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Empirie

7.4 Diskussion

denen nur die Bilder präsentiert wurden. Hypothesenkonform sind dagegen die Ergeb-nisse zum Wissenstest, da der Text trotz kontrollierter Lernzeit einen überaus positiven Einfluss auf den Wissenserwerb hatte. Welche Schlussfolgerungen sich aus diesen Be-funden ziehen lassen, wird im folgenden Abschnitt diskutiert.

Anzahl der großen Lithosphärenplatten auch dem Bild entnommen werden, indem man den eingezeichneten Grenzen folgte und die größten Flächen einfach abzählte. Doch ne-ben der Tatsache, dass dieses Vorgehen mit der Entscheidung verbunden war, ob es sich im Einzelfall tatsächlich um einegroße Platte handelte, mussten die Lernenden erst ein-mal auf die Idee kommen, die Platten zu zählen. Im Text wurde die gleiche Information mit wenigen Worten und der Ziffer 9 repräsentiert, was einen Verarbeitungsvorteil darstellte.

Hinzu kommt, dass trotz der propagierten visuellen Wende (vgl. Mitchell, 1995), in ei-nem schulischen und universitären Kontext das Leitmedium immer noch der Text ist. Da sich die Stichprobe aus Studierenden zusammensetzte, konnte angenommen werden, dass es sich bei den Teilnehmern um zumindest einigermaßen geübte Leser handelte. Ob dies auch auf die Verarbeitung von piktorialen Informationen zutraf, lässt sich durchaus bezweifeln. Statische oder bewegte Bilder sind mittlerweile ein fester Bestandteil verschie-dener Lehr-Lernmaterialien, doch ihre Nutzung will gelernt sein (Shah, Mayer & Hegarty, 1999; Mautone & Mayer, 2007). Zudem werden nach Ansicht von Weidenmann (2006) Bilder von Lernenden zwar gerne betrachtet und auf einer Textseite zuerst angeschaut, aber häufig auch unterschätzt. Die Lernenden verfügen oft gar nicht über die Erfahrung, um eine angemessenen Verarbeitungstiefe beim Bildverstehen anzustreben. Deshalb be-darf es unterstützender und anregender Texte, die den Lernenden beim Wissenserwerb mit dem Bild anleiten und die Entnahme der wesentlichen Informationen durch Hinwei-se fördern (Shah et al., 1999). Den Lernenden in den Bildgruppen standen jedoch nur die verbalen Informationen zur Verfügung, die in den grafischen Darstellungen selbst ent-halten waren, wie Legenden oder Beschriftungen. Diese Textfragmente kennzeichneten zwar bedeutungsvolle Bildelemente, eine anleitende Funktion besaßen sie jedoch nicht.

Fasst man letztlich alle möglichen Ursachen zusammen, ist es kein Wunder, dass die Teilnehmer mit den verbalen Informationen besser abschnitten.

Obwohl diese Ergebnisse recht interessant waren, bestand der eigentliche Zweck der zweiten Studie darin, zwei Hypothesen im Zusammenhang mit den Ursachen des PTS-Effekts zu prüfen. Gleich bei der ersten Testung zeigte sich, dass die Ergebnisse der statistischen Analysen sehr gut mit den Vorhersagen derInterferenz-Hypothese überein-stimmten. So hatte die Gegenüberstellung der Text-vor-Bild-Gruppen mit den nur-Text-Bedingungen einen bedeutsamen Unterschied hinsichtlich der mentalen Belastung beim Lernen ergeben. Da der Einfluss der Lernzeit herauspartialisiert worden war, konnte aus-geschlossen werden, dass die verstärkte Anstrengung allein durch die zusätzliche Ver-arbeitung der piktorialen Informationen verursacht wurde. Gleichzeitig waren die Leis-tungen im Wissenstest aber vergleichbar, ganz unabhängig davon, ob die Teilnehmer zusätzlich auf Bilder zurückgreifen konnten oder nicht. Diese Ergebnisse lassen sich mit-hilfe der cognitive load theory (Chandler & Sweller, 1991) recht eindeutig interpretieren.

Demnach empfanden die Lernenden, denen nach dem Text ein Bild präsentiert wurde, eine zusätzliche mentale Belastung, die nicht durch die längere Lernzeit erklärt werden kann. Gleichzeitig führte die stärkere Anstrengung zu keiner besseren Leistung, was den Schluss nahe legt, dass die nachträgliche Präsentation des Bildesextraneous load (Swel-ler & Chand(Swel-ler, 1994) ausgelöst hat. Zieht man nun die Modellannahmen von Schnotz

(2002, 2005) hinzu, dann entsteht dieserextraneous load, wenn der Lernende versucht, sein mentales Modell mit dem externen Bild abzugleichen. Dementsprechend kann man anhand dieser Ergebnisse folgern, dass dem PTS-Effekt schließlich doch Interferenzen zugrunde liegen.

