• Keine Ergebnisse gefunden

6.2 Acetylcholin im Anfallsgeschehen

6.2.1 Prokonvulsive Eigenschaften des Acetylcholins

Als Neuromodulator nimmt ACh aus funktioneller und räumlicher Sicht großen Einfluss auf die Feinabstimmung neuronaler Informationsübertragung im gesamten Gehirn, die für seine physiologische Funktionsweise, besonders in Bereichen wie Gedächtnis und Kognition, un-entbehrlich ist. Im Hippokampus äußert sich das ausgeprägte cholinerge Einflussgebiet im Vorkommen von cholinergen Rezeptoren auf allen hippokampalen Zelltypen und in der diffu-sen Innervierung sowie in der Möglichkeit, Volumentransmission als Weg der Informations-übertragung zu nutzen (Amaral & Kurz, 1985; Frotscher & Léránth, 1985; Léránth &

Frotscher, 1987; Cobb & Davies, 2005; Dani & Bertrand, 2007; Albuquerque et al., 2009;

Picciotto et al., 2012; Haam & Yakel, 2017; Lebois et al., 2018). In der Bilanz seiner modula-torischen Wirkungen an den Zellen im Hippokampus wird ACh aus historischer Sicht als vermehrt exzitatorischer Neurotransmitter betrachtet (Biscoe & Straughan, 1966; Dodd et al., 1981; Young et al., 2005). Allerdings sind auch seine inhibitorischen Potentiale für das neu-ronale Gleichgewicht äußerst relevant (Kelly et al., 1979; Drever et al., 2011; Yakel, 2012).

Letztlich bilden sowohl die exzitatorischen als auch inhibitorischen Eigenschaften des choli-nergen Systems ein komplexes Orchester mit dem Zweck der neuronalen Kontrolle (Drever et al. 2011).

6.2.1.1 Acetylcholin und die Initiierung von Anfällen in chemischen und elektrischen Modellen der Temporallappenepilepsie

Ein transient verstärktes cholinerges Signal, hervorgebracht durch äußere beispielsweise pharmakologische Einflüsse, ist dazu in der Lage, epileptische Anfälle hervorzurufen. In zahl-reichen Tierversuchen konnte dieser Umstand anhand von cholinergen Agonisten wie Pilo-carpin und Cholinesterasehemmern über systemische (Lundy & Shaw, 1983; Turski et al., 1983a, 1984) bzw. intrazerebrale Applikationswege wie die intrahippokampale und intra-amygdale Route (Cohen et al., 1981; Olney et al., 1983; Turski et al., 1983b, 1983c) doku-mentiert werden. Während Substanzen wie AChE-Hemmer zu einem tatsächlichen extrazellu-lären Anstieg des ACh im Gehirn führen, simulieren cholinerge Agonisten einen exzessiven ACh-Anstieg mit demselben Ergebnis der Anfalls- oder gar SE-Induktion (Turski et al., 1983a; McDonough & Shih, 1997). Es wird angenommen, dass die exzitatorische Wirkung

des ACh oder seiner Agonisten in erster Linie über muskarinerge Rezeptoren im Hippokam-pus vermittelt wird (Cole & Nicoll, 1984; Dasari & Gulledge, 2011), wobei der M1-Rezeptor speziell für die Anfallsinduktion eine ausschlaggebende Rolle zu spielen scheint (Malanski et al., 1994; Hamilton et al., 1997). Jener Rezeptor ist der am häufigsten im Hippokampus ver-tretene muskarinerge Rezeptor mit einem Anteil von bis zu 60 % und kommt vor allem post-synaptisch auf den Dendriten und Somata der hippokampalen Hauptzellen vor, wo er exzita-torisch auf jene glutamatergen Neurone wirkt (Flynn et al., 1995; Drever et al., 2011). Auch präsynaptisch lokalisierte nikotinerge Rezeptoren (a7, a4b2) übernehmen im Hippokampus wichtige Funktionen in der Unterstützung der Ausschüttung exzitatorischer Neurotransmitter (Ghasemi & Hadipour-Niktarash, 2015) und können Anfälle induzieren (Woolf et al., 1996;

