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6.2 Acetylcholin im Anfallsgeschehen

6.2.2 Antikonvulsive Eigenschaften des Acetylcholins

Wie bereits erwähnt ist das cholinerge System aufgrund der quantitativen und qualitativen Wirkungsvielfalt ein äußerst komplexes und ein dahingehend nicht einfach zu kategorisieren-des neurochemisches System. Es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, dass es neben seinen an-scheinend robusten prokonvulsiven Eigenschaften unter gewissen Umständen auch antikon-vulsive Eigenschaften birgt. In Anbetracht seiner Funktion als Neuromodulator sollte diese Aussage nicht paradox erscheinen, sondern vielmehr deutlich machen, dass die Wirkungswei-se dieWirkungswei-ses Systems weniger von intrinsischen Eigenschaften abhängt als von äußeren Einflüs-sen, auf die das cholinerge System wiederum mit Anpassungen reagiert (Cobb & Davies, 2005; Picciotto et al., 2012). Diese Anpassungsfähigkeit steht in Einklang mit wichtigen cho-linergen Funktionen wie Gedächtnis, Kognition und Neuroplastizität. Neben exzitatorischen Eigenschaften scheinen nikotinerge Rezeptoren auch ein nicht zu unterschätzendes inhibitori-sches Potential auf die hippokampale Strukturen auszuüben. Nikotinerge Rezeptoren kommen seltener auf hippokampalen Hauptneuronen vor als auf GABAergen Interneuronen, die über die päsynaptische Lokalisation der Rezeptoren zu vermehrter GABA-Ausschüttung angeregt werden (Jones & Yakel, 1997; Frazier et al., 1998a, 1998b; Alkondon & Albuquerque, 2001;

gen Interneuronen vor und können diese sowohl anregen als auch hemmen, je nach Lokalisa-tion und Rezeptorsubtyp. Wie oben erwähnt scheinen muskarinerge Rezeptoren in ihrer Bi-lanz im Hippokampus vermehrt exzitatorisch zu wirken (Flynn et al., 1995; Cobb & Davies, 2005; Drever et al., 2011; Lebois et al., 2018), was aufgrund der Dominanz des exzitatori-schen M1-Rezeptor auf hippokampalen Hauptzellen nicht abwegig erscheint.

6.2.2.1 Antikonvulsive Eigenschaften des nikotinergen a7-Rezeptors Sowohl bei in vivo als auch in vitro Studien konnte nikotinergen Rezeptoren ein neuroprotek-tiver Effekt nach glutamaterg vermittelten exzitotoxischen Insulten, beispielsweise provoziert durch Kainsäure, in verschiedenen Hirnregionen inklusive Hippokampus zugesprochen wer-den (Marin et al., 1994; Borlongan et al., 1995; Shytle et al., 1995; Donnelly-Roberts et al., 1996; Semba et al., 1996; Kaneko et al., 1997; Dajas-Bailador et al. 2000). Besonders a7-Rezeptoren scheinen hierbei die neuroprotektive Funktion zu übernehmen. Dieser Effekt scheint vermehrt über eine Manipulation der intrazellulären Ca2+-Konzentration der betroffe-nen Zellen vermittelt zu werden (Dajas-Bailador et al., 2000). Es ist aber nicht auszuschlie-ßen, dass die Aktivierung GABAerger Neurone durch präsynaptische nikotinerge Rezeptoren einen unterstützenden Effekt gegen die Exzitotoxizität ausübt (siehe Kapitel 6.2.2.3). Ergän-zende Studien beschrieben eine nicht nur neuroprotektive, sondern tatsächlich antikonvulsive Wirkung, die über den a7-Rezeptor vermittelt wurde. In der Studie von Shin et al. (2007) wurde gezeigt, dass durch die wiederholte prämedikative Aktivierung des a7-Rezeptors mit intrazerebral appliziertem Nikotin (1 µg/Seite/Tag für 10 Tage) Anfälle bei Ratten, die 1 h später durch Kainsäure induziert wurden, verhindert werden konnten. Dies war allerdings nicht der Fall bei einer einzelnen intrazerebralen Injektion des unspezifischen nikotinergen Agonisten. Nun liegt die Vermutung nahe, dass durch die chronische Aktivierung der Rezep-toren diese herabreguliert wurden und es dadurch zu Unterbrechungen in cholinergen Mecha-nismen kam, deren Konsequenz sich in einem antikonvulsiven Effekt äußerte. Im Umkehr-schluss würde dies für eine prokonvulsive Wirkung des ACh sprechen. Paradoxerweise scheint es nicht zu einer Herabregulierung dieses Rezeptortyps bei chronischer Aktivierung durch Agonisten zu kommen, sondern vielmehr zu einer Heraufregulierung (Molinari et al., 1998). Unter Beachtung dieser Aussage schien somit das verstärkte cholinerge Signal in Form des vermehrt auftretenden a7-Rezeptors in der Studie von Shin et al. (2007) tatsächlich für den antikonvulsiven Effekt verantwortlich zu sein. Feuerbach et al. (2009) wiesen eine ebenso prämedikativ antikonvulsive Wirkung dem spezifischen nikotinergen a7-Rezeptor-Agonisten

