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Theorie- und Referenzrahmen

Im Dokument SUPERVISION – EIN RISIKO? (Seite 83-0)

5. Empirie

5.3 Darstellung der Ergebnisse

5.3.4 Theorie- und Referenzrahmen

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit jenen Mängeln und Defiziten an theoretischem Wissen von Supervisorinnen oder Supervisoren, die ein Risiko für Supervision dar-stellen.

Zu allererst seien stellvertretend für häufige Schadensnennungen zwei Beispiele genannt, in denen keine in Supervision ausgebildeten Supervisorinnen und Super-visoren sondern Therapeutinnen und Therapeuten, denen es an grundlegendem supervisorischen Fachwissen und Referenzrahmen mangelt, mit Teams arbeiten bzw. gearbeitet haben:

„Mir ist im Kopf, z. B. vor Urzeiten, wie das mit Lainz war, nach dieser Geschichte in den 80er Jahren ist dort massenhaft Supervision verordnet worden und die Thera-peuten haben dort mit den Schwestern herumbiografiert, die dann alle satt waren, was Supervision anbetrifft“ (G, 7/ 216–219). Und ein weiterer Supervisionsprozess, in dem es durch therapeutische Interventionen zu Scham- und Bloßstellung kam:

„… und die haben sich urgefürchtet vor der Supervision, weil die haben Supervision mit meiner Vorgängerin, die Therapeutin war, so erlebt, dass immer jemand geweint hat. Und Supervision was ist, wo man aufgemacht wird, wo man die Hosen runter-lassen muss und wo Dramen passieren. D. h. meine Kollegin hat es geschafft, alles auf der individuellen Beziehungsebene zu bearbeiten … was völlig falsch ist und ich als Kunstfehler bezeichnen würde“ (A, 5/ 6/ 361–369).

77 Als weiteren Kritikpunkt nennen die Expertinnen und Experten mangelndes Wissen um das Setting von Supervision und hier wiederum das Wissen um die Wichtigkeit der Integration der Leitung in den Supervisionsprozess:

„Und es gibt Kollegen, die sagen: Supervision ohne Leitung. Die Leitung hat da nichts zu tun. Und das ist ein Fehler, der mit Wissen zu tun hat, Bildung und mit Übung“ (3/ 94 –9).

Ein Experte berichtet aus seinen Beobachtungen aus der Lehre und der wissen-schaftlichen Supervisionsforschung:

„… ein grundsätzliches Risiko besteht in den weit verbreiteten Theoriedefiziten der Supervisorinnen und Supervisoren und insbesondere in der mangelnde Kenntnis des Konzeptes der Affiliation und den mangelnden Wissensbeständen über Nonverbalität im Supervisionsprozess“ (D, 1/ 22–36).

Interpretation:

Grundsätzlich kann festhalten werden, dass sich die Expertinnen und Experten darin einig sind, dass es eine spezifische Ausbildung in Supervision braucht, um den An-forderungen, die an Supervision gestellt werden, gerecht zu werden. In früheren Zeiten sei es üblich gewesen, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten vor allem im klinischen Kontext Supervision anboten, wodurch auf einer therapeuti-schen Ebene belastende Arbeitsthemen und Konflikte bearbeitet wurden, welche die Supervisandinnen und Supervisanden überforderten und es zu Scham- und Bloß-stellungssituation in der Supervision kam. Eine gut fundierte Supervisionsausbildung reduziert das Fehler- und somit das Schadensrisiko und stellt eine Voraussetzung dar, um professionell Supervision anbieten zu können.

Das Wissen um die Bedeutung der Teilnahme der Einrichtungsleitung am Super-visionsprozess wird völlig unterschätzt. Die häufige Nennung der mangelnden Auf-tragsklärung ist auch in den vorangegangenen Kapiteln hervorgehoben worden und lässt den Schluss zu, dass in den Supervisionsausbildungen unzureichend vermittelt wird, welche Risiken und Folgeschäden eine unhinterfragte Auftragsübernahme mit einem vorgegebenen Setting haben kann.

78 5.3.5 Diskretion und Verschwiegenheit

Das Postulat von Diskretion und Verschwiegenheit in Supervision bezieht sich auf den Datenschutz und die Verschwiegenheitspflicht gegenüber Dritten von Seiten der Supervisorinnen und Supervisoren als auch seitens der Supervisandinnen und Supervisanden. Zwei Experten erwähnen Beispiele von Verletzung der Diskretion und Verschwiegenheit in Supervision.

