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Die Entwicklung der extrazellulären Acetylcholinkonzentration im Verlauf von

6.3 Acetylcholin in der Epileptogenese und in der Epilepsie

6.3.1 Die Entwicklung der extrazellulären Acetylcholinkonzentration im Verlauf von

Phase

Dass das cholinerge System eine Rolle in epileptogenen Prozessen spielen könnte, vermutet man aufgrund von diversen Studien zum elektrischen Amygdala-Kindling-Modell. In diesem Modell kommen keine epileptogenen Prozesse im Sinne eines Post-SE-Modells vor, da die auftretenden Anfälle nicht spontan sind und wiederholt (beispielsweise täglich) elektrisch provoziert werden müssen. Da diese Anfälle jedoch in ihrer Schwere zunehmen, obwohl der gesetzte elektrische Stimulus in seiner Qualität unverändert ist, kommt es im Gehirn

anschei-nend zu strukturellen und funktionellen Veränderungen (Goddard et al., 1969), die mit epilep-togenen Prozessen vergleichbar sind. Man stellte fest, dass cholinerge Antagonisten die Zeit bis zur vollen Ausprägung des Kindling-Phänomens verlangsamen können (Arnold et al., 1973; Cain et al., 1987, 1988; Westerberg & Corcoran, 1987; Cain, 1989; Adams et al., 2002), wobei es hierbei häufig kontroverse Aussagen gab. So konnte in einer Studie weder Atropin (42 mg/kg) noch der nikotinerge Antagonist Mecamylamin (10 mg/kg) alleine den Kindling-Effekt der Amygdala prämedikativ verlangsamen. Wurden jedoch beide Substanzen in Kombination appliziert (Atropin auf 25 mg/kg reduziert), so kam es sehr wohl zu einer effektiven Verlangsamung der Anfallsentwicklung (Meyerhoff & Bates, 1985). Eine andere Studie zeigte im Gegensatz dazu, dass Atropin (25 mg/kg) auch als alleiniger Akteur prä-medikativ die Anfallsentwicklung verlangsamen konnte (Arnold et al., 1973).

Nach unserem Kenntnisstand liegen in der vorliegenden Arbeit die ersten Studien vor, die die Konzentrationsentwicklung des ACh zu bestimmten Zeitpunkten in der Epileptogenese und in der chronisch epileptischen Phase in zwei Post-SE-Modellen beleuchten. Unserer Hypothese des proepileptogenen Potentials des ACh in der Epileptogenese entsprechend war das Ziel dieser Studien, Veränderungen in der extrazellulären ACh-Konzentration ausfindig zu ma-chen, um ferner mögliche Strategien für eine anticholinerge Therapiemaßnahme zur An-tiepileptogenese konzipieren zu können. In diesem Zusammenhang wurde die Entwicklung der extrazellulären ACh-Konzentration sowohl im chemischen Li-Pilocarpin-Modell als auch im elektrischen BLA-Modell überwacht.

In unseren Studien konnten wir in beiden Post-SE-Modellen während Epileptogenese und der chronisch epileptischen Phase keine bedeutenden Unterschiede zwischen Tieren mit SE und Tieren ohne SE in der extrazellulären ACh-Konzentration feststellen, abgesehen von einem leichten Anstieg bei Ratten mit Typ 3-SE in der frühen Epileptogenese im BLA-Modell (s.

Abbildung 15B und D sowie Abbildung 18B und D). Dies zeigt, dass die ACh-Konzentrationen im Hippokampus von Ratten unabhängig davon sind, ob ein potentiell epi-leptogener Insult stattfand oder nicht. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass Veränderungen in der extrazellulären Konzentration des Neurotransmitters selbst eine relevante Rolle in der Epileptogenese und Epilepsie spielen. Aus zeitlichen Gründen stellen die Messungen in der Phase nach der SE-Induktion nur Momentaufnahmen dar. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Veränderungen der extrazellulären ACh-Konzentration bei SE-Tieren im Vergleich zu den Kontrolltieren zu anderen Zeitpunkten manifestieren konnten.