Steinlein & Bertrand, 2010; Sood et al., 2011; Iha et al., 2017), auch wenn sie in dieser Eigen-schaft anscheinend weniger relevant sind als muskarinerge Rezeptoren. Es liegt die Vermu-tung nahe, dass das cholinerge System weitere Transmittersysteme wie das glutamaterge Sys-tem aktiviert und somit indirekt zur Exzitotoxizität und Hyperexzitabilität durch Glutamat im Hippokampus beiträgt (McDonough & Shih, 1997).

In diversen Studien wurde gezeigt, dass die prämedikative Antagonisierung durch muskari-nerge Antagonisten wie Scopolamin oder Atropin einen durch cholimuskari-nerge Agonisten wie Pilo-carpin induzierten SE nicht entstehen lassen (Buterbaugh et al., 1986; Jope et al., 1986;

Morrisett et al., 1987; Clifford et al., 1987; George & Kulkarni, 1996). Einerseits ließ sich dadurch die cholinerge Rolle in der Initiierung von Anfällen bestärken, andererseits ist dieses Ergebnis aber nicht verwunderlich, zumal es sich um eine reine Wechselwirkung zwischen cholinergen Agonisten und Antagonisten handelt. Insofern lässt sich nicht ohne Weiteres die Frage beantworten, ob cholinerge Mechanismen in der Anfallsinduktion ein rein modellspezi-fisches Phänomen darstellen oder ob jene Mechanismen auch in der nicht-cholinergen Anfall-sinduktion eine nicht zu unterschätzende Funktion einnehmen. Letzteres würde dem choliner-gen System eine deutlich wichtigere Rolle in der Anfallssymptomatik zuschreiben als es bis dato angenommen wird. Um diese Frage zu beantworten, führten wir nach aktuellem Kennt-nisstand die erste Studie an Ratten durch, in der Scopolamin (10 mg/kg, i.p.) 20 min vor der Induktion eines SE durch die elektrische Stimulation der BLA als nicht-cholinergen Stimulus verabreicht wurde (s. Kapitel 4.7). In diesem elektrischen BLA-Modell führte die Prämedika-tion mit einem muskarinergen Antagonisten im Gegensatz zu den oben aufgeführten Studien mit chemischer Induktion nicht zur Prävention des SE. Alle Tiere mit sowie ohne Behandlung

die Dauer und die Intensität des SE signifikant minimiert werden (s. Abbildung 34 und 35).

Dieses Ergebnis spricht dafür, dass cholinerge Mechanismen in der Initiierung von Anfällen zwar nicht der ausschlaggebende Faktor bei nicht-cholinergen SE-Induktionsmodellen sind, ihre Beteiligung allerdings auch nicht ausgeschlossen werden kann. Weiterhin konnten wir in einem modifizierten Hyperexzitabilitätstest nach Rice et al. (1998) eine Woche nach SE fest-stellen, dass behandelte Ratten mit SE ein physiologischeres Verhaltensmuster auf äußere Reize präsentierten als unbehandelte Ratten mit SE (s. Abbildung 36). Dies zeigt, dass das prämedikativ verabreichte Scopolamin die mittelfristige Krankheitsausprägung womöglich mildern konnte, wobei es wichtig zu erwähnen ist, dass dieser Effekt wahrscheinlich sekundär durch die reduzierte Dauer und Intensität des SE zustande kam. Zusammenfassend lässt sich postulieren, dass cholinerge Mechanismen eine Möglichkeit der Induktion von Anfällen dar-stellen und daher eine wichtige Rolle in deren Initiierung spielen, wobei sogar eine modell-übergreifende Beteiligung nicht auszuschließen ist.

