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Theoretische Vorüberlegungen

4.2 Überlegungen zur Versuchsplanung

wel-cher der Autoren nun Recht hat. Diese Frage steht im Mittelpunkt der vorliegenden Ar-beit, mit der letztlich eine Antwort gefunden werden soll. Da es jedoch nicht möglich ist, allein anhand theoretischer Annahmen eine Entscheidung für oder wider einen der bei-den Erklärungsansätze zu treffen, muss eine empirische Untersuchung Abhilfe schaffen.

Zu diesem Zweck bietet es sich an, experimentelle Bedingungen zu schaffen, in denen die Kapazitäts- und die Interferenzhypothese zu jeweils verschiedenen Vorhersagen füh-ren, die sich dann überprüfen lassen. Die allgemeinen Überlegungen, die dem Unter-suchungsablauf und -design zugrunde liegen, werden in dem folgenden Kapitel näher ausgeführt.

Eine Größe, an der die Modifikation des Stimulusmaterials ansetzen kann, ist das In-formationsverhältnis von Text und Bild. So ist es gerade für Kulhavy, Stock, Verdi et al.

(1993) nicht ohne Bedeutung, wie viele gemeinsame Inhalte die beiden Formate ent-halten, da zentrale Annahmen seiner Modellvorstellungen auf der DCT beruhen (Paivio, 1986). Demnach müssen sich Text und Bild auf den selben Sachverhalt beziehen, damit referentielle Verbindungen zwischen verbalen und piktorialen Informationen überhaupt geknüpft werden können. Ist dies nicht der Fall, dann verliert die zusätzliche Verwendung des Bildes teilweise seine positive Wirkung auf den Wissenserwerb. Die visuellen Inhal-te werden dann zwar immer nochdoppelt kodiert, doch zusätzliche Abrufreize textitcues für Texinformationen entfallen. Vorausgesetzt die Annahmen treffen zu, dann müsste eine geringe Informationsäquivalenz zwischen Text und Bild zu weniger referentiellen Verknüp-fungen führen, was sich negativ auf die Wiedergabeleistung auswirkt.

Als Konsequenz werden Versuchspersonen, die auf multimediale Lernmaterialien mit einer hohen inhaltliche Überlappung zurückgreifen können, mehr lernen, als Versuchs-personen, die für den Wissenserwerb komplementäre Formate nutzen. Diese Vorhersage steht im Einklang mit der DCT und der CTML, doch ist es anhand der beiden Ansätze nicht möglich, das Merkmal der Informationsäquivalenz auf den PTS-Effekt zu übertragen. Da-zu müssten bestimmte Annahmen hinsichtlich der verschiedenen Repräsentationsforma-te gemacht werden, die aus der Verarbeitung von Bildern und TexRepräsentationsforma-ten resultieren. Solche Annahmen finden sich jedoch nur in den theoretischen Konzepten von Kulhavy, Stock und Caterino (1994) oder Schnotz (2002, 2005), wo diese Frage ausführlich behandelt wird.

Da die beiden Autoren allerdings nicht explizit darauf eingehen, welche Auswirkungen es für den PTS-Effekt hat, wenn Text und Bild kaum oder gar keine inhaltliche Überlappung aufweisen, muss dieser Zusammenhang anhand der jeweiligen Hypothese bzw. anhand des dahinter stehenden Modells hergeleitet werden. Zu welchen Ergebnissen diese Her-leitungen führen wird in den folgenden beiden Kapiteln dargestellt.

