• Keine Ergebnisse gefunden

Empirie

6.1 Fragestellung und Hypothesen

Wie an anderer Stelle bereits erwähnt wurde, lässt sich ein überaus interessanter Effekt beobachten, wenn Texte und Bilder nacheinander gelernt werden. Demnach ist es besser, visuelle vor verbalen Informationen zu verarbeiten, da im umgekehrten Fall eine schlech-tere Leistung zu befürchten ist. Natürlich liegt es nahe, einen solchen Befund auf die Praxis anzuwenden, doch mindestens ebenso faszinierend sind die damit verbundenen theoretischen Implikationen. Das gilt umso mehr, da gleich zwei Erklärungsansätze vor-liegen, die den PTS-Effekt plausibel und konsistent herleiten können. Das Ziel der ersten Studie ist es daher, zu entscheiden, welche der beiden Modellvorstellungen tatsächlich zutrifft.

Auch hier ließen sich Hypothesen und prüfbare Vorhersagen ableiten.

So ist nach der Kapazitätsannahme immer dann mit einer gesteigerten Beanspruchung der Arbeitsgedächtnisses zu rechnen, wenn das Bild vor dem Text gelesen wird, da man davon ausgehen muss, dass die Etablierung von referentiellen Verknüpfungen kognitiv belastend ist. Der mentale Aufwand sollte deutlich geringer sein, falls der Lernende keine oder nur vereinzelte referentielle Verknüpfungen bilden kann. Dies beispielsweise dann der Fall, wenn Text und Bild sich inhaltlich kaum überlappen oder die Verarbeitungsrei-henfolge es nicht zulässt. Folgt man hingegen dem Erklärungsansatz von Schnotz (2005), so wird eine negative mentale Belastung auftreten, wenn Interferenzen zwischen dem mentalen Modell und dem externen Bild entstehen. Wird das kongruente Bild zuerst ver-arbeitet oder es besteht ein komplementäres Informtionsverhältnis zwischen den beiden Formaten sollte der empfundenecognitive load vergleichsweise gering ausfallen. Damit sagt die Interferenzhypothese eine Wechselwirkung zwischen dem Informationsverhältnis und der Reihenfolge von Text und Bild vorher.

Eine weiteres Merkmal, von dem angenommen wurde, dass es Aufschluss über den PTS-Effekt und die dahinter vermuteten Prozesse geben konnte, war die Lernzeit. Diese Überlegung gründete auf der einfachen Annahme, dass jede kognitive Operation ein ge-wisses Maß an Zeit beansprucht. Je komplexer ein Prozess ist, umso länger wird seine Durchführung dauern, obwohl dieser Zusammenhang je nach Vorwissen oder Fähigkei-ten interindividuell variieren kann. Verdi et al. (1997) und sehr wahrscheinlich auch Kul-havy et al. (1994) haben in ihren Studien die Lernzeiten jeweils fixiert. Auf diese Weise konnten die Autoren die Lese- und Betrachtungsdauer experimentell kontrollieren, doch Auswirkungen der Reihenfolge ließen sich natürlich nicht mehr erfassen. Ob und welchen Einfluss der PTS-Effekt aus der Perspektive der Kapazitätshypothese auf die Lernzeit hat, kann daher wiederum nur geschlussfolgert werden. Ausgangspunkt der in erster Li-nie theoretischen Überlegungen sind die referentiellen Verknüpfungen zwischen visuellen und verbalen Informationen, die nur etabliert werden können, wenn das Bild vor dem Text gelernt wird. Nimmt man nun an, dass jede einzelne Verknüpfung visueller und verbaler Informationen zusätzlich Zeit kostet, dann müsste die Verarbeitung des Textes nach dem Bild länger dauern, als wenn der Text davor gelesen wird. Dieser Zusammenhang sollte selbst dann noch vorhanden sein, wenn Bild und Text in einem eher komplementären Ver-hältnis zueinander stehen. Zwar würden insgesamt weniger referentielle Verknüpfungen etabliert werden, doch allein der Versuch, dies zu tun, dürfte Zeit in Anspruch nehmen.

