• Keine Ergebnisse gefunden

Mehrperspektivität und „social worlds“

Im Dokument SUPERVISION – EIN RISIKO? (Seite 23-0)

2. Supervision und Integrative Theorie

2.4 Mehrperspektivität und „social worlds“

Als ein Ergebnis des Dialoges von Menschen beschreibt Schreyögg (2004) „mehr-perspektivisches Erkennen“ und nimmt damit Bezug auf Piaget, der Erkenntnis an die Verfügbarkeit verschiedener und unterschiedlich komplexer, kognitiver Schemata knüpft. Mehrperspektivität wird als eine Erkenntnisform beschrieben, gemäß der sich Menschen bereits vorab darauf einstellen, dass sie ein Ereignis mit Hilfe unter-schiedlicher Muster und Schemata betrachten und strukturieren. „Wahre Erkenntnis“

17 ist demnach nicht durch die Konzentration auf das vermeintlich einzig richtige Strukturmuster zu finden, sondern durch die Offenheit für verschiedene Muster, um komplexe Phänomene wie sie im Beratungskontext häufig anzutreffen sind, zu gestalten (vgl. Schreyögg 2004, 75 f).

„Mehrperspektivität erfordert atmosphärisches und szenisches Erfassen und Verste-hen: Es ist dies eine ganzheitliche Form des Wahrnehmens und zugleich des Durchdringens, die greift, weil sie dem Wahrgenommenen entspricht. Wirklichkeit ist ihrem Wesen nach mehrperspektivisch. Das Leben ist vielfältig und komplex. Das Ganze ist im Teil, das Teil im Ganzen. So ist beides verwandt und verschieden und pluriform. Im Prozess des wahrnehmenden Erfassens von Vielfältigem geschieht Synopse, im Vorgang des Verstehens wirkt Synergie – alles wirkt zusammen und schafft Sinn, ja mehr noch, Sinnfülle“ (Petzold 2003, 146).

Dabei blickt die Supervisorin oder der Supervisor nicht nur mit den eigenen Augen auf das Vorgefundene, sondern berücksichtigt eine „social-world“-Perspektive.

Nicht individuelle Wertungen und Sichtweisen schauen auf einen Sachverhalt, sondern ein „kollektiver Blick“ einer bestimmten „Schule“, einer „professional community“ betrachtet das Vorgefundene (vgl. Petzold 2007, 98).

Petzold (1973) definiert das Konzept der „professional community“ als eine

„… Makro- oder Mesogruppierung von Menschen, die einerseits im gesellschaft-lichen Kontext als Ausübende einer bestimmten Profession mit einer gemeinsamen Interessenslage und -vertretung identifiziert werden und die sich andererseits mit ihrer Profession identifizieren, berufsständische Normen, Regeln und Organisa-tionsformen herausbilden und ein „professionelles Bewusstsein“ entwickeln. Das Maß der „professionellen Identität“ des Einzelnen wie der Gesamtgruppierung hängt von der Prägnanz der Gruppenbildung (Petzold 1990o, 29 cit. Petzold 2007, 98), also dem Grad ihrer Organisiertheit, Kohärenz, Interessensverfolgung ab, weiterhin von den verbindlichen Zielen, Werten und Konzepten sowie der gesellschaftlichen, durch Wissen, Kapital, Einfluss, Tradition gesicherten Macht, d. h. von ihrer Präsenz als „commercial community“ im Markt“ (Petzold 1993n, 56, cit. ibid.).

Im Kontext von Supervision ist die „professional community“ z. B. in einem Berufs-verband organisiert, in dem die einzelnen Mitglieder wiederum ihre je eigene

„micro-18 social-world“ mit ihrer Auffassung von Supervision haben. Die Haltung von Akzep-tanz und das Wissen um die anderen Sichtweisen erfordert „Mehrperspektivität“ und die Fähigkeit, auch andere Perspektiven und Exzentrizität einzunehmen. Dadurch werden Diskurse und Ko-respondenzprozesse möglich, die das Erarbeiten von Konsens fördern, um globale Supervisionskonzepte zu definieren. Dabei orientieren sich die „micro- und meso-social-worlds“ an übergeordnete „scientific communities“

(Kuhn 1970, cit. ibid.) mit ihren theoretischen und methodischen Paradigmen. Dabei kommt den exzentrischen Positionen der Supervisorinnen und Supervisoren eine besondere Bedeutung zu, um möglichst große Bewertungsfreiräume zu öffnen und so zu einer Meta-Perspektive zu gelangen, die sich auf Meta-Theorien, wie Konzepten zu Erkenntnistheorien, Wissenschaftstheorien, Anthropologie oder einer Meta-Ethik, stützt.

