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4. Risiko in Supervision

4.1 SAS-Modell

Elisabeth Holloway (1998) hat einen praxisbezogenen Ansatz für Supervision in psychosozialen Feldern entwickelt, der es SupervisorInnen ermöglicht, das Fehler- und Risikopotential so gering wie möglich zu halten. Dieser Ansatz ermöglicht mittels eines Modells – dem „Systemorientiertes Arbeiten unter Supervision“ – zu reflektie-ren, welche Faktoren in Supervision zum Tragen kommen. Dabei nimmt die Spra-che, die Haltung und Intuition eine zentrale Position ein. Kommunikation und Inter-aktion zwischen Supervisorinnen bzw. Supervisoren und ihren Supervisandinnen bzw. Supervisanden werden dabei unter einer äußert pragmatischen Perspektive betrachtet. Holloway geht davon aus, dass jeder Supervisionsprozess in sieben Dimensionen zerlegt werden kann. Wobei die Supervisionsbeziehung den Kernfaktor darstellt, der mit den jeweiligen Dimensionen bzw. Variablen verbunden ist. Die Variablen stehen in einem dynamischen Prozess zueinander, sind vernetzt und beeinflussen sich gegenseitig (vgl. Holloway 1998, 27 f).

Petzold (1998) erweiterte in der Tradition des vernetzenden Denkens des integrati-ven Ansatzes das Modell von Holloway um acht weitere Dimensionen, die ökonomi-sche, politische und soziale Einflüsse und Theorien und relevante historische

45 Diskurse (im Sinne Foucaults) berücksichtigen. Somit umfasst das Modell derzeit 15 Variablen (vgl. Petzold 2007, 33 ff).

- Variable supervisorische Beziehung

Diese Variable, auch Beziehungsvariable genannt, bildet das Kernstück der super-visorischen Arbeit. Im Zentrum stehen das Arbeitsbündnis und eine gute, intersub-jektive Beziehungsqualität. Der Diskurs zwischen SupervisorInnen und ihren Super-visandInnen, die Beziehung zwischen SupervisandInnen und ihren KlientInnen, die Beziehungsprobleme der KlientInnen in ihrem Umfeld und die Reflexion des ganzen Geschehens vor ökonomischen, politischen und sozialen Einflüssen, kommen hier zum Tragen.

- Feldvariable

Die „Felder“, z. B. der Psychiatrie, des Heimwesens, der Drogenarbeit, zählen zu den Kontextfaktoren und sind geprägt von jeweils spezifischen unterschiedlichen Tradi-tionen, Strukturmerkmalen, andere gesellschaftliche Bedeutung und Ressourcen-lage, die für den Supervisionsprozess insgesamt starke Einflussgrößen bilden.

Daraus resultierend spricht man von fundierter „Feldkompetenz“, die in einer reflexi-ven Sichtweise wirksame Diskurse in den jeweils betroffenen Feldern fördert.

- Institutions- und Organisationsvariable

Die jeweilige Institution oder Organisation, in der PatientInnen oder KlientInnen be-treut werden, hat eigene Bedingungen und es gilt, diese Einrichtungen mit ihren jeweiligen Bedingungen zu erkennen, zu verstehen und deren Einflüsse zu nutzen.

- SupervisorInnenvariable

Die Supervisorin oder der Supervisor, als Mensch mit der jeweiligen personalen, sozialen und professionellen Kompetenz und Performanz ist eine zentrale Einfluss-größe im Supervisionsprozess. Vertrauenswürdigkeit, Kreativität, Einfühlungsvermö-gen, Rollenflexibilität und Expertenkompetenz sind hier gefragte Persönlichkeits-variablen.

46 - Funktionsvariable

Die Funktion von Supervision ist vielfältig und umfasst Strategien, die auf Heilen, Bewältigen, Stützen, Erweiterung, Bereicherung und Selbstermächtigung abzielen.

Beobachten und Reflektieren wird ebenfalls dieser Supervisionsvariable zugeordnet.

- Methodenvariable

Die Kombination von verbalen und aktionalen Methoden und kreative Medien sind die technischen Faktoren von Supervision, die auch die Qualität und den Verlauf von Supervision bestimmen.

