaltensauffälligkeiten darauf hinweisen, dass die Betroffe-nen selbst unter einem starken Leidensdruck stehen. Zumeist könBetroffe-nen sie sich nicht auf eine andere Art und Weise mitteilen, so dass Verhaltensweisen auch Ausdruck von Leiden und Belastungen sein können. Häufig stoßen die Bewohner jedoch mit ihrem Verhalten auf Un-verständnis oder Ablehnung, die wiederum die Verhaltensauffälligkeiten verstärken (Bartholomeyczik et al. 2006).

Forschungsergebnisse

Die aktuelle Forschungslage zeigt, dass das Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten durch eine Einrichtung und ihre Mitarbeiter beeinflusst werden kann, dieser Einfluss jedoch durch andere Faktoren stark überlagert werden kann. Verschiedene Maßnahmen können einen Beitrag zur Reduzierung problematischer Verhaltensweisen leisten. Dazu gehören u. a. In-formation des Bewohners (Mickus et al. 2002), Verfügbarkeit eines breiten Interventions-spektrums, in den Tagesablauf integrierte Aktivierungsprogramme (Kolanowski et al. 2002), geeignete Tagesstrukturen, soziale Interaktionen (Davis/Burgio 1999) und der Einsatz von Musik (De Young et al. 2002). Ein weiterer bedeutender Aspekt für die Mitarbeiter ist, dass sie die Gründe für das Verhalten kennen, damit sie gezielt Maßnahmen entwickeln und um-setzen können (Lucero 2002). Inzwischen liegen auch komplexe Interventionskonzepte vor, deren Wirksamkeit in deutschen Studien nachgewiesen werden konnte (Wingenfeld et al.

2011).

Da Verhaltensauffälligkeiten von Pflegenden in der Versorgung demenzkranker Heimbewoh-nern als belastendes Element beschrieben werden, wird die Personalqualifizierung als ein entscheidender Aspekt im Umgang mit derart verhaltensauffälligen Bewohnern angesehen.

Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass die Schulung der Mitarbeiter eine Voraus-setzung für die Abnahme von problematischen Verhaltensweisen darstellt. Empfohlene In-halte von Schulungsmaßnahmen sind u. a. das Krankheitsbild der Demenz, der Einsatz von

Assessmentinstrumenten zur Erfassung der Verhaltensweisen sowie mögliche Interventi-onsmaßnahmen (Cassidy et al. 2005; Cohen-Mansfield 2001; Douglas et al. 2004;

Fitzwater/Gates 2002).

Trotz der verschiedenen Möglichkeiten, mit Verhaltensauffälligkeiten umzugehen, ist es wichtig herauszustellen, dass das Auftreten derartiger Verhaltensweisen in hohem Maße von der Bewohnerstruktur und dem jeweiligen Krankheitsspektrum einer Einrichtung abhängig ist. Insbesondere das Vorliegen kognitiver Einschränkungen spielt dabei eine große Rolle.

Es liegt jedoch im Einfluss der Einrichtungen, eine adäquate Unterstützung verhaltensauffäl-liger Bewohner zu leisten. Eine Voraussetzung für wirksame Hilfen im Zusammenhang mit auftretenden Verhaltensauffälligkeiten ist eine differenzierte Erfassung und Beurteilung im Rahmen des pflegerischen Assessments (Bartholomeyczik et al. 2006, Wingenfeld/Seidl 2008).

