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2.1 Epilepsie

2.1.6 Tiermodelle in der Epilepsieforschung

Da es sich bei Epilepsien um Erkrankungen hoher Komplexität im Hinblick auf ihren Patho-mechanismus handelt, sind Tierversuche als Modell für sowohl Human- als auch Veterinär-medizin in der Epilepsieforschung unerlässlich und bis heute nicht durch alternative Metho-den wie z.B. die Zellkultur zufrieMetho-denstellend ersetzbar (Raol & Brooks-Kayal, 2012; Stewart et al., 2012). Die Tiermodelle werden in Anfallsmodelle und Epilepsiemodelle unterteilt. Bei ersteren werden auf chemischem oder elektrischem Wege epileptische Anfälle provoziert, wodurch sich diese Modelle besonders für Screening-Verfahren von Substanzen auf ihre anti-konvulsive Wirkung in der pharmazeutischen Industrie eignen (Löscher, 2011). Hierzu zählen beispielsweise der Maximal-Elektroschock-Anfalls-Test, kurz MES-Test, und der Pentylen-tetrazol-Anfallsschwellentest, kurz PTZ-Test.

Die Epilepsiemodelle sind hingegen zur Untersuchung der Pathogenese der Epilepsie konzi-piert und sollen die Natur und die Ausprägung der Erkrankung möglichst realitätsnah abbil-den (Löscher, 1999; Pitkänen et al., 2007). Sie eignen sich zur Modellierung und Untersu-chung der (Anti-)Epileptogenese bei Mensch und Tier, da bei den Versuchstieren ein oder

mehrere Hirninsulte gesetzt werden, die im Laufe der Zeit zum Auftreten spontaner bzw. in-duzierbarer und in ihrer Intensität und Dauer progressiver Anfälle führen. Als Beispiele für diese Modelle lassen sich Kindling-Modelle, chemische und elektrische Post-SE-Modelle für TLE und Modelle für traumatische Hirninsulte, Schlaganfälle sowie Fieberkrämpfe aufführen (Löscher, 2002; Walker et al., 2002; Stables et al., 2003; Pitkänen et al., 2007; White &

Löscher, 2014). Aufgrund einer starken Heterogenität in der Krankheitsausprägung eignet sich nicht jedes dieser Modelle für die Validierung antiepileptogener bzw. krankheitsmodifi-zierender Therapien (Galanopoulou et al., 2012; White & Löscher, 2014). Von den National Institutes of Health/National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NIH/NINDS) werden daher nur das Kindling-Modell und die Post-SE-Modelle für antiepileptogene Studien empfohlen (Stables et al., 2003). Trotz einer breiten Anwendung des Kindling-Modells weicht dieses sukzessiv den Post-SE-Modellen, da sich bei letzteren das Auftreten einer Latenzzeit als mögliches Therapiefenster für antiepileptogene Maßnahmen besonders gut eignet (Stables et al., 2003; Löscher & Brandt, 2010; White & Löscher, 2014). In diesen Modellen fungiert der SE als initialer Hirninsult zur Induktion der Epileptogenese (Löscher & Brandt, 2010). Sie haben in der Epileptologie einen hohen Stellenwert, da die Krankheitsentwicklung, die Symp-tomatik und die neuropathologischen Gegebenheiten der TLE des Menschen sehr ähnlich sind (Löscher, 2002; Stables et al., 2003). Nichtsdestotrotz hat die Debatte um das adäquate Ver-suchsdesign und die Translationalität dieser Modelle auf die klinische Realität der Erkran-kung bei Mensch und Tier eine hohe Relevanz. Aspekte wie beispielsweise Varianz in SE-Dauer, -Intensität und seinem pharmakologischen Abbruch (Brandt et al., 2003, 2015), die langwierigen Versuchsdurchläufe mit möglicherweise zu kurzen oder zeitlich ungünstig lie-genden Detektionsmaßnahmen spontaner Anfälle (Löscher & Brandt, 2010; Galanopoulou et al., 2012) und die Schwierigkeit des Ermittelns des optimalen Zeitpunktes und der Dauer ei-ner antiepileptogenen Therapie (Sloviter, 2011) können oftmals zu falsch positiven oder falsch negativen Rückschlüssen auf das antiepileptogene Potential einer Substanz führen (Galanopoulou et al., 2012; Pitkänen et al., 2013). Im Hinblick auf die Translation gilt zu be-achten, dass die Latenzzeit im Versuchsmodell äußerst kurz andauert, während sie sich beim Menschen sehr variabel über Wochen bis Jahre erstrecken kann (French et al., 1993;

