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Theoretische Vorüberlegungen

3.3 Integrierte Verarbeitung von Text- und Bildinformationen

3.3.1 Die Theorie der Dualen Codierung

Einer der ersten Ansätze, der explizit die kognitive Verarbeitung verbaler und bildlicher Informationen thematisiert, ist die Theorie der dualen Kodierung oder DCT (dual coding theory) von Paivio (1986). Sie wurde auf der Grundlage von Beobachtungen entwickelt, die der Autor bei einer Reihe von Gedächtnisexperimenten machte (vgl. Paivio, 1991).

So konnte Paivio, Rogers und Smythe (1968) unter anderem nachweisen, dass Bilder besser erinnert werden, als Worte, was für eine mnemonische Überlegenheit pikotrialer Informationen spricht. DieserBildüberlegenheitseffekt führte Paivio (1971) zu der Annah-me, dass die Entstehung und Verarbeitung mentaler Repräsentationen auf zwei, theo-retisch voneinander abgrenzbaren Systemen beruht. In einem ersten, verbalen System werden demnach alle sprachlichen Informationen verarbeitet, ganz gleich ob sie gele-sen, gehört oder, wie im Fall der Brailleschrift, ertastet werden. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von einem symbolischen System sprechen, da die Kodierung der eingehenden oder produzierten Informationen einen arbiträren Charakter besitzen und

ihre Bedeutung durch kulturelle Konventionen bestimmt ist.

Alle nicht linguistische Reize wie Bilder, Klänge, haptische und olfaktorische Reize wer-den dagegen in einem non-verbalen System verarbeitet, das sich von der Funktionsweise des verbalen Systems unterscheidet. Während sprachliche Stimuli sequentiell verarbeitet werden müssen, erlauben die non-verbalen Repräsentationen eine parallele oder ganz-heitliche Kodierung der entsprechenden Informationen (Clark & Paivio, 1991). Außerdem zeichnen sich die Formate des non-verbalen Systems durch Ähnlichkeit und Wahrneh-mungsnähe und nicht durch einen symbolhaften Charakter aus. Gerade das Repräsenta-tionsformat von Bilder besitzt dabei Eigenschaften, die stark an die mentalen Modelle von Johnson-Laird (1983) erinnern, auch wenn die Betonung struktureller Analogien fehlt. Bei-spielsweise kann ein Schüler in seiner Vorstellung einen zuvor wahrgenommenen Würfel rotieren lassen oder durch mentale Simulation das Ergebnis einer Carambolage beim Bil-lard vorhersagen. Solche räumlichen Transformationen sind dagegen mit dem verbalen Repräsentationsformat nicht möglich. Etwas unklar bleibt hingegen die Verarbeitung von Gerüchen oder nicht sprachlichen Lauten, die zwar auch als olfaktorische oder auditi-ve Bilder (images) bezeichnet werden, allerdings keine eigenständige kognitiauditi-ve Funktion besitzen.

Die den beiden Systemen zugrunde liegenden Kodierungsformate bezeichnete Pai-vio (1971) ursprünglich als verbale und imaginale Repräsentationen, benannte sie aber etwas später in logogene und imagene um. Obwohl das verbale und nonverbale Sub-system aufgrund der zugrunde liegenden Formate grundsätzlich verschieden sind, nimmt Paivio (1986) an, dass die Verarbeitung eines bildlichen Stimulus (imagen) auch immer zur Aktivierung entsprechender logogene führt. Dies geschieht durch referentielle Ver-knüpfungen, die immer dann möglich sind, wenn der Betrachter eines Bildes den darge-stellten Sachverhalt mit einem oder mehreren Worten benennen oder umschreiben kann.

Erblickt man beispielsweise bei einem Spaziergang einen Hund, werden parallel zur visu-ellen Wahrnehmung entsprechende sprachliche Repräsentationsmuster aktiviert. Diese Aktivierung derlogogenekann Rasse, Größe und Aussehen des Tiers betreffen, so dass die eigentlich piktorialen Informationen in beiden Systemen verarbeitet und gespeichert werden.

