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Endliche versus unendliche Supervision

Im Dokument SUPERVISION – EIN RISIKO? (Seite 62-0)

4. Risiko in Supervision

4.2 Besondere Risikopotenziale von Supervision

4.2.9 Endliche versus unendliche Supervision

Bei der Frage ob Supervision ein dauerhafter Begleiter sein soll oder eine zeitliche Begrenzung vorzuziehen ist, plädieren Pühl (1998), Fürstenau (1998) und Rappe-Giesecke (2003) klar für eine zeitlich begrenzte Supervision. Supervision als fixer Bestandteil und Reflexionshilfe im organsiationalen Alltag gerät immer mehr in den Hintergrund.

So soll die Kontrakterstellung mit den Auftraggeberinnen oder Auftraggeber unter Berücksichtigung einer Diagnose, den festgelegten Zeitraum für den Supervisions-prozess beinhalten. Nach einer Arbeitsphase von fünf bis fünfzehn Sitzungen soll die supervisorische Arbeit beendet werden oder es gibt neue Schwerpunktsetzungen, Aufgaben und Ziele. Der Supervisionsprozess wird neu aufgegriffen und ein neuer Kontrakt wird erstellt. Dabei unterstützt die Diagnosephase zu Beginn eines Prozes-ses sowie eine klare Zieldefinition in großem Ausmaß den Supervisionserfolg und einen gelungenen Abschluss.

Es wird von Teams auch als vorteilhaft und stärkend erlebt, wenn sie ohne Super-vision auskommen. Lang andauernde SuperSuper-vision schwächt ein Team potenziell und macht die/ den SupervisorIn betriebsblind. Als Richtwert wird allgemein ein Zeitraum von drei Jahren genannt (vgl. Möller 2005, 165 f).

56 4.3 Zusammenfassung und Übersicht

Die nachfolgende Tabelle fasst die Dimensionen bzw. Qualitätsstandards für einen gelungenen Supervisionsprozess zusammen und setzt sie in Bezug zu den jeweils inne liegenden Risikopotenzialen. In einem weiteren Schritt werden jene Basis-aspekte bzw. Variablen des SAS-Modells (Kapitel 4.1) angeführt, die in den jeweili-gen Dimensionen relevant sind.

Qualitätsstandard für die Supervision

Risiko in der Supervision Variable

Diagnose Fehldiagnose SupervisorInnenvariable,

Funktionsvariable, Institutions- und Organisationsvariable Richtiges Setting Falsches Setting SupervisorInnenvariable,

Funktionsvariable, Ressourcenorientierung Fokus auf den Mangel/ das

Problem und dadurch

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Endliche Supervision Unendliche Supervision Prozessvariable, Supervisionsvariable Feldkompetenz Mangelnde Feldkompetenz Feldvariable,

SupervisorInnenvariable, Wahl passender Methoden Unpassende Methodenwahl Methodenvariable

58 Stabile sozioökonomische

Situation von Auftrag-geberInnen und Super-visorInnen

Prekäre sozioökonomische Situation von AuftraggeberIn-nen und SupervisorInAuftraggeberIn-nen

Variable:

Sozioökonomische Situation

Supervision-unterstützendes Netzwerk bzw. System

Supervision-untergrabendes Netzwerk bzw. System

Netzwerkvariable

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5. Empirie

Der empirische Teil der Arbeit gliedert sich in eine Zusammenfassung über den Forschungsstand zur vorliegenden Forschungsfrage, der Erklärung des Forschungs-prozesses und der Darstellung der Ergebnisse. Den Abschluss des Kapitels bildet die Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse.

5.1 Stand der Supervisionsforschung

Supervision als „junge“ Disziplin ist nach wie vor bemüht als eigenständige Profes-sion anerkannt zu werden. Demnach finden sich in der Forschung vor allem Arbeiten, die sich um die positiven Effekte von Supervision annehmen. Risiken und Schäden fanden bislang noch nicht das Interesse der wissenschaftlichen Community. Vor allem Petzold et al. betreiben die Weiterentwicklung der Forschung in Hinblick auf negative Effekte und nicht sichtbaren Wirkungen von Supervision. Petzold und Moser (2007) fordern von allen im Feld Beteiligten theoretische und empirische Forschungsanstrengungen und eine Qualitätskontrolle in Supervisionsprozessen.