Englander et al., 2003). In der vorliegenden Arbeit wurden zwei Post-SE-Modelle verwendet:

das chemische Li-Pilocarpin-Modell und ein Modell der langanhaltenden elektrischen Stimu-lation der basolateralen Amygdala, bezeichnet als BLA-Modell.

2.1.6.1 Das Lithium-Pilocarpin-Modell

Erstmals wurde das natürlich in den Blättern des Jaborandistrauchs (Pilocarpus jaborandi) vorkommende Alkaloid Pilocarpin im Jahr 1983 von Turski et al. zur Induktion eines SE bei Ratten, später im Jahr 1984 bei Mäusen beschrieben (Turski et al., 1983a, 1984). Es ist ein nichtselektiver Agonist an peripher und zentral vorkommenden muskarinergen ACh-Rezeptoren, die die parasympathomimetische Wirkung des Alkaloids vermitteln (Frey &

Löscher, 2010). Ursprünglich wurde es zur Glaukombehandlung beim Menschen eingesetzt.

In Studien mit Knockout-Mäusen verhinderte die Deaktivierung der Gene für den M1-Subtypen des muskarinergen Rezeptors im Gegensatz zu Wildtyp-Mäusen selbst bei hohen Dosierungen von Pilocarpin die Entwicklung eines SE. Somit scheint der M1-Rezeptor eine kritische Rolle in der SE-Induktion durch Pilocarpin zu spielen (Hamilton et al., 1997). Wei-tere Details zu pathophysiologischen Mechanismen im Li-Pilocarpin-Modell werden in Kapi-tel 2.3.1 beschrieben.

Die systemische Applikation des Pilocarpins kann entweder einmalig als Bolus (Turski et al., 1983a) oder auf fraktionierte Weise (Glien et al., 2001) stattfinden. Aufgrund der gängigen Verwendung hoher Dosierungen des Pilocarpins und seiner nicht zu unterschätzenden Toxizi-tät ist die fraktionierte Applikation zur Senkung der üblicherweise hohen MortaliToxizi-tät und zur Ermöglichung individueller Dosierungen bis zum Erreichen des SE zu bevorzugen (Glien et al., 2001; Gröticke et al., 2007). Eine weitere Strategie zur Senkung der Dosis des Pilocarpins bei gleichbleibender Effektivität stellt die Vorbehandlung der Ratten mit Li bis zu 24 h vor SE-Induktion dar, wodurch die konvulsive Wirkung des Pilocarpins potenziert wird (Honchar et al., 1983; Jope et al., 1986; Clifford et al., 1987; Cavalheiro et al., 2006; Curia et al., 2008).

Zwar ist die Wirkungsweise des Li nicht genau bekannt, allerdings beschrieben Marchi et al.

(2009) einen systemisch inflammatorischen Effekt und Schädigungen der Blut-Hirn-Schranke mit der vermeintlichen Folge einer Begünstigung der prokonvulsiven Wirkung des Pilocar-pins bei Ratten. Im Gegensatz dazu haben jedoch Dmowska et al. (2010) in einer Studie mit Ratten zeigen können, dass die Verabreichung proinflammatorischer Lipopolysaccharide 72 h vor der Applikation von Pilocarpin seine Wirkung nicht verstärken konnte. Interessanterweise konnte eine Potenzierung des prokonvulsiven Effekts von Pilocarpin durch Li bei Mäusen nicht nachgewiesen werden (Gröticke et al., 2007). Um die peripheren muskarinergen Wir-kungen des systemisch applizierten Pilocarpins zu unterbinden, wird zuvor Methylscopolamin

zur Antagonisierung appliziert (Curia et al., 2008). Aufgrund seiner Methylgruppe ist es nicht hirngängig und hindert daher nicht die zentrale Wirkung des Pilocarpins.