6.2.1.2 Acetylcholin und die Aufrechterhaltung von Anfällen im Lithium-Pilocarpin-Modell

Es stellt sich nun die Frage, inwiefern das cholinerge System auch für die Erhaltung der An-fälle wichtig ist. Interessanterweise konnte in diversen Studien mit cholinerger Anfallsinduk-tion eine über die Anfallsdauer erhaltene erhöhte ACh-KonzentraAnfallsinduk-tion in Gewebeproben (Jope et al., 1987; Jope & Gu, 1991) sowie in der extrazellulären Flüssigkeit (Hillert et al., 2014;

Lietsche et al., 2016) nachgewiesen werden. Mit den in dieser Studie vorliegenden Daten war es uns möglich, die Ergebnisse von Hillert et al. (2014) erfolgreich zu reproduzieren. Nach der Induktion des SE durch Pilocarpin stiegen die Konzentrationen des exrazellulären ACh im Hippokampus der Ratten um mehr als 300 % im Vergleich zu Basal- und Kontrollwerten über den gesamten Verlauf des Anfallsgeschehens an (s. Abbildung 15A). Bei der Erhebung der letzten Dialysatprobe während des SE verging bereits eine Stunde nach dessen Beginn. Erst nach dem pharmakologischen Abbruch durch Diazepam und Phenobarbital fielen die ACh-Werte unter das Niveau der Basalwerte ab. Aus welchem Grund das extrazelluläre ACh wäh-rend des SE anstieg, sei es wegen des Anfallsgeschehens oder aufgrund einer direkten Akti-vierung cholinerger Fasern durch das Pilocarpin, ist nicht genau bekannt (Hillert et al., 2014).

Zwar kam es bereits unter Pilocarpin-Einfluss noch vor dem SE zu einer Erhöhung der ACh-Konzentration (s. Abbildung 16), allerdings wurde diese Phase schon früh von fokalen Anfäl-len begleitet, die zwar das Kriterium eine SE noch nicht erfüllten, aber dennoch bereits einen

Einfluss auf die extrazelluläre neurochemische Zusammensetzung im Gehirn ausüben konn-ten. Zum einen könnte der permanente intrinsische ACh-Anstieg als vermeintlich anfallser-haltender Mechanismus eine funktionelle Übernahme der Wirkung des Pilocarpins als Initia-tor darstellen, dessen Konzentration aufgrund einer kurzen Halbwertszeit (Taylor, 1990) rasch zu schwinden beginnt. Zum anderen könnte der ACh-Anstieg lediglich eine Begleiterschei-nung der Anfallssymptomatik beschreiben. Letztere Vermutung wird erheblich durch die Tat-sache bestärkt, dass in diversen Studien die Verabreichung anticholinerger Substanzen nach einem durch cholinerge Agonisten etablierten SE nicht zu seiner Unterbrechung führten (Jope et al., 1986; Clifford et al., 1987; Morrisett et al., 1987). Um nicht nur aus diesem klinischen Effekt Rückschlüsse auf die cholinergen Funktionen im Gehirn während eines Anfalls zu zie-hen, stellt sich als nächster sinnvoller Schritt die Erörterung der Entwicklung der Konzentra-tion des ACh während des Versuchs der pharmakologischen (anticholinergen) Unterdrückung des etablierten SE dar. Während die Gewebekonzentration des ACh im Verlauf eines durch Li und Pilocarpin induzierten SE durch Atropin (5 mg/kg, i.p.) anscheinend gesenkt werden kann, bleiben EEG und der klinische SE unverändert (Jope & Gu, 1991). Dieses Ergebnis spricht für die Vermutung der erhöhten ACh-Konzentration als bloße cholinerge Begleiter-scheinung während eines Anfalls, ohne dass es tiefgreifender an dessen Aufrechterhaltung beteiligt ist. Sowohl ergänzend als auch gegensätzlich dazu machten Hillert et al. (2014) deut-lich, dass sowohl die Intensität des SE als auch die erhöhte extrazelluläre ACh-Konzentration in Dialysaten durch alleinigen Einsatz eines nicht selektiven nikotinergen Antagonisten (Mecamylamin, 5 mg/kg, i.p.) nach SE-Beginn hingegen durchaus gesenkt werden konnte.