Judith Kero (2010) analysierte im Rahmen ihrer Abschlussarbeit zur Supervisorin an der Donau-Universität Krems zwei Fachzeitschriften als Primärliteratur, nämlich

„OSC – Organisationsberatung Supervision Coaching“ und „Supervision: Mensch-Arbeit-Organisation“ und ging der Frage nach, ob und in welcher Form in diesen beiden Formaten allfällige unerwünschte Effekte, bezogen auf die Supervision, behandelt werden. Kero´s Untersuchung hat gezeigt, dass im Analysezeitraum 2000 bis 2009 in den beiden Zeitschriften publizierten Artikel nur 4 % Risiken, Schäden oder Nebenwirkungen von Supervision thematisieren.

Petzold, Schigl et al. (2003) kamen in ihrer Studie „Supervision auf dem Prüfstand“

zu ähnlichen Ergebnissen und halten fest, dass im Sinne der Unbedenklichkeit die Identifizierung von Fehlern oder Fehlerquellen und die Analyse von Schadensspuren im Mehrebenensystem „Supervision“ dringend zu fördern ist.

„Wo viel Licht, dort ist auch Schatten“ – Wirkungen, Nebenwirkungen, Risiken und Schäden durch Psychotherapie, Supervision und Beratung waren ein Forschungs-schwerpunkt von 2008 bis 2010 am Departement für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie der Donau-Universität Krems. Insbesondere wurde diese Studie der

60 Forderung nach der Wissenschaftlichkeit und im Besonderen nach der Unbedenklichkeit gewidmet. Schigl, Jutta Erhard und Petzold (2011) beleuchteten die negativen Effekte durch riskante und fehlerhafte Supervision und konnten aus ihren Daten ableiten, dass es bei Supervision sehr wohl Risiken gibt, die zu persönlichen und materiellen Schäden an den supervidierten Personen und Systemen führen (vgl. Schigl 2011, 132).

Das Datenmaterial der vorliegenden Arbeit wurde als Grundlage für einen ersten Umriss des Dunkelfeldes (Wahrnehmung der Expertinnen und Experten) herangezogen.

5.2 Forschungsdesign

Aufgrund der Fragestellung der vorliegenden Arbeit nach möglichen Risiken, Schä-den und Nebenwirkungen von Supervision, die von Supervisorinnen und Super-visoren ausgehen können, wurde als Erhebungsinstrument das Interview und die Gruppendiskussion mit Expertinnen und Experten in Supervision gewählt. Die Aufbe-reitung und Auswertung der Daten erfolgte mittels Qualitativer Inhaltsanalyse nach Phillip Mayring (2002).

Problemzentriertes Experteninterview

Das problemzentrierte oder offene, halbstrukturierte Interview mit Frageleitfaden bewährt sich als Erhebungsinstrument, um spezielles Sonderwissen von Expertinnen und Experten zu erheben. Die dem Interview vorangegangene Erhebung des Problems und der theoriegeleitete Problemanalyse liefert den Leitfaden, entlang dessen das Interview geführt wird. Dabei wird beabsichtigt, die Interviewpartnerin oder den Interviewpartner möglichst frei zu Wort kommen zu lassen, um so einem offenen Gespräch nahe zu kommen und dadurch spezielle Erfahrungen und speziali-siertes Wissen von den Expertinnen und Experten zu gewinnen und es als Exper-tenwissen zu rekonstruieren (vgl. Mayring 2002, 67 f).

Gruppendiskussion

Der Grundgedanke der Gruppendiskussion nach Mayring ist jener: „Viele subjektive Bedeutungsstrukturen sind so stark in soziale Zusammenhänge eingebunden, dass

61 sie nur in Gruppendiskussionen erhebbar sind. Hier können psychische Sperren durchbrochen werden, um auch zu kollektiven Einstellungen und Ideologien zu gelangen“ (Mayring, 2002, 77).