- Variable Beratungsbeziehung

Neben der supervisorischen Beziehung stellt die Beziehung zwischen Supervisand-Innen oder KlientSupervisand-Innen einen weiteren Kernfaktor dar. Unter Berücksichtigung der Relationalitätsmodi Kontakt, Begegnung, Beziehung, Bindung und Abhängigkeiten wird hier Bezug genommen auf die Übertragung/ Gegenübertragung und Widerstand- und Abwehrphänomene.

- Effektvariable

Die Effekte, auch technische Faktoren von Supervision genannt, sind überwiegend auf eine Verbesserung des Handelns der SupervisandInnen in der Zukunft ausge-richtet. Nicht nur Ergebnisse aus der Vergangenheit und Gegebenheiten der Gegenwart, sondern auch Konditionen an die Zukunft haben Einfluss auf die Ereig-nisse im laufenden Supervisionsprozess.

- Aufgabenvariable

Diese Variable beschreibt die Aufgaben der Supervisorin oder des Supervisors, die auf eine Förderung und Erweiterung der Fähigkeiten der SupervisandInnen abzielen.

Maßgeblich ist dabei die Art und Weise, wie die Aufgaben in der Supervision umgesetzt werden.

47 - SupervisandInnenvariable

Der Erfolg von Supervision hängt auch von der Persönlichkeit, den Stärken und Schwächen und von dem Grad der Professionalisierung der SupervisandInnen ab.

- KlientInnen-/ PatientInnenvariable

Einen zentralen Stellenwert im Supervisionsprozess nimmt die Problemstellung, die Persönlichkeit, die soziale und gesundheitliche Verfassung der KlientInnen bzw.

PatientInnen der SupervisandInnen ein.

- Netzwerkvariable

Unter Netzwerkvariable sind die sozialen Bezüge, die Vorstellungswelt und die mikroökologische Situation der KlientInnen, der SupervisandInnen zu verstehen.

Hier wird der Großteil der Probleme der Klientel der SupervisandInnen verortet.

Die/ Der Supervisor wird hier selbst Teil des Netzwerkes und somit kommt das

„Mehrebenenmodell“ zum Tragen.

- Sozioökonomische Situation

Die wirtschaftliche und soziale Situation der KlientInnen der SupervisandInnen und das zugehörigen Netzwerkes ist immer wieder auch von globalen Faktoren wie z. B.

gesundheitspolitischer Kontext, beeinflusst welche im supervisorischen Geschehen zu berücksichtigen sind.

- Diskursvariable

Die supervisorische Beziehung und Beratungsbeziehung werden geprägt von Diskursen, die davon ausgehen, dass in Institutionen/ Organisationen und Feldern offene und verdeckte Prinzipien von Machtausübung zum Tragen kommen.

- Prozessvariable

Supervisorisches Geschehen ist prozessuales, systemisches Geschehen mit tempo-ralen, psychodynamischen und ökologischen Einflussgrößen, deren Dynamik Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg einer Supervision haben können.

48 4.2 Besondere Risikopotenziale von Supervision

Dieser Abschnitt ist den besonderen Risiken und Schattenseiten von Supervision gewidmet. Denn: „Ein Beratungssetting ist nur so gut, wie seine Schattenseiten bekannt, vertraut und damit handhabbar sind“ (Heidi Möller 2005, 149).

4.2.1 Diagnose

Die Erstellung einer Diagnose mit den Auftraggeberinnen, Auftraggebern steht vor dem Beginn eines Supervisionsprozesses. Es sollte nicht passieren, dass Super-visorinnen bzw. Supervisoren einen Auftrag 1:1 übernehmen. Die Freiheit der eige-nen diagnostischen Einschätzung müssen sich Supervisorineige-nen; Supervisoren erhalten, um eine fachlich sinnvolle und unterstützende Beratung anbieten zu kön-nen. Eine unreflektierte Diagnoseübernahme stellt einen Kunstfehler dar. Trotzdem ist die subjektive Problemdarstellung eines Systems nicht unwesentlich und reprä-sentiert einen wichtigen Pfeiler zur Diagnosefindung (vgl. Möller 2005, 154 f).