Ein Experte nimmt Bezug auf diesen Aspekt insofern als er mehrmals erlebt habe, dass Supervisandinnen und Supervisanden nach der Supervisionssitzung das Thema noch weiter diskutierten „… und dann Schäden passierten, wo sich die Leute verletzt und bloßgestellt fühlten“ (GE 7/ 235–236).

Der zweite Interviewpartner, der auf Verschwiegenheit und Diskretion eingeht, weist auf den Umstand hin „… dass die Diskretion auch die Klientinnen und Klienten der Supervision einschließt und diese befragt werden müssen ob sie ihre Materialien in die Supervision eingebracht wissen wollen … bei Missachtung besteht ein Risiko juristischer Art und es ist eine Verletzung des Vertrauens und der Verschwiegenheit, da Supervision nicht nur wirksam sein soll, sondern auch unschädlich sein muss“ (D, 2/ 43–50).

Interpretation:

Eventuell weisen Supervisorinnen und Supervisoren zu wenig darauf hin, dass nach der Supervisionssitzung keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Super-visionsthema vorgesehen ist und dass keine Informationen an Dritte weitergegeben werden dürfen und dass es sich auch beim „hinten nach arbeiten“ um Diskretions- und Verschwiegenheitsverletzungen handelt.

Da die Expertinnen und Experten kaum Schäden durch Verletzungen der Ver-schwiegenheits- und Diskretionspflicht thematisierten, ist einerseits zu interpretieren, dass nur eine geringe Anzahl an Schäden durch Diskretions- und Verschwiegen-heitsverletzungen verursacht werden, andererseits kann es auch sein, dass es sich bei den Expertinnen und Experten selbst um einen der berühmten „blinden Flecken“

handelt, die den Blick auf das Verletzungspotenzial insbesondere was das Klientin-nen- und Klientensystem betrifft, verstellen.

79 5.3.6 Reflexion

Die Reflexion der Supervisorin, des Supervisors über das eigene Handeln wird von den Expertinnen und Experten als primäre Voraussetzung für möglichst risiko- und fehlerfreie Supervision beschrieben. Wenn die Reflexion nach einem Supervisions-prozess vernachlässigt wird, ist Schadenspotenzial gegeben:

„Und dann denke ich ist der Kardinalfehler der Supervision der, das eigene Handeln nicht mehr zu reflektieren. Wenn das aussetzt, dann setzt auch die Supervision aus und die Metareflexion, die denke ich, brauche ich zur Supervision so sicher, wie das Amen in der Kirche“ (E, 3/ 91–95).

Eine andere Expertin beschreibt als die wichtigste Eigenschaft, die eine Superviso-rin, eine Supervisor mitbringen muss, um Fehler und Schäden zu vermeiden, jene zur Selbstreflexion:

„… sich selbst immer wieder in Frage stellen und die eigenen blinden Flecken anschauen können“ (A, 7/ 212–214). Auch bei langjähriger Praxiserfahrung ist der Rückblick auf die Wirkung des eigenen Tuns ein Kriterium für Qualitätssicherung und ermöglicht Fehler zu erkennen und u.U. zu korrigieren, um Schäden zu verhindern:

„Und für mich sind die Reflexionsphasen nach einem Prozess sehr wichtig. Ich könnte nicht so arbeiten, so das war jetzt die Supervision und ich gehe zur nächsten Aufgabe und schau erst knapp vorher wieder, was da war das letzte Mal. Es erfordert schon eine Auseinandersetzung, eine Nachreflexion, ein Überprüfen. Wie habe ich interveniert, was habe ich möglicherweise übersehen“ (B, 5/ 142–146).

Ein Experte aus der Diskussionsgruppe berichtet von einer fix installierten Runde von Supervisoren und Supervisorinnen, an der er regelmäßig teil nimmt und die ihm durch die gemeinsame Reflexion am meisten hilft (vgl. GC, 19/ 620–622).

