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Kongruente und komplementäre Bilder und Texte

Empirie

5.1 Die Theorie der Plattentektonik in Texten und Bildern

5.1.4 Kongruente und komplementäre Bilder und Texte

Abbildung 5.1 zeigt die vollständige Version einer Bildseite, die den Zusammenhang zwi-schen den tektonizwi-schen Plattengrenzen und Phänomenen wie Erdbeben oder Vulkanis-mus veranschaulicht. Links, links oben und oben in der Mitte sind drei unterschiedliche Grenztypen abgebildet, deren Eigenschaften mit einigen Worten näher charakterisiert werden.

Abbildung 5.1:BildseitePlattegrenzenals vollständige Version

Im Hintergrund ist eine Weltkarte zu erkennen, in der Erdbeben als gelbe Punkte und Vulkane als rote Dreiecke eingezeichnet sind. Die Bedeutungen der Symbole auf der Weltkarte können in der Legende unter dem Bild abgelesen werden. In der Textvorlage, auf deren Grundlage die AbbildungPlattengrenzenentstanden ist, wird dementsprechend der Zusammenhang zwischen den Plattengrenzen und dem Auftreten von Erdbeben und Vulkanen ausführlich erläutert. Darüber hinaus enthält der Text eine Beschreibung der verschiedenen Plattengrenzen und ihrer Bedeutung für die Entstehung einzelner Phäno-mene der Geodynamik. Prinzipiell ist es also möglich, bestimmte Informationen sowohl dem Bild zu entnehmen, als auch im Text nachzulesen. Aller codespezifischen Eigen-heiten der beiden Formate zum Trotz, werden damit die selben Sachverhalte gleichzeitig deskriptiv und depiktional repräsentiert.

Wenn ein Leser bzw. Betrachter beide Repräsentationen zum Wissenserwerb heran-zieht, überschneiden sich die Informationen im Bild mit den Informationen des Textes.

In Anlehnung an Mayer et al. (2001) könnte man dieses Informationsverhältnis zwischen Bild und Text als redundant bezeichnen, allerdings bezieht sich der redundancy effect vor allem auf die gleichzeitige Darbietung desselben Textes in schriftlicher und gespro-chener Sprache. Da eine solch starke Äquivalenz zwischen Bild und Textinformationen aber nicht angenommen werden kann (Hamrodi & Lieber, 2008) und dem Begriff Red-undanz etwas Negatives anhaftet, erschien er zur Charakterisierung des Informationsve-hältnisses zwischen Bild und Text ungeeignet. Eine passendere Umschreibung verwendet

Ballstaedt (2005), der eine Bild-Text-Relation dann als kongruent bezeichnet, wenn die kognitive Verarbeitung der Bild und Textinformationen zu inhaltlich vergleichbaren menta-len Repräsentationen führt. Dagegen sieht er inhaltlicheKomplementarität als gegeben an, wenn Bild und Text zwar unterschiedliche mentale Repräsentationen aktivieren, diese aber durch einen gemeinsamen Kontext miteinander verknüpft sind.

Mit Blick auf die Fragestellung bestand nun der dritte und letzte Schritt bei der Ent-wicklung des Lehrmaterials darin, das bereits erzeugte kongruente Informationsverhältnis zwischen Bildern und Texten in ein inhaltlich komplementäres Verhältnis umzuwandeln.

Ein komplementäres Verhältnis war dann gegeben, wenn sich Bild und Text auf den sel-ben Themenabschnitt bezogen (z.B. auf die Plattengrenzen), zentrale Informationen aber immer nur einem Repräsentationsformat entnommen werden konnten. Unter der Annah-me dass beide Informationsquellen beim Wissenserwerb zur Verfügung standen, musste der Lernende gleichzeitig aber in der Lage sein, durch die integrative Verarbeitung der sich ergänzenden Bild- und Textinformationen eine kohärente mentale Repräsentation der dargestellten Sachverhalte aufzubauen. Um dies sicherzustellen, wurden das bereits entwickelte kongruenteLehrmaterial als Grundlage für die Erstellung der komplementä-ren Bilder und Texte verwendet.

Da es sehr viel leichter war, nachträglich einen Text umzuschreiben bzw. anzupassen, als ein Bild anhand einer neuen Textvorlage zu verändern, wurde letztlich vor allem auf der Grundlage des Bildes bestimmt, welche Inhalte deskriptiv und welche Inhalte depik-tional dargeboten wurden. Daher mussten zuerst Abschnitte bzw. Elemente innerhalb der Bildseiten identifiziert werden, die für sich genommen, abgeschlossene Informationsein-heiten darstellten. Anschließend wurde dann entschieden , welche Teile entfernt werden konnten, ohne die Bedeutung oder den Informationsgehalt der verbleibenden Bildelemen-te nachhaltig zu beeinflussen. Abbildung 5.2 zeigt die komplementäre Version der Bild-seitePlattengrenzen.