Kornelia Rappe-Giesecke (2000) beschreibt die „Vorphase der Beratung“ als beson-ders bedeutsam, um über die Rolle und Funktion der Supervisorinnen bzw. Super-visoren zu verhandeln und gegebenenfalls unerfüllbare Problemlösungsvorstellungen von Seiten der Auftraggeberinnen oder Auftraggeber aufzudecken (Rappe-Giesecke, 2000, 18).

Die diagnostische Phase dient – wie in der Medizin oder Psychotherapie – zur Abklä-rung, welches Mittel oder welches Beratungsformat zur vorliegenden Fragestellung das geeignetste ist. Supervision kann u. U. nicht das richtige Beratungsformat sein und Schäden ins System bringen.

4.2.2 Richtiges Setting

Die Auswahl des Settings, d. h. welche Personen oder Personengruppen am Super-visionsprozess teilnehmen ist wesentlich für das Gelingen einer Problemlösung und sollte in die Phase der Diagnosefindung einbezogen werden (vgl. Rappe-Giesecke 2000, 19).

49 Auftraggeberinnen und Auftraggeber bzw. Vorgesetzte bestehen z. B. darauf, „das Team auf Linie zu bringen“, wobei sie eigenen Anteile und Veränderungspotenziale als Führungskraft außer Acht lassen. Es ist ein Fehler, wenn Supervisorinnen oder Supervisoren ein vorgegebenes Setting unhinterfragt übernehmen und die Teil-nahme der Leitung an der Teamsupervision nicht thematisieren (vgl. Möller 2005, 154 ff).

Pühl (2009) berichtet über „Schwierige Situationen in der Supervision“ und hebt hervor, dass es auch fallweise angebracht sein kann, – entgegen der allgemeinen Haltung – über Abwesende doch zu sprechen, um Tabuthemen sichtbar und in weiterer Folge gemeinsam mit allen Beteiligten klärbar zu machen (vgl. Pühl 2009, 128 f). Die Frage nach der Bearbeitbarkeit von Themen impliziert somit auch im lau-fenden Supervisionsprozess die Frage nach dem Setting und seine darin liegende Dynamik.

Dem Setting wird auch die Frage nach der „Passung“, ob eine Supervisorin, ein Supervisor zu einem Team oder einem Auftrag passt, zugeordnet. Die Integrative Theorie definiert den Passungsbegriff, der nicht aus der Technik, sondern aus der Physiologie und der Biologie entnommen wurde, wie folgt: „Im Integrativen Ansatz werden die Prozesse dynamischer Regulation zwischen Systemen als Passung bezeichnet, die eine hinlänglich gute, wechselseitige Adaptierung bzw. Synchronisa-tion ermöglichen und gewährleisten. Passung ist eine Grundbedingung von Affiliation“ (Petzold 2000h, cit. Petzold 2007, 404).

4.2.3 Aufgabenorientierung

Das berufliche Handeln ist der Ausgangs- und Bezugspunkt für die Reflexionsarbeit zu bestimmten Fragestellungen in Supervisionsprozessen. Dabei ist die Aufgaben-orientierung im Hinblick auf die Arbeit mit den Klientinnen, Klienten oder der Erledi-gung von Verwaltung- und Organisationsaufgaben zentraler Gegenstand von Themen in Supervision (vgl. Angela Gotthardt-Lorenz 2000, 58).

Konflikte zu Personalisieren und das Anliegen, affektive Prozesse im Team zu fokussieren, ist eine weit verbreitete Zuschreibung an Supervision in der Arbeitswelt.

50 Der positive Verlauf einer Supervision ist gefährdet, wenn die Supervisorinnen oder Supervisoren die Teamsupervision als gegen die Vorgesetzten abgeschirmtes Unterfangen begreift. Oft neigen Führungskräfte zu einer Personalisierung von Pro-blemen und lassen strukturelle Mängel unberücksichtigt. Dabei kann es zu einer destruktiven Dynamik führen und zu schwerwiegenden Auswirkungen kommen. Den Fokus in der Supervision ausschließlich auf individuelle Probleme zu legen, kann mitunter Mobbingprozesse in Arbeitsteams unterstützen (vgl. Möller 2005, 152).