Die duale Kodierung von Informationen ist aber auch dann möglich, wenn die Grund-lage ein Text ist. Hier aktivieren einzelne Worte entsprechendeimageneund bilden refe-rentielle Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Repräsentationsformaten. Bei den aktivierten nonverbalen Gedächtnisinhalten kann es sich um Erinnerungen an Gerüche, Laute oder visuelle Vorstellungen bzw. mentale Bilder handeln, je nachdem, welche per-zeptiven Eindrücke mit dem Begriff assoziiert werden können. Abbildung 3.3 verdeutlicht diesen Zusammenhang und hebt hervor, dass eine duale Kodierung von Informationen auf der Grundlage beider Systeme möglich ist.

Allerdings regt nicht jedes Wort, das Bestandteil des menschlichen Wortschatzes ist, gleichermaßen zu einer referentiellen Verknüpfung zwischen den beiden Systemen an.

Gerade bei Begriffen, die einen abstrakten Sachverhalt repräsentieren, ist es weniger wahrscheinlich, dass perzeptuelle Eindrücke vorhanden sind, die für eine nonverbale

Ko-Abbildung 3.3:Modell des verbalen und nonverbalen Systems der Theorie der dualen Kodierung nach Paivio (1986)

dierung genutzt werden können. Damit ist es letztlich die Anschaulichkeit (concreteness) der verbalen Inhalte, die über das Ausmaß und die Intensität der referentiellen Verknüp-fungen entscheidet. Enthält ein Zeitungsartikel beispielsweise die Geschichte eines Hun-des, in der Rasse, Aussehen und Verhalten ausführlich beschrieben sind, werden sich vie-le Leser das Tier bildlich vorstelvie-len können. Fehvie-len hingegen die entsprechenden sprach-lichen Details, dann ist aufgrund der vielen Freiheitsgrade lediglich eine verschwommene Vorstellung möglich, selbst wenn der betreffende Zeitungsleser viel über Hunde weiß. Je abstrakter, je unspezifischer oder wahrnehmungsferner eine sprachliche Umschreibung ist, umso schwerer fällt die Verarbeitung in beiden Systemen. Das kann in einigen Fällen zu Konsequenz haben, dass sich einzelne Begriffe oder Zusammenhänge ausschließlich verbal und damit einfach kodieren lassen.

Nach Paivio (1991) ist es jedoch gerade die gemeinsame Nutzung des verbalen und des non-verbalen Systems bzw. der darin kodierten Repräsentationseinheiten, die einen positiven Einfluss auf das Erinnerungsvermögen hat. Stark vereinfacht geht die DCT da-von aus, dass nach einer Kodierung in beiden Systemen zwei Gedächtnisspuren existie-ren, die quasi additiv für Abrufprozesse genutzt werden können. Ursprünglich hat Paivio (1967) diese Additivitätshypothese formuliert, um zu erklären, weshalb konkrete Wörter besser erinnert werden, als etwa abstrakte , doch weitete er seine Überlegungen nur we-nig später auf denBildüberlegenheitseffekt aus (Paivio, Rogers & Smythe, 1968). Dem-nach ist eine doppelte Kodierung am wahrscheinlichsten, wenn dem Lernenden eine Bild vorgelegt wird, da zur Identifikation und Kategorisierung piktorialer Informationen das ver-bale System fast zwangsläufig benötigt wird. Hinzu kommt, dass Bilder in der Regel sehr viel konkreter sind als Texte. Beispielsweise zeigt die Photographie eines Hauses genau ein bestimmtes Haus und keine anderes, während selbst eine ausführliche sprachliche Umschreibung bei jedem Leser eine individuell einzigartige Vorstellung erzeugen wird.