Um das Feld „Supervision“ in seiner Komplexität zu erfassen, sind Supervisorinnen und Supervisoren permanent gefordert über „mehrere Brillen“ – Mehrperspektivität – zu verfügen, um die unterschiedlichen Kräfte, die in Supervisonen wirken, zu erken-nen und zu analysieren (vgl. Petzold 2007, 98 ff).

Um die Position der Exzentrizität einnehmen zu können, benötigt die Supervisorin oder der Supervisor „persönliche Souveränität“. Ein Mensch, der sich wohl fühlt, der sich in seiner Arbeit und seinen sonstigen sozialen Bezügen sicher und kompetent erlebt, gilt als souverän. Wenn er auch in schwierigen, herausfordernden Situatio-nen, unter äußerem Druck oder bei Belastungen seine innere Ausgewogenheit be-hält und gelassen, ruhevoll und mit Überzeugungskraft agiert, dann ist er als sou-veräne Persönlichkeit zu bezeichnen. Die Herausbildung der Qualität dieser stabilen Persönlichkeitseigenschaft erfordert Investition, systematische Selbstentwicklung und ein förderndes soziales Netzwerk von Menschen, die einander mit Wertschät-zung und konstruktiver Kritik wohlwollend in aufrichtiger Haltung begegnen (vgl. Pet-zold 2007, 232). Das Konzept der „fundierten Kollegialität“ wird in der integrativen Theorie wie folgt definiert: „Kollegen sind Menschen, die ein gemeinsames lebens-weltliches Fundament und soziales Referenzsystem haben und gleichrangig in wechselseitiger Wertschätzung ihrer Souveränität und im Respekt vor der Integrität des Anderen aufeinander bezogen sind und miteinander umgehen“ (Petzold 2007, 235).

19 2.5 Informed Consent

Der intersubjektive Ansatz der integrativen Theorie verpflichtet zur Aufklärung über Wirkweisen und Wirkmechanismen, über mögliche Risiken, Gefahren und Neben-wirkungen von Supervision mit ihren entsprechenden Kontexten im Mehrebenen-system. „Informed consent“ beinhaltet auch die Pflicht der Supervisorin oder des Supervisors darauf hinzuweisen, dass jede Art von Intervention, verbal oder nonver-bal, eine gewisses Maß an Manipulation mit sich bringt. In Supervision kann man

„nicht nicht manipulieren“ (Moser, Petzold 2007, 25). Um auf die „Deutungsmacht“

der Supervisorin oder des Supervisors hinzuweisen, ist im Sinne von „informed con-sent“ mit der Supervisandin oder dem Supervisanden ein Diskurs einzuleiten, der eine kritische Betrachtung der Einflussnahme der Methode oder der Intervention der Supervision eine Selbstbestimmung der Betroffenen weiterhin zulässt (vgl. ibid.).