Über initiale Akinesie, Ataxie, Tremor, faziale Automatismen, stereotypes Verhalten und my-oklonische Bewegungen des Kopfes und der Gliedmaßen entstehen schließlich wiederkehren-de myoklonische fokale Anfälle, die sich zu bilateralen tonisch-klonischen Anfällen (früher:

sekundär generalisierte Anfälle) mit Aufbäumung, Salivation und schließlich Verlust der Stellreflexe mit der Folge eines mehrstündigen generalisiert konvulsiven SE entwickeln (Turski et al., 1983a, 1984, 1989). In der Regel wird der SE nach 60 - 90 min pharmakolo-gisch mit Antiepileptika und/oder Narkotika als weitere Maßnahme zur Senkung der Mortali-tät abgebrochen (Löscher & Brandt, 2010). Unterschiedliche Regimes bezüglich der Dauer des SE und seines Abbruchs führen jedoch zu variablen Inzidenzen in der Epilepsieentwick-lung bei den Versuchstieren. Klitgaard et al. (2002) konnten bereits spontane Anfälle nach dem Abbruch eines 30-minütigen SE mit Diazepam nachweisen, wenngleich nur wenige Rat-ten diesen entwickelRat-ten. Bei einem Abbruch nach einer SE-Dauer von 90 - 120 min durch Diazepam entwickeln mehr als 80 % der Ratten spontane Anfälle (Goodman, 1998;

Löscher, 1999). Es ist hierbei wichtig zu erwähnen, dass ein SE rasch an Pharmakoresistenz gewinnt und ein alleiniger Abbruch durch Benzodiazepine, Barbiturate oder andere An-tiepileptika lediglich die Schwere des SE senken kann, während sein tatsächlicher Fortbestand dadurch nur maskiert wird (Jones et al., 2002; Wasterlain et al., 2009; Brandt et al., 2015).

Dies kann häufig zu Missinterpretationen der gewählten Versuchsparameter hinsichtlich spä-terer Anfallsentwicklung und des Erfolgs antiepileptogener Maßnahmen führen. So traten in einer vergleichenden Studie nach dem kombinierten und effektiveren Abbruch mit Diazepam, Phenobarbital und Scopolamin sogar nach einem 60-minütigen SE keine spontanen Anfälle auf (Brandt et al., 2015). Nach einer SE-Dauer von 90 min entwickelten hingegen 73 % bzw.

nach 120 min 100 % der Ratten spontane Anfälle. Auch die Dauer der in der Regel nur Tage bis wenige Wochen andauernden Latenzzeit bei Ratten in diesem Modell (Rattka et al., 2011) kann von Versuchsparametern wie SE-Dauer und Qualität des Abbruchs beeinflusst werden (Curia et al., 2008).

2.1.6.2 Das BLA-Modell

Das BLA-Modell basiert auf der langanhaltenden elektrischen Stimulation des basolateralen Kerngebiets der Amygdala (BLA) und lässt sich als eine Modifikation des