Im Li-Pilocarpin-Modell war mit Hilfe der Video-EEG-Überwachung in der chronisch epilep-tischen Phase eine Einteilung der Tiere in epileptische und nicht-epileptische Ratten möglich, da die SE-Induktion bei entsprechenden Abbruchparametern in der Regel nicht bei allen Tie-ren zu der Erkrankung führt. Dies ermöglichte es, retrospektive Aussagen über Unterschiede in der extrazellulären ACh-Konzentration beider Gruppen zu unterschiedlichen Phasen in der Epilepsieentwicklung zu machen, was im Sinne der Erforschung von Biomarkern war. Beim BLA-Modell wurden alle Tiere epileptisch, sodass eine derartige Einteilung nicht möglich war. Vergleiche der Dialysatwerte zwischen den Modellen wurden als unproblematisch ange-sehen, da es sich bei beiden Modellen jeweils um denselben Neurotransmitter und um diesel-ben Bedingungen hinsichtlich Lokalisation und Art der Sonden handelte.

Als Biomarker scheint sich ACh im Li-Pilocarpin-Modell nicht zu eignen, da weder am In-duktionstag noch während der Epileptogenese Unterschiede zwischen epileptischen und nicht-epileptischen Tieren auftraten (s. Abbildung 15C und D sowie Abbildung 24A). Ver-glich man epileptische Tiere aus dem elektrischen Modell mit nicht-epileptischen Tieren aus dem chemischen Modell, so war das ACh-Niveau bei ersteren während der Epileptogenese niedriger (s. Abbildung 24A). Ob man diesen Konzentrationsabfall im BLA-Modell als ge-eigneten Biomarker für die Epilepsieentwicklung werten sollte, ist fragwürdig und bedarf weiterer Erforschung. Interessant ist jedoch, dass in der chronisch epileptischen Phase bei beiden Modellen epileptische Tiere signifikant niedrigere extrazelluläre ACh-Konzentrationen im Hippokampus aufwiesen als nicht-epileptische Tiere (s. Abbildung 24A). In analoger Be-trachtung zur Rolle des ACh in der Anfallssymptomatik kann die Veränderung in der ACh-Konzentration in der chronisch epileptischen Phase eine reine Begleiterscheinung, ein pro- oder ein antiepileptogenes Phänomen beschreiben. Im Sinne des ACh als proepileptogener Faktor könnte es kompensatorische Mechanismen geben, die den ACh-Spiegel konstant nied-rig halten und damit zur Vermeidung intrinsischer Anfallsentstehung beisteuern. Im Sinne des ACh als antiepileptogener Faktor könnten die niedrigen ACh-Konzentrationen Zeichen einer Entgleisung neurochemischer Verhältnisse im Gehirn darstellen, die vermehrt zur Fähigkeit des Gehirns einer intrinisischen Anfallsentstehung beisteuert.

Es ist äußerst wichtig zu erwähnen, dass die Betrachtung eines Neurotransmitters nur einen Teil des Gesamtbildes darstellt. Die Mikrodialyse ermöglichte uns nicht, die weiteren vielfäl-tigen Komponenten wie cholinerge Rezeptoren und Enzyme zu beleuchten. Ähnlich wie es nach Anfällen zu regulatorischen Prozessen auf zellbiologischer Ebene kommt (Löscher &

Köhling, 2010), scheint es auch während der Epileptogenese vielseitige Veränderungen zu geben (Pitkänen & Lukasiuk, 2009; Löscher & Brandt, 2010). Auch cholinerge Rezeptoren und Enzyme sind davon betroffen, wie im folgenden Abschnitt erläutert.

6.3.2 Veränderungen cholinerger Rezeptoren und Enzyme in