Eine weitere differenzierte Ausführung eines Interviewpartners zu Risiko- und Feh-lervermeidung betont die Bedeutung der Eigensupervision, die besonnen ausge-wählt werden soll, wobei der thematische Schwerpunkt der zu reflektierenden Supervision wesentlich ist für die Wahl der Supervisorin, des Supervisors:

„… hole ich mir einen feld- und fachkompetenten Kollegen, dass der aktiv schaut … ich habe da einen Klienten in einem Bereich, wo ich nicht so feldkompetent bin … ich habe das zwar gemacht, aber jetzt bin ich in Schwierigkeiten“ (D, 8/ 254 –258). Im Zusammenhang bei der Wahl einer Supervisorin oder eines Supervisors für die

80 Eigenreflexion im Rahmen einer Lehrsupervision wird exemplarisch auch die Rele-vanz des Geschlechts beschrieben:

„Also wenn die Patientin X mit ihren Menopausenproblemen bei meinem Super-visanden Y – Mann – nicht in guten Händen ist und ich auch – Mann – mir nicht anmaße, was über Frauenprobleme zu sagen, dann ist das keine gute Wahl“ (D, 8/ 261–265). Als ein weiteres Kriterium bei der Wahl nach der Kompetenz der Super-visorin oder des Supervisors für die Eigenreflexion wird der Methodenschwerpunkt genannt, wobei für Fehler- und Schadensvermeidung im Klientinnen- bzw. Klienten-system genau zu schauen sein, ob jemand mit z. B. Klienten-systemischem oder gestaltthera-peutischem Hintergrund für die Fragestellung nicht besser geeignet ist (vgl. D, 8/ 265–269).

Interpretation:

Eigenreflexion ist von Supervision nicht wegzudenken und ist fixer Bestandteil pro-fessioneller Praxis der Supervisorinnen und Supervisoren. Die jeweilige Haltung, die Kompetenz und die Performanz der Supervisorin, des Supervisors stehen im Zen-trum der Reflexion und dienen der Überprüfung und Verbesserung von Praxis.

Reflexion kann in Form von Intervision – der gemeinsamen Prozessbetrachtung – mit Kolleginnen und Kollegen stattfinden oder im Einzelsetting mit einer Supervisorin, einem Supervision. Der Rückblick muss immer Zeit und Platz haben, auch wenn jemand schon sehr erfahren ist und der vorangegangene Prozess nicht kompliziert war. Und nicht nur schwierige Situationen in Supervision sind einem Reflexions-prozess zuzuführen, sondern genauso gut gelaufene Prozesse.

Um Kompetenzmängel auszugleichen wird bei der Wahl einer Supervisorin, einem Supervisor empfohlen, darauf zu achten, jemanden zu finden, der diese mangelnde Expertise aufweist.

5.3.7 Gender und Diversity

Der Bereich Gender und Diversity als Risiko und Schadenspotenzial wurde von einem Interviewpartner (s. o.) und einer Diskutantin erwähnt:

81

„… das sind Beispiele, wo ich denke, da kann auch Schaden für die Klienten und Klientinnen passieren … gerade in dem Feld von Interkulturalität … wo ich im Hinter-kopf habe … mit lesbischen oder schwulen Klientinnen, Klienten … wenn man sich mit diesen Themen nicht auseinandersetzt, kann man so was von danebenhauen als Supervisorin oder Supervisor, auch wenn man sich selbst noch so reflektiert oder noch so offen ist. Da haben wir einfach geprägte Wahrnehmungen aufgrund unserer Enkulturation, aufgrund unserer Sozialisation und das hat einfach auch Grenzen.

Und da kann es auch unabsichtlich zu Schäden kommen“ (GG, 13/ 414 – 422).

In der Gruppendiskussion wurde im Zusammenhang mit mangelnder Gender-kompetenz von einer Fortbildungsveranstaltung für Supervisorinnen und Super-visoren berichtet, bei der beobachtet werden konnte, dass ein Referent durch die Vermittlung nicht korrekten Fachwissens über den Islam, einen Teil der Teilnehme-rinnen und Teilnehmer der Veranstaltung einseitig beeinflusste und die Vermutung und Sorge bei der Diskutantin entstand, dass Vorurteile gegen Musliminnen und Muslime aufgebaut werden, die in supervisorischen Prozessen Schäden anrichten können (vgl. GG, 19/ 20/ 632–655).

Interpretation:

Da nur ein Interviewpartner und eine Diskutantin den Zusammenhang von Risiko bzw. Schaden und Gender und Diversity ausführten, ist einerseits anzunehmen, dass definitive Schäden in diesen Bereichen noch nicht bekannt wurden oder nur eine geringe Wahrnehmung oder/ und geringes Wissen im Mehrebenensystem über Schäden durch mangelnde Gender- und Diversitykompetenz vorhanden ist.

Möglicherweise wurden von der Mehrheit der Expertinnen und Experten diese Kom-petenzbereiche der allgemein in Supervision geforderten Fach- und Feldkompetenz zugeordnet.

