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5. Ausführliche Darstellung der Indikatoren

5.3 Bereich 3: Unterstützung bei spezifischen Bedarfslagen

5.3.1 Integrationsgespräch für Bewohner nach dem Heimeinzug

Alte Menschen erleben den Umzug in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung meist als ein-schneidendes Lebensereignis mit zahlreichen Verlusterfahrungen. Vor diesem Hintergrund ist die Unterstützung des neuen Bewohners bei der Bewältigung dieser Übergangssituation besonders wichtig. Diese Unterstützung verfolgt das Ziel der Integration in das neue soziale Umfeld, der Reduzierung psychischer Belastungen sowie der Sicherstellung einer bedarfs- und bedürfnisgerechten Versorgung von Beginn des Heimaufenthaltes an (Korte-Pötters et al. 2007). Dies geschieht u. a. mit der Durchführung von Integrationsgesprächen nach dem Heimeinzug. Sie dienen dazu, den Stand des Einlebens gemeinsam zu reflektieren und zu überprüfen, ob die individuelle Unterstützung für den Bewohner angepasst werden muss.

Formale Definition

Der Indikator gibt den Anteil der Bewohner an, bei denen innerhalb von sechs Wochen nach dem Heimeinzug ein Integrationsgespräch durchgeführt und ausgewertet wurde. „Integrati-onsgespräch“ ist definiert als Gespräch, das geplant und ausdrücklich zu dem Zweck geführt wurde, das Einleben des Bewohners in der Einrichtung gemeinsam mit ihm und/oder einer Bezugsperson zu besprechen. Geklärt werden kann z. B., ob der Bewohner zufrieden mit der Tagesstrukturierung ist oder ob er spezielle Wünsche im Hinblick auf die pflegerische Ver-sorgung hat. Die Inhalte und Ergebnisse des Gesprächs werden dokumentiert. Ergebnisse eines Integrationsgespräches beinhalten auch vom Bewohner geäußerte Kritik, daraus resul-tierende Maßnahmen oder Vereinbarungen. In die Berechnung des Indikators werden nur Bewohner einbezogen, die innerhalb der letzten sechs Monate in das Heim eingezogen sind.

Relevanz

Der Umzug in ein Pflegeheim bringt viele Unwägbarkeiten für den zukünftigen Bewohner mit sich. Er ist nicht nur mit einer völlig neuen Umgebung konfrontiert, sondern muss sich auch auf Veränderungen im Tagesablauf, andere Formen der Unterstützung sowie auf ein neues soziales Netzwerk einstellen (Lee et al. 2002). Der Einzug ist ein kritisches Lebensereignis, das Auswirkungen auf die Gesundheit des Bewohners haben kann (Feichtinger et al. 2002).

Die Einzugsphase ist häufig von Angst und Verlustgefühlen gekennzeichnet, die u. a. die Autonomie, Privatheit, verschiedene persönliche Gegenstände oder auch den Verlust von sozialen Kontakten umfassen können (Lee et al. 2002). Eine nicht oder nur begrenzt gelun-gene Eingewöhnung kann weitere psychische Folgen wie z. B. depressive Stimmungslagen nach sich ziehen. Auch andere unerwünschte Ereignisse, beispielsweise eine erhöhte Sturz-häufigkeit, können vermehrt auftreten (Korte-Pötters et al. 2007).

Verschiedene Aspekte beeinflussen Belastungen und Probleme im Verlauf des Heimein-zugs. Die Bewältigung gelingt umso besser, je positiver die Grundhaltung einer Person aus-fällt und je mehr die Vorstellungen vom Leben im Pflegeheim mit der Realität in Einklang stehen. Je weniger klar die Vorstellungen sind, desto größer ist auch die Angst vor dem Le-ben im Pflegeheim (Feichtinger et al. 2002). Ein geplanter ermöglicht es eher als ein unge-planter Einzug, sich intensiver und länger mit den anstehenden Veränderungen auseinan-derzusetzen. Eine aktive Rolle des Betroffenen ist ebenfalls ein förderlicher Faktor für die Eingewöhnung in der Einrichtung.

