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Empirie

7.1 Fragestellung und Hypothesen

Die Ergebnisse der ersten Studie hatten gezeigt, dass ein picture-text-squencing-Effekt vorhanden war, wenn die Teilnehmer piktoriale und verbale Informationen sequentiell zum Aufbau von Wissensstrukturen nutzten. Allerdings konnte keine der beiden Hypothesen die verschiedenen Befunde befriedigend erklären, weshalb anhand des Modells des in-tegrierten Text und Bildverstehens (Schnotz & Bannert, 2003) zwei alternative Deutungs-ansätze abgeleitet wurden. Während der Erste von Vorteilen beim Aufbau des mentalen Modells ausging, griff der zweite Ansatz die ursprüngliche Annahme von Interferenzen auf. Da beide Deutungen im Rahmen des theoretischen Modells durchaus plausibel er-schienen, wurden sie in einer zweiten Untersuchung gegenübergestellt.

Einfluss hat. Argumentiert man auf der Grundlage des Modells des integrierten Text und Bildverstehens (Schnotz & Bannert, 1999, 2003), dann lassen sich zwei verschiedene An-sätze ableiten, die den PTS-Effekt jeweils auf die Wechselwirkung zwischen Reihenfolge und formatspezifischen Verarbeitungsprozessen zurückführen.

Der erste Ansatz geht davon aus, dass es Lernenden grundsätzlich leichter fällt, ein mentales Modell anhand eines Bildes zu konstruieren, da es sich in beiden Fällen um ein analoges Format handelt. Erhält ein Lernender das Bild vor dem Text, so wird er die piktorialen Informationen nutzen, um eine Repräsentation der dargestellten Sachverhal-tes aufzubauen. Dabei ist nicht nur der Konstruktionsprozess einfacher, das resultierende mentale Modell erleichtert auch die nachträgliche Verarbeitung des Textes. Es kann ent-weder als Vorlage oder Entwurf genutzt werden oder der Lernende verwendet im Fall eines komplementären Informationsverhältnisse einzelne Bausteine und Elemente beim Textverstehen. Auf diese Weise wird die beschränkte Kapazität des Arbeitsgedächtnis-ses optimal genutzt und sämtliche mentalen Ressourcen lassen sich für den Auf- und Ausbau von Wissensstrukturen einsetzen. Erfolgt die Präsentation des Textes jedoch vor dem Bild, muss der Lernende vergleichsweise mühsam das mentale Modell anhand einer propositionalen Repräsentation konstruieren. Die Überführung eines prinzipiell symboli-schen Formates in ein analoges Format ist schon an sich eine anspruchsvolle Aufgabe.

Hinzu kommt, dass der Lernende keine Möglichkeit hat auf eine Modellvorlage oder ein-zelne Bausteine zurückzugreifen, weshalb die mentalen Ressourcen nicht optimal einge-setzt werden können. Die Präsentation des Bildes vor dem Text hat damit vor allem eine positive Wirkung, da die richtige Anordnung den Aufbau von Wissensstrukturen fördert.

Im Gegensatz dazu, knüpft der zweite Ansatz an die ursprüngliche Interferenzhypothe-se aus Studie I an, die von einem negativen Einfluss der Reihenfolge auf den Prozess des Wissenserwerbs ausgeht. Demnach ist der PTS-Effekt vor allem darauf zurückzu-führen, dass es unvorteilhaft ist, den Text vor dem Bild zu lernen. Schnotz (2002, 2005) macht dafür Interferenzen verantwortlich, die entstehen, wenn ein Lernender versucht, ein mentales Modell, das auf der Grundlage eines Textes konstruiert wurde, und eine nach-folgendes Bild zu integrieren. So wird das Bild zwangsläufig von dem mentalen Modell ab-weichen, da die interne Repräsentation nicht zuletzt zu einem großen Teil das individuelle Vorwissen des Lernenden umfasst. Im Rahmen der ersten Untersuchung war noch davon ausgegangen worden, dass diese Abweichungen zwischen Bild und Modell nur dann ne-gative Konsequenzen haben würden, wenn die zugrunde liegenden Formate sich auf die gleichen Sachverhalte beziehen. Allerdings konnte nicht ausgeschlossen werden, dass Interferenzen auch selbst dann auftreten, wenn Text und Bild in einem komplementären Informationsverhältnis zueinander stehen. In diesem Fall wären es allgemeine Strukturen oder funktionale Merkmale, die das mentale Modell und das Bild gemeinsam haben, aber die sehr wahrscheinlich voneinander abweichen werden. Ein Abgleich der beiden Reprä-sentationen würde zu einem kognitiven Konflikt führen, der es den Lernenden erschwert, den nachfolgenden Bilder Informationen zu entnehmen und in das bestehende mentale Modell zu integrieren.

Aus dem Blickwinkel der cognitive load theory sind Interferenzen aber nichts anderes

alsextraneous load (Sweller & Chandler, 1994), der durch eine spezielle Anordnung von Text und Bild verursacht wird. Dass die erste Studie keinen bedeutsamen Zusammenhang zwischen der Verarbeitungsreihenfolge und der mentalen Belastung ergab, mag daran gelegen haben, dass sich die verschiedenenload-Formen anhand von Selbsteinschät-zungen faktisch nicht unterscheiden lassen (J. van Merriënboer et al., 2002; Schnotz &

Kürschner, 2007). So ist es durchaus vorstellbar, dass die mentale Belastung, welche die Teilnehmer während des Lernens empfanden, der Höhe nach zwar vergleichbar war, aber unterschiedliche Ursachen und damit auch Konsequenzen für den Wissenserwerb hatte.