Expertenmeinungen und Positionspapiere geben Hinweise zum Umgang mit Verhaltensauf-fälligkeiten. Zur Erfassung von problematischen Verhaltensweisen dienen Assessmen-tinstrumente wie das Cohen Mansfield Agitation Inventory (CMAI) oder das „Behavioral Pa-thology in Alzheimer’s Disease (BEHAVE-AD)“. Diese Instrumente helfen, die wichtigen sub-jektiven Beobachtungen der Pflegenden zu objektivieren, d. h. strukturiert, genau und mög-lichst wenig wertend zu beschreiben. Dieses wird als erster Schritt im Assessmentprozess angesehen, in dem verschiedene Fragen geklärt werden; z. B. wie häufig das Verhalten oder ob es in speziellen Situationen auftritt. Diese systematische Erfassung stellt eine Vorausset-zung für eine weitergehende Diagnostik dar. Ebenso kann sie für eine Evaluation der einge-leiteten Maßnahmen eingesetzt werden. Besonders wichtig ist allerdings auch eine Bewer-tung verhaltensbezogener Information. Denn nicht jede Verhaltensauffälligkeit zieht einen Unterstützungsbedarf nach sich.

Im Gesamtbild zeigt sich, dass eine standardisierte Erfassung von problematischen Verhal-tensweisen bei Menschen mit Demenz in Deutschland noch am Anfang steht. Gleiches gilt für Handlungskonzepte, die auf solchen Einschätzungen aufbauen (Wingenfeld/Seidl 2008).

Nutzung bei Qualitätsbeurteilungen

Das Thema Verhaltensauffälligkeiten wird in verschiedener Form in Systemen zur Qualitäts-beurteilung aufgegriffen. In den „National Quality Standards for Residential Care Settings for Older People in Ireland” wird ein Qualitätsstandard zum Umgang mit herausforderndem Ver-halten formuliert (Health Information and Quality Authority 2009).

Im niederländischen System zur Qualitätsbeurteilung „Quality Framework Responsible Care“

wird das Thema Verhaltsauffälligkeiten in Form eines Indikators abgebildet. Es wird der An-teil der Klienten betrachtet, die eine oder mehrere Arten problematischen Verhaltens gegen-über Mitarbeitern oder anderen Klienten in den vergangenen sieben Tagen gezeigt haben (Steering Committee Responsible Care 2008). Ein ähnlicher Indikator wird auch in dem aus-tralischen Projekt “Quality of Care Performance Indicator Project” vorgeschlagen. Hier wird der Anteil der Bewohner an der Gesamtzahl der Bewohner betrachtet, die seit dem letzten

Audit herausforderndes Verhalten gezeigt haben (The Aged Care Branch of the Department of Human Services (Victoria) 2004).

Messverfahren

Die Frage, ob für einen Bewohner mit kognitiven Einbußen eine aktuelle und ausreichend differenzierte Einschätzung der Verhaltensweisen vorliegt, wird auf Grundlage der bestehen-den Dokumentation in bestehen-den Einrichtungen erhoben. Es wird erfasst, ob und wann für bestehen-den Be-wohner eine Einschätzung der Verhaltensweisen mit Hilfe eines Instrumentes durchgeführt und dokumentiert wurde. Wenn eine Einschätzung durchgeführt und dokumentiert wurde, werden in einem zweiten Schritt Eigenschaften des verwendeten Instruments erfasst.

Die erforderlichen Daten können in der Regel aus der Dokumentation in den Einrichtungen entnommen werden. In der Erprobungsphase traten an manchen Stellen Schwierigkeiten auf. Die anfängliche Frage, was unter einer Einschätzung mit Hilfe eines Instruments zu ver-stehen ist, konnte durch eine Verbesserung des Manuals für die Erhebungen beantwortet werden. Hier zeigte sich, dass es bei diesem Indikator besonders wichtig ist, die Mitarbeiter intensiv in methodischen Fragen und im Umgang mit dem Instrument zu schulen. Darüber hinaus gab es in einzelnen Einrichtungen Schwierigkeiten, die erforderlichen Informationen zu beschaffen, da u. a. die Dokumentation an dieser Stelle unklar oder diese Informationen erst seit kurzen einheitlich dokumentiert wurden. Dieses Problem kann relativ einfach durch eine Anpassung der Dokumentation in den Einrichtungen behoben werden, so dass bei ei-nem langfristigen Einsatz des Indikators von eiei-nem geringen Zeitaufwand bei der Erhebung

ausgegangen werden kann. Schließlich zeigten sich bei der ersten Erfassung31 Unsicherhei-ten bei der Beurteilung der Frage, ob bei der Erfassung von VerhalUnsicherhei-tensweisen auch beurteilt werden muss, ob aus ihnen Unterstützungsbedarf resultiert. Nachfragen in den Einrichtun-gen ergaben, dass in einer Vielzahl der Fälle fälschlicherweise die Kriterien des Indikators als erfüllt angegeben wurden. Die Daten des zweiten Erhebungszeitpunktes wurden deshalb nicht in die Auswertung einbezogen.