Anhand von Informationen und Aufklärung – unterstützt durch intersubjektive Ko-respondenzprozesse – wird „informierte Zustimmung“ verstanden als Konsens, der zu offenen und transparenten supervisorischen Begegnungen und selbstbestimmten Kooperationen führt und persönliche Souveränität unterstützt. Zur Unterscheidung von bloßer „compliance“ hat bei „informed consent“ in der Integrativen Therapie das Ernstnehmen der Würde, der Gleichwertigkeit und Mündigkeit des Anderen als Subjekt vorrangige Bedeutung. Es gilt das Prinzip der Transparenz und des Res-pekts der Integrität des Anderen. Unabhängig von juristischer Relevanz gelten die ethischen Prinzipien der Klientenwürde (client dignity), der Klientensicherheit (client security) und des Wohlergehens des Klienten (client welfare) als grundsätzlich ver-letzt, wenn der „informed consent“ nicht hergestellt wurde. Folglich sind auch die Beratungsinhalte von Gesprächen mit Klientinnen und Klienten ohne deren Zustim-mung nicht in einen Supervisionsprozess einzubringen. Die Anonymisierung alleine entspricht den ethischen Prinzipien des integrativen Ansatzes bei weitem nicht. Es würden bereits vorhandene etwaige Entfremdungs- und Verdinglichungsprozesse fortgesetzt werden (vgl. Moser, Petzold 2007, 23). Davon ausgehend, dass Vertrauen zur Reduktion sozialer Komplexität (Luhmann 1978) führt, ist umgekehrt damit zu rechnen, dass durch Missbrauch von Vertrauen die Komplexität sozialer Begegnungen erhöht wird (Petzold 2007, 162). Supervisionen ohne Einwilligung der Betroffenen stellen eine Missachtung der Datenschutzbestimmungen dar und

kön-20 nen juristisch verfolgt werden. Dem Credo des „informed consent“ folgend und zur eigenen Absicherung ist es ratsam, gegebenenfalls Schweigepflichtsentbindungen in mündlicher oder schriftlicher Form festzuhalten (vgl. Moser, Petzold 2007, 22).

2.6 Mehrebenenmodelle

Zwei grundlegende Modelle, die die Mehrperspektivität und die „social-world-perspective“ der integrativen Theorie in der Konzeption und ihrer praktischen Umsetzung wesentlich unterstützen, sind die „hermeneutische Spirale“ und das Modell der „metahermeneutische Triplexreflexion“.

Die hermeneutischen Spirale „Wahrnehmen ↔ Erfassen ↔ Verstehen ↔ Erklären“

ist ein spiralig in sich rückläufiger Prozess, der den Sinn eines Verhaltens aus der gegenwärtigen Situation sucht (vgl. Petzold 2010, 96).

Abb.

Abb. 2: Hermeneutische Spirale; aus Petzold (2010, Internet)

„Leibliches Erleben“, „atmosphärisches Erfassen“, „szenisches Verstehen“,

„prospektives Entwerfen“ und „kokreatives Phantasieren“ sind dabei Instrumente, um sich mit Gedanken- und Phantasiewelten auseinanderzusetzen. Dabei nimmt die Integrative Theorie bei der Auffassung von Hermeneutik Bezug auf wahrnehmungs-theoretische Konzepte (vgl. Petzold 2007, 128).

21 Bei dem Mehrebenenmodell der „metahermeneutischen Triplexreflexion“ werden drei reflexive Ebenen und eine vierte, die philosophische Kontemplation – eine die Reflexivität übersteigende Ebene – beschrieben unter Berücksichtigung der

„Weltkomplexität“ (Luhmann, cit. Petzold 2007, 133):

Die metahermeneutische Mehrebenenreflexion soll in der Praxis von Supervision dazu befähigen, „blinde Flecken“ zu überwinden und „Hyperexzentrizität“ zu

gewin-Abb. 3: Metahermeneutische Triplexreflexion; aus Petzold (2010, Internet)

22 nen und so den Einfluss von Macht, die Wirkung struktureller Gewalt und generali-sierte Einflussnahme wahrzunehmen, bewusst zu machen, aufzuzeigen und gegebenenfalls entgegenzuwirken (vgl. Petzold 2007, 128 f).

Petzold et al. (2001) legen das Konzept der Mehrebenenreflexion dem „Gesamt-system Supervision“, der mehrperspektivischen Sichtweise zugrunde und definieren sechs an Supervision beteiligten Ebenen, wie folgende Grafik veranschaulicht:

Abb. 4: Grafik „Gesamtsystem Supervision“ 2010 (die Autorin in Anlehnung an Oeltze, Ebert, Petzold 2002, Internet)

1. Supervisionssystem: Diese Ebene beschäftigt sich mit der Qualität des Ausbil-dungssystems von Supervisorinnen und Supervisoren, wobei den Ausbildungs- und Lehrsupervisorinnen bzw. -supervisoren besondere Bedeutung zukommt.