So nimmt auch bei Worten, die konkrete Sachverhalte bezeichnen, die Wahrscheinlich-keit für eine Nutzung beider Kodierungsformen ab. Allerdings ist es möglich duale Ko-dierungsprozesse der entsprechenden sprachlichen Informationen durch Imaginationsis-ntruktionen (Stellen Sie sich die bezeichneten Gegenstände bitte bildlich vor...) gezielt anzuregen. Diese Option gibt es im Zusammenhang mit abstrakten sprachlichen Inhalten hingegen nicht, da hier kongruente perzeptuelle Wahrnehmungen fehlen, was die Nut-zung beider Kodierungsformate eher unwahrscheinlich macht.

Obwohl die DCT vor allem durch ihre Anschaulichkeit besticht und der Bildüberlegen-heitseffekt empirisch als gut abgesichert gilt (Engelkamp, 1991; D. L. Nelson, Reed &

Walling, 1976), provoziert der Ansatz auch Kritik. So sieht Engelkamp (1994) besonders die variablen Wahrscheinlichkeiten, mit der Informationen dual enkodiert werden, als pro-blematisch an, da sie seiner Meinung nach erst post hoc in das theoretische Konzept integriert wurden . Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Effekt von Imaginationsinstruktio-nen beim LerImaginationsinstruktio-nen konkreter Worte auf die Gedächtnisleistung. Eigentlich sollte durch die Erzeugung bildlicher Vorstellung der Bildüberlegenheitseffekt verschwinden, was nach Ansicht von Engelkamp (1994) und Weidenmann (2002b) jedoch nicht der Fall ist. Die-ser Einwand steht jedoch im Widerspruch zu experimentellen Befunden von Paivio und Csapo (1973), die schon früh belegen, dass durch Imaginationsanweisungen der Bild-überlegenheitseffekt tatsächlich aufgehoben werden kann.

Wie dem auch sei, ein weitere problematischer Aspekt ist die Tatsache, dass Paivio (1986) die spezifischen Eigenschaften der einzelnen Sinnesmodalitäten des nonverba-len Systems weitgehend unberücksichtigt lässt. Jeder nicht-sprachliche Sinneseindruck mehr oder weniger einimagen, selbst wenn der entsprechende Reiz beispielsweise akus-tischer Natur ist. Laut Engelkamp (1994) wäre dieser Umstand nicht weiter problematisch, wenn das Klingeln eines Telefon die gleichen repräsentativen Prozesse zur Folge hätte, wie dessen Anblick. Da er diese vereinfachende Annahme aber bezweifelt, müssten mo-dalitätsspezifische Reize ihr mentale Repräsentation innerhalb der DCT weitaus mehr Beachtung finden, was jedoch nicht der Fall ist. Ein anderer wichtiger Einwand gegen die Theorie von Paivio (1971, 1986) betrifft ihre Brauchbarkeit zur Erklärung komplexer Lern-prozesse. Auch wenn gelegentlich versucht wird, die DCT aufreale Lehr-/Lernkontexte anzuwenden (vgl. Clark & Paivio, 1991), so ist ihre praktische Relevanz ziemlich gering.

Letztlich beziehen sich alle Annahmen auf Experimente, bei den einfache Wortlisten frei oder assoziiert wiedergegeben werden mussten. Sicherlich ist es ein überaus beach-tenswerter Befund, wenn der Bildüberlegenheitseffekt durch gezielte kognitive Prozesse überwunden werden kann, doch lassen sich daraus nur wenige Konsequenzen ableiten, die beispielsweise für die Unterrichtsgestaltung relevant wären. Verstehen und bedeu-tungsvolles Lernen sind Konzepte, die nachträglich und nur am Rande innerhalb der DCT aufgegriffen werden (Paivio, 1991).

Doch unabhängig von all diesen Kritikpunkten bleibt Paivio’s (19971, 1986) Arbeit weg-weisend, da er als einer der ersten ein theoretisches Modell zu Diskussion gestellt hat, das eine getrennte Verarbeitung sprachlicher und bildlicher Informationen annimmt. Die-se zentrale Annahme, wurde zumindest teilweiDie-se von neueren Ansätzen übernommen,

wie die nun folgenden Abschnitte zeigen werden.