4.2.2 Das Informationsverhältnis und die Kapazitätshypothese

Wie bereits mehrfach angedeutet wurde, nehmen auch Kulhavy, Stock, Verdi et al. (1993) an, dass die Vorteile die ein Bild beim Wissenserwerb haben kann, eng mit dem Aufbau referentieller Verknüpfungen zwischen piktorialen und verbalen Informationen zusam-menhängen. Allerdings geht das theoretisches Modell der Autoren über die klassische DCT hinaus, indem sie den mentalen Repräsentationen der Bilder (images) besonde-re Eigenschaften zuschbesonde-reiben. Demnach können die imagesohne große Kapazitätsbe-lastung im Arbeitsgedächtnis gehalten werden, was Kulhavy, Stock und Caterino (1994) letztlich als Ursache für den PTS-Effekt ansieht. Dieser Verarbeitungsvorteil müsste auch dann vorhanden sein, wenn sich Bild und Text inhaltlich nur wenig überlappen. Solange sich die beiden Formate auf den selben thematischen Kontext beziehen, lassen sich zu-mindest indirekte Verbindungen herstellen, bei denen die Lernenden auftretende Lücken mithilfe ihres Vorwissens schließen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn dasimageim Ar-beitsgedächtnis gehalten wird, während die serielle Verarbeitung der Textinformationen

erfolgt. Zwar ist davon auszugehen, dass die Anzahl der direkten referentiellen Verknüp-fungen abnehmen wird, was nach Ansicht von Kulhavy et al. (1994) eine verminderte Wiedergabeleistung zur Folge hat. Doch sollten Versuchspersonen, die das Bild zuerst sehen, immer noch besser abschneiden, da sie verbale und piktoriale Informationen in-haltlich besser aufeinander beziehen können. Treffen die Annahmen der Kapazitätshy-pothese zu, ist der PTS-Effekt auch bei einen komplementären Informationsverhältnis zwischen Text und Bild zu beobachten.

4.2.3 Das Informationsverhältnis und die Interferenzhypothese

Im Gegensatz zu Kulhavy et al. (1994) geht Schnotz (2002, 2005) nicht davon aus, dass die Verarbeitung von Bild- und Textinformationen zu grundsätzlich verschiedenen Reprä-sentationsformaten führt. Dementsprechend orientiert sich sein Ansatz stärker an der Relation zwischen verbalen und piktorialen Informationen, was letztlich in einem engen Zusammenhang mit seiner Erklärung des PTS-Effekts steht. Wie bereits in Kapitel 4.1.2 ausführlich dargestellt wurde, sind nach Ansicht des Autors Interferenzen dafür verant-wortlich, dass Lernende schlechter abschneiden, wenn sie den Text vor dem Bild lesen.

Damit diese Interferenzen aber überhaupt auftreten, müssen sich verbale und piktoriale Informationen nicht nur auf den selben Sachverhalt beziehen, sondern möglichst infor-mationsäquivalent sein. Nur wenn die Verarbeitung des Textes zu einem mentalen Modell führt, das inhaltlich mit dem nachfolgenden Bild wirklich konkurriert, kann es zu kogniti-ven Konflikten kommen. Weisen Text und Bild jedoch keine oder nur geringe inhaltliche Überlappungen auf, dürften bei einer sequenzierten Präsentation des Lerhmaterials kei-ne Interferenzen entstehen. Treffen die Annahmen der Interferenzhypothese zu, dann ist der PTS-Effekt bei einen komplementären Informationsverhältnis zwischen Text und Bild nicht zu beobachten.

4.3 Schlussfolgerungen für die Gestaltung des Untersuchungsmaterials Die Konsequenzen, die sich aus den bisherigen Überlegenheiten ziehen lassen, sind denkbar einfach. Will man letztlich entscheiden, ob nun Schnotz (2005) oder Kulhavy et al. (1994) Recht behält, muss man ein Versuchsdesign umsetzen, bei dem zwei un-terschiedliche Ausführungen von Lehrmaterialien verwendet werden. Eine erste Version sollte aus Texten und Bildern bestehen, die sich inhaltlich stark überlappen bzw. einen hohen Anteil äquivalenter Informationen enthalten. Die zweite Version müsste dagegen Texte und Bilder umfassen, die sich zwar auf das selbe Themen beziehen, aber unter-schiedliche Aspekte des betreffenden Sachverhaltes abdecken, womit ein komplemen-täres Informationsverhältnis erzeugt wird. Dabei ist jedoch noch nicht ganz klar, welche Arten von Bildern sich bei Untersuchung sinnvoller Weise verwenden lassen.