5.3.8 Zusammenfassung und Übersicht

Nachfolgend eine Auflistung von Beispielen anhand der Häufigkeit der Nennungen an Fehlerquellen, die sich überwiegend mit den Risiken decken:

82 – Selbstüberschätzung der SupervisorInnen und

– Mangelnde Machtreflexion 11 x

– Mangelnde Auftragsklärung 9 x

– Dynamik des Gesamtsystems wurde nicht oder zu wenig berücksichtigt 8 x

– Theoriedefizit der SupervisorInnen 6 x

– Reduzierung der Themen auf reine „Psychohygiene“ 6 x

– Entgleiste Gruppendynamik 3 x

– Mangelnde Feldkompetenz 2 x

– Mangelnde Fachkompetenz 2 x

– Mangelnde Passung 2 x

– Gender- und Diversitykompetenz 2 x

Die Expertinnen und Experten sind sich darin einig, dass es generell nicht möglich ist, in der Supervision Fehler zu vermeiden, wie eine Expertin formuliert: „… und Supervisoren sind auch nur Menschen und kommen ohne Fehler nie aus“ (B, 5/ 140–

141).

5.3.9 Definitionen von Risiko, Fehler, Schaden und Nebenwirkung

Die Termini Risiko und Fehler (Kapitel 2.2) werden von den Expertinnen und Experten in Beziehung zu Entscheidungen und Handlungsalternativen gesetzt, die sich negativ im Supervisionssystem auswirken. Dabei wurde der Begriff „Risiko“ im Kontext von Gefahrenquellen für Fehler, die Schaden oder unerwünschte Wirkungen verursachen, verstanden. Somit beschäftigt sich der Begriff „Fehler“ mit der Person der Supervisorin oder des Supervisors, deren oder dessen Haltung, Kompetenz und Performanz. Von den Expertinnen und Experten wird vorausgeschickt, dass Fehler passieren können und sie in der Natur des Menschen verankert sind:

„Ich glaube nicht, dass sie vermeidbar sind. Ich glaube nicht, dass eine Supervisorin so gut sein kann, dass sie keine Böcke schießt“ (GB, 17/ 561–563).

Schaden (Kapitel 1.2) wird demnach als die negative Folge eines Risikos, eines nicht wieder gutgemachten Fehlers bezeichnet, der sich im Mehrebenensystem von

83 Supervision niederschlägt. Der Schaden kann somit auf der Ebene der Organisation, dem System der Auftraggeberinnen und Auftraggeber liegen oder bei Einzelnen, den Supervisandinnen oder Supervisanden und den Klientinnen und Klienten oder zugleich auf mehreren Ebenen:

„… Schaden wäre eine Folge eines nicht wieder gut gemachten Fehlers. Das wäre mein Definitionsversuch. Und Fehler sind eben Interventionen, die zu kurz, falsch oder sonst wie greifen“ (A, 8/ 270–272).

Die Expertinnen und Experten trafen in ihren Ausführungen keine Unterscheidung von Schaden und unerwünschter Nebenwirkung (Kapitel 1.2). Es wurde vielmehr diskutiert, ob im Vergleich zur Medizin oder einem Medikament, wo diese Terminologie üblich ist, der Begriff der „unerwünschten Nebenwirkung“ für Supervision überhaupt brauchbar ist. Da Supervision jedoch den Anspruch der Qualität der Unbedenklichkeit hat, erscheint es an dieser Stelle interessant, die Erläuterungen der Expertinnen und Experten nach diesem „blinden Fleck“ zu sichten, was den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen würde.

5.3.10 Schäden im Mehrebenensystem

Wer trägt die Schadensspuren? Worin ist der Schaden oder die schädliche Nebenwirkung begründet? Welche Ebenen des komplexen Mehrebenensystems der Supervision sind davon überwiegend betroffen? Die Antworten der Expertinnen und Experten auf diese Fragestellungen werden in diesem Kapitel dargestellt:

Schäden im Auftraggeberinnen- und Auftraggebersystem

Die Mehrzahl an Nennungen – insgesamt 17 Beispiele – von Schäden konnte im System der Organisation, der Auftraggeberinnen und Auftraggeber verortet werden.

Der finanzielle Schaden für die Einrichtung bei wirkungsloser Supervision wurde häufig genannt:

„Es gibt Supervisionen, da tun die Leute immer eine Runde lang sammeln, was Thema werden kann und dann ist die Supervision aus und der Schaden ist da auf

84 der Systemebene sicher ein finanzieller … d. h. die haben eine Stunde Supervision bezahlt und das hat eigentlich nichts gebracht“ (A, 5/ 149–151).