Erprobungsergebnisse

Der Anteil der Bewohner mit aktueller und ausreichend differenzierter Einschätzung von Ver-haltensweisen lag zum dritten Erhebungszeitpunkt im Gesamtdurchschnitt aller Einrichtun-gen bei 2,7% (30 von 1.123 Bewohnern). Die Anteile variieren zwischen 0% und 33,3%. Eine derartige Einschätzung fand lediglich in fünf der beteiligten 45 Einrichtungen statt. Diese Er-gebnisse machen deutlich, dass eine systematische, regelhafte Erfassung und Berücksichti-gung von Verhaltensweisen kognitiv beeinträchtigter Bewohner keine gängige Praxis in den Einrichtungen ist. In dieser Hinsicht besteht erheblicher Entwicklungsbedarf.

Die Ergebnisse spiegeln auch den Diskussionstand in der Forschungsliteratur wider. In den

„Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe“ wird beschrieben, dass eine standardisierte Erfassung von problematischen Verhaltensweisen bei Menschen mit Demenz in Deutschland noch nicht verbreitet ist (Bartholomeyczik et al. 2006).

Bewertungssystematik

Grundsätzlich sind die mit dem Indikator verbundenen Anforderungen von stationären Pfle-geeinrichtungen erfüllbar, allerdings ist derzeit mit einer ungewöhnlichen Verteilung in der Breite der Versorgung zu rechnen. Wie bei dem Indikator Integrationsgespräch erfolgt daher keine Orientierung am Durchschnitt, sondern für das Erreichen einer guten Bewertung wird ein hoher Anteil an durchgeführten Einschätzungen vorausgesetzt. Dies führt dazu, dass keine der projektbeteiligten Einrichtungen ein durchschnittliches oder überdurchschnittliches Ergebnis erreicht. Es ist aber wie beim Indikator „Integrationsgespräch“ davon auszugehen, dass sich der Anteil durchgeführter Einschätzungen zukünftig in den Einrichtungen erhöhen wird. Die Bewertungskriterien und die daraus resultierenden Ergebnisse der Einrichtungen mit Vollerhebung stellen sich folgendermaßen dar:

31 Der Indikator wurde zum zweiten sowie zum dritten Erhebungszeitpunkt erfasst.

Ergebnis Bewertungskriterien

+

überdurchschnittlich gutes Ergebnis

Der Anteil der Bewohner, bei denen eine differenzierte Einschät-zung von Verhaltensweisen durchgeführt wurde, liegt über 75%.

O

durchschnittliches Ergebnis

Der Anteil der Bewohner, bei denen eine differenzierte Einschät-zung von Verhaltensweisen durchgeführt wurde, liegt über 50,0%,

aber maximal bei 75,0%.

unterdurchschnittliches Ergebnis

Der Anteil der Bewohner, bei denen eine differenzierte Einschät-zung von Verhaltensweisen durchgeführt wurde, liegt bei 50%

oder darunter.

Tab. 27: Anteilswerte und Bewertungen zum Indikator „Einschätzung von Verhaltensweisen“

für Einrichtungen mit Vollerhebung Einrichtung

Der Indikator kann sinnvolle Hinweise für das interne Qualitätsmanagement einer Einrichtung geben. Insbesondere lässt er erkennen, inwieweit eine Einrichtung auf die spezifischen Be-darfslagen demenzkranker Bewohner eingeht. Ein geringer Anteil an Bewohnern, für die eine aktuelle und differenzierte Einschätzung vorliegt, sollte den Anstoß geben, die Verfahrens-weisen im Umgang mit dieser speziellen Bewohnergruppe zu überprüfen.