2. System der Supervisoren bzw. Supervisorinnen: Neben dem Erwerb von theoretischer Kompetenz und methodischer Performanz wird nach der Qualität der praktischen Supervisionsarbeit gefragt. Folgende Kompetenzen gelten als Qualitäts-standards professioneller Supervision:

23 – Allgemeine supervisorische Kompetenz und Performanz und ihre Feldkompetenz – Supervisionsdidaktische Kompetenz/ Performanz

– Problemklärungs- und Problemlösungskompetenz/ -performanz – Empathische und sozialintuitive Kompetenz

– Entlastungskompetenz/ -performanz – Feldspezifisches Fachwissen

– Fokussierung des Systems der Klientinnen bzw. der Klienten – Einhaltung von Formalstandards

3. System der Supervisandinnen bzw. Supervisanden: Die Person der super-vidierten Beraterinnen bzw. Berater, Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialarbeiter, Thera-peutinnen bzw. Therapeuten stehen im Zentrum supervisorischer Praxis. Auf dieser Ebene wird die Wirkung von Supervision unmittelbar sichtbar. Die Supervisandinnen bzw. Supervisanden liefern auch den Nachweis der mittelbaren Effekte für das System der Klientinnen bzw. Klienten.

4. System der Klientinnen bzw. Klienten: Supervision hat den Anspruch der durchgreifenden Wirksamkeit und zielt auf positive Effekte und vor allem auf „client dignity“ (Moser, Petzold 2007) im System der Klientinnen bzw. Klienten ab.

5. System der Auftraggeberinnen bzw. Auftraggeber: Die Auftraggeberinnen bzw. Auftraggeber tragen die finanziellen Kosten von Supervision und stellen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern häufig Arbeitszeit für die Supervisionssitzungen zur Verfügung. Konkrete Erwartungen an Supervision werden von den Organisa-tionen, Vereinen, InstituOrganisa-tionen, repräsentiert durch Vorgesetzte, Leiterinnen oder Leiter oft nicht klar formuliert. Die Maßstäbe der Auftraggeberinnen bzw. Auftrag-geber für einen geglückten oder auch einen schädigenden Supervisionsprozess sind weitgehend unbekannt.

6. System der Forscherinnen bzw. Forscher: Die wissenschaftliche Ebene von Supervision hat zum Ziel die positiven und negativen Effekte von Supervision im Mehrebenensystem aufzuzeigen. Das Beforschen des Wissenschaftssystems selbst

24 soll eine laufende Verbesserung und Weiterentwicklung an strukturellen Rahmen-bedingungen, forschungsethischen Implikationen, Forschungsinstrumenten und -methoden, Forschungsparadigmen, Orientierungen und die Akzeptanz der For-schung im System der Supervisorinnen bzw. Supervisoren und der Auftraggeberin-nen und Auftraggeber fördern (vgl. Petzold 2003, 203 ff).

Die durch Forschung gewonnenen Erkenntnisse sollen eine Grundlage für die Wei-terentwicklung und Etablierung des Beratungsformates „Supervision“ als eigenstän-dige Profession liefern.

Die vorliegende Arbeit beforscht die negativen Effekte von Supervision im System der Supervisandinnen und Supervisanden, im System der Klientinnen und Klienten, der Supervisandinnen und Supervisanden sowie im System der Auftraggeberinnen und Auftraggeber.

25

3. Ethik in der Supervision

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der ethischen Dimension des Beratungsformates Supervision und beleuchtet die Bedeutung der Zusammenhänge von „Ethik“ und

„Integrität“ in der Integrativen Theorie. In zwei weiteren Unterkapiteln wird auf die ethischen Dimensionen Gender- und Diversitykompetenz sowie Macht in der Super-vision näher eingegangen. Der Abschluss dieses Kapitels ist den Berufsverbänden von Supervision Österreichs, Deutschlands und der Schweiz gewidmet, die einen Rahmen für die Qualitätssicherung von Supervision und somit für die Einhaltung ethischer Standards in diesem Beratungsformat zur Verfügung stellen.