„Wo Supervision als integrierter Bestandteil der beruflichen Tätigkeit dazu gehört und wo es sich zu Tode läuft. Dort wo es nicht mehr auf Effizienz und Notwendigkeit hin überprüft wird“ (C, 1/ 31–33).

Besonders wenn der Supervisionsauftrag nicht ausführlich geklärt wurde und sodann auf einer falschen Ebene interveniert wurde, dann ist Supervision nicht nur wirkungslos, sondern es entsteht finanzieller Schaden für die Einrichtung (vgl. C, 1/ 17–21). Dieser Schaden ist in erster Linie auf der Ebene des Systems einer Einrichtung, einer Institution oder Organisation angesiedelt und nicht auf einer persönlichen Ebene. Eine Expertin bezeichnet diese Art von Schaden als den vielleicht besten „… Fall von Schaden, weil quasi nur Geld und Zeit vernichtet wurde“

(A, 5/ 155–156).

Weitere Beispielnennungen der Expertinnen und Experten für Schäden auf der Ebene der Auftraggeberinnen und Auftraggeber beschreiben die Verhärtung von Konflikten zwischen Leitung und Team:

„… Und das Team hat zu Beginn als Wunsch formuliert, in der Supervision auch über die Leitung schimpfen zu können. So à la Psychohygiene. Und das ist anscheinend drei Jahre lang passiert – bei meinem Vorgänger …“ (GG, 4/ 125–131) „… Team-supervision ohne Leiter. Wenn die zwei Jahre lang nur sudern, ist es vielleicht nur Wirkungslosigkeit. Wenn es allerdings so ist, dass sie sich zusammenrotten gegen den fehlenden und den abwesenden Leiter und der Leiter dann eine schwierigere Position im Team hat als vorher, kann Schaden passieren“ (GC, 14/ 450– 454).

Schäden im Supervisandinnen- und Supervisandensystem

Am zweithäufigsten, mit 14 Nennungen, konnten Schadensnennungen im System der Supervisandinnen und Supervisanden gezählt werden. Individuelle, persönliche Kränkungen und Verletzungen kennzeichnen die Schadensspuren auf dieser Ebene, wobei die Gefahr in Teamsupervision verletzt zu werden am häufigsten beschrieben wurde. Und es sind nicht nur die Supervisorinnen und Supervisoren, die durch ihre Haltung und durch Fehler und falsche Interventionen Schäden verursachen, sondern es sind auch überzogene oder entgleiste Feedbackprozesse unter den

Super-85 visandinnen und Supervisanden, die verletzten und schädigen können (vgl. B, 4/ 107–120):

„… Ich habe das dann gestoppt und sie dann gefragt, ob sie hinaus will, spazieren gehen und sich erfangen … Ich zitiere das Beispiel, weil es manchmal schwierig ist, Krise von einer bearbeitbaren Problematik zu unterscheiden. In einer Krise ist ein Feedbackprozess von den anderen nicht angezeigt, kann nicht angenommen wer-den. Es ist schädlich, weil sie dann noch eines draufkriegt“ (B, 115–120).

Von dieser Aussage lässt sich ableiten, dass Supervisorinnen und Supervisoren an Verletzungen beteiligt sind, wenn sie einen schädigenden Prozess zwischen den Supervisandinnen und Supervisanden nicht rechtzeitig erkennen und stoppen.

Individueller psychischer Schaden auf der Ebene der Supervisandinnen und Super-visanden erscheint den Expertinnen und Experten als wesentlicher Schaden, den Supervision verursachen kann und entsteht durch unprofessionelle Vorgehensweise.

Schäden im Klientinnen- und Klientensystem

Das Schadenspotenzial für die Klientinnen und Klienten wurde in den Interviews und der Gruppendiskussion immer wieder thematisiert, wobei von keinen konkreten Bei-spielen berichtet wurde, sondern Schäden im Bereich des Möglichen angesiedelt wurden: „… wenn das Team durch Supervision auf sich schaut, sich abgrenzt, dann kann das kontraproduktiv für das System der Klientinnen und Klienten sein …“(C, 6/ 192–199). Ein Risiko liege auch in der Vernachlässigung der Schweige- und Dis-kretionspflicht: „… PatientInnen müssen befragt werden, ob sie ihre Materialien in die Supervision eingebracht wissen wollen … wir brauchen ja auch die Unschädlichkeit

…“ (D, 2/ 43–50).