Ein Einzug vollzieht sich jedoch häufig relativ kurzfristig, so dass eine vorzeitige Auseinan-dersetzung mit der Thematik selten möglich ist. Zusätzlich übernehmen Angehörige oder auch berufliche Helfer häufig die Handlungskontrolle und die Entscheidungsautonomie für den alten Menschen (Korte-Pötters et al. 2007).

Beim Übergang und in der Phase des Einlebens sollte daher verstärkt Unterstützung geleis-tet werden, um Belastungen soweit wie möglich zu reduzieren. Eine Einrichtung sollte dazu geeignete Unterstützungsleistungen für Bewohner in dieser Phase bereitstellen.

Der Indikator bezieht sich auf einen Ausschnitt dieser Unterstützung, allerdings auf einen wichtigen: Ohne systematische Überprüfung des Prozesses des Einlebens und ohne Her-stellung eines geeigneten Gesprächsrahmens, in dem vom Bewohner, von seinen Angehöri-gen oder von anderen Bezugspersonen offen ErwartunAngehöri-gen, ErfahrunAngehöri-gen und ggf. auch Kritik geäußert werden können, ist diese Überprüfung kaum vorstellbar. Das unterstreichen u. a.

die Erfahrungen im Modellprojekt „Referenzmodelle zur qualitätsgesicherten Weiterentwick-lung der vollstationären Pflege“ (ebd.).

Forschungsergebnisse

Es existieren noch wenige belastbare Studien, die den Einfluss von Maßnahmen der Einrich-tung auf das Einleben des Bewohners untersuchen. In einer Studie aus dem Jahr 2002 zeig-te sich, dass für ein erfolgreiches Einleben die Durchschaubarkeit der Strukturen in einem Pflegeheim und die Beeinflussbarkeit von Entscheidungen sowie Handlungen von Bedeu-tung sind. Der Einzug kann besser bewältigt werden, wenn dieser durch Information, Bera-tung und Transparenz bei Veränderungen begleitet wird (Lee et al. 2002). In einer anderen Untersuchung wird betont, dass sich unterstützende Maßnahmen nicht nur auf den Ein-zugstag beschränken sollten; denn die Eingewöhnung in eine Pflegeeinrichtung ist ein Pro-zess, der sich über mehrere Wochen oder teilweise auch Monate nach dem Einzug erstre-cken kann (Thiele et al. 2002).

Im Projekt „Referenzmodelle zur Förderung der qualitätsgesicherten Weiterentwicklung der vollstationären Pflege“ wurden inhaltliche Kernpunkte eines Konzepts zur Unterstützung beim Einzug in eine Pflegeeinrichtung entwickelt und praktisch erprobt, das dem Grundsatz der Förderung der Integration des Bewohners in die neue Umgebung und der Reduzierung von Belastungen folgt. Neben Maßnahmen zur Vorbereitung des Einzugs, wie beispielsweise ein Erstgespräch, und strukturellen Voraussetzungen, z. B. eine schriftliche Konzeption oder die Verfügbarkeit eines Hauptansprechpartners für die Zeit des Einlebens, wird die erste Phase des Aufenthalts in der Pflegeeinrichtung in den Mittelpunkt gestellt. Nach dieser ers-ten Phase des Aufenthalts, die vier bis sechs Wochen umfasst, ist vorgesehen, ein Integrati-onsgespräch zum Abschluss dieser ersten Phase durchzuführen. Eine Einrichtung sollte im Gespräch mit dem Bewohner die Ereignisse der vergangenen Wochen reflektieren. Des Wei-teren sollten Wünsche, Kritik und Veränderungsvorschläge des Bewohners besprochen und dokumentiert werden. Empfohlene Themen für das Integrationsgespräch sind u. a. Privat-sphäre, Entscheidungsautonomie, Selbständigkeit, Informationsbedarf, soziale Kontakte, Tagesstrukturierung, pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung (Korte-Pötters et al.

2007).

Nutzung bei Qualitätsbeurteilungen

Das Thema Heimeinzug wird national sowie international in verschiedenen Qualitätssyste-men und -empfehlungen diskutiert. So findet sich beispielsweise ein Qualitätsstandard zum Thema Heimeinzug in den National Care Standards in Schottland (Scottish Government 2007).