3.1 Ethische Dimensionen von Supervision

Schreyögg eröffnet mit ihrem Artikel „Die ethischen Dimensionen in der Supervision“

1990 die Ethik-Diskussion in der Supervision. In diesem Beitrag hielt Schreyögg fest, dass die Bedeutung des normativen Standortes von Supervision zunimmt, allerdings die ethischen oder generell normativen Positionsbestimmungen fehlen. Sie stellt sich sodann der Aufgabe und Herausforderung die anstehenden Fragestellungen, Positionsbestimmungen und Klärungsbedürfnisse aufzugreifen (vgl. Otten 2003, 9).

Schreyögg bezieht sich dabei auf die praktische Philosophie/ Ethik, wonach sich seit Aristoteles menschliches „Tun“ in „Herstellen“ und „Handeln“ unterscheidet. Ein Handwerker, z. B. ein Tischler, beschäftigt sich mit dem Naturstoff Holz, bearbeitet dieses Material und stellt ein Objekt her. Beim Handeln, das auch als Praxis be-zeichnet wird, geht es darum, dass Menschen miteinander etwas tun – um zwi-schenmenschliche Kommunikations- bzw. Interaktionsprozesse (vgl. Schreyögg 2004, 50).

„Die ethisch relevante Fragestellung ist nun, wie die jeweiligen Interaktionspartnerin-nen und Interaktionspartner in ihrem Handeln der Tatsache Rechnung tragen, dass ihr Tun auf ein menschliches Gegenüber, also ein Subjekt, bezogen ist“ (ibid.). Das Ziel der gemeinsamen Interaktion ist im Sinne der praktischen Philosophie der Handlungsprozess selbst und nicht die Herstellung eines modellhaften Idealzustan-des. Demnach ist praktisches Handeln für alle Beteiligten menschlich sinnvoll und lehnt die reine Konzentration auf das Herstellen einer Lösung ab (vgl. ibid.).

26 Schreyögg postuliert, dass die Supervisorinnen und Supervisoren in der Ausbildung auf ethische Fragestellungen vorbereitet sein müssen. Ethische Fragestellungen seien als solche zu erkennen und in den Supervisionsprozess zu integrieren.

Schreyögg entwirft demnach ein „gedankliches Raster“, über das Supervisorinnen und Supervisoren verfügen sollen und anhand dessen eine Auseinandersetzung ethischer Fragestellungen gezielt und systematisch aufgegriffen werden sollte. In und mit diesem Raster geht es um das Vorverständnis dessen, was die Superviso-rin, der Supervisor als ethisch richtig begreift und vor allem welche grundlegend ethisch „richtige“ Praxis in den Ausbildungslehrgängen vermittelt wird und welche impliziten Vorannahmen einem Supervisionskonzept innewohnen.

Ferdinand Buer (2000) nähert sich in seinem Artikel „Supervision als Ort moralisch-philosophischer Besinnung – oder: Was auch in der Arbeitswelt entscheidend ist“

aus einer übergeordneten philosophischen Perspektive den ethischen Dimensionen von Supervision. So hält er fest, dass Entscheidungsträgerinnen bzw. Entschei-dungsträger in der Arbeitswelt vermehrt Verfahren benötigen, um ihre Entscheidun-gen und HandlunEntscheidun-gen in Selbstverantwortung vertreten zu können. Mangels eines allgemein gesellschaftlichen Konsens darüber, was heute als „gut“ und was als

„schlecht“ zu bewerten sei, ist die Supervision besonders gefordert, moralphilosophi-sche Kompetenz anzubieten. Dabei beschreibt Fritz Schütze den Ort der Super-vision als „sozialen Raum“, in dem Nähe und Intimität möglich sind, womit er zu einem „moralischen Raum“ wird. Wichtig für die supervisorische Praxis dabei ist, nicht die Rolle eines Moralapostels einzunehmen, sondern berufliches Handeln als eine ethisch relevante Perspektive aufzugreifen (vgl. Otten 2003, 11 ff).