Die Anstrengung, die von den Bild-vor-Text Gruppen empfunden wurde, lässt sich mögli-cherweise aufgermane load (Sweller et al., 1998) zurückführen, der beim Aufbau neuer Wissenstrukturen entsteht. Im Gegensatz dazu, könnte die empfundenen Belastung der Teilnehmer, die zuerst den Text gelesen hatten, eine Folge von Interferenzen bzw. extra-neous load) gewesen sein. Diese Vermutungen ließen sich allerdings nicht allein anhand der Daten belegen, die im Rahmen der ersten Studie erhoben wurden. Wirklich aussa-gekräftig war der Vergleich mit Personen, die entweder nur die Bilder oder nur die Tex-te zum Wissenserwerb nutzen konnTex-ten. Dabei sollTex-ten Teilnehmer, denen beide FormaTex-te und damit auch mehr Informationen zur Verfügung standen, beim Lerntest deutlich bes-ser abschneiden. Dies würde jedoch nicht gelten, wenn Interferenzen den Lernprozess beeinflussten. Demnach ist vorstellbar, dass Versuchspersonen der Text-vor-Bild Grup-pen sich zwar mehr anstrengen, aber kein besseres Testergebnis erzielen. Würden die Teilnehmer, die nur den Text gelesen hatten, dagegen eine geringere mentale Belastung empfinden aber ein vergleichbares Resultat im Wissenstest erzielen, dann spräche dies für das Auftreten vonextraneous load und damit für dieInterferenzhypothese.

Auf der anderen Seite ist zu erwarten, dass sich auch die Bild-vor-Text Gruppen mehr anstrengen müssen, als Personen, denen allein die Bilder vorgelegt wurden. Die nach-träglich verarbeiteten verbalen Informationen müssen in das vorhandene mentale Modell integriert werden, was den nicht selten Rückgriff auf schematisches Vorwissen erforder-lich macht. Die resultierende Anstrengung sollte aber mit einer tieferen Verarbeitung und besseren Lernergebnissen einhergehen, weshalb diese Form der mentalen Belastung im Sinne der CLT alsgermane load anzusehen wäre. Damit lassen sich erneut zwei alter-native Erklärungen für den PTS-Effekt formulieren, die sich aber nicht unbedingt wider-sprechen müssen. Grundsätzlich gilt es jedoch zu bedenken, dass auch der Umfang des Lernmaterials als eine Quelle der Belastung empfunden werden kann. Schnotz (2010) spricht in diesem Zusammenhang auch vonmentaler Energie, die im Verlauf eines Lern-prosses aufgebraucht wird. Die Fähigkeit und Bereitschaft eines Studierenden sich über längere Zeit intensiv mit einem Thema auseinander zu setzen, ist demnach eine endli-che Ressource. Lernende, die nur vier Texte zu lesen haben, werden daher in der Regel weniger Energie aufbringen müssen, als Personen, die sich zusätzlich mit vier weiteren Bildern konfrontiert sehen. Konsequenterweise wird die empfundene mentale Belastung in den Gruppen mit zwei Formaten höher sein, ohne dass dies zwingend ein Hinweis auf Interferenzen oder die besonders elaborierte Konstruktion eines mentalen Modells ist. Eine solche Verzerrung kann umgangen werden, indem man die Lernzeit statistisch

kontrolliert und ihren Einfluss auf die abhängigen Variablen herauspartialisiert. Treffen die theoretischen Vermutungen zu, müssten sich die vorhergesagten Zusammenhänge den-noch nachweisen lassen. Dementsprechend lauten Forschungsfrage und Hypothesen:

Fragestellung: Ist der PTS-Effekt das Ergebnis von Interferenzen oder auf Ver-arbeitungsvorteile bei der Konstruktion eines mentalen Modells zurückzufüh-ren?

Interferenz-Hypothese: Für den PTS-Effekt sind negative Einflüsse auf den Lernprozess verantwortlich, die auf Interferenzen zurückzuführen sind. Bei kontrollierter Lernzeit strengen sich Teilnehmer der Text-vor-Bild Gruppen beim Wissenserwerb stärker an, als Personen, die nur die Texte lesen. Trotz der größeren Anstrengung schneiden die Teilnehmer der Text-vor-Bild Gruppen im Lerntest nicht besser ab.

Konstruktions-Hypothese: Für den PTS-Effekt sind positive Einflüsse auf den Lernprozess verantwortlich, die auf Unterstützungsfunktionen bei der Kon-struktion mentaler Modelle zurückzuführen sind. Trotz kontrollierter Lernzeit strengen sich Teilnehmer der Bild-vor-Text Gruppen beim Lernen stärker an, als Personen, denen nur die Bilder vorgelegt wurden. Dank der größeren An-strengung schneiden die Teilnehmer der Bild-vor-Text Gruppen im Lerntest aber besser ab.