Der Einsatz des muskarinergen Antagonisten Atropin (1 mg/kg, i.p.) wiederum erhöhte die ACh-Konzentration sogar um bis zu 1000 % gegenüber Basalwerten und hatte keinen Ein-fluss auf den klinischen SE. Zunächst sprechen jene Aspekte dafür, dass cholinerge Mecha-nismen durchaus an der Anfallserhaltung teilhaben können und nikotinerge Rezeptoren ein effizienteres Ziel zur Anfallsunterdrückung darstellen könnten als muskarinerge. Hinsichtlich der extremen Konzentrationszunahme des ACh nach der Gabe von Atropin ist nicht auszu-schließen, dass muskarinerge Antagonisten durch ihre Wirkung an M2-Rezeptoren, die in erster Linie als regulierende Autorezeptoren auf septohippokampalen Endigungen zur Hem-mung der ACh-Ausschüttung im Hippokampus fungieren, die Ausschüttung des ACh sogar vielmehr überregulieren. Das ACh konkurriert schließlich mit dem Antagonisten um die exzi-tatorischen M1- und M3-Rezeptoren auf den hippokampalen Hauptzellen und könnte folglich die hemmende Wirkung des Antagonisten in der Bilanz abschwächen und vielleicht sogar

sein mögliches anfallshemmendes Potential maskieren. Insofern kann hier die mangelnde Se-lektivität des Atropins eine entscheidende Rolle spielen. Beim Einsatz eines nikotinergen An-tagonisten wie Mecamylamin bleiben die autoregulativen Mechanismen der muskarinergen Komponente unberührt. Während diese Theorie nicht für die durch Atropin verursachte Ab-senkung der ACh-Konzentration in Gewebeproben in der oben erwähnten Studie von Jope &

Gu (1991) spricht, wiesen noch weitere Studien durchaus ein erhöhtes ACh-Niveau nach Ein-satz unspezifischer muskarinerger Antagonisten auf. Toide (1989) stellte eine Erhöhung der ACh-Konzentration in Dialysaten aus dem Hippokampus der Ratte nach Verabreichung des muskarinergen Antagonisten Scopolamin (0,5 mg/kg, s.c.) fest. Einen ähnlichen Effekt fanden Dixon et al. (1995) mit 1 mg/kg Scopolamin i.p. In einer weiteren Studie von Mohr et al.

(2015) wurde an Mäusen festgestellt, dass Scopolamin (0,5 mg/kg, i.p.) nur dann zu einem Anstieg des ACh in den Dialysaten aus dem Striatum führte, wenn ACh bereits zuvor in einer höheren Konzentration vorhanden war, in diesem Fall provoziert durch den AChE-Hemmer Neostigmin. Es wird vermutet, dass der Anstieg des ACh durch die Störung des autoregulati-ven Mechanismus an den M2-Rezeptoren durch den Antagonisten Scopolamin zu erklären sei. Bei bereits zuvor erhöhtem ACh-Niveau - wie auch bei einem SE der Fall - ist der M2-Rezeptor als hochempfindliches System zur Reduzierung des ACh vermehrt aktiv, sodass es bei Störung dieses Systems durch seine Blockade zu einer stärkeren Dysregulation im ACh-Haushalt kommt als bei basalen ACh-Werten. Ein vergleichbares Phänomen konnten Liu &

Kato (1994) für Scopolamin (0,5 mg/kg, i.p.) mit einer zuvor herbeigeführten ACh-Erhöhung durch den AChE-Hemmer Physostigmin nachweisen. Diese Studien sprechen dafür, dass der Einsatz von muskarinergen Antagonisten nach Etablierung eines SE die kompensatorisch ak-tiven M2-Rezeptoren daran hindert, die bereits erhöhte extrazelluläre ACh-Konzentration abzusenken, sodass diese erhalten bzw. gar weiter erhöht und dadurch prokonvulsive Effekte des ACh potenzieren werden können. Auch wenn M2-Rezeptoren im Hippokampus schwä-cher exprimiert werden als M1-Rezeptoren, macht sie ihre Lokalisation an der wichtigsten cholinergen Quelle in Form der septohippokampalen Endigungen zu einem nicht zu unter-schätzenden Akteur in cholinergen Prozessen. Die Unfähigkeit der Antagonisten, einen etab-lierten SE oder Anfall zu unterbrechen, reicht daher nicht als Erklärung aus, eine Beteiligung des ACh an der Aufrechterhaltung von Anfällen auszuschließen.