Durch die soziale Interaktion in der Gruppe wird eine Alltagsdiskussion nachgestellt, die subjektive Bedeutungsstrukturen entstehen lassen, wodurch es ermöglich wird, an öffentliche Meinungen, kollektiven Einstellungen und kollektives Wissen und Kompetenzen heranzukommen.

In der vorliegenden Arbeit ist die Diskussionsgruppe durch ihre Expertenschaft in Supervision definiert und somit real existent als Gruppe von Professionistinnen und Professionisten in Supervision. Die Leiterin oder der Leiter der Gruppendiskussion führt zu Beginn in die Problemstellung ein und ist folglich gefordert, einen selbstläufi-gen Diskurs einzuleiten und durch die Anbindung an die Fragestellung den Diskurs aufrecht zu erhalten. Die Diskussion soll jedoch wenig dirigiert und angeleitet werden. „Reizargumente“ (Mayring 2002, 78) seitens der Diskussionsleiterin oder des Diskussionsleiters, die bereits vorformuliert wurden, dienen dem Vertiefen in das Thema oder können einen ins Stocken geratenen Diskussionsprozess wieder in die Gänge bringen.

Wesentlich ist weiters, dass sich die Gruppe im Diskurs an kollektiven Erfahrungen orientiert und nicht individuelle Aspekte und Relevanzen einzelner Gruppenteil-nehmerinnen und Gruppenteilnehmer bearbeitet (vgl. Mayring 2002, 76 ff).

Leitfaden in den Interviews und der Gruppendiskussion

Der Leitfaden besteht aus Fragen, die gewährleisten sollen, dass bestimmte Themenbereiche angesprochen werden. Zugleich sollen die Fragen so offen formu-liert sein, dass die Interviewpartnerin oder der Interviewpartner die Möglichkeit hat, auf narratives Potenzial zurückzugreifen. Interviewleitfaden sollte aus diesem Grunde nicht zu umfangreich sein (vgl. Mayring 2002, 67 ff).

Auf die Ausarbeitung eines strukturierten Interviewleitfadens wurde für die Forschungsfrage der vorliegende Arbeit verzichtet, um unerwarteten Themendimen-sionierungen Raum zu geben. Es wurde ein zuvor ermittelter Themenkomplex als Einführung zu den Interviews bzw. zu der Gruppendiskussion genannt und drei Leit-fragen zu Beginn der Interviews bzw. zu Beginn der Gruppendiskussion gestellt, auf

62 die während der Interviews und in der Gruppendiskussion als Gedächtnisstütze immer wieder hingewiesen wurde:

Schäden, Risiken und Nebenwirkungen von Supervision:

1) Welche Beispiele von „bad practise“ der Supervisorinnen und Supervisoren fallen Ihnen dazu ein?

– Auf der Ebene der Supervisandinnen und Supervisanden?

– Auf der Ebene der Klientinnen und Klienten der Supervisandinnen und Supervisanden?

– Auf der Ebene der Auftraggeberinnen und Auftraggeber bzw. der Organisation?

2) Wodurch können Nebenwirkungen, Risiken und Schäden entstehen?

3) Wodurch können sie vermieden werden?

Da es sich um Expertinnen- und Experteninterviews handelt bzw. um eine Gruppen-diskussion mit Expertinnen und Experten in Supervision, konnte das Stellen von Sondierungs- bzw. Einstiegsfragen zur Thematik vernachlässigt werden, denn es ist davon auszugehen, dass der Themenkomplex den Beteiligten weitgehend bekannt ist und eine subjektive Bedeutung für sie besitzt. Wenn im Interview und in der Diskussion Aspekte aufgeworfen wurden, die für die Themenstellung oder für die Fortführung des Gespräches relevant und hilfreich waren, wurden spontan Ad-hoc-Fragen/ Nachfragen von der Interviewerin bzw. Diskussionsleiterin formuliert.