4.2.4 Ressourcenorientierung

Supervision hat den Anspruch, ressourcenorientiert zu beraten. Beratungsgegen-stand bilden nicht der Mangel, das Leiden, sondern die Stärken, Erfahrungen und Potenziale.

Stärker als die Psychotherapie richtet Supervision den Blick auf die Förderung der Autonomie von Systemen. Der gesunde Teil des Systems wird zum Verbündeten der Supervisorin oder des Supervisors. Ziel dabei ist es, dem klagenden, jammernden und leidenden Team seine gesunden und förderlichen Anteile sichtbar und zugäng-lich zu machen und modellhaft Handlungskompetenzen zu fördern. Gelingt es den Supervisorinnen, Supervisoren nicht, den Beratungsfokus weg von der pessimisti-schen Grundhaltung zu lenken, kann es sein, dass sich eine depressive, resignative Grundstimmung manifestiert. In jedem Fall sind diese affektiven Reaktionen des Teams, von Teilgruppen des Teams oder von einzelnen Teammitgliedern von den Supervisorinnen, Supervisoren wahrzunehmen und in einen Zusammenhang inner-halb der Organisation zu bringen. Erst dann kann das Phänomen aufgegriffen und einem lösungs- und erfolgsorientierten Beratungsansatz zugeführt werden. Der Leidensdruck, den ein Team in der Supervision zeigt, kann aber auch ein Spiegel-phänomen der Klientel der Supervisandinnen, Supervisanden sein. Eine professio-nelle Distanz zum Beratungsfeld der Supervisandinnen, Supervisanden ermöglicht es, der Supervisorin, dem Supervisor, dieses Spiegelphänomen zu erkennen und mit dem Team kognitiv aufzuarbeiten. So kann modellhaft in der Supervision eine nach-haltige salutogene Perspektive erarbeitet werden. Ressourcenorientierung in der Supervision soll somit weg von verletzungsträchtigen Aspekten führen.

51 Bei emotional belastend besetzten Themen ist zu prüfen, ob statt auf die intergrup-pale Ebene auf die fachlich und organisationsstrukturelle Ebene fokussiert werden sollte (vgl. Möller 2005, 153 f).

Fixierungen auf persönliche und soziale Pathologien sind in Supervision aufzuzei-gen, um sie sichtbar zu machen und sie dadurch einer Veränderung zuzuführen und Selbstwirksamkeit (Flammer 1990) zu fördern. Die Supervisionsstrategien und -ziele – Curing, Coping, Support, Enlargement, Enrichment, Empowerment (Petzold et al.

1998) – unterstützen somit ressourcenorientiertes Arbeiten im Mehrebenensystem (vgl. Petzold 2007, 140 f).

4.2.5 Wahl der Interventionsebene

Es kann sich mitunter bei der Wahl der Interventionsebene um eine riskante Ent-scheidung handeln, die nicht rational begründet ist. Die Supervisorin, der Supervisor kann mit ihrer bzw. seiner Intuition und Berufserfahrung Hypothesen entwickeln, die mit der Problemdarstellung des Teams nicht auf den ersten Blick erkennbar überein-stimmen, sich für einen positiven Verlauf des Supervisionsprozesses jedoch auf-drängen. Entscheidet sich nun die Supervisorin, der Supervisor eine Hypothese als Supervisionsgegenstand anzubieten, kann die Supervision einen positiven Verlauf nehmen, wenn die Hypothese zutrifft. Es kann aber auch zu Widerstand und Unver-ständnis seitens des Teams führen, sollte die Hypothese nicht den realen Umstän-den entsprechen (vgl. Möller 2005, 154).