Auffällig dabei ist, dass die niedrigen Dosierungen der muskarinergen Antagonisten in den oben aufgeführten Studien (0,5 - 1 mg/kg), die zu einem ACh-Anstieg führten, einer höheren Dosierung des Atropins (5 mg/kg) bei Jope & Gu (1991) mit begleitendem Abfall der

ACh-Konzentrationen gegenüberstehen. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass der Effekt der Antagonisten auf die cholinerge Neurochemie dosisabhängig ist. Es ist aber auch zu be-denken, dass Scopolamin rund 10 Mal potenter ist als Atropin (Yamamura & Snyder, 1974;

Shutt & Bowes, 1979), was den Unterschied in den aufgeführten Dosierungen wiederum ni-vellieren würde. Außerdem handelte es sich in der Studie von Jope & Gu (1991) um Gewebe-konzentrationen im Gegensatz zu den anderen oben erwähnten Studien, in denen mit Dialy-satkonzentrationen gearbeitet wurde. Dieser Umstand kann ebenfalls Einfluss auf die Schlussfolgerungen über die erforschte Neurochemie haben. Neben quantitativen Aspekten müssen auch qualitative Fragen erörtert werden. So könnten weiterführende Studien mit spe-zifischen cholinergen Antagonisten, die nach der Etablierung eines SE verabreicht würden, einen vermeintlich antikonvulsiven Effekt gezielter überprüfen. Als ein mögliches Beispiel ist hier der M1-rezeptorspezifische Antagonist Pirenzepin zu nennen. In prämedikativen Studien konnte die Abhängigkeit der cholinerg provozierten Anfallsinduktion von muskarinergen Re-zeptorsubtypen aufgezeigt werden (Cruickshank et al., 1994). Während der M1-Rezeptor-Antagonist Pirenzepin bei 91 % der Ratten Anfälle nicht entstehen ließ, konnte der M2-Rezeptor-Antagonist Methoctramin nur bei 9 % der Ratten die Anfälle unterdrücken. Mit dem nikotinergen Antagonisten Mecamylamin gelang dies bei nur 27 % der Ratten, was die mus-karinerge Dominanz in der Anfallsentwicklung verdeutlicht. Die mangelhafte Fähigkeit des M2-Rezeptor-Antagonisten, die Anfälle zu unterdrücken, spricht auch hier vermehrt für die cholinerge Signalverstärkung durch Blockierung der autoregulativen M2-Rezeptoren. Einen weiteren wichtigen Aspekt stellt die Tatsache dar, dass muskarinerge Rezeptoren auch auf den Zellkörpern der septohippokampalen cholinergen Projektionen auftreten (Rouse & Levey, 1996). Daher hat die systemische Verabreichung (anti-)cholinerger Substanzen auch einen Effekt auf cholinerge Quellen, der sich jedoch sehr unterschiedlich äußern kann. Beispiels-weise haben die dort vorkommenden M2- und M3-Rezeptoren sowohl hyperpolarisierende als auch depolarisierende Effekte. Darüber hinaus beeinflussen sich GABAerge, glutamaterge und cholinerge Neurone im Nucleus septalis medialis (Ch1) gegenseitig (Müller & Remy, 2017).