JN403 bei genmanipulierten Mäusen (DBA/2) zu, bei denen Anfälle audiogen ausgelöst wur-den. Es ist möglich, dass die spezifische Aktivierung des Rezeptors eine vermeintlich effekti-vere antikonvulsive Antwort hervorbringt als beispielsweise durch das unspezifische Nikotin.

6.2.2.2 Antikonvulsive Eigenschaften bestimmter Acetylcholinesterasehemmer

Weiterhin erscheint es paradox, dass der Einsatz von AChE-Hemmern offensichtlich eben-falls in antikonvulsiven Effekten resultieren kann, obwohl es bekannt ist, dass Nervengifte wie Soman, Tabun und Sarin zu einem exzessiven ACh-Anstieg und in der Folge zu schwer-wiegenden epileptischen Anfällen oder SE wie weiter oben beschrieben führen (Haug et al., 2007; Gersner et al., 2015; Damar et al., 2016, 2017; Bialer et al., 2017). Bei den genannten Nervengiften handelt es sich um Substanzen, die irreversibel an die AChE durch Phosphory-lierung kovalent binden und dieses dadurch denaturieren (Worek et al., 2016). Dies hat zur Folge, dass zunächst neue AChE von den Zellen gebildet und aus der Zelle geschleust werden muss, um das physiologische Gleichgewicht wiederherzustellen. Es kommt in der Zwischen-zeit allerdings zu einem derart exzessiven extrazellulären ACh-Anstieg, dass neurochemische Bedingungen zu Gunsten der Anfallsentwicklung und -erhaltung geschaffen werden. Rever-sible AChE-Hemmer wie Huperzin A zerstören die AChE hingegen nicht, sondern blockieren sie lediglich temporär. Zum einen hat dies die Folge, dass der ACh-Anstieg nicht derart ex-zessiv ausfällt wie bei den toxischeren Substanzen, da stetig AChE von den Hemmern freige-geben wird. Zum anderen wird die AChE vor den toxischeren Substanzen kompetitiv abge-schirmt, sodass der Grad der Denaturierung des Enzyms nicht derart ausgeprägt ist (Gordon et al., 1978; Dirnhuber et al., 1979; Lallement et al., 2002). Aus diesem Grund werden im Rah-men entsprechender militärischer Auseinandersetzungen bzw. in exponierten Milieus rever-sible AChE-Hemmer als Prophylaxe eingesetzt, um im Falle eines Kontakts mit toxischen Nervengiften mit dem nötigen Schutz ausgestattet zu sein (Aas, 2003). Dies bedeutet aber auch, dass der hier beschriebene anscheinend antikonvulsive Effekt in erster Linie lediglich auf einem abgemilderten Anstieg der ACh-Konzentration beruht.