Die Frage, ob für einen Bewohner mit kognitiven Einbußen eine Einschätzung von Verhal-tensweisen vorliegt, lässt sich auch bei externen Qualitätsprüfungen nachvollziehen. Die Erfassung der benötigten Daten anhand der Pflegedokumentation ist ohne erhöhten Auf-wand möglich. Die Verlässlichkeit dieser Daten ließe sich im Rahmen externer Qualitätsprü-fungen stichprobenartig überprüfen.

5.3.4 Schmerzmanagement

Der Vermeidung und Minimierung von Schmerzen kommt bei der Versorgung vieler Heim-bewohner eine hohe Bedeutung zu. Neben der medizinischen Behandlung von Schmerzen und deren Ursachen erwachsen aus dieser Tatsache auch für die pflegerische Versorgung wichtige Aufgaben, u. a. die regelmäßige Durchführung von Schmerzeinschätzungen bei Bewohnern mit wiederholt auftretenden Schmerzen. Das allgemeine Versorgungsziel besteht darin, mit den Mitteln eines professionellen Schmerzmanagements Schmerzfreiheit oder ein möglichst geringes Schmerzniveau zu erreichen. Der Indikator drückt aus, in welchem Um-fang bei Bewohnern mit Schmerzproblematik eine aktuelle Schmerzeinschätzung verfügbar ist. Perspektivisch sollte der Indikator um die Beurteilung der Frage ergänzt werden, ob eine Information des Arztes erfolgte. Beide Aspekte geben Hinweise darauf, inwieweit ein profes-sionelles Schmerzmanagement als Voraussetzung der Verbesserung des Schmerzstatus im Versorgungsalltag installiert ist (vgl. Ausführungen in der Einleitung zum Qualitätsbereich 3).

Formale Definition

Mit dem Indikator wird der Anteil der Bewohner mit einer Schmerzproblematik erfasst, bei denen folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

 Bei dem Bewohner wurde eine systematische Schmerzeinschätzung durchgeführt (min-destens Angaben zur Schmerzstärke und der Lokalisation des Schmerzes).

 Seit der letzten Aktualisierung der Einschätzung sind nicht mehr als drei Monate (90 Ta-ge) vergangen.

Ursprünglich war vorgesehen, die zeitnahe Mitteilung des Ergebnisses an den behandelnden Arzt (binnen 14 Tagen) ebenfalls in die Bewertung einzubeziehen. Dies erscheint derzeit nicht sinnvoll, kann und sollte aber zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt werden, wenn sich das noch stark entwicklungsbedürftige Schmerzmanagement der Einrichtungen verbessert hat.

Ob bei einem Bewohner eine Schmerzproblematik vorliegt, wird durch die Einrichtungsmitar-beiter anhand folgender Fragen entschieden:

 Äußert der Bewohner wiederholt Schmerzen?

 Geht aus der Pflegedokumentation hervor, dass der Bewohner regelmäßig Schmerzen äußert?

 Deuten bei demenzkranken Bewohnern Verhaltensweisen auf eine möglicherweise be-stehende Schmerzproblematik hin?

 Erhält der Bewohner regelmäßig schmerzlindernde Medikamente?

 Kommen bei dem Bewohner nichtmedikamentöse Maßnahmen zur Schmerzlinderung zum Einsatz?

 Gibt es andere Anzeichen für eine Schmerzproblematik?

Wird eine der Fragen mit ja beantwortet, ist von einer Schmerzproblematik auszugehen.

Einmalig aufgetretene Schmerzen, z. B. Kopfschmerzen am Tag der Erhebung, werden nicht berücksichtigt.