Diese Deutung hatte jedoch nicht zwangsläufig die Ablehnung der Konstruktionshypo-thesezur Folge. So war es weiterhin möglich, dass neben den negativen auch günstige Einflüsse für die Verarbeitungsvorteile der Bild-vor-Text-Gruppen verantwortlich waren.

Durch die Präsentation der Bilder vor den Texten wurden Interferenzen offenbar vermie-den, so dass sich die Frage stellte, ob diese Anordnung noch weitere Effekte nach sich zog. Trotz kontrollierter Lernzeit konnte allerdings hinsichtlich der mentalen Belastung kein bedeutsamer Unterschied für den Faktor zusätzliches Format festgestellt werden.

Auch die anderen Effekte wurde nicht signifikant, selbst wenn die Prüfstatistik der Inter-aktion den kritischen Wert nur knapp verfehlt hatte. Möglicherweise ist dieses Ergebnis die Folge einer zufälligen Verzerrung anzusehen, die durch die Kovariaten nicht aufgefan-gen werden konnte. So hatten sich in der Gruppe, denen nur die komplementären Bilder präsentiert wurden, offenbar erschöpfte, für Belastungen anfällige oder auch engagierte Personen konzentriert.

Immerhin zeigte sich, dass trotz kontrollierter Lernzeiten die Bedingungen, die zusätz-lich Texte erhalten hatten, deutzusätz-lich besser im Wissenstest abschnitten. Der Vorteil, den die zusätzlichen Texte mit sich brachten, war jedoch kein rein additiver Effekt, sonst wäre eine bedeutsamer Zusammenhang zwischen der Lernzeit und der Gesamtleistung zu be-obachten gewesen. Plausibler ist es, die Unterschiede auf die Qualität der mentalen Re-präsentationen als Folge einer integrativen Verarbeitung zurückzuführen. Dennoch muss-te festgesmuss-tellt werden, dass die bessere Leistung im Wissensmuss-test nicht mit einer erhöhmuss-ten Anstrengung in Verbindung zu bringen war. Die Präsentation des Textes nach dem Bild verursachte demnach keine zusätzliche mentale Belastung, die sich als germane load infolge einer tieferen Verarbeitung deuten ließ. Es mag zwar sein, dass der PTS-Effekt auch durch positive Effekte der Formatreihenfolge verursacht wird, doch ließen sich kei-ne Anhaltspunkte für diese Annahme finden. Damit musste dieKonstruktions-Hypothese zurückgewiesen werden.

Aber selbst wenn die Resultate gut zur Interferenz-Hypothese passten, musste man bei der Verallgemeinerung der Ergebnisse vorsichtig sein. Immerhin handelte es sich bei der entsprechenden Analyse um ein quasiexperimentelles Design, was trotz der Berück-sichtigung von Kovariaten immer mit einer verminderten internen Validität verbunden ist.

Hinzu kommt, dass im Fall von relativ kleinen Stichproben selbst die randomisierte Zuwei-sung der Versuchsteilnehmer zu unrepräsentativen Merkmalsverteilungen führen kann, die sich statistische Kontrollen nicht bereinigen lassen Führt man diesen Gedankengang jedoch zu Ende, dann können auch die Ergebnisse, die zur Annahme der Interferenz-Hypothese geführt haben, das Resultat einer zufälligen Häufung bestimmter Merkmals-ausprägungen sein. Die Gefahr, ein Artefakt produziert zu haben, ist umso größer, da die nachträgliche Selbsteinschätzung der mentalen Belastung nicht unumstritten ist (J.

van Merriënboer et al., 2002; Schnotz & Kürschner, 2007). Außerdem bleibt aus

theoreti-scher Sicht der Zusammenhang zwischen Lernzeit und den verschiedenen load-Formen weitgehend unklar. In der ursprünglichen Konzeption der CLT spielt die Dauer der Lern-prozesse praktisch keine Rolle, selbst wenn Ermüdungseffekte durchaus plausibel sind und die Wahrnehmung der mentalen Belastung beeinflussen dürften. In der Studie wurde die Lernzeit zwar herausgerechnet, doch ist der lineare Zusammenhang zwischen Bear-beitungsdauer und empfundener Anstrengung eine vereinfachende Annahme.

Aus diesem Grund war es kein Fehler, nach weiteren Anzeichen für die Interferenz-Hypothese zu suchen. Ob es diese Belege auch auf einer physiologischen Ebene gab, wurde in einer dritten und letzten Studie geprüft, die im folgenden Kapitel vorgestellt wird.

Die Ergebnisse der zweiten Untersuchung stützten die Vermutung, dass Interferenzen den picture-text-sequencing-Effekt verursachten. Von besonderem Interesse waren in diesem Zusammenhang die kognitiven Prozesse, die bislang nur indirekt über den Ler-nerfolg oder die mentale Belastung erschlossen werden konnten. Eine Möglichkeit, die Verarbeitung der Texte und Bilderonline zu verfolgen, bestand darin, die Blickbewegun-gen zu erfassen.