Expertinnen und Experten

Den Begriff „Expertenwissen“ haben Michael Meuser und Ulrike Nagel (2011) wie folgt definiert: „Expertenwissen ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ein als not-wendig erachtetes Sonderwissen und lässt sich als sozial institutionalisierte Exper-tise begreifen. Als Experte wird interviewt, wer sich durch eine institutionalisierte Kompetenz zur Konstruktion von Wirklichkeit auszeichnet“ (Meuser, Nagel 2011, 57).

Die Auswahl der Expertinnen und Experten für die vorliegende Forschungsfrage erfolgte nach den Kriterien, dass sie über eine langjährige supervisorische Praxis verfügen und in der Ausbildung von Supervisorinnen und Supervisoren tätig sind.

Darüber hinaus wurde darauf geachtet, dass ihre Expertise in der „Community of

63 Professionals“ allgemein anerkannt ist und allgemein davon auszugehen ist, dass sie Supervision „State oft the Art“ praktizieren bzw. lehren.

Es wurden 7 Einzelinterviews (4 Frauen, 3 Männer) geführt und eine Gruppen-diskussion mit 7 Teilnehmerinnen und Teilnehmer (3 Frauen, 4 Männer).

3 Interviewpartnerinnen und Interviewpartner der Interviews bringen einen systemi-schen Hintergrund mit. Die übrigen Interviewpartnerinnen und Interviewpartner und die Diskussionsteilnehmerinnen und Diskussionsteilnehmer verfügen über den inte-grativen Ansatz.

Durchführung der Interviews und der Gruppendiskussion

Im Vorfeld der Interviews wurde telefonisch mit den Interviewpartnerinnen und Inter-viewpartnern Kontakt aufgenommen und der Hintergrund des Forschungsinteresses der Autorin dargelegt und die vertrauliche und anonymisierte Bearbeitung der Inter-viewdaten zugesichert. Die ca. einstündigen Interviewtermine wurden in den Praxis-räumen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner durchgeführt. Die Gruppen-diskussion fand im Anschluss an eine an der Donau-Universität Krems abgehaltene Konferenz von Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren statt und umfasste eben-falls eine Stunde.

Aufbereitung der Daten

Während der Interviews bzw. der Gruppendiskussion fertigte die Autorin kurze Noti-zen an, um wesentliche Inhalte, die von den Interviewpartnerinnen und Interview-partner oder in der Gruppendiskussion eindrücklich formuliert wurden, festzuhalten.

Weiters diente die punktuelle Mitschrift als Stütze für den weiteren Gesprächsverlauf, um auf alle auf das Forschungsthema bezogenen relevanten Fragestellungen einzu-gehen und wesentliche Aspekte nicht zu vernachlässigen.

Die Interviews und die Gruppendiskussion wurden – nachdem das Einverständnis der Beteiligten eingeholt wurde – auf Tonband aufgezeichnet und wortwörtlich tran-skribiert. Nach Mayring gibt es für die wortwörtliche Transkription folgenden Grund-gedanken: „Durch wörtliche Transkription wird eine vollständige Textverfassung ver-bal erhobenen Materials hergestellt, was die Basis für eine ausführliche interpretative Auswertung bietet“ (Mayring, 2011, 89).

64 Auf die Aufzeichnung von Pausen oder Prosodie und die Beschreibung von Gestik oder Mimik wurde verzichtet, da es vorrangig um die Rekonstruktion von Erfahrun-gen und um spezifisches Wissen der Expertinnen und Experten ging. Um diese Aspekte jedoch nicht gänzlich zu vernachlässigen, flossen bei der Datenauswertung und Interpretation der Daten die handschriftlichen Protokolle der Autorin, die eine Aussage über diese Aspekte lieferten, mit ein. Die transkribierten Texte wurden ano-nymisiert und mit Zeilennummern versehen. Die Expertinnen und Experten der Inter-views wurden mit den Buchstaben A bis G durchnummeriert, die Gruppenteilnehme-rinnen und Gruppenteilnehmer mit den Buchstaben GA bis GG.