Die Entscheidung der Supervisorin, des Supervisors zur Unterstützung einer Inter-vention eine bestimmte kreative Methode zu verwenden, wie z. B. ein Rollenspiel kann zu einem Widerstand seitens der Supervisandinnen, Supervisanden führen, der durch die Wahl der Methodik hervorgerufen wurde. Mathias Schubert (2004) begrün-det den Widerstand, der durch den Einsatz von kreativen Improvisationen entstehen kann, durch das Risiko der Grenzziehung zur Psychotherapie und unter Umständen einen damit einhergehenden Verlust der Selbstkontrolle der Supervisandinnen und, Supervisanden, der in Supervision nicht angebracht ist. Die Ungewissheit darüber, welche biografischen Inhalte in Supervisionsprozessen dadurch evoziert werden können, stellen ein Risiko in Supervision dar (vgl. Schubert, 2004, 53 ff).

52 4.2.6 Technischer Widerstand

Die weiche, prozessuale Seite der Umstrukturierungen bleibt oft unversorgt. Gute Supervisorinnen und Supervisoren jedoch wissen um die Bedeutung der Arbeit mit dem Widerstand. „Dem Wunsch nach Einsicht und Veränderung steht derjenige, etwas zu verdecken und beim Erreichten zu verharren, entgegen“ (Graf-Deserno, Deserno 1998, 18, cit. Möller 2005, 156). In jedem Beratungsprozess lässt sich das Phänomen der „resistance to change“ (Levin 1963) finden. Angst um eigene Privile-gien, Verlust von Macht und Handlungsfreiräumen können Widerstände erzeugen, die Veränderungsprozesse verhindern. Supervisorinnen, Supervisoren benötigen eine psychodynamische Perspektive, um verborgene Konflikte in der Organisation zu erkennen und Affekte wie Neid, Rivalität, Macht und Bloßstellungsängste zu berück-sichtigen

Widerstand in einem Team kann aber auch durch einen technischen Fehler der Supervisorin, des Supervisors verursacht werden, wenn durch eine falsch gestellte Indikation eine unpassende methodische Vorgehensweise gewählt wurde, die weder zum Thema noch zum Setting passt (vgl. ibid., 156 f).

Möller (2005) bezieht sich auf Fürstenau (1998), der aus der systemische Perspek-tive auf den Widerstand blickt und die Gefühle der Supervisorinnen bzw. der Super-visoren: „Gefühle des Supervisors von Ohnmacht und Hilflosigkeit sind ein Zeichen dafür, dass der Supervisor etwas will, was der Verfassung des Klientensystems gegenwärtig nicht entspricht“ (Fürstenau 1998, 80, cit. ibid., 157).

In der Integrativen Theorie wird Widerstand mit der Sorge um Kontrollverlust der Supervisandinnen, Supervisanden in Verbindung gebracht und dafür eingesetzt, den

„Reaktanz-Begriff“ zu erweitern: „Reaktanz ist ein Sammelbegriff für alle Verhaltens-weisen, mit denen sich ein Individuum bei unerwarteter Frustration gegen Einschrän-kungen zur Wehr setzt. Solche Verhaltensweisen können erhöhte Anstrengung, Aggression oder demonstratives Ersatzverhalten sein“ (Flammer 1990, cit. Petzold 2007, 413).

53 4.2.7 Abstinenz und Triangulierung

Es ist wichtig, dass es der Supervisorin, dem Supervisor gelingt, die „Ver-schmelzung“ mit dem Auftraggeber bzw. der Auftraggeberin zu vermeiden. Die psychische Getrenntheit von Team, Klientel und Institution muss aufrecht erhalten werden, was als aktive Abstinenz bezeichnet wird. Die Supervisorin, der Supervisor ist dabei gefordert, die Unterscheidungsfähigkeit der Rollen zu wahren, ohne zu pola-risieren. „Abstinenz bedeutet die Fähigkeit zu haben, das Ineinanderwirken perso-naler und organisatorischer Strukturen wahrzunehmen und dennoch die beiden Perspektiven gesondert voneinander zu halten“ (Möller 2005, 158).