In Deutschland beinhaltet das Heimverzeichnis der Bundesinteressenvertretung der Nutze-rinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter und bei Behinderung (BI-VA) e.V. das Thema Heimeinzug. Es wird darin u. a. geprüft, ob es ein Aufnahmekonzept gibt, das auch biografische Merkmale und individuelle Lebensgewohnheiten erfasst (BIVA 2010).

Unter den Pflege-Transparenzkriterien finden sich zwei Fragen, die sich auf den Heimeinzug beziehen. Es wird nach Hilfestellungen zur Eingewöhnung in die Pflegeeinrichtung, wie z. B.

ein Integrationsgespräch nach sechs Wochen, gefragt. Eine weitere Fragestellung betrifft die systematische Auswertung der Eingewöhnungsphase (MDS 2009).

Messverfahren

Die Erfassung der Integrationsgespräche erfolgt auf der Grundlage der bestehenden Doku-mentation in den Einrichtungen. Es wird erfasst, ob und wann ein Integrationsgespräch bei Bewohnern, die innerhalb der vergangenen sechs Monate neu in die Einrichtung eingezogen sind, durchgeführt wurde. Neben der Frage, ob ein Integrationsgespräch geführt wurde, wird ebenfalls erfasst, welche Personen an dem Integrationsgespräch teilgenommen haben und ob das Ergebnis dieses Gespräches dokumentiert wurde.

Bereits heute wird in den Qualitätsprüfungen durch die Medizinischen Dienste abgeprüft, ob es Hilfestellungen zur Eingewöhnung in die Pflegeeinrichtung gibt und ob die Eingewöh-nungsphase systematisch ausgewertet wird. Der Zusatzaufwand für die Datenerfassung bleibt somit gering. Dies wurde auch durch die projektbeteiligten Einrichtungen bestätigt.

Erprobungsergebnisse

In den Erprobungsergebnissen zeichnet sich ab, dass ein Großteil der Einrichtungen Integra-tionsgespräche nach dem Heimeinzug nicht regelhaft durchführt. Zum zweiten Erhebungs-zeitpunkt wurde bei 23,8% der im vergangenen halben Jahr neu eingezogenen Bewohner (46 von 193 Bewohnern) ein Integrationsgespräch innerhalb von sechs Wochen nach dem Heimeinzug geführt. Die Spannweite der Ergebnisse ist mit 0% bis 100% sehr groß.

Zum dritten Erhebungszeitpunkt zeigte sich ein ähnliches Bild. Der Anteil der Bewohner mit Integrationsgespräch lag bei 32,1% (34 von 106 Bewohnern). Die Anteilswerte in den Ein-richtungen variieren ebenfalls zwischen 0% und 100%. Die Daten offenbaren zudem, dass sich die Praxis der einzelnen Einrichtungen erheblich unterscheidet:

 In 5 der 46 Einrichtungen wurde bei allen neu eingezogenen Bewohnern ein Integrati-onsgespräch geführt.

 In 9 Einrichtungen wurden Integrationsgespräche bei einem Teil der neu eingezogenen Bewohner durchgeführt.

 In 19 Einrichtungen wurde mit den neu eingezogenen Bewohnern grundsätzlich kein In-tegrationsgespräch geführt.

 In 13 Einrichtungen waren keine Bewohner neu eingezogen.

Parallel zu den bewohnerbezogenen Erhebungen wurde die Durchführung von Integrations-gesprächen in einem zusätzlichen Fragebogen durch die Projektbeauftragten in den Einrich-tungen erfasst. Sie wurden gebeten, für die Bewohner, die seit dem ersten Erhebungszeit-punkt neu eingezogen waren, anzugeben, ob und wann ein Integrationsgespräch geführt wurde.

In dieser zusätzlichen Erhebung zeichnete sich eine ähnliche Tendenz wie in den zuvor dar-gestellten Ergebnissen ab. Die systematische Durchführung von Integrationsgesprächen bei neu eingezogenen Bewohnern ist noch nicht in allen Einrichtungen etabliert. Auch die routi-nemäßige Durchführung innerhalb von zwei bis sechs Wochen nach dem Heimeinzug gelingt nicht in allen Fällen. Bei einem Teil der Bewohner fand ein Integrationsgespräch erst zu ei-nem späteren Zeitpunkt statt.