Indizien für die Beteiligung des cholinergen Systems an der Aufrechterhaltung von Anfällen wurden auch im Rahmen des pharmakologischen Abbruchs des SE im Li-Pilocarpin-Modell ausfindig gemacht. Brandt et al. (2015) stellten fest, dass der Abbruch mit den GABA-potenzierenden Substanzen Phenobarbital und Diazepam in Kombination mit dem

muskari-darauf hin, dass muskarinerge Mechanismen auch spät im Anfallsgeschehen ansprechbar sind und zu einem antikonvulsiven Effekt beitragen könnten. Es ist durchaus denkbar, dass dabei eine vermeintlich verstärkte Ausschüttung des ACh im Hippokampus durch die anticholinerge Blockierung der M2-Rezeptoren wie oben beschrieben ausbleiben könnte, weil die GABAer-ge Wirkung der beiden anderen Substanzen im GABAer-gesamten Gehirn auch die Neurone des Nu-cleus septalis medials und somit die cholinerge Versorgung des Hippokampus hemmt. Die antagonistische Wirkung des Scopolamins an den exzitatorischen M1- und M3-Rezeptoren im Hippokampus wird ergo nicht durch ACh gemindert und kann die hemmende Wirkung des GABA auf die Hauptzellen zusätzlich unterstützen.

6.2.1.3 Acetylcholin und die Aufrechterhaltung von Anfällen im elektrischen BLA-Modell

Nach aktuellem Kenntnisstand führten wir im vorliegenden Projekt die erste Studie durch, in der das extrazelluläre ACh-Niveau in Dialysaten aus dem Hippokampus der Ratte in einem elektrischen Post-SE-Modell gemessen wurde. Analog zu den Entwicklungen bei Hillert et al.

(2014) und unseren Beobachtungen im chemischen Epilepsiemodell stieg die ACh-Konzentrationen in den Dialysaten während eines in der BLA elektrisch induzierten SE ge-genüber Basalwerten und Kontrollwerten um etwa 100 % signifikant an (s. Abbildung 18A).

Es gilt zu beachten, dass im Laufe des SE die Konzentration im Dialysat kontinuierlich an-stieg. Werden die Tiere in ihre SE-Typen unterteilt (Brandt et al. 2003), so zeigte der deutlich intensivere, durchgehend generalisiert konvulsive Typ 3-SE einen signifikant höheren Anstieg der ACh-Konzentration als der weniger schwerwiegende Typ 2-SE, der eine Mischung aus fokaler und generalisierter Anfallsaktivität beschreibt (s. Abbildung 18C). Dieser Unterschied zeigt deutlich, dass die Intensität des SE Einfluss auf die ACh-Ausschüttung nimmt. Diese Aussage steht weiterhin im Einklang mit der Tatsache, dass ein chemisch induzierter SE eine schwerwiegendere Form darstellt als sein elektrisch induziertes Pendant, da wir im Li-Pilocarpin-Modell einen Anstieg des ACh um durchschnittlich 300 % im Vergleich zu 240 % beim Typ 3-SE im BLA-Modell, jeweils im Vergleich zu Basal- und Kontrollwerten, nach-weisen konnten.

Ähnlich wie beim Li-Pilocarpin-Modell kann der Anstieg des ACh als eine Begleiterschei-nung der Anfallssymptomatik verstanden werden. Doch auch hier kann eine anfallserhaltende Funktion nicht pauschal ausgeschlossen werden, wie in Kapitel 6.2.1.2 erörtert. Um

festzustellen, ob cholinerge Mechanismen im elektrischen Modell auch an der Initiierung von Anfällen teilhaben und ob der beobachtete Anstieg des ACh damit im Zusammenhang steht, führten wir eine prämedikative Studie mit Scopolamin vor elektrischer SE-Induktion durch (s.