Unter Triangulierung bzw. Triangulierungskompetenz ist zu verstehen, dass Super-visorinnen und Supervisoren das Spannungsverhältnis im Dreieck zwischen Team – Leitung – SupervisorIin bzw. Supervisor aushalten und die „Triadische Grundangst“

(Pühl 1998), die Angst ausgeschlossen zu werden, adäquat bewältigen müssen. Es gilt, ein hohes Maß an Fremdheit aushalten und weder einen Pakt mit den Auftrag-geberinnen bzw. Auftraggebern noch mit den SupervisandIinnen, Supervisanden einzugehen, was besonders in Teamsituationen deutlich wird. Emotionale und finan-zielle Unabhängigkeit der Supervisorinnen, Supervisoren schützt prophylaktisch vor Bündnisbildung (vgl. ibid. 159).

4.2.8 Übertragungsphänomene in der Supervision

In Anlehnung an Sigmund Freud (1895) beschreibt Möller Übertragungsphänomene als verloren gegangene Erinnerungen, die sich im Beratungsprozess als Wieder-holungszwang zeigen. In Beratungssituationen spricht man im Gegensatz zu psychodynamischen Behandlungssettings von „spontanen Übertragungen“ (Möller 2005, 160).

Nach Bernd Oberhoff (1998) werden Übertragungsphänomene in der Supervision als Wiederholung misslungener Problemlösungsversuche von Beziehungserfahrun-gen in der VerganBeziehungserfahrun-genheit. Dabei setzt Oberhoff diese WiederholunBeziehungserfahrun-gen mit dem Wunsch nach Auflösung gleich und leitet eine optimistische Haltung für Beratungs-prozesse ab. Übertragungen zeigen somit den Wunsch, defizitäre Beziehungsmuster zu überwinden und im Mehrebenensystem (Petzold) begegnungsfähiger und

54 arbeitsfähiger zu werden. So können sogar missglückte Beziehungserfahrungen in der jeweiligen Biografie mittels einer gelungenen Übertragungsauflösung korrigiert und zeitversetzt „Genesung“ ermöglicht werden (vgl. ibid., 161).

In Anlehnung an die analytische Perspektive von Melanie Klein beschreibt Möller weiters eine weniger optimistische Betrachtung von Veränderungsmöglichkeiten von Übertragungsmustern in Organisationen bzw. Supervisionsprozessen: „Übertragung in diesem Verständnis ist nicht per se pathologisch, sondern Ausdruck der beständi-gen Externalisierung innerer Objekterfahrung, der inneren Welt auf die Bühne der äußeren Welt, das Außen“ (ibid., 161). Wenn jedoch diese Haltung rigide wird und neuen Erfahrungen und dadurch Modifikationen verinnerlichter Objekte verhindert wird, bedarf es einer Arbeit an diesem Veränderungswiderstand. Übertragungs-phänomene in der Supervision ihrem Sinn nach zu verstehen, sie als Diagnostikum zu nutzen, sie rückzubinden an die Klientel, an die Gruppendynamik und an die institutionellen Bedingungen, scheint die Methode der Wahl und ist eine nicht zu vernachlässigende Dimension in Supervisionsprozessen. Übertragungen lassen sich auf diese Weise bearbeiten und so weit wie möglich auflösen. Dabei sollen sich Supervisorinnen und Supervisoren darum bemühen, die Übertragungsdynamik auf ihre Person so gering wie möglich zu halten (vgl. ibid., 161 f).

Petzold (2007) ergänzt das Konzept der Übertragung für Relationalitätsphänomene in Supervision um das Konzept der „Affiliation“ und beschreibt es in Unterscheidung zu anderen Relationalitätsmodi wie folgt: „Affiliation ist das intrinistische Bedürfnis der Menschen nach Nähe zu anderen Menschen in geteiltem Nahraum, zu Men-schengruppen mit Vertrautheitsqualität, denn die wechselseitige Zugehörigkeit ist für das Überleben der Affilierten, aber auch der Affiliationsgemeinschaft insgesamt, grundlegend: für die Sicherung des Lebensunterhalts, für den Schutz gegenüber Feinden und bei Gefahren, für die Entwicklung von Wissensständen und Praxen, die Selektionsvorteile bieten konnten. Mit diesem Affiliationsnarrativ als Grundlage der Gemeinschaftsbildung konnten die Hominiden gesellschaftliche und kulturelle Formen entwickeln, die sie zur erfolgreichsten Spezies der Evolution gemacht haben“ (Petzold 2007, 375). Die richtige Deutung der Relationalitätsmodi (Affiliation, Reaktanz, Übertragung, Beziehung, Bindung) in Supervision liefert die Basis für die

55 Wahl der weiteren Vorgehensweise für die Supervisorinnen bzw. Supervisoren und reduziert somit das Fehler- und Schadensrisiko.