Auswertung der Daten

Die Auswertung der Daten erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring (2002). Als Grundlage der Analyse diente das transkribierte Tonband-material aus den Interviews und der Gruppendiskussion.

Die qualitative Inhaltsanalyse berücksichtigt im Vergleich zur qualitativen Inhaltsanalyse den Kontext von Textbestandteilen, latente Sinnstrukturen, markante Einzelfälle und das, was im Text nicht vorkommt Dabei wird eine systematische Technik angewandt, die streng methodologisch kontrolliert und das Textmaterial schrittweise analysiert. Entlang der Materialanalyse wird sodann ein theoriegeleitetes Kategoriensystem entwickelt, das eine Zuordnung von Textstellen zu den jeweiligen Kategorien ermöglicht (vgl. Mayring, 2002, 114 f).

Bei der Auswertung der Daten wurde folgendermaßen vorgegangen:

Nach dem Studium der entsprechenden Literatur und der Berücksichtigung eigener Vorannahmen zur Fragestellung wurden die Aspekte der Fragestellung als Kategorie definiert und ein Abstraktionsniveau verfolgt. Mit dieser Logik wurde Zeile für Zeile jedes Interviews durchgearbeitet. Die in Bezug auf die Fragestellung relevanten Textstellen der Interviews wurden danach in Tabellen übersichtlich geordnet, in zwei weiteren Schritten analysiert und zuletzt den möglichen Kategorien zugeordnet.

65 Das folgende Beispiel zeigt einen Ausschnitt des oben beschriebenen Forschungsprozesses:

Nach Anführen des Zitates stellt Paraphrase 1 eine allgemeine Beschreibung des Zitates dar, Paraphrase 2 schafft eine weitere Abstraktion durch Stichworte, um in einem 3. Schritt eine Überthematik zu definieren, die einer theoriegeleiteten Kategorie zugeordnet wird.

Exp. Zeile Text Paraphrase 1 Paraphrase 2 Überthematik Kategorie GC 14/ 457-

66 5.3 Darstellung der Ergebnisse

Die nachfolgenden Ausführungen versuchen „Licht ins Dunkel“ der Schattenseiten von Supervision zu bringen und beleuchten jene Kategorien mit besonders hohem Potenzial an Risiko und Fehleranfälligkeit, die mit negativen Effekten konnotiert sind.

Im ersten Unterkapitel dieses Abschnittes werden jene Kategorien angeführt, in denen erhöhtes Risiko- und Fehlerpotenzial verortet wird und es werden Hauptaussagen zitiert, die theoriegeleitet den jeweiligen Kategorien zugeordnet wurden.

Das aus der Perspektive der Expertinnen und Experten umrissene Feld von Risiken – Fehlern – Schäden und Nebenwirkungen ermöglicht es sodann, Definitionen für die einzelnen Begriffe zu extrahieren. Im letzen Abschnitt dieses empirischen Teils wird angeführt, in welchen – von Supervision betroffenen – Ebenen die Schadens-spuren sichtbar werden.

5.3.1 Persönlichkeit der Supervisorin, des Supervisors

Das höchste Risiko mit persönlichen Schadensfolgen bringen die Expertinnen und Experten mit der Person und der Persönlichkeit der Supervisorin, des Supervisors in Verbindung. Zahlreiche Beispiele weisen auf Fehler mit Schadenswirkung durch Selbstüberschätzung oder Überheblichkeit (der Supervisorinnen und Supervisoren und der Gefahr der Verletzung der Integrität (Kapitel 3.2) der am Supervisions-prozess beteiligten Personen hin. Des Weiteren wird die mangelnde Passung (Kapitel 4.2.2), die von der Supervisorin oder dem Supervisor nicht als solche erkannt wird, dieser Kategorie zugeordnet.