Auch anhand des Modells von (Schnotz, 2005) ließ sich ableiten, dass die Lernzeit mit der Präsentationsreihenfolge variieren wird. Dafür sind allerdings formatspezifische Ef-fekte der beiden Repräsentationsformate verantwortlich, die nur indirekt mit Interferenzen zu tun haben. Demnach stellt es zunächst eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe dar, ein mentales Modell allein anhand eines Textes zu konstruieren. Kann ein Lernender je-doch zuvor auf ein Bild zurückgreifen, das den Sachverhalt visualisiert, erhält er quasi einen Bauplan für den Konstruktionsprozess. Aus diesem Grund müsste der nachfolgen-den Text schneller verarbeitet wernachfolgen-den können, da die Umwandlung eines symbolischen in eine analoges Repräsentationsformat zumindest teilweise entfällt. Dieser

Zusammen-hang gilt jedoch nur dann, wenn Bild und Text sich inhaltlich überschneiden. Bei einem komplementären Informationsverhältnis dürfte die Lernzeit dagegen nicht von der Rei-henfolge beeinflusst werden, da die Verarbeitung von Texten und Bildern ohne inhaltliche Überlappung zu relativ unabhängigen Repräsentationen führen müsste.

Diese Überlegungen betrafen allein die Lesezeit des verbalen Materials, da der Um-gang mit den Bildern nur sehr schwer vorhergesagt werden kann. Nach Kulhavy et al.

(1994) muss sich der Lernenden in der Text-vor-Bild Bedingung nämlich entscheiden, ob er die verbalen Informationen replizieren oder lieber das Bild lernen will. Im Fall ei-ner freien Wahl könnte das zur Folge haben, dass einzelne Versuchspersonen darauf verzichten, die visuellen Informationen zu verarbeiten. Ebenso lässt sich die Reaktion der Lernenden auf Interferenzen nur schwer vorhersagen. Es ist vorstellbar, dass einige Versuchspersonen trotz der kognitiven Konflikte versuchen werden, ihr internes Bild und die externen Abbildung zu integrieren, was wegen des zusätzlichen Aufwandes zu einer längeren Verarbeitungszeit führen sollte. Anderen hingegen dürfte eine solche Auseinan-dersetzung zu mühsam sein, so dass sie versuchen werden, den (zeitlichen) Aufwand möglichst klein zu halten. Daher beziehen sich sämtliche Vorhersagen zur Lernzeit zu-nächst auf die Betrachtungsdauer der Textseiten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Fragestellung mit dem Lerner-folg, der kognitiven Belastung und der Lernzeit auf insgesamt drei Personenmerkmale bezieht. Für jedes dieser Merkmale lassen sich anhand der Kapazitäts-, und Interferenz-hypothese unterschiedliche Vorhersagen ableiten, wie die folgende Darstellung in über-sichtlicher Weise zeigen soll.

Fragestellung 1: Welchen Einfluss haben das Informationsverhältnis und die Reihenfolge von Text und Bild auf den Lernerfolg?

1.1 Kapazitätshypothese: Der Lernerfolg wird größer sein, wenn das Bild vor dem Text gelernt wird. Dieser Zusammenhang gilt auch dann, wenn Bild und Text in einem komplementären Informationsverhältnis zueinander stehen.

1.2 Interferenzhypothese: Der Lernerfolg wird größer sein, wenn das Bild vor dem Text gelernt wird. Dieser Zusammenhang gilt allerdings nur, wenn Bild und Text in einem kongruenten Informationsverhältnis zueinander stehen.

Fragestellung 2: Welchen Einfluss haben das Informationsverhältnis und die Reihenfolge von Text und Bild auf die kognitive Belastung des Arbeitsgedächt-nisses?

2.1 Kapazitätshypothese: Die mentale Belastung des Arbeitsgedächtnisses wird größer sein, wenn das Bild vor dem Text gelernt wird. Dieser Zusammen-hang gilt auch dann, wenn Bild und Text in einem komplementären Informati-onsverhältnis zueinander stehen.

2.2 Interferenzhypothese: Die mentale Belastung wird größer sein, wenn der Text vor dem Bild gelernt wird. Dieser Zusammenhang gilt allerdings nur, wenn

Bild und Text in einem kongruenten Informationsverhältnis zueinander stehen.

Fragestellung 3: Welchen Einfluss haben das Informationsverhältnis und die Reihenfolge von Text und Bild auf die Verarbeitungszeiten der einzelnen For-mate?

3.1 Kapazitätshypothese: Die Verarbeitungszeit für den Text nimmt zu, wenn zuvor ein Bild betrachtet wurde. Dieser Zusammenhang gilt auch dann, wenn Bild und Text in einem komplementären Informationsverhältnis zueinander stehen.

3.2 Interferenzhypothese: Die Verarbeitungszeit für den Text nimmt ab, wenn zuvor ein Bild betrachtet wurde. Dieser Zusammenhang gilt nur, wenn Bild und Text in einem kongruenten Informationsverhältnis zueinander stehen.