Zeichenerklärung:

Plattengrenzen

Epizentren von

Erdbeben InaktiverVulkan AktiverVulkan Beispiel: Destruktive Plattengrenze

die Platte mitder höheren Dichte sinktab derRand deroberen Platte wird gestautund zum

die absinkende Platte wird in die Asthenosphäre gedrückt und geschmolzen

Abbildung 5.2:BildseitePlattegrenzenals komplementäre Version

Vergleicht man diese mit der vollständigen Abbildung5.1, so fällt auf, dass hier neben dem Hintergrundbild nur noch ein plattentektonischer Grenztyp zu erkennen ist. Die an-deren beiden Grenztypen wurden samt Beschriftung entfernt, da sie für sich genommen

relativ unabhängige Komponenten darstellten. Nachdem alle Bildseiten auf ähnliche Wei-sebearbeitet worden waren, bestand nun der zweite Schritt darin, die Texteanzupassen.

Zu diesem Zweck wurden alle Abschnitte, welche die im Bild verbliebenen Komponenten beschrieben, entfernt. Beibehalten wurden nur die Sätze, welche sich auf Bildelemente bezogen, die zuvor aus der entsprechenden grafischen Darstellung gelöscht worden wa-ren. Dabei wurde darauf geachtet, exakt die Formulierungen zu verwenden, die auch der vollständige Text enthielt. So sollte gesichert werden, dass sich der Unterschied zwischen den beiden Textversionen allein auf die Anzahl der darin enthaltenen Sätze bzw. Informa-tionen bezog. Da es schwierig war, den Informationsgehalt der Bilder zu quantifizieren, diente die Anzahl der verbliebenen Worte in den Texten als grobe Orientierungshilfe, um das Ausmaß der Kürzungen einzuschätzen. Bei der Gestaltung des komplementären Ma-terials wurde angestrebt, die eine Hälfte der Informationen im Text und die andere Hälfte der Informationen im Bild darzustellen. Dies würde bei einer idealen Umsetzung dazu geführt haben, dass die komplementären Textabschnitte etwa die halbe Anzahl der Wor-te enthalWor-ten hätWor-ten, wie die vollständigen Versionen. Dieses Ziel konnWor-te allerdings nicht realisiert werden, wie die folgende Tabelle 5.1 zeigt.

Tabelle 5.1:Textlänge der vollständigen und komplementären Versionen Anzahl der Worte Anzahl der Worte Thema/Inhalt

vollständige Version komplementäre Version

I Die T heorie der Plattentektonik 255 200

II Bedeutung der Plattengrenzen 264 137

III Messungen im Inneren der Erde 255 178

IV Mechanismen der Plattenbewegung 253 143

Es fällt auf, dass die vollständigen Texte im Durchschnitt etwas mehr als 250 Worte umfassten, die Textlänge der komplementären Version jedoch sehr viel stärker variierte.

Diese Schwankungen der Textlänge hatte mehrere Ursachen. Entweder ließ der Aufbau des Bildes eine simple Halbierungen der Informationen nicht zu, oder aber die Struktur des Textes schränkte die Freiheitsgrade bei den Kürzungen ein. Immerhin sollten die kom-plementären Texte noch gut lesbar sein und nicht unvollständig oder wie ein Lückentext wirken. Hinzu kommt, dass die einzelnen Texte in unterschiedlichem Maße anschauliche und abstrakte Sachverhalte thematisierten. Während darauf verzichtet worden war, ab-strakte Inhalte grafisch darzustellen, kamen für die Gestaltung der komplementären Ver-sionen allein Textabschnitte in Frage, die sich auf anschauliche Inhalte bezogen. Sätze, die abstrakte Sachverhalte beschrieben, wurden dagegen unverändert übernommen.

Beispielsweise enthielt der Text Die Theorie der Plattentektonik einen Abschnitt mit einleitenden Worten, der die theoretische Bedeutung der Plattentektonik für die Geologie und Geophysik hervorhob. Diese Inhalte waren bei der Bildgestaltung nicht umgesetzt worden und konnten deshalb unverändert in der komplementären Version verwendet wer-den. Stattdessen bot es sich an, einen Textabschnitt zu entfernen, der viele Informatio-nen beschrieb, die auch das Bild enthielt. Der Abschnitt war jedoch inhaltlich so eng mit

derabstraktenEinleitung verknüpft, dass er nicht herausgestrichen werden konnte, ohne große Teile des restlichen Textes neu zu schreiben. EineUmformulierung kam allerdings nicht in Frage, da die komplementäre Version exakt die gleichen Sätze enthalten soll-te, wie die vollständige Version. Also wurde eine andere Textpassage entfernt, die sehr viel kürzer war, obwohl die Struktur des Bildes prinzipiell eine gleichmäßigere Aufteilung der Informationen ermöglicht hätte. In diesem Zusammenhang wurde die Lesbarkeit der Bilder und Texte als wichtiger angesehen, als deren Länge oder relativer Informations-gehalt. Auch wenn es hinsichtlich der Fragestellung in erster Linie darum ging, die Kom-plementarität zwischen den deskriptiven und depiktionalen Repräsentationsformaten zu maximieren, wurde dennoch immer auf die Verständlichkeit des Lehrmaterials geachtet.