Selbstüberschätzung

Supervisorinnen und Supervisoren mit eigenen Selbstwertdefiziten oder narzisstischen Problemen können sich den Supervisandinnen und Supervisanden gegenüber überlegen präsentieren und die Rolle der Beratungsexpertin oder des Beratungsexperten für den eigenen Geltungsdrang missbrauchen und die

67 „… Supervisorenmacht genießen, statt sich als Mitexpertin oder Mitexperten zu verstehen“ (D, 5/ 164 –166).

„Also ich glaube, dass der ganze Beratungs-, Supervisions-, Psychotherapiebereich – das ist vielleicht ein heikles Thema – Leute anzieht, die manchmal selber Probleme haben, die sie nicht gelöst haben“ (A, 6/ 183–187).

Eine weitere Interviewpartnerin sieht bei professionell durchgeführter Supervision keine Schadensrisiken durch das Beratungsformat angesiedelt. Für Schäden sei alleine die Persönlichkeit der Supervisorin oder des Supervisors verantwortlich:

„Man kann mit der Supervision – wenn ich jetzt frech sag – nicht so wahnsinnig viel anrichten. Man kann sehr viel Unterstützendes tun, aber wirklich Schäden verur-sachen … weiß ich nicht … wenn jemand mal aus dem professionellen Rahmen raus fällt und jemanden beleidigt oder jemanden aufhetzt gegen seinen Vorgesetz-ten, oder so etwas“ (E, 3/ 69–73).

Ein weiteres Zitat im Zusammenhang von persönlichem Schaden oder Kränkung:

„Wenn die Wertschätzung fehlt, wenn die Menschen das Gefühl haben, sie werden nicht beachtet oder gehört. Nicht wertgeschätzt oder weniger als andere oder wenn indoktrinierend gearbeitet wird … wenn der Supervisor, die Supervisorin seine eige-nen Vorstellungen missionarisch da irgendwie zu vertreten versucht und dadurch verunsichert oder manipuliert“ (B, 7/ 231–238).

Verunsicherung oder der Verlust von Vertrauen entstehe auch bei nichtneutralem Verhalten der Supervisorin, des Supervisors. Wenn sich die Supervisorin, der Supervisor in einer Auseinandersetzung auf eine Seite stellt ist das Vertrauen gefährdet (vgl. G 1/ 27–29). Die Supervisorin, der Supervisor ist hierbei persönlich gefordert, die psychische Alleinstellung, die professionelles Vorgehen erfordert, aus-zuhalten und kein Bündnis, weder mit den Supervisandinnen und Supervisanden, noch mit der Auftraggeberin oder dem Auftraggeber einzugehen.

Die Verflechtung der Supervisorin, des Supervisors mit einzelnen Supervisandinnen oder Supervisanden oder mit der Einrichtungsleitung wird ebenfalls als sehr kritisch gesehen. Es kann die allparteiliche Haltung gefährdet sein und es können

persönli-68 che Interessen verfolgt werden. Ein Interviewexperte konnte in seinem Umfeld beobachten, dass eine Supervisorin gegen die abwesende Leiterin agierte:

„Und dann habe ich auch noch mitgekriegt, die hat einen persönlichen Zorn, die Supervisorin mit der betreffenden Leiterin“ (GE 15/ 477– 479). Diesem Zitat geht voran, dass der betreffende Experte einerseits besorgt und andererseits auch beruhigt ist, dass die Supervisorin keine Supervisionsausbildung hat, die sie evtl.

professioneller vorgehen ließe (vgl. GE 14/ 15/ 469– 477).