Das Risiko- und Schadenspotenzial von Supervision für das Klientinnen- und Klien-tensystem ist auch für die Expertinnen und Experten eine Schattenseite ihrer Erfah-rungswerte, wird von ihnen jedoch achtsam und kritisch immer wieder im Bereich des Möglichen wahrgenommen.

86 Schäden im Supervisionssystem

Negative Effekte von Supervision können sich schlussendlich auch schädigend für das Supervisionssystem auswirken, wie ein Interviewpartner berichtet:

„… und der Schaden ist auch für die Supervision entstanden, nämlich ein falsches Bild von Supervision, was zur Folge hatte, dass das Instrumentarium Supervision für längere Zeit nicht mehr in Anspruch genommen wurde“ (GE, 8/ 238-240).

Das Beratungsformat Supervision könnte also durch schädigende Supervision ein-zelner Supervisorinnen und Supervisoren allgemein an Ansehen verlieren.

87 5.4 Zusammenschau und Diskussion der Ergebnisse

Supervision – ein Risiko? Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist nach der Auswertung des Datenmaterials eindeutig mit „Ja“ zu beantworten. Supervisions-prozesse können unerwünschte Nebenwirkungen oder Schäden verursachen. Die

„Beschädigten“ sind in erster Linie Personen die im Supervisionsprozess anwesend sind.

Da jedoch das Beratungsformat Supervision im Mehrebenensystem (Kapitel 2.6) wirkt, verorten die Expertinnen und Experten ein potenzielles Schadensrisiko auch an Personen die nicht unmittelbar am Beratungsprozess beteiligt sind, wie Auftrag-geberinnen und Auftraggeber und Klientinnen und Klienten der Supervisandinnen und Supervisanden. Ein finanzieller Schaden bestehe für die Einrichtung bzw. Insti-tution oder Organisation zusätzlich zu Schäden an Personen und wird von den Ex-pertinnen und Experten auch bei wirkungsloser supervisorischer Beratung verortet, da Supervision den 4 Basiskriterien der Qualitätssicherung von „Wirksamkeit, Wissenschaftlichkeit, Unbedenklichkeit und Wirtschaftlichkeit“ verpflichtet ist.

Risiken und Schäden bzw. Negativeffekte entstehen überwiegend durch Fehler der agierenden Supervisorinnen und Supervisoren. Diese Fehler werden demnach durch deren Haltung und Kompetenz und der daraus resultierende Performanz verursacht.

In Anlehnung an das folgende Dreiecksmodell aus Haltung/ Ethik, Wis-sen/ Kompetenzen sowie Können/ Performanzen – den notwendigen Elementen supervisorischer Ausbildung (vgl. Schigl 2012, 132) – werden im Folgenden die Be-obachtungen der Expertinnen und Experten von Risiken in Supervision bzw. Fehler der Supervisorinnen und Supervisoren den betreffenden Faktoren zugeordnet und mit der Literatur verknüpft und/ oder in Diskussion gebracht.

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Abb. 6: Notwendige Elemente professioneller, risikosensibler Supervision (die Autorin in Anlehnung an Schigl 2011, 132)

Diese Struktur erweist sich als passende Matrix, anhand der sich die Diskussion der empirischen Ergebnisse übersichtlich führen lässt. Es sei darauf hingewiesen, dass es an manchen Stellen zu Überschneidungen zwischen den Bereichen kommt oder die Möglichkeit der Mehrfachzuordnung bzw. Mehrfachnennungen geben ist.

Haltung/ Ethik

Ethischen Grundsätze, Werthaltungen, Menschenbilder und politische Einstellungen beeinflussen das Denken und Handeln jedes Menschen. Insofern liegt in der Persön-lichkeit der Supervisorin oder des Supervisors das Risiko, Verletzungen an Men-schen nicht zu erkennen bzw. sie sogar zu verursachen (Kapitel 3.1).

Ethischen Grundsätze, Werthaltungen, Menschenbilder und politische Einstellungen beeinflussen das Denken und Handeln jedes Menschen. Insofern liegt in der Persön-lichkeit der Supervisorin oder des Supervisors das Risiko, Verletzungen an Men-schen nicht zu erkennen bzw. sie sogar zu verursachen (Kapitel 3.1).

Im Dokument SUPERVISION – EIN RISIKO? (Seite 83-0)