4.2.9 Endliche versus unendliche Supervision

Bei der Frage ob Supervision ein dauerhafter Begleiter sein soll oder eine zeitliche Begrenzung vorzuziehen ist, plädieren Pühl (1998), Fürstenau (1998) und Rappe-Giesecke (2003) klar für eine zeitlich begrenzte Supervision. Supervision als fixer Bestandteil und Reflexionshilfe im organsiationalen Alltag gerät immer mehr in den Hintergrund.

So soll die Kontrakterstellung mit den Auftraggeberinnen oder Auftraggeber unter Berücksichtigung einer Diagnose, den festgelegten Zeitraum für den Supervisions-prozess beinhalten. Nach einer Arbeitsphase von fünf bis fünfzehn Sitzungen soll die supervisorische Arbeit beendet werden oder es gibt neue Schwerpunktsetzungen, Aufgaben und Ziele. Der Supervisionsprozess wird neu aufgegriffen und ein neuer Kontrakt wird erstellt. Dabei unterstützt die Diagnosephase zu Beginn eines Prozes-ses sowie eine klare Zieldefinition in großem Ausmaß den Supervisionserfolg und einen gelungenen Abschluss.

Es wird von Teams auch als vorteilhaft und stärkend erlebt, wenn sie ohne Super-vision auskommen. Lang andauernde SuperSuper-vision schwächt ein Team potenziell und macht die/ den SupervisorIn betriebsblind. Als Richtwert wird allgemein ein Zeitraum von drei Jahren genannt (vgl. Möller 2005, 165 f).

56 4.3 Zusammenfassung und Übersicht

Die nachfolgende Tabelle fasst die Dimensionen bzw. Qualitätsstandards für einen gelungenen Supervisionsprozess zusammen und setzt sie in Bezug zu den jeweils inne liegenden Risikopotenzialen. In einem weiteren Schritt werden jene Basis-aspekte bzw. Variablen des SAS-Modells (Kapitel 4.1) angeführt, die in den jeweili-gen Dimensionen relevant sind.

Qualitätsstandard für die Supervision

Risiko in der Supervision Variable

Diagnose Fehldiagnose SupervisorInnenvariable,

Funktionsvariable, Institutions- und Organisationsvariable Richtiges Setting Falsches Setting SupervisorInnenvariable,

Funktionsvariable, Ressourcenorientierung Fokus auf den Mangel/ das

Problem und dadurch

57

Endliche Supervision Unendliche Supervision Prozessvariable, Supervisionsvariable Feldkompetenz Mangelnde Feldkompetenz Feldvariable,

SupervisorInnenvariable, Wahl passender Methoden Unpassende Methodenwahl Methodenvariable

58 Stabile sozioökonomische

Situation von Auftrag-geberInnen und Super-visorInnen

Prekäre sozioökonomische Situation von AuftraggeberIn-nen und SupervisorInAuftraggeberIn-nen

Variable:

Sozioökonomische Situation

Supervision-unterstützendes Netzwerk bzw. System

Supervision-untergrabendes Netzwerk bzw. System

Netzwerkvariable

59

5. Empirie

Der empirische Teil der Arbeit gliedert sich in eine Zusammenfassung über den Forschungsstand zur vorliegenden Forschungsfrage, der Erklärung des Forschungs-prozesses und der Darstellung der Ergebnisse. Den Abschluss des Kapitels bildet die Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse.

5.1 Stand der Supervisionsforschung

Supervision als „junge“ Disziplin ist nach wie vor bemüht als eigenständige Profes-sion anerkannt zu werden. Demnach finden sich in der Forschung vor allem Arbeiten,

Supervision als „junge“ Disziplin ist nach wie vor bemüht als eigenständige Profes-sion anerkannt zu werden. Demnach finden sich in der Forschung vor allem Arbeiten,

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