Relevanz

Insbesondere ältere, mehrfachkranke Menschen haben ein hohes Risiko, unter Schmerzen zu leiden (Robert Koch Institut 2009). Aktuelle Untersuchungen zur Verbreitung von Schmer-zen unter Heimbewohnern in Deutschland liegen allerdings nicht vor. Ältere Untersuchungen ermittelten Prävalenzraten zwischen 45% und 83% unter Heimbewohnern (Elkeles et al.

2008; Fox et al. 1999).

Andauernde Schmerzen können bei den Betroffenen sowohl zu körperlichen als auch psy-chosozialen Problemen führen und deren Lebensqualität stark beeinträchtigen (Maier et al.

2010; Müller-Mundt 2005). Es ist Aufgabe von Pflegeeinrichtungen, für Bewohner mit beste-hender Schmerzproblematik ein individuelles Schmerzmanagement anzubieten, das zu ei-nem bedarfs- und bedürfnisgerechten Umgang mit der Schmerzproblematik und einer Mini-mierung von Schmerzen beiträgt. Wesentliche von der Einrichtung zu verantwortende Be-standteile diese Schmerzmanagements sind das Erkennen einer Schmerzproblematik, die systematische Einschätzung der individuell vorhandenen Schmerzen und die Information der an der Schmerzbehandlung beteiligten Therapeuten (DNQP 2005). Der Indikator bildet ab, inwieweit bzw. in welchem Grad eine Einrichtung diesen Anforderungen nachkommt.

Forschungsergebnisse

Es liegen keine Untersuchungen über die Quantität systematischer Schmerzeinschätzungen bei Bewohnern deutscher Pflegeeinrichtungen vor. Allerdings verweisen einschlägige Fach-bücher, Standards und Leitlinien durchgängig darauf, dass die Durchführung solcher Ein-schätzungen wesentliche Voraussetzung für ein erfolgreiches Schmerzmanagement mit dem Ziel der Minimierung von Schmerzen bei Betroffenen ist (Carr/Mann 2002; Müller-Mundt 2005). Auch die Übermittlung der Ergebnisse durchgeführter Schmerzeinschätzungen an Ärzte, denen die Verantwortung für die Steuerung der medikamentösen Schmerztherapie obliegt, wird als elementarer Baustein eines erfolgreichen Schmerzmanagements betrachtet (DNQP 2005). Wenngleich das Ergebnis einer beim Bewohner durchgeführten Schmerzthe-rapie nur in Teilen durch die Pflegeeinrichtung beeinflusst werden kann, hat sie die Durch-führung und Aktualisierung von Schmerzeinschätzungen zu verantworten.

Nutzung bei Qualitätsbeurteilungen

Das Thema Schmerz wird vor dem Hintergrund von Qualitätsbeurteilungen international vor allem in der akutstationären Versorgung aufgegriffen. Dabei wird auch das Vorliegen von Schmerzen ab einer bestimmten Intensität oder die Auftretenshäufigkeit von Schmerzen in einem bestimmten Zeitraum für die Qualitätsbeurteilung zugrunde gelegt (Keenan et al.

2003). Verschiedentlich wird dies auch als Maß für die Qualität bei der Versorgung von Men-schen mit spezifiMen-schen Krankheitsbildern, z. B. Rückenschmerzen, eingesetzt (Chenot 2010). Im Bereich der Langzeitversorgung hingegen bildet die Orientierung am Schmerzsta-tus von Bewohnern die Ausnahme. Lediglich im US-amerikanischen Nursing Home Compare und den MDS Public Quality Indicator and Resident Reports wird darauf zurückgegriffen (Medicare 2010b; Zimmerman 2003). Allerdings geschieht das vor dem Hintergrund, dass im

dortigen Versorgungssystem die Einrichtungen in hohem Maße mitverantwortlich für die ärzt-liche Versorgung sind. Vereinzelt wird das Thema Schmerz unter dem Oberbegriff „Sym-ptomkontrolle“ aufgegriffen, bei der es um die Ergebnisse der Unterstützung von Bewohnern bei der Bewältigung von Krankheitssymptomen geht (Doran et al. 2006). Die systematische Durchführung von Schmerzeinschätzungen wird in Australien als Maß für die Versorgungs-qualität genutzt (Commonwealth of Australia 2006), allerdings nicht zum Zweck der externen Qualitätsbeurteilung verwendet.