Ein in den letzten Jahren vermehrt beachtete und interessante Substanz ist der reversible AChE-Hemmer Huperzin A, der in erster Linie in der Demenz-Forschung fokussierter behan-delt wurde (Qian & Ke, 2014). Es konnte gezeigt werden, dass jene prämedikativ verabreichte Substanz in verschiedenen Anfallsmodellen wie z.B. dem

Maximal-Elektroschock-Anfalls-Test, kurz MES-Maximal-Elektroschock-Anfalls-Test, und dem Pentylentetrazol-Anfallsschwellentest, kurz PTZ-Maximal-Elektroschock-Anfalls-Test, eine antikonvulsive Wirkung hat, obwohl diesen Tests zunächst keine cholinerge Involvierung in der Anfallsentstehung eingeräumt wird (Gersner et al., 2015; Bialer et al., 2017). Obwohl Huperzin A auch eine Wirkung als Antagonist am glutamatergen NMDA-Rezeptor hat, konn-te gezeigt werden, dass das antikonvulsive Pokonn-tential cholinerg vermitkonn-telt zu sein scheint (Bialer et al., 2017). Die sekundäre Interaktion mit GABAergen Mechanismen scheint bei AChE-Hemmern wie Huperzin A dabei eine wichtige Rolle zu spielen (Gersner et al., 2015), wie im folgenden Abschnitt erläutert wird.

6.2.2.3 Mögliche cholinerg vermittelte GABAerge Aktivierung

Es ist wahrscheinlich, dass die in den letzten beiden Abschnitt beschriebenen Studien und deren Ergebnisse sich u.a. auf verstärkte GABAerge Mechanismen zurückführen lassen, die durch in erster Linie präsynaptisch lokalisierte nikotinerge a7 und a4b2 Rezeptoren vermit-telt werden (McMahon et al., 1994; Albuquerque et al., 1998; Buhler & Dunwiddie, 2002;

Zhu & Chiappinelli, 2002; Kawa, 2007; Arnaiz-Cot et al., 2008; Damar et al., 2016; Werner

& Coveñas, 2017). Diese Mechanismen erlauben es sowohl nikotinergen Agonisten als auch indirekten Parasympathomimetika wie AChE-Hemmern im gesamten Gehirn antikonvulsiv und neuroprotektiv zu wirken. Es wird nochmals betont, dass nikotinerge Rezeptoren hier kein Alleinstellungsmerkmal haben, denn auch präsynaptisch lokalisierte, exzitatorische mus-karinerge Rezeptoren verstärken z.T. die GABA-Ausschüttung (González et al., 2011; Yi et al., 2014).

Einen interessanten Aspekt stellt eine mögliche Abhängigkeit der resultierenden pro- oder antikonvulsiven Wirkung des ACh von seinem extrazellulären Konzentrationsanstieg im Falle des Einflusses eines AChE-Hemmers dar. Im Gegensatz zu den irreversibel hemmenden Ner-vengiften scheinen die reversiblen, weniger toxischen AChE-Hemmer einen weniger ausge-prägten Anstieg des ACh zu provozieren (s. Kapitel 6.2.2.2). Diese mäßig angestiegene ACh-Konzentration könnte zunächst vermehrt GABAerge Interneurone im Hippokampus zur Kompensierung einer progressiven neuronalen Exzitation aktivieren (Damar et al., 2016, 2017). Der synergistische Effekt aus einem weniger stark ausgeprägten ACh-Anstieg und der möglicherweise damit einhergehenden GABA-Aktivierung könnte die prämedikative anti-konvulsive Wirkung reversibler AChE-Hemmer erklären.

6.2.3 Zusammenfassende Betrachtung der pro- und antikonvulsiven