Ein Experte ist der Meinung, dass durch Supervision das Machtpotenzial der Supervisandinnen und Supervisanden gefördert werden kann und die Folgen dieser Machtausübung nicht absehbar sind:

„Ich erlebe die Möglichkeit von Risiken und Schäden dann besonders, wenn die Supervisanden in einer beruflichen Rolle sind, wo sie eindeutige Macht haben. Weil dann auch die Supervision in ein interessantes Spannungsfeld kommt. Weil es geht ja darum, die Supervisanden zu stärken und zu stützen. Ein einfaches Beispiel: eine sozialpädagogische Wohngemeinschaft … ein Jugendlicher macht die Betreuer einfach fertig. Und wo es um diese Frage geht: Was immer ich mache, was machen die Supervisanden dann damit? Wenn ich sie menschlich bestärke und stütze, dann bestärke ich sie unter Umständen auch in ihrer Gewaltausübung oder dass sie den Jugendlichen rausschmeißen oder sonst wie was gegenüber dem Klienten“ (GA, 15/ 16/ 505–514).

Mangelnde Passung

Die „Passung“ (Kapitel 4.2.2) trägt wesentlich zum Gelingen eines Supervisions-prozesses bei. Das heißt, der Teil der Passung, der auf der persönlichen Ebene an-gesiedelt ist und auf die Herstellung einer tragenden, vertrauensvollen Arbeitsbasis abzielt:

„… dass eine Supervisorin vielleicht nicht zu einem Team passt, weil sie eine andere Sprache spricht, weil sie andere Vorstellungen hat, wie intensiv man reflektieren muss. Und da komme ich wieder an die Grenze der Professionalität, wenn sie nicht kapiert, was eigentlich der gangbare Weg des Teams ist, wenn sie sich entfernt und dann wird sie zurecht als schlechte Supervisorin betitelt“ (E, 7/ 235–239).

69 Fach- und Feldkompetenz

Als Fachkompetenz wird das Wissen um den Theorie- und Forschungsstand eines Fachgebietes genannt und ist zu unterscheiden von der Feldkompetenz, die das Wissen um die Bedingungen einer bestimmten „social-world“ (Kapitel 2.4) kennzeichnet.

Beide Kompetenzbereiche wurden von den Expertinnen und Experten für einen gelungenen Supervisionsprozess grundsätzlich vorausgesetzt:

„Und im dem Moment, wo es um Patientenarbeit geht und nicht wissen was eine ICD10-Diagnose ist, wie soll das denn gehen. D.h. das ist ein Risiko in der mangelnden Feld- und Fachkompetenz“ (D, 5/ 151–153).

„Natürlich ist es so, dass ich denke, der Hauptfehler ist eigentlich, dass man die Dynamik des Feldes übersieht. Dass man nicht fragt, wo gibt es da Abbildungsphänomene oder so“ (E, 8/ 259–260).

Einzelne Aussagen in den Interviews und der Gruppendiskussion zur Feld- und Fachkompetenz beschreiben diese Kriterien etwas kritischer:

„Das ist ein schwieriges Kapitel … Also ich finde es nicht gut, wenn man aus dem Feld kommt oder noch mit ihm verhaftet ist und diese viel berühmten blinden Flecken hat … Wenn man aber überhaupt keine Ahnung hat, was dort eigentlich an Themen und Fragestellungen eine Rolle spielen, ist das genau so schlecht“ (E, 4/ 130–134).

Eine Expertin beschreibt zu viel Fach- und Feldkompetenz dann als schädlich, wenn jemand der Verführung unterliegt, zu nahe an die Erwachsenenbildung bzw. an einen Seminarbetrieb zu kommen.

„Und dort kann Supervision schaden, wo Supervision dazu dient, die eigenen Vorstellungen von dem Job zu transportieren … wobei es schon sein kann, dass ein fachliches Know-how in Supervision seinen Platz hat“ (B, 4/ 5, 172–181).

Interpretation:

Die Persönlichkeit der Supervisorin, des Supervisors, derer oder dessen ethische Grundhaltung sowie das Verhalten beeinflussen maßgeblich die supervisorische Arbeit. Da das Kernstück einer vertrauensvollen supervisorischen Arbeit und eines

Die Persönlichkeit der Supervisorin, des Supervisors, derer oder dessen ethische Grundhaltung sowie das Verhalten beeinflussen maßgeblich die supervisorische Arbeit. Da das Kernstück einer vertrauensvollen supervisorischen Arbeit und eines

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