Amygdala-Kindling-Modells der Ratte verstehen (Brandt et al., 2003). Im Gegensatz zu den kurzen, wiederholten und subkonvulsiven elektrischen Impulsen im Amygdala-Kindling-Modell wird beim BLA-Amygdala-Kindling-Modell der Ratte die BLA einmalig und langanhaltend stimuliert mit der Folge der Induktion eines SE, der wiederum wie im Li-Pilocarpin-Modell als primärer Insult zur Einleitung der Epileptogenese mit einer Latenzzeit fungiert (Brandt et al., 2003, 2016). Bereits 1973 konnten Racine et al. zeigen, dass die einmalige langanhaltende Stimula-tion der BLA je nach StimulaStimula-tionsparametern zu selbsterhaltenden Anfällen bei Ratten führen kann. Ergänzend zeigten McIntyre et al. (1982), dass eine langanhaltende Stimulation zu einer fokalen Form des SE führt. 1988 konnten Handforth & Ackermann vier SE-Typen mit spezi-fischen Verhaltensmustern differenzieren: Immobilität, Explorationsverhalten, Mastikation und schließlich Klonus. Im Gegensatz zu den vorangehenden Studien untersuchten schließlich Brandt et al. (2003) zum ersten Mal auch die Langzeitfolgen der SE-Induktion in Form von spontanen wiederkehrenden Anfällen, harmonisierten aus jenen Studien und eigenen Untersu-chungen die Stimulationsparameter (s. Kapitel 4.3.2) und schlugen das BLA-Modell als neues Post-SE-Modell vor. Weiterhin wurde eine Klassifizierung in drei SE-Typen mit ansteigender Intensität vorgenommen: Typ 1: Fokaler SE mit nichtkonvulsiver Anfallsaktivität und Stereo-typien (z.B. Schnuppern); Typ 2: Eine Mischform aus fokalem SE und generalisierten Anfäl-len, die die fokale Grundaktivität wiederkehrend unterbrechen; Typ 3: Generalisiert konvulsi-ver SE, der durch eine rein generalisierte Anfallsaktivität charakterisiert ist. Während nur 33 % der in jener Studie untersuchten Ratten spontane Anfälle nach einem Typ 1-SE entwi-ckelten, kam es beim Typ 2- und Typ 3-SE bei über 90 % der Ratten zu spontanen Anfällen.

Die Latenzzeit im BLA-Modell dauert etwas länger als zwei Wochen (Löscher, 2002; Brandt et al., 2016). Die auftretende Neurodegeneration spitzt sich mit der Intensität der SE-Typen zu und ist in Ähnlichkeit der TLE des Menschen besonders in der Amygdala, im piriformen Kor-tex, im endopiriformen Nucleus, im mediodorsalen Thalamus, im entorhinalen Kortex und im Hippokampus vertreten (Brandt et al., 2003). Bereits vor der Etablierung des BLA-Modells wurde die elektrische Stimulation weiterer Kerngebiete der Amygdala wie z.B. ihres lateralen Anteils als Post-SE-Modell verwendet, bei dem die Latenzzeit im Mittel etwa einen Monat beträgt (Nissinen et al., 2000).

Im Unterschied zu chemischen Modellen wie dem Pilocarpin- oder Kainat-Modell scheint der elektrisch induzierte SE schwächer ausgeprägt zu sein, da für eine ähnliche Ausbeute an Tie-ren mit künftigen spontanen Anfällen dieser länger andauern muss (Brandt et al., 2003;

Bankstahl & Löscher, 2008). Selbst für den Typ 3-SE, der nicht zu unterscheiden ist von

einem generalisiert konvulsiven Pilocarpin-SE, ist eine längere Dauer für die Entwicklung von spontanen Anfällen von Nöten. Dies lässt sich durch die kombinatorische Wirkung aus SE und der toxischen Wirkung des Konvulsivums in chemischen Modellen erklären, wodurch die kritische Wirkzeit des SE zur Induktion der Epileptogenese verkürzt wird und jene Model-le selbst nach SE-Abbruch nach 90 - 120 min mit einer höheren Mortalität gekennzeichnet sind als elektrische Modelle (Goodman, 1998; Löscher, 1999). Aus diesen Gründen wird bei Modellen mit elektrischer Induktion eines SE oftmals auf den pharmakologischen Abbruch verzichtet (Löscher, 2002), wobei speziell im BLA-Modell bei Sprague-Dawley-Ratten eine SE-Dauer von 4 h (inkulsive Stimulation von 25 min) als geeignet erachtet wird, um die Langzeitfolgen der verschiedenen SE-Typen zu erforschen und pharmakologische Studien zur Antiepileptogenese zu konzipieren (Brandt et al., 2003). Über 90 % der Ratten entwickeln nach einer Typ 2- bzw. Typ 3-SE-Dauer von 3 - 4 h spontane Anfälle (Brandt et al., 2003, 2016). Für Biomarker-Studien bieten sich 2,5 h SE-Dauer an, da hierbei etwa 50 % der Ratten spontane Anfälle entwickeln und Vergleiche potentieller Biomarker zwischen stimulierten Tieren mit und ohne spontanen Anfällen möglich sind (Brandt et al., 2016).