Um die Herleitung zu vereinfachen, war in den vorangegangenen Abschnitten ganz all-gemein von Bildern die Rede, was für das ICTP-Modell von Schnotz (2005) grundsätzlich kein Problem darstellt. Fraglicher wird diese Verallgemeinerung jedoch bei der

Kapazi-tätshypothese, da sich Kulhavy et al. (1994) bei ihren Annahmen ausdrücklich auf geo-graphische Karten bzw. räumlich strukturierte Abbildungen beziehen. Um dennoch eine faireGegenüberstellung der beiden Erklärungsansätze zu gewährleisten, müssten daher alle verwendeten Bilder dieser Kategorie angehören. Das favorisiert natürlich den Einsatz geographischer Karten, doch genügt auch eine Darstellung, die den Querschnitt durch die Erdkruste zeigt, dem Kriterium der räumlichen Strukturierung. So sind beispielsweise Dicke oder Lage der einzelnen Schichten Informationen, die sich in erster Linie aus der Anordnung und den Relationen zwischen verschiedenen Bildelementen erschließen las-sen. Auch schematische Zeichnungen oder realistische Bilder besitzen damit eine räumli-che Struktur, weshalb man die Kapazitätshypothese ebenso auf diesen Abbildungstypus anwenden kann.

Eine weitere Unschärfe zwischen den beiden Erklärungsansätzen betrifft die Resultate der Lernprozesse. Wenn beispielsweise Kulhavy et al. (1994) den Lernerfolg erfassen, dann beziehen sich die Autoren in erster Linie auf die Wiedergabe (retention) von Fak-ten. In der Vorstellung von Schnotz (2005) zielt der Wissenserwerb hingegen auf die Konstruktion einer kohärenten mentalen Repräsentation, was eher mit Verstehen und be-deutungsvollem Lernen gleichzusetzen ist. Natürlich spielt dabei auch die Verfügbarkeit von einzelnen Informationen eine nicht zu unterschätzende Rolle, doch liegt der Schwer-punkt eindeutig auf dem tiefen Verständnis eines Sachverhaltes. Dennoch kann man da-von ausgehen, dass der Aufbau eines reichhaltigen mentalen Modells mit dem Erwerb entsprechender Wissensstrukturen verbunden ist, so dass sich auch anhand der Wie-dergabe von einzelnen Inhalten bemessen lässt, ob die Inferenzhypothese zutrifft oder nicht.

Im Fall der Kapazitätshypothese und der Leistung bei Tranfer- oder Inferenzaufgaben kann ein ähnlicher Zusammenhang vermutet werden, selbst wenn Kulhavy et al. (1994) das Konzept Verstehen gar nicht aufgreifen. So müssen bestimmte Fakten bekannt sein bzw. erinnert werden, damit eine valide Schlussfolgerung gelingen kann. Ob der Lernen-de dann wirklich in Lernen-der Lage ist, bestimmte Problemstellungen durch Inferenzen zu lösen, hängt natürlich auch von dem prozeduralem Wissen ab, über das ein Individuum ver-fügt. Dennoch lässt sich auf der Grundlage der Kapazitätshypothese mutmaßen, dass der PTS-Effekt sich auch bei Aufgaben zeigen wird, die über eine reine Wiedergabe von einfachen Fakten hinausgehen.

An dieser Stelle endet das Kapitel zur Fragestellung und den grundlegenden theoreti-schen Gedanken hinter der Untersuchung. Wie die verschiedenen Überlegungen im De-tail experimentell umgesetzt wurden, kann in den Abschnitten nachgelesen werden, die den einzelnen Studien gewidmet sind. Im folgenden Kapitel, mit dem der empirische Teil der Arbeit beginnt, wird jedoch zunächst die Entwicklung des Untersuchungsmaterials und der Instrumente zur Erfassung der Personenmerkmale dargestellt.