Messverfahren

Als Grundlage für die Erfassung der Daten zum Indikator Schmerzmanagement wurde die Bewohnerdokumentation der Einrichtungen genutzt. Die Angaben zur Durchführung von Schmerzeinschätzungen, deren Aktualität, Veränderungen zwischen den beiden zuletzt durchgeführten Einschätzungen und der Übermittlung der Ergebnisse an den behandelnden Arzt wurden von den Mitarbeitern in einen Bewohnerfragebogen übertragen. Vorab wurden sie darum gebeten, anhand der vorgegebenen Fragen (vgl. formale Definition) einzuschät-zen, ob bei dem jeweiligen Bewohner eine Schmerzproblematik besteht. Zur Datenerfassung dient folgender Fragebogenteil:

Erprobungsergebnisse

Bei insgesamt 615 von 1.830 Bewohnern (33,6%) in 45 Einrichtungen wurde die Frage nach einer bestehenden Schmerzproblematik bejaht. Es zeigten sich einrichtungsabhängig

aller-dings große Unterschiede im Anteil dieser Bewohner. Dieser schwankte zwischen 2,3% und 64,9%. Einen Überblick über die Anteile dieser Bewohner in Einrichtungen mit Vollerhebung gibt die folgende Tabelle.

Tab. 28: Bewohner mit Schmerzproblematik in Einrichtungen mit Vollerhebung Einrichtung Bewohner mit

Schmerzproblematik

Bewohner ohne Schmerzproblematik

Einbezogene Bewohner

Anteil der Bewohner mit Schmerzproblematik

2 6 59 65 9,2%

41 13 78 91 14,3%

21 18 41 59 30,5%

22 18 41 59 30,5%

30 24 46 70 34,3%

36 20 36 56 35,7%

18 34 61 95 35,8%

29 33 51 84 39,3%

17 39 24 63 61,9%

19 25 14 39 64,1%

gesamt 230 451 681 33,8%

Angesichts der unerwartet niedrigen Anteilswerte in den Einrichtungen 2 und 41 stellt sich allerdings die Frage, ob der Frage nach dem Vorliegen wiederholter Schmerzen dort hinläng-lich nachgegangen wurde. In beiden Einrichtungen ist, wie weitere Daten zeigen, die Schmerzeinschätzung im Alltag noch nicht fest etabliert (s. u.).

Hinsichtlich der Frage, ob bei Bewohnern mit Schmerzproblematik eine systematische Schmerzeinschätzung durchgeführt wurde, zeigte sich ein tendenziell erfreuliches Ergebnis.

Dies war im Durchschnitt bei 82,6% der Bewohner der Fall. In 21 von 45 Einrichtungen wur-de eine Einschätzung bei jewur-dem wur-der betroffenen Bewohner, in weiteren 11 Einrichtungen mindestens bei drei Vierteln dieser Bewohner vorgenommen. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich bei den Einrichtungen mit Vollerhebungen, in denen im Schnitt bei 86,6% der Bewohner mit Schmerzproblematik derartige Einschätzungen durchgeführt wurden.

Größere Unterschiede zwischen den Einrichtungen zeigen sich in der Aktualität der zuletzt durchgeführten Schmerzeinschätzung. Nur bei 41,6% der Bewohner mit Schmerzproblema-tik war diese Einschätzung nicht älter als ein Monat. In 24,1% der Fälle lag das Alter der

Größere Unterschiede zwischen den Einrichtungen zeigen sich in der Aktualität der zuletzt durchgeführten Schmerzeinschätzung. Nur bei 41,6% der Bewohner mit Schmerzproblema-tik war diese Einschätzung nicht älter als ein Monat. In 24,1% der Fälle lag das Alter der