Kapitel 4.7). Während dieser Studie fand keine Mikrodialyse vor und während SE statt, so-dass Aussagen über den Einfluss des Scopolamins auf den extrazellulären Transmitterhaushalt des ACh nicht möglich waren (vgl. Kap 6.2.1.2). Durch die anticholinerge Prämedikation könnte es zunächst zu einer Herabsenkung der extrazellulären ACh-Konzentration vor SE-Beginn wie im Li-Pilocarpin-Modell kommen (Jope et al., 1987; Jope & Gu, 1991). Die Tat-sache, dass der SE der Tiere mit Scopolaminbehandlung in seiner Dauer und Intensität signi-fikant reduziert wurde (s. Abbildung 34 und 35), könnte als Indiz dafür verstanden werden, dass die im SE ablaufenden cholinergen Veränderungen durch das bereits zuvor verabreichte Scopolamin nur mäßig ausfallen. Jener Umstand könnte intrinsischen anfallsinhibierenden Mechanismen im Falle der Annahme einer prokonvulsiven Wirkung des ACh den Weg eb-nen, was wiederum für eine anfallserhaltende Eigenschaft des ACh sprechen würde. Ein wei-teres Indiz für eine anfallserhaltende Komponente des ACh in diesem Modell wird durch den Umstand beschrieben, dass bei Ratten nach 25-minütiger Stimulation, die stetig von Anfalls-geschehen begleitet war, im Falle einer misslungenen SE-Entwicklung basale ACh-Werte gemessen wurden (s. Abbildung 18C). Nichtsdestotrotz sind diese Aussagen spekulativ und es sind daher weiterführende Studien für fundiertere Aussagen nötig.

6.2.1.4 Aufrechterhaltung von Anfällen als Multi-Transmitter-Phänomen Mit Hinblick auf die in den letzten Abschnitten dargestellten Aspekte der cholinergen Invol-vierung im Anfallsgeschehen lässt sich die vorsichtige Aussage aufstellen, dass dem ACh eine mindestens geringgradige Rolle in der Aufrechterhaltung der Anfälle unabhängig vom Stimulus zugesprochen werden kann, auch wenn es anscheinend im Laufe der Zeit nicht mehr den ausschlaggebenden Faktor darstellt. Denn eine eindeutige antikonvulsive Wirkung anti-cholinerger Substanzen nach Etablierung eines SE konnte bisher noch nicht nachgewiesen bzw. im Falle unspezifischer Antagonisten z.T. widerlegt werden. Diverse Studien konnte hingegen zeigen, dass innerhalb der ersten 5 min nach einem durch das Nervengift Soman (irreversibler AChE-Hemmer) induzierten SE anticholinerge Maßnahmen durchaus antikon-vulsiv wirken (McDonough & Shih, 1997; Shih et al., 1999; McDonough et al., 2000). Dieser Effekt verblasste allerdings innerhalb der darauffolgenden 35 min. Ab 40 min nach

SE-Induktion wirkten auch anticholinerge Substanzen nicht mehr bzw. nur sehr schwach antikon-vulsiv.

Es wird im Prinzip davon ausgegangen, dass cholinerge Mechanismen nach cholinerger In-duktion eines Anfalls oder eines SE ihren Einfluss auf das Anfallsgeschehen verlieren und weitere exzitatorische Neurotransmitterkreisläufe wie das glutamaterge System Oberhand gewinnen, die von vermutlich exzitatorischen Rezeptoren wie dem M1- und dem M3-Rezeptor aktiviert werden (Lallement et al., 1991; Solberg & Belkin, 1997; McDonough &

Shih, 1997). Auch umgekehrt ist durch exzessive glutamaterge Neurotransmission bedingtes Anfallsgeschehen anscheinend dazu in der Lage, das cholinerge System sekundär zu aktivie-ren. In der Studie von Jope & Gu (1991) konnte eine Erhöhung der Gewebekonzentration des ACh auch nach SE-Induktion durch den glutamatergen Agonisten Kainsäure hervorgerufen werden. Auch Hillert et al. (2014) stellten nach Verabreichung einer konvulsiven Dosis

Shih, 1997). Auch umgekehrt ist durch exzessive glutamaterge Neurotransmission bedingtes Anfallsgeschehen anscheinend dazu in der Lage, das cholinerge System sekundär zu aktivie-ren. In der Studie von Jope & Gu (1991) konnte eine Erhöhung der Gewebekonzentration des ACh auch nach SE-Induktion durch den glutamatergen Agonisten Kainsäure hervorgerufen werden. Auch Hillert et al. (2014) stellten nach Verabreichung einer konvulsiven Dosis