In zwei Einrichtungen zeigte sich eine Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Befragung der Projektbeauftragten und den durch Bewohnerfragebögen ermittelten Daten. In beiden Fällen fällt der Anteil der Bewohner mit Integrationsgespräch in den Ergebnissen der Zusatz-befragung der Projektbeauftragten höher aus. Diese Unterschiede weisen darauf hin, dass die Dokumentation von Integrationsgesprächen in den Einrichtungen möglicherweise unvoll-ständig ist. Offenbar konnten die notwendigen Angaben von den Mitarbeitern, die die Be-wohnerfragebögen ausgefüllt haben, nicht problemlos der Dokumentation entnommen wer-den.

Bewertungssystematik

Die Erprobungsergebnisse machen deutlich, dass mit dem Indikator Qualitätsunterschiede zwischen Pflegeeinrichtungen aufgezeigt werden können. Allerdings erfüllt die Mehrzahl der

Einrichtungen die mit dem Indikator verbundenen Anforderungen bislang noch nicht. Um eine Orientierung am „schlechten Durchschnitt“ zu vermeiden, wird für das Erreichen guter Bewertungen ein relativ hoher Grad der Zielerreichung vorausgesetzt. Die Bewertungskrite-rien und daraus resultierenden Einrichtungsergebnisse in Vollerhebungseinrichtungen sind den nachfolgenden Tabellen zu entnehmen. Daraus geht u. a. hervor, dass die Anzahl der Einzüge in manchen Einrichtungen sehr gering ist und daher eine Bewertung leicht durch Einzelfälle beeinflusst werden kann. Denn auch hier gilt wie in jedem anderen Bereich der gesundheitsbezogenen Indikatoren, dass Fehler und Versäumnisse im Versorgungsalltag nie ganz auszuschließen sind. Eine Bewertung soll erst dann vorgenommen werden, wenn min-destens vier Heimeinzüge stattgefunden haben und die Einrichtung die Bewertung „über-durchschnittlich“ daher auch dann erreichen kann, wenn in einem Einzelfall kein Integrati-onsgespräch durchgeführt wird.

Ergebnis Bewertungskriterien

+

überdurchschnittlich gutes Ergebnis

Der Anteil neu eingezogener Bewohner, mit denen ein Integrati-onsgespräch geführt wurde, liegt über 75%.

O

durchschnittliches Ergebnis

Der Anteil neu eingezogener Bewohner, mit denen ein Integrati-onsgespräch geführt wurde, liegt über 50%, aber maximal bei

75%.

unterdurchschnittliches Ergebnis

Der Anteil neu eingezogener Bewohner, mit denen ein Integrati-onsgespräch geführt wurde, liegt bei 50% oder darunter.

Tab. 25: Anteilswerte und Bewertungen zum Indikator „Integrationsgespräch“

Einrichtungen mit Vollerhebung Einrichtung Bewohner mit

Integrationsgespräch

Einbezogene Bewohner

Anteil Bewohner mit

Integrationsgespräch Bewertung

2 0 3 0,0% keine Bewertung

Es liegen keine Vergleichsdaten zur Durchführung von Integrationsgesprächen in stationären Pflegeeinrichtungen vor. Die Ergebnisse zeigen allerdings, dass Entwicklungsbedarf besteht und die systematische Durchführung von Integrationsgesprächen noch keine gängige Praxis ist.

Fazit

Der Indikator liefert wichtige Informationen für das interne Qualitätsmanagement einer Ein-richtung. Ein geringer Anteil an Bewohnern mit einem Integrationsgespräch kann auf Opti-mierungsbedarf im Umgang mit neu eingezogenen Bewohnern hinweisen. Die Frage, ob für einen Bewohner nach dem Heimeinzug ein Integrationsgespräch geführt wurde und die vom Indikator vorgesehenen Kriterien erfüllt sind, lässt sich bei externen Qualitätsprüfungen leicht nachvollziehen. Es wird jedoch wichtig sein, den Indikator „Integrationsgespräche“ bei einem praktischen Einsatz in der Breite der Versorgung genauer zu analysieren. Die Bewertungs-systematik wäre, wenn sich in der Praxis der Einrichtungen Veränderungen zeigen, ggf. an-zupassen.