Schütze (2002) beschreibt Supervision als ein Verfahren, das auf Erkennen, Verste-hen, Transparenz, Aufdeckung, Bewusstmachung und Aufklärung angelegt ist und versteht das Beratungsformat Supervision als ethische Dimension bzw. Qualität schlechthin. Er definiert Ethik im professionellen Handlungskontext als „Nachdenken über das praktische professionelle Handeln und Sich-Verhalten sowie über dessen Entscheidungskriterien bezüglich der Förderung des Wohls der anbefohlenen Klien-ten aus der subjektiven Handlungssicht des professionellen Subjekts“ (Schütze

27 2002, 152, cit. Otten 2003,12), und macht somit ethische Probleme sichtbar und führt sie einer Reflexion zu.

Monika Möller (2002) betont besonders die Bedeutung der „Lehrsupervision als Ort, an dem in ganz besonderer Weise Fragen der persönlichen Haltung und Identität mit der Entwicklung von Supervisionskonzepten verbunden sind. Erfahrene Super-visoren stellen sich in der lehrenden Beziehung zum Nachwuchs der eigenen Berufsgruppe in Frage und verantworten nicht nur die Vermittlung von Wissen und Methoden und die Einhaltung von Standards, sondern auch, welche Überzeugun-gen, Haltung und Wertorientierungen die eigene Arbeit trägt und weitergegeben wird“ (Möller 2002, 22).

Den allgemeinen Stellenwert von Ethik in Organisationen hat Ferdinand Buer (2007) in seinem Vortrag beleuchtet. Dabei hebt er hervor, dass in Non-Profit Organisatio-nen wie in den Human Service Einrichtungen die Werte- und Ethikthematik implizit eine Rolle spielen, in der Wirtschaft dieser Aspekt jedoch vordergründig nicht einbe-zogen wird. Da jedoch Kollegialität und Fairness auch in diesem Bereich im Alltag eine Wirkung auf die Zufriedenheit und das Wohlbefinden hat, weist Buer auf den Umstand hin, dass es auch in der Verantwortung von professionellen Beraterinnen und Beratern liegt, ethische und moralische Aspekte in den Beratungskontext mit-einzubeziehen. Weiters fordert Buer von Wirtschaftsorganisationen, ihre Organisa-tionsethik nicht als „aufgesetzt und abgehoben“ vor sich herzutragen, sondern in den

„Köpfen und Herzen der Organisationsmitglieder“ zu verankern (vgl. Buer, 2007, 1 ff).

Petzold und Moser (2007) betonen die Bedeutung der Ko-respondenz über Ethikpositionen unter supervisorischer Begleitung aus metaethischer Perspektive.

Vor dem Hintergrund diskursethisch begründeter Position und dem damit ver-bundenen Ernstnehmen der Würde, Gleichwertigkeit und Mündigkeit der oder des Anderen als Subjekt geht es um die Transparenz und den Respekt vor der Integrität des Anderen. Klare und konstruktive Kommunikation und Interaktionen sind das Prinzip seriöser Auseinandersetzung über ethischer Aspekte im jeweiligen Super-visionskontext (vgl. Petzold, Moser 2007, 23).

Vor dem Hintergrund, dass alle Personen, die an einem Supervisionsprozess betei-ligt sind, eine je eigene „social world“ (vgl. Kapitel 2.4) in sich tragen, beschreibt

28 Petzold (2007, 98 f) eine „social-world-perspective“, wonach von individuellen Wertungen von Sachverhalten durch die Supervisorin, dem Supervisor Abstand genommen wird. Es wird vielmehr ein „kollektivistischer Blick“ auf das Vorgefundene gerichtet, mit Bewertungsparameter und Perspektiven einer bestimmten „Schule“ – der „professional community“ der Professionistinnen und Professionalisten.

3.2 Integrität als zentraler ethischer Begriff in der Integrativen Theorie Auf dem Begriff der Integrität gründet die Ethik der Integrativen Theorie sowie der Integrativen Therapie. Aufgrund der ethischen Verankerung in der Integrität – also dem Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit – können auch mögliche „Ver-sehrungen“, also Schäden (an der Integrität der Persönlichkeit), Risiken und Neben-wirkungen sichtbar gemacht und eventuell vermieden werden. Integrität in der Integrativen Theorie verweist aber nicht nur auf den Idealzustand der Unversehrtheit der Person, sondern auch auf den Prozess, welcher Integrität herstellt, u. a. durch die Integration der verschiedenen Perspektiven der am Supervisionsprozess beteiligten Personen sowie auf die Integration unterschiedlicher philosophischer Schulen und ihrer ethischen Grundlagen. Damit ist die Ethik im Integrativen Ansatz ein wesentli-cher Bezugspunkt für diese Master These, die sich mit der Frage der Fehler, Risiken, Schäden und Nebenwirkung von Supervision befasst.

Johanna Sieper, Ilse Orth und Petzold legen wesentliche Elemente der Ethik der Integrativen Therapie in folgendem Artikel dar: „Warum die Sorge um Integrität‘ in der Integrativen Therapie wichtig ist – Überlegungen zu Humanität, Menschenwürde und Tugend in der Psychotherapie“ (Sieper, Orth, Petzold 2010, Internet).

Obwohl sich der Titel dieses Artikels auf Psychotherapie bezieht, kann dieser Ansatz auch auf Supervision oder wie Sieper sagt – auf die Tätigkeit der „Menschenarbeit“

allgemein – umgelegt werden: „Das Thema der „Integrität“ ist ein zentrales Thema des Integrativen Ansatzes. Es sollte eigentlich Kernthema jeder Form von Psycho-therapie sein, ja jeder „Menschenarbeit“. Integrität gilt es daher zu schätzen, zu sichern, aber auch als Potenzial zu entwickeln. Für solches genuin melioristisches, für die Verbesserung von Lebensverhältnissen eintretendes Tun ist ein humanitäres Ziel, an dem die Integrative Therapie in der gebotenen Bescheidenheit (Petzold

29 1994b) mitzuwirken bemüht ist zusammen mit der Vielfalt an melioristischen Initiati-ven und Einrichtungen der Hilfeleistung, die wir im öffentlichen und privaten Raum weltweit finden“ (Sieper, Orth, Petzold 2010, 6).

Die Ethik ist eine wichtige Basis der Integrativen Theorie und damit die Basis der integrativen therapeutischen und auch der integrativen supervisorischen Arbeit.

Diese „Menschenarbeit“ ist die nach außen und auf die Andere oder den Anderen bezogene, praktische Umsetzung der Integrativen Theorie. Supervision und Therapie verstehen die Autorinnen bzw. der Autor als Teil eines politisch bewussten Engagements in der Gesellschaft: „Eine für den Menschen und das Leben engagierte Ethik ist für die IT handlungsanleitend und verlangt vom Therapeuten eine politisch bewusste, integre Haltung, die sich für die Integrität von Menschen, für ihr Leben, für die Sicherung gesunder sozialer Netzwerke (Hass, Petzold 1999), familialer Integrität (idem 2009h) und unbelasteter ökologischer Lebensräume (idem 2006p) engagiert – verbal, schriftlich, aber auch mit einer real eintretenden, handlungskonkreten Praxis …“ (ibid., 46).

Im Zentrum der Ethik des Integrativen Ansatzes steht der Begriff der „Integrität“.

Integrität bedeutet im eigentlichen Wortsinn „Unversehrtheit“. Im Zusammenhang mit der Integrität beziehen sich die Autorinnen, der Autor auf die in der demokratischen Verfassung der BRD verankerte Integritätszusicherung (vgl. ibid., 7) und betonen auch hier, dass Integrität die Zusammenarbeit aller Gesellschaftsmitglieder auf den verschiedenen Handlungsebenen erfordert: „An der in demokratischen Verfassungen verankerten Integritätszusicherung mit dem ‚Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit‘ muss prinzipiell ein jeder in seinem Lebens-, Aufgaben- und

Integrität bedeutet im eigentlichen Wortsinn „Unversehrtheit“. Im Zusammenhang mit der Integrität beziehen sich die Autorinnen, der Autor auf die in der demokratischen Verfassung der BRD verankerte Integritätszusicherung (vgl. ibid., 7) und betonen auch hier, dass Integrität die Zusammenarbeit aller Gesellschaftsmitglieder auf den verschiedenen Handlungsebenen erfordert: „An der in demokratischen Verfassungen verankerten Integritätszusicherung mit dem ‚Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit‘ muss prinzipiell ein jeder in seinem Lebens-, Aufgaben- und

Im Dokument SUPERVISION – EIN